Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Thema Das Erste

Erwähnungen in Dokumenten

  • in: Druck Schelling »Die Weltalter: Entwürfe und Fragmente zum Ersten Buch« (?). Text

    Es soll der milesische Thales schon auf die Frage, was das Erste und in der ganzen Natur der Dinge Älteste sey, geantwortet haben: Gott, weil er ohn’ Anfang und Ende sey. Das war eine geschwinde Antwort, zumal von einem heidnischen Philosophen, die aber in ein tiefes und langes Nachdenken führt. Wissen wir doch auch nicht genau, was er sich eben unter Gott gedacht. Auf keinen Fall aber wissen wir dadurch, daß wir den Namen Gott aussprechen auch gleich die Tiefen seines Wesens. Denn Gott ist kein todtes, stillstehendes Wesen, sondern lebendig, ja das höchste Leben selbst. Nun weiß ich wohl wie man auch an diesen Worten herumgedeutet und sie weggethan hat, bis nichts mehr übrig blieb, als etwas stillstehendes und unlebendiges, aber auf die Art kann man nicht umgehen mit so. Nicht also, lieben Freunde! auf die Art kann man nicht umgehen mit so herrlichen Worten, die die Schrift mit solchem Recht setzt; so leicht sollt ihr sie uns nicht nehmen oder in uneigentliche verwandeln. Nun ist ja kein Leben ohne Werden und Bewegung, also auch nicht das göttliche Leben, noch Gott selbst sofern er Leben ist. Es ist freylich ein ewiges Werden, d.h. ein Werden, das von Freyheit geworden ist und noch immer wird und immer werden wird (denn ich muß fast undeutlich reden – weil auch das was ein ewiges Werden sey, nicht mehr verstanden wird in der jetzigen Überspannung der Begriffe); aber ewig oder nicht ewig, ein Werden ist immer ein Werden. Kein Leben und Werden und sich Bewegen ist ohne Anfang und ohne Ende. Also auch nicht das Leben Gottes, ja Gott selbst sofern er ein Leben ist. (Nicht daß Gott selbst ohne Anf˖[ang] und End sey). Es ist freylich ein ewiger Anfang, d.h. daß dieß Werden von aller Ewigkeit so angefangen hat und noch immer anfängt und nie aufhören wird anzufangen. So ist sein Ende auch ein ewiges Ende, d.h. daß Gott Gott ist nicht ein Ohnendliches wie man zu denken pflegt, sondern ein ewig (daß ich handgreiflich rede) zu Stande gekommenes und noch immer zu Stande kommendes, und das nie aufhören wird zu Stande zu kommen, d.h. wahrhaft Gott zu seyn. Also daß es nur grob geredet ist, wenn gesagt wird, Gott sey ohne Anfang und Ende, da man dafür sagen sollte, er sey ohne einen Anfang seines Anfangs und ohne Ende seines Endes, d.h. daß er ewig anfange und ewig ende.

    Nun ist wieder kein Anfang, ohne daß das, wovon es der Anfang ist, zuvor gedacht werde als nicht seyend. Nicht aber als überall nicht seyend, sondern nur als das nicht seyend, das es werden soll. Also muß wohl Gott, um sein Werden zu begreifen, gedacht werden als nicht seyend? Ja wohl lieber Leser, denn ich muß dich anreden, weil es hier nicht darauf ankommt, daß ich etwas behaupte oder hinsetze, gleich als müßtest du es alles verstehen, sondern darauf, daß du dich Mühe gebest anstrengest und deinen Kopf daran gebest es zu verstehen.

    Setze meinen Worten nichts zu und lasse ihnen nichts zusetzen. Ich sage nicht, daß Gott irgendwann und irgend Einmal ein nicht Seyendes geworden. Sey überzeugt daß ich von der Ewigkeit Gottes so ernsthaft ja ernsthafter denke, als die mir dergleichen nachreden und sollst nicht glauben, auch daß es nicht darum zu thun ist, nur mit befremdlichen und seltsamen Worten in Verwunderung oder Bestürzung zu setzen, sondern darum, dir ein Verständnis zu öffnen, woran es, nach deiner Lehre zu schließen, dir bisher gefehlt hat und ohne daß die so hohen und gemißbrauchten Wörter Leben und lebendig von Gott leerer Schall sind. Ich habe dir schon gesagt, daß mir das Leben Gottes ein ewiges Werden ist. Wenn dann nun aber das Seyn Gottes gleich ist einem (wiewohl ewigen) Werden, so ist es auch gleich einem (wiewohl ewigen) Übergang aus Nichtseyendseyn in Seyendseyn und du mußt Gott setzen als nichtseyend, nicht daß er es je und irgendwann in der That gewesen (denn er ist in einer ewigen Bewegung ins Seyn), sondern nur der Begreiflichkeit halber und damit du jenes Werden verstehen könntest.

    Sie sollen also verstummen, die in ihrer Meynung frommen Geister, die uns gleich von ihrem Gefühl und Gottes Nähe reden und gleichsam meynen, daß sie keinen Augenblick ohne Gott seyn können. Es gibt wohl Augenblicke im Leben, da man Gottes entrathen und auch ohne Gott, wenn es anders wahr ist, daß Gott sein Licht und Kraft der Seele entziehen kann, still und gelassen bleiben muß. Gelassenheit sucht Gott, sagt ein göttlicher Sinndichter des . Gott aber selbst zu lassen ist auch Gelassenheit, die wir Menschen fassen.

    3. Einleitungskonzept

  • in: Druck Schelling »Die Weltalter (1811). Erstes Buch. Die Vergangenheit« (1811). Text

    Doch ehe wir den langen dunkeln Weg der Zeiten von Anbeginn betreten, sey es uns verstattet, mit wenigen Worten das Höchste was jenseits aller Zeit liegt auszusprechen, das über aller Zeit ist, und in aller Entwicklung sich offenbaren will.

    Es ist nur Ein Laut in allen höheren und besseren Lehren, daß das Seyn schon ein tieferer Zustand des Wesens, und daß sein urerster unbedingter Zustand über allem Seyn ist. Einem jeden von uns wohnt das Gefühl bey, daß Die Nothwendigkeit dem Seyn als sein Verhängniß folgt. Alles Seyn strebt zu seiner Offenbarung und in sofern zur Entwicklung; alles Seyende hat den Stachel des Fortschreitens, des sich Ausbreitens in sich, Unendliches ist in ihm verschlossen, das es aussprechen möchte; denn ein jedes Seyendes verlangt nicht bloß innerlich zu seyn, sondern das, was es ist, auch wieder, nämlich äußerlich zu seyn. Nur über dem Seyn wohnt die wahre, die ewige Freyheit. Freyheit ist der bejahende Begriff der Ewigkeit oder dessen, was über aller Zeit ist.

    Den meisten, weil sie jene höchste Freyheit nie empfanden, scheint es das Höchste, ein Seyendes oder Subjekt zu seyn; daher fragen sie: was denn über dem Seyn gedacht werden könne? und antworten sich selbst: Das Nichts, oder dem Aehnliches.

    Ja wohl ist es ein Nichts, aber wie die lautre reinste Freyheit ein Nichts ist; wie der Wille, der nichts will, der keiner Sache begehrt, dem alle Dinge gleich sind, und der darum von keinem bewegt wird. Ein solcher Wille ist Nichts und ist Alles. Er ist Nichts, in wie fern er weder selbst wirkend zu werden begehrt, noch nach irgend einer Wirklichkeit verlangt. Er ist Alles, weil doch von ihm als der ewigen Freyheit allein alle Kraft kommt, weil er alle Dinge unter sich hat, alles beherrscht und von keinem beherrscht wird.

    Die Bedeutung der Verneinung ist allgemein eine sehr verschiedene, je nachdem sie auf das Innere oder Aeußere bezogen wird. Denn die höchste Verneinung im letzten Sinn muß Eins seyn mit der höchsten Bejahung im ersten. Was alles in sich hat ist, kann es eben darum nicht nichts zugleich äußerlich haben. Ein jedes Ding hat Eigenschaften, woran es erkannt und gefaßt wird; und je mehr es Eigenschaften hat, desto faßlicher ist es. Das Größte ist rund, ist eigenschaftslos. Am Erhabenen findet der Geschmack, d.i. die Unterscheidungsgabe, nichts zu schmecken, so wenig als am Wasser, das aus der Quelle geschöpft ist. König, sagt ein Alter, ist, der nichts hofft, und der nichts fürchtet. So wird in dem sinnreichen Spiel eines älteren deutschen Schriftstellers voll Innigkeit derjenige Wille arm genannt, der, weil er alles in sich hat, nichts außer sich hat, das er wollen kann der an nichts hängt, weil er sich selbst genug ist, nichts hat, das er wollen kann..

    So ist die Ewigkeit ebendarum, weil sie nichts Seyendes und nach außen stumm und als reinste Wirkungslosigkeit ist, in sich selbst die höchste Wesentlichkeit.

    Wie fangen wir es nur an, diese Lauterkeit zu beschreiben? Fragen wir nur, was im Menschen allem wirklichen, allem bedingten Seyn vorangeht; denn was im Menschen das Höchste ist, das ist in Gott, das ist in allen Dingen das Wesen, die eigentliche Ewigkeit. Sehet ein das Kind an, wie es in sich ist ohne Unterscheidung, und ihr werdet in ihm ein Bild der reinsten Göttlichkeit erkennen. Wir haben sonst das Höchste ausgesprochen als die wahre, die absolute Einheit von Subjekt und Objekt, da keins von beyden und doch die Kraft zu beyden ist. Es ist die reine Frohheit in sich selber, die sich selbst nicht kennt, die gelassene Wonne, die ganz erfüllt ist von sich selber und an nichts denkt, die stille Innigkeit, die sich freut ihres nicht Seyns. Ihr Wesen ist nichts als Huld, Liebe und Einfalt. Sie ist im Menschen die wahre Menschheit, in Gott die Gottheit. Daher wir gewagt gedrungen sind, jene Einfalt des Wesens über Gott zu setzen, wie schon einige der Aelteren von einer Ueber-Gottheit geredet, unähnlich darinn den Neueren, die in verkehrtem Eifer diese Ordnung wieder umkehren wollten. Sie ist nicht Gott, sondern der Glanz des unzugänglichen Lichtes, in dem Gott wohnt, die verzehrende Schärfe der Reinheit, welcher der Mensch nur mit gleicher Lauterkeit des Wesens sich nähern kann. Denn da sie alles Seyn in sich als in einem Feuer verzehrt, so muß sie jedem unnahbar seyn, der noch im Seyn befangen ist.

    Daher die so allgemeine Frage: wie wir denn diese Lauterkeit erkennen? Die einzige Antwort ist: werde in dir selber eine gleiche Lauterkeit, fühle und erkenne sie in dir als das Höchste und du wirst sie unmittelbar als das absolut Höchste erkennen. Denn wie soll dem, der in sich selbst zertheilt und vielfältig ist, die höchste Einfalt Etwas werden?

    In Ansehung des Menschen ist freylich alle Wissenschaft Erinnerung: in Bezug auf die Ewigkeit nicht, welche nie Vergangenheit werden kann. Nur der Mensch bedarf der Befreyung, damit sein Wesen wieder sey, was es an sich ist, ein Blick der lautersten Gottheit, in welchem so wenig ein Subjekt oder Objekt unterschieden ist, als in ihr selber. Daher ist gerade die Erkenntnis des Höchsten die einzige ihrer Art, was Unmittelbarkeit betrifft und Innigkeit. –

  • in: Druck Schelling »Die Weltalter (1813). Erstes Buch. Die Vergangenheit« (1813). Text

    Es ist leicht zu sagen und jetzt allgemein angenommene Meynung, daß die Zeit nichts Wirkliches, nichts von unsrer Vorstellungsweise unabhängiges ist. Auch hat sich durch falsche Vorstellung in den Begriff derselben soviel Scheinbares, zum Theil Unwahres eingeschlichen, daß es verzeihlich scheint, sie als ein bloßes Getriebe unserer Gedanken anzusehen, das aufhörte, wenn wir nicht mehr Tage zählten und Stunden. Und doch erfährt jeder im eigenen Thun und Lassen unwidersprechlich die Wesentlichkeit der Zeit; und diejenigen selbst, welche ihre Nichtigkeit behaupten, weiß sie zu lauten Klagen über ihre furchtbare Wirklichkeit zu zwingen.

    Es wäre schon längst verdienstlich gewesen, Form und Wesen, Schein und Wirklichkeit in unsern Vorstellungen von der Zeit zu trennen, wenn es noch die Zeit wäre, die großen Gegenstände einzeln oder getrennt nach Capiteln abzuhandeln. Erwünschter ist, alles gleich in Leben und That zu sehen. Wir ahnden einen in der Zeit tief verborgen liegenden und bis ins Kleinste gehenden Organismus. Wir sind überzeugt (oder wer ist es nicht?), daß jedem großen Ereigniß, jeder folgenvollen That ihr Tag, ihre Stunde, ja ihr Augenblick bestimmt ist, und daß sie kein Nu früher an’s Tageslicht tritt, als die Kraft will, welche die Zeiten anhält und mäßigt. Wäre es freylich viel zu gewagt, die Tiefen der Zeit schon durchschauen zu wollen; so ist doch der Augenblick gekommen, das große System der Zeiten in seinem weitesten Umfange zu entwickeln.

    Wer die Zeit auch nur nimmt, wie sie sich darstellt, fühlt in ihr einen Widerstreit zweyer Principien; eines das vorwärts strebt, zur Entwicklung treibt und eines anhaltenden, hemmenden, der Entwicklung widerstrebenden. Leistete dieses andere nicht Widerstand, so wäre keine Zeit, weil die Entwicklung im Nu, ohne Absatz und Folge geschähe; würde aber auch nicht dieses andere beständig von dem ersten überwunden, so wäre absolute Ruhe, Tod, Stillstand und darum wieder keine Zeit. Denken wir uns nun aber diese beyden Principien in einem und demselben Wesen gleichwirkend, so haben wir sogleich den Widerspruch fertig.

    Sie sind aber nothwendig zu denken in allem was ist, ja im Seyn selber. – Alles was ist, alles Seyende will zugleich in sich und aus sich. Es will in sich, indem es sich als Seyendes, als Subject setzt oder zusammenfaßt; in sofern widersetzt es sich der Entwicklung und Ausbreitung: es will aus sich, indem es das, was es in sich ist, auch wieder, nämlich äußerlich, zu seyn begehrt. Es ist in der ersten Beziehung ein Abgezogenes von sich selbst, das sich selbst entgegengesetzt hat dem was außer ihm ist; aber es hat sich nur entgegengesetzt, um sich als das, was es in sich ist, wieder gegen jenes äußere zu offenbaren, mitzutheilen und kann daher in jener Abgezogenheit nicht bleiben.

    Ebenso das Seyn. Denn denken wir es rein als solches, so ist es selbstlos, eine gänzliche Versunkenheit in sich selbst; aber ebendadurch zieht es sein Gegentheil in sich und ist ein steter Durst nach Wesen, eine Sucht, sich Seyendes oder Subject anzuziehen, um mittelst desselben aus dem bloßen Potential-Zustand zum wirkenden hervorzutreten. Denken wir es aber schon als wirkendes Seyn, als ein Seyn, das auch selber wieder ist: so ist nothwendig ein Seyendes mit ihm, das dem Seyn, dem bloßen in-sich-Beruhen widerstreitet.

    Also sind die Principien, die wir in der Zeit wahrnehmen, die eigentlichen innern Principien alles Lebens, und der Widerspruch ist nicht allein möglich, sondern nothwendig.

    Die Menschen zeigen sich zwar keiner Sache abgeneigter als dem Widerspruch, wenn er ihnen offenbar wird, und sie zum Handeln zwingt. Ist das Widersprechende ihrer Lage längst nicht mehr zu verbergen: so suchen sie es immer noch zuzudecken und blind getrieben den Augenblick zu entfernen, wo auf Tod und Leben gehandelt seyn muß.

    Wie man nun im Leben sich gern so viel möglich den Widerspruch abhalten mag, so wurde eine gleiche Bequemlichkeit in der Wissenschaft gesucht, indem man als Grundsatz aufstellte, daß der Widerspruch nun und nimmer wirklich seyn könne. Wie ließ sich aber ein Gesetz aufstellen für etwas, das nie und auf keine Weise wirklich seyn sollte? Oder wie sollte jener Grundsatz sich bewähren d.i. als wahr erweisen, wann es doch nirgends einen Widerspruch gab?

    Obwohl nun die Menschen im Leben und im Wissen nichts so sehr zu scheuen scheinen, als den Widerspruch, müssen sie doch daran, weil eben das Leben selbst im Widerspruch ist. Ohne Widerspruch wäre kein Leben, keine Bewegung, kein Fortschritt, ein Todesschlummer aller Kräfte. Nur der Widerspruch treibt, ja er zwingt zu handeln. Also ist eigentlich der Widerspruch das Gift alles Lebens, und alle Lebensbewegung nichts anderes, denn die versuchte Ueberwindung dieses Gifts. Darinn liegt der Grund, daß, wie ein altes Buch sagt, alles Thun unter der Sonne so voll Mühe ist, die Sonne selbst auf- und untergeht, um wieder auf- und unterzugehen, und alles sich in Arbeit verzehrt und doch nicht müde wird und alle Kräfte unaufhörlich gegen einander ringen und arbeiten.

    Wie kommt es aber, daß, wenn der Widerspruch, wie es scheint, nothwendig, er doch allem Leben so unleidlich ist und nichts darinn verharren will, sondern immerfort strebt, sich ihm zu entreißen? Wahrlich, dieß wäre nicht zu begreifen, wenn nicht hinter allem Leben, gleichsam als beständiger Hintergrund, das Widerspruchlose wäre und nicht jedem Lebenden ein unmittelbares Gefühl desselben beywohnete, wodurch es getrieben wird, in ebendieses zurückzuverlangen. Ja ohne eine solche alles durchwirkende Einheit wäre der Widerspruch selber nicht zu begreifen.

    Erkennen wir also den Widerspruch, so erkennen wir auch das Widerspruchlose. – Ist jener das Bewegende in der Zeit, so ist das Widerspruchlose das Wesen der Ewigkeit. Ja, wenn wahrhaft alles Leben nur eine Bewegung ist, sich aus dem Widerspruch herauszusetzen, so ist die Zeit selbst nichts als eine beständige Sucht nach der Ewigkeit. Und besteht hinter allem Widerspruch eigentlich immerfort das Widerspruchlose, so folgt, daß auch hinter und über aller Zeit noch immer etwas besteht, das selbst nicht in der Zeit ist.

    Nach Ewigkeit sehnt sich alles. Aber wie kann denn ein Widerspruchloses, also ein Ewiges seyn? Ist nicht das Höchste nothwendig ein Seyendes und können wir ihm das Seyn absprechen? Ist es aber ein Seyendes, so ist auch nothwendig jener Widerspruch in ihm, von dem wir gezeigt haben, daß er in allem Seyenden ist. Ebenso wenn es ein Seyn ist, oder ein Seyn hat, also beydes zugleich ist.

    Und doch so unmöglich es scheint, beydes von ihm zu bejahen, so unmöglich ist, beydes von ihm zu verneinen, weil es unmöglich ein Nichtseyendes seyn, unmöglich nichtseyn kann.

    Ja, sogar nothwendig scheint es sowohl ein Seyendes zu seyn als ein Seyn. Denn das Ewige kann nur zugleich das Unbedingte seyn. Aber was ist das Unbedingte? – Das Wesen, das von und aus sich ist; dessen Natur in einem ewigen Sich-selber-Setzen oder Bejahen besteht, und das darum nur als das Setzende zugleich und das Gesetzte, als das Seyende und als das Seyn von sich selber gedacht werden kann. – Wie ist dieser Widerspruch aufzulösen?

    Nach dem aufgestellten Begriff des Unbedingten müssen wir von ihm sagen: Es ist Seyendes und Seyn. Aber dieser Satz selbst bedarf noch der Erklärung.

    Zuerst: Was ist denn dieses Es, welches Seyn und Seyendes ist? Offenbar ist eine doppelte Betrachtung desselben möglich. Es läßt sich betrachten, inwiefern es Seyendes und Seyn ist; allein man muß es auch betrachten, inwiefern es bloß Es, d.h. nur das ist, welches Seyn und Seyendes ist. Als das aber, welches Seyn und Seyendes ist, ist es nothwendig weder das eine noch das andere. Denn als das, was beyde ist, ist es das Aussprechende beyder, und kann daher weder eines von beyden insbesondere, noch auch beyde zugleich seyn; es ist über beyde.

    Nach dem ersten Begriff also ist es Seyendes und Seyn, aber es ist nicht das, oder, was dasselbe sagt, es ist nicht als das, welches beyde ist. Als das, welches beyde ist, kann es nur seyn, inwiefern es sich setzt als das Aussprechende beyder, d.h. inwiefern es sie wirklich ausspricht. Aber setzt es sich denn als das Aussprechende beyder; spricht es sie wirklich aus? Dieses liegt keineswegs in dem ersten Begriff.

    Das Letzte ist so einzusehen. Das Unbedingte ist Seyendes und Seyn, weil es das Unbedingte ist, seiner Natur nach, ohne sein Zuthun, schon von selbst und bevor es sich erkennt oder setzt als irgend etwas seyend.

    Es ist also Seyendes und Seyn – vor jetzt ohne seinen Willen; auch ist nichts, das ihm den Willen erweckte, beyde wirklich zu seyn, sich als das Eins von beyden auszusprechen, denn das Seyende und das Seyn sind zwar verschieden aber nicht außer einander. Oder sollten wir, daß es das Setzende zugleich und Gesetzte von sich selbst ist, uns etwa so vorstellen, daß es einem Theile das eine, und einem andern Theile nach das andere wäre? Unmöglich ist, daß es einem Theile nach bloß das Setzende ist; denn sonst wäre es als das Setzende selber nicht gesetzt. Ebenso unmöglich ist, daß es einem andern Theile nach bloß das Gesetzte ist; denn sonst wäre es als solches nicht das Setzende, d.i. es wäre seinem einen Theil nach ein Bedingtes und daher nicht das schlechthin Unbedingte. Also bleibt nichts, als daß es jedes von beyden ganz und ungetheilter Weise sey und als Seyendes und Seyn nicht zwey verschiedene Wesen, sondern nur Ein Wesen in zwey verschiedenen Gestalten. Sind nun die Entgegengesetzten in einander, und ist nichts, das sie auseinander und in wirkende Zweyheit zu bringen vermöchte, so ist der Gegensatz von einer Art, daß er die Einheit jenes Eins und Aussprechende beyder nicht in Bewegung setzt afficirt, also auch nicht veranlaßt, sich als solches wirklich zu erklären.

    Wie also das Unbedingte zwar Seyn und Seyendes ist, aber nicht wieder ist als das, welches sie ist: so sind auch die Entgegengesetzten nicht als solche; sie sind, aber ohne als diese, die sie sind, wieder zu seyn. Als solche nämlich könnten sie nur seyn, inwiefern sie von dem, was ihr Aussprechendes, ihre Kraft, ihr allein Bethätigendes ist, als solche ausgesprochen würden.

    Widerspruch ist ohne thätigen Gegensatz undenkbar. Ein solcher ist nun hier nicht. Wäre das Seyende wirklich als das Seyende gesetzt, so würde sich unmittelbar in ihm der Widerstreit jener innern Principien hervorthun, die wir in jedem Seyenden erkennen müssen. So aber, da es zwar Seyendes ist, aber nicht als solches, welches Seyendes ist, wieder gesetzt, ruht auch jener Widerstreit in ihm. Und dasselbe gilt von dem Seyn.

    Einige zwar vermeynten, den Widerspruch eben darinn zu finden, daß Ein und dasselbe das Seyende seyn soll und das Seyn; zu welchem Ende sie auch den so genannten Grundsatz des Widerspruchs herbey brachten, nach welchem es unmöglich seyn soll, daß Ein und Dasselbe Etwas und auch das Gegentheil davon sey.

    Dieses nun, weil es zur Erläuterung dient und für die Folge nicht unwichtig ist, wollen wir untersuchen. Richtig verstanden, sagt der Grundsatz des Widerspruchs doch nur, daß das Aussprechende (das Wesen der Copula, wie man in der Sprache der Logik sagen müßte) nur Eines, nicht Zwey, nicht Entgegengesetzte seyn könne, welches aber nicht verhindert, daß das Ausgesprochene die Verbundenen Zwey und Entgegengesetzte seyn.

    Schon Leibnitz, der hierinn die Scholastiker zu Vorgängern hat, bemerkt die Unwahrheit der noch immer wiederholten Regel: Disparate können weder von sich gegenseitig noch von einem dritten ausgesagt werden. Denn, so meynte er, könne zwar nicht gut geradezu gesagt werden, die Seele sey Leib, der Leib Seele; wohl aber dasselbe, was in dem einen Betracht Leib ist, sey in dem andern Seele. Eines =X ist Seele und Leib, d.h. Eines ist das Aussprechende von beyden und inwiefern es sie wirklich ausspricht, ist es auch wirklich beyde; inwiefern es aber nur ihr Aussprechendes ist, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, daß es sie wirklich ausspricht, ist es weder das eine noch das andere. Dasselbe gilt hier. Eins und dasselbe =X ist das Aussprechende beyder, des Seyenden und des Seyns. Als solches ist es weder das eine noch das andere, also schlechthin Eins. Spricht es aber beyde wirklich aus, dann ist es, aber nicht als das Aussprechende, sondern dem Ausgesprochenen nach, beyde, so wie es auch zuvor, nicht als das Aussprechende, wohl aber dem Aussprechlichen der Möglichkeit nach beyde war.

    Im Aussprechenden als solchen ist daher kein Widerspruch. Wäre er also im Aussprechlichen? (denn von einem Ausgesprochenen ist hier überall nicht die Rede). – Auch dieses wollen wir nicht ununtersucht lassen.

    Es ist wohl auch ein Widerspruch im Ausgesprochenen denkbar; aber nur wenn Widersprechende in demselben gleichwirkend sind; denn ist, auch von zwey gerad’ Entgegengesetzten, das eine als unwirkend gesetzt, so hört aller Widerspruch auf. Es läßt sich z.B. sagen: Ein und derselbe Mensch =X ist bös und ist gut; d.h. bös und gut sind das Aussprechliche von Einem und demselben Menschen. Nun wäre der Widerspruch, wenn von diesen beyden jedes als wirkend gesetzt wäre. Es heiße aber dieser Mensch gut nach seiner Handlungsweise oder als handelnder, so wird er nicht als derselbe, nämlich ebenfalls als handelnder auch böse seyn können, was aber nicht verhindert, daß derselbe nach dem betrachtet, was in ihm nicht wirkend oder ruhend ist, böse sey und daß ihm auf solche Art zwey widersprechende (contradictorisch entgegengesetzte) Prädicate ohne Widerspruch beygelegt werden können.

    In der hier zu betrachtenden Einheit des Seyenden und des Seyns ist aber der Fall nicht einmal der, daß das eine unwirkend ist, sondern beyde sind unwirkend; denn es ist ein ruhiger Gegensatz oder die Entgegengesetzten sind in Gleichgültigkeit gegen einander. Sie sind nur als das Aussprechliche, nicht einmal als das wirklich Ausgesprochene. Also ist hier von einer Anwendung des Grundsatzes vom Widerspruch überall nicht die Rede; seine Anwendung beginnt erst, wo jene Einheit aufhört.

    Indem wir aber den wirklichen Gegensatz entfernen, könnte der Mißverstand von der andern Seite einbrechen, als ob wir alle Zweyheit aufhöben und Seyendes und Seyn nicht bloß dem Aussprechenden nach, sondern wohl gar selber einerley wären. Aber zwey sind immer zwey, wenn sie auch nicht ausdrücklich als zwey gesetzt sind. Man denke sich ein Auge, das ganz und in jedem Puncte Sehkraft und Werkzeug, thätig und leidend ist; hier sind zwey, Sehkraft und Werkzeug, die doch nicht als zwey sind, weil sie nicht auseinander, nicht mit einander in wirkenden Gegensatz zu bringen sind. Doch sind darum Sehkraft und Werkzeug nicht selber einerley, sondern ewig zwey. So hier. Es ist Seyendes und Seyn, aber ihre Einheit unter sich ist eine bloß leidende, weil das Eine, das sie aussprechen könnte, sie nicht wirklich ausspricht, selbst nicht wirkend ist. Also sind Seyendes und Seyn freylich nicht als zwey, darum aber doch nicht einerley, sondern der Natur nach zwey.

    Die nun den Satz: Ein und Dasselbe ist das Seyende und das Seyn, in der Umkehrung so verstünden, als wären Seyendes und Seyn selber einerley: Diese würden sich unkundig zeigen der ersten Gesetze alles Urtheilens; und selbst der nachlässigste Ausdruck, das Subject sey das Object, und das Object sey das Subject, dürfte nicht so verstanden werden. Denn in keinerley Urtheil, selbst nicht in dem bloß wiederholenden Satz, wird eine Einerleyheit der Ausgesprochenen (Verbundenen) als solcher, sondern nur die Einerleyheit dessen bejaht, was ihr Aussprechendes (Verbindendes) ist; gleichviel, ob dieses als solches auch wirklich hervortritt, oder verborgen, oder gar nur ein gedachtes ist. Der wahre Sinn jedes Urtheils, z.B. des, A ist B, kann nur dieser seyn: DAS, was =A ist, IST DAS, was =B ist, oder: DAS, was A ist und DAS, was B ist, ist einerley. Also liegt schon dem einfachen Begriff eine Doppelheit zu Grunde: A in diesem Urtheil ist nicht A, sondern X, das A ist; B ist nicht B, sondern X, das B ist, und nicht diese, für sich oder als solche sind einerley, sondern das X, das A und das X das B ist, ist einerley. In dem angeführten Satze sind eigentlich drey Sätze enthalten; erstens A ist =X, zweytens B ist =X und erst hieraus folgend der dritte, A und B sind dasselbe, beyde nämlich dasselbe X.

    Es lassen sich hieraus verschiedene Folgerungen ziehen; z.B. daß das Band (das Ist) im Urtheil nicht ein bloßer Theil desselben ist, sondern gleicherweise allen Theilen zu Grunde liegt; daß Prädicat und Subject jedes für sich schon eine Einheit sind, daß also das Band im Urtheil niemals ein einfaches, sondern ein mit sich selbst so zu sagen verdoppeltes, eine Einheit von Einheiten ist. Woraus weiter folgt, daß schon im einfachen Begriff das Urtheil vorgebildet, im Urtheil der Schluß enthalten, der Begriff also nur das eingewickelte, der Schluß das entfaltete Urtheil ist; Bemerkungen, die ich zu einer künftigen höchst wünschenswerten Bearbeitung der edlen Vernunftkunst hier niederlege: denn die Kenntniß der allgemeinen Gesetze des Urtheilens, obwohl noch lange nicht die höchste Wissenschaft selber, ist doch so wesentlich verflochten mit ihr, daß sie von ihr nicht zu trennen ist. Für Anfänger aber oder Unwissende in dieser Kunst wird nicht philosophirt, sondern diese sind in die Schulen zu verweisen, wie es in anderen Künsten geschieht, da keiner leicht ein tonkünstlerisches Werk aufzustellen oder zu beurtheilen wagen wird, der nicht die ersten Regeln des Satzes erlernt hat.

    Daß also je das Seyende, als solches, das Seyn, als solches, sey und umgekehrt, oder überhaupt Entgegengesetzte als solche einerley seyn, dieß ist ja wohl unmöglich und bedarf keiner Versicherung; denn das Gegentheil behaupten, hieße den menschlichen Verstand, hieße die Möglichkeit, sich auszusprechen, ja den Widerspruch selbst aufheben. Wohl möglich aber ist, daß Ein und Dasselbe Seyendes und Seyn, Bejahendes und Verneinendes, Licht und Finsternis, Gutes und Böses sey.

    Wir konnten diese dialektischen Erörterungen nicht umgehen. Es ist wesentlich, daß die ganze Schärfe dieser ersten Idee gefaßt, daß nicht mehr, nicht weniger bey derselben gedacht werde, als sie enthält.

    Nicht mehr, welches der Fall wäre, wenn man sie als eine wirkliche ausgesprochene Einheit denken wollte. Sage man immerhin; der Gegensatz, der nicht ausgesprochen, ist ein unthätiger, also todt; er soll es eben seyn; denn dies ist das Wesentliche in der wissenschaftlichen Fortschreitung, die Gränze jedes Moments zu erkennen und in ihrer Schärfe festzuhalten; nicht vorzugreifen, vorzueilen, wodurch sich die Meisten, die dergleichen unternehmen, gleich vorn herein das Werk verderben.

    Nicht zu wenig; welches geschähe, wenn man sich alle Zweyheit aufgehoben denken wollte, weil Ein und Dasselbe das Seyende ist und das Seyn.

    Wir haben durch das Bisherige nur die Auflösung vorbereitet jenes anfänglichen Widerspruchs. Fassen wir alles zusammen, so können wir uns so erklären. Nach der ersten Idee ist das Ewige Seyendes und Seyn, oder diese beyde sind, zwar nicht das Ausgesprochene, aber das Aussprechliche von ihm. Es selbst aber, das sie ist, oder von dem sie das Aussprechliche sind, kann als solches weder das eine noch das andere seyn, sondern nur das Aussprechende von beyden. Daß es sie aber wirklich ausspricht, sich offenbart, als das Aussprechende von beyden, dieses ist mit der ersten Idee nicht gesetzt.

    Der Gegensatz (von Seyendem und Seyn) ist also da; aber das was ihn aussprechen könnte, spricht ihn nicht wirklich aus; auch dieß Aussprechende ist da, aber es nimmt sich des Gegensatzes nicht an: es ist gleichgültig gegen ihn, welche Gleichgültigkeit wir eben auch sonst, unter dem Namen der absoluten Indifferenz von Subject und Object, als das schlechthin Erste bezeichnet.

    Von diesem also, das den Gegensatz aussprechen sollte, aber nicht ausspricht, können wir sagen, daß es Seyendes und Seyn ist, und auch nicht ist.

    Es ist Seyendes und Seyn, weil das Seyende und das Seyn ist, von dem es das Aussprechende seyn könnte, oder es ist Seyendes und Seyn, dem Aussprechlichen, der Möglichkeit nach. Es ist nicht Seyendes und Seyn, in Ansehung seiner selbst oder der That nach, weil es sich des Gegensatzes nicht annimmt. Ein Wesen aber, das sich dessen nicht annimmt, das es ist, ist es auch nicht wirklich.

    So also ist von dem Unbedingten ohne Widerspruch zu sagen, es sey nicht Seyendes und nicht Seyn, und es sey doch auch nicht Nichtseyendes und nicht Nichtseyn.

    Das Unbedingte kann sich aussprechen als Seyendes und als Seyn und es kann sich nicht aussprechen als beyde; mit andern Worten, es kann beyde seyn, und es kann beyde lassen. Schon das ist freyer Wille, Etwas seyn zu können und es nichtseyn zu können.

    Aber noch mehr; das Höchste kann seyn – Seyendes und Seyn, es kann sich aussprechen, als dieß Seyende und als dieß Seyn, d.h. es kann sich aussprechen, setzen als existirend. Denn Existenz eben ist thätige Einung eines bestimmten Seyenden mit einem bestimmten Seyn.

    Aufs kürzeste ausgedrückt also: das Höchste kann existiren, und es kann auch nichtexistiren; es hat so zu sagen alle Bedingungen der Existenz in sich, aber es kommt darauf an, ob es diese Bedingungen sich anzieht, ob es sie als Bedingungen gebraucht.

    Ein solches, dem es frey steht, nicht Etwas zu seyn oder nicht zu seyn, sondern zu existiren oder nicht zu existiren, ein solches kann nur selber und seinem Wesen nach Wille seyn: denn nur dem bloßen, lauteren Willen steht es frey, wirkend zu werden, d.i. zu existiren, oder unwirkend zu bleiben, d.i. nicht zu existiren. Ihm allein ist verstattet, zwischen Seyn und Nichtseyn gleichsam in der Mitte zu stehen. Also kann jenes Aussprechende, dem es frey steht, des Gegensatzes sich anzunehmen oder nicht anzunehmen, sich als Seyendes und als Seyn zu bejahen oder nicht zu bejahen, seinem Wesen nach, nur reiner lauterer Wille seyn.

    Inwiefern es aber sich des Gegensatzes enthält, sich nicht wirklich ausspricht als Seyendes und als Seyn: in sofern ist es nicht Wille schlechthin, sondern bestimmt der Wille, inwiefern er nicht wirklich will, oder der ruhende Wille.

    Also werden wir nun sagen, das Unbedingte, das Aussprechende alles Wesens, alles Seyenden und alles Seyns, rein in sich betrachtet sey ein lauterer Wille überhaupt; dasselbe aber nach seiner Gleichgültigkeit gegen Seyendes und Seyn (oder, was dasselbe ist, gegen Existenz), dasselbe also als das Widerspruchlose, welches wir suchten, sey der Wille der nichts will.

    Also ist nicht, wie (dem unruhigen Wesen der Zeit gemäß) so oft gemeynt worden, eine That, eine unbedingte Thätigkeit oder Handlung, das Erste: denn das schlechthin Erste kann nur das seyn, was auch wieder das schlechthin Letzte seyn kann. Nur eine unbewegliche, göttliche, ja, wie wir richtiger sagen würden, übergöttliche Gleichgültigkeit ist das schlechthin Erste, der Anfang, der zugleich auch wieder das Ende ist.

    Wäre Thätigkeit überhaupt, oder eine bestimmte That oder Handlung das Erste, so wäre der Widerspruch ewig. Aber niemals ist Bewegung um ihrer selbst willen; alle Bewegung ist nur um der Ruhe willen. Hätte nicht alles Thun den ruhigen und gelassenen Willen zum Hintergrunde, so würde es sich selbst vernichten; denn alle Bewegung sucht nur die Ruhe, und die Ruhe ist ihre Speise oder das, wovon sie allein ihre Macht nimmt und sich erhält.

    Wenn aber das Aussprechende der Ewigkeit der Wille ist, der nichts will, so ist es nicht, daß er nichts hätte, das er wollen könnte; im Gegentheil, er hat das ewig Gewollte seiner selbst, (sich selber, als Subject und Object, als das eigentliche Wesen), aber er hat es als hätte er es nicht, und ist allein darum der ruhende, der gleichgültige Wille. – Seyn als wäre man nicht; haben, aber als hätte man nicht; das ist im Menschen, das ist in Gott das Höchste.

    Dem gewöhnlichen Menschen, der die wahre Freyheit nie empfunden, scheint ein Seyendes oder Subject zu seyn überall das Höchste; daher wenn er hört, das Aussprechende der Gottheit sey weder Seyendes noch Seyn, fragt er, was denn über allem Seyn und Seyenden gedacht werden könne? und antwortet sich selbst: das Nichts, oder dem Aehnliches.

    Ja wohl ist es ein Nichts, aber wie die lautre Freyheit ein Nichts ist; wie der Wille, der nichts will, der keiner Sache begehrt, dem alle Dinge gleich sind und der darum von keinem bewegt wird. Ein solcher Wille ist Nichts und ist Alles. Er ist Nichts, inwiefern er weder selbst wirkend zu werden begehrt noch nach irgend einer Wirklichkeit verlangt. Er ist Alles, weil doch von ihm als der ewigen Freyheit allein alle Kraft kommt, weil er alle Dinge unter sich hat, alles beherrscht und von keinem beherrscht wird.

    Die Bedeutung der Verneinung ist allgemein eine sehr verschiedene, je nachdem sie auf das Innere oder Aeußere bezogen wird. Denn die höchste Verneinung im letzten Sinn muß Eins seyn mit der höchsten Bejahung im ersten. Was alles in sich hat ist, kann es eben darum nicht nichts zugleich äußerlich haben, Ein jedes Ding hat Eigenschaften, woran es erkannt und gefaßt wird; und je mehr es Eigenschaften hat, desto faßlicher ist es. Das Größte ist rund, ist eigenschaftslos. Am Erhabenen findet der Geschmack, d.i. die Unterscheidungsgabe, nichts zu schmecken, so wenig als am Wasser, das aus der Quelle geschöpft ist. König, sagt ein Alter, ist, der nichts hofft, und der nichts fürchtet. So wird in dem sinnreichen Spiel eines älteren deutschen Schriftstellers voll Innigkeit derjenige Wille arm genannt, der, weil er an nichts hängt weil er sich selbst genug ist, nichts hat, das er wollen kann. weil er alles in sich hat, nichts außer sich hat, das er wollen kann.

    In diesem Sinne also wollen wir jene lautere Freyheit selber das Nichts nennen, wenn gemeynt wird, daß ihr keinerley Wirkungen oder Eigenschaften nach außen beygelegt werden. Wir gehen aber noch weiter, und wenn nur das ein Etwas heißt, was wenigstens für sich selbst äußerlich da ist, oder was sich selber setzt, so können wir jene höchste Lauterkeit auch in diesem Sinne nicht für Etwas gelten lassen. Sie ist die reine Freyheit selber, die sich selbst nicht faßt, die Gelassenheit, die an nichts denkt und sich freut ihres Nichtseyns.

    Es ist eine Frage, die die Kindheit aufwirft und die das Alter noch ermüdet: Wovon doch alles ausgegangen? Aber wovon alles ausgegangen kann kein anderes seyn, als wovon noch jetzt alles aus- und worein alles zurückgeht, und was also nicht sowohl vor der Zeit war, als noch immerfort und in jedem Augenblick über der Zeit ist.

    Also ist auch darum der unbewegliche, nichts wollende Wille das Höchste und Erste. Denn in der größten Unruhe des Lebens, in der heftigsten Bewegung aller Kräfte ist noch immer der Wille der nichts will das Durchwirkende. Dahin zielt alles, danach sehnt sich alles. Jede Creatur, jeder Mensch insbesondere strebt eigentlich nur in den Zustand des Nichtwollens zurück; nicht der allein, der sich abzieht von allen begehrlichen Dingen, sondern, obwohl unwissend, auch der, welcher sich allen Begehrungen überläßt; denn auch dieser verlangt nur den Zustand, da er nichts mehr zu wünschen, nichts mehr zu wollen hat, ob dieser gleich vor ihm flieht, und je eifriger verfolgt, desto weiter sich entfernt.

    Und wie im Menschen der Wille der nichts will das Höchste ist; so ist eben dieser in Gott selbst das, was über Gott ist. Denn unter Gott können wir nur das höchste Gute denken; also einen schon bestimmten Willen; in dem Willen aber, der nichts will, ist weder dieß noch das, weder Gut noch Bös, weder Seyendes noch Seyn, weder Zuneigung noch Abneigung, weder Liebe noch Zorn, und doch die Kraft zu allem.

    Also erkennen wir in dem Willen, der nichts will – das Aussprechende, das Ich der ewigen unanfänglichen Gottheit selber, das von sich sagen kann: Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende.

    So, bevor wir den langen dunklen Weg der Zeiten betreten, mußten wir suchen, das zu erkennen, was in aller Zeit über der Zeit ist.

  • in: Druck Schelling »Die Weltalter (SW). Erstes Buch. Die Vergangenheit« (1815). Text

    Das älteste der Wesen sey Gott, soll schon der milesische Thales geurtheilt haben. Aber der Begriff Gottes ist von großem, ja vom allergrößesten Umfang, und nicht so mit Einem Wort auszusprechen. Es ist in Gott Nothwendigkeit und Freiheit. Jene wird schon dadurch, daß ihm ein nothwendiges Daseyn zugeschrieben wird, anerkannt. Die Nothwendigkeit ist insofern, natürlich zu reden, in Gott vor der Freiheit, weil ein Wesen erst daseyn muß, damit es frei wirken könne. Die Nothwendigkeit liegt der Freiheit zu Grunde und ist in Gott selbst das Erste und Aelteste, soweit eine solche Unterscheidung in Gott stattfinden kann, was erst durch weitere Betrachtung sich aufklären muß. Ob nun gleich der Gott, welcher der nothwendige, derselbe ist, welcher der freie ist, so sind beide doch nicht einerlei. Es ist etwas ganz anderes, was ein Wesen von Natur, und was es durch Freiheit ist. Wäre es alles schon von Nothwendigkeit, so wäre es nichts durch Freiheit. Und doch ist Gott nach allgemeiner Einstimmung das freiwilligste Wesen.

    Jedermann erkennt, daß Gott Wesen außer ihm nicht vermöge einer blinden Nothwendigkeit seiner Natur, sondern mit höchster Freiwilligkeit erschaffen. Ja, genauer zu reden, vermöge der bloßen Nothwendigkeit Gottes, da sie nur auf sein Daseyn als das Seine geht, wäre keine Kreatur. Also durch die Freiheit überwindet Gott die Nothwendigkeit seiner Natur in der Schöpfung, und es ist die Freiheit, die über die Nothwendigkeit, nicht die Nothwendigkeit, die über die Freiheit kommt.

    Das Nothwendige von Gott nennen wir die Natur Gottes. Ihr Verhältniß zur Freiheit ist dem ähnlich (nicht gleich), das die Schrift zwischen dem natürlichen und dem geistigen Leben des Menschen lehrt, da unter dem ersten nicht bloß das insgemein sogenannte physische, nämlich leibliche verstanden wird, und Seel’ und Geist, wenn nicht wieder geboren, d.i. zu einem andern, höhern Leben erhoben, so gut als der Leib dem natürlichen angehören. Den abgezogenen Begriff von Natur kennt das ganze Alterthum so wenig als die Schrift.

    Aber auch diese Natur Gottes ist lebendig, ja die höchste Lebendigkeit und nicht so geradezu auszusprechen. Nur durch Fortschreiten vom Einfachen zum Zusammengesetzten, durch allmähliche Erzeugung können wir hoffen zum vollen Begriff dieser Lebendigkeit zu gelangen.

    Alle stimmen überein, daß die Gottheit ein Wesen aller Wesen, die reinste Liebe, unendliche Mittheilsamkeit und Ausfließlichkeit ist. Doch wollen sie zugleich, daß sie als solche existire. Aber von sich selbst gelangt die Liebe nicht zum Seyn. Seyn ist Seinheit, Eigenheit; ist Absonderung; die Liebe aber ist das Nichts der Eigenheit, sie sucht nicht das Ihre und kann darum auch von sich selbst nicht seyend seyn. Ebenso ein Wesen aller Wesen ist für sich selbst haltlos und von nichts getragen; es ist an sich selbst der Gegensatz der Persönlichkeit, also muß ihm erst eine andere auf Persönlichkeit gehende Kraft Grund machen. Eine ebenso ewige Kraft der Selbstheit, der Egoität wird erfordert, daß das Wesen, welches die Liebe ist, als ein eignes bestehe und für sich sey.

    Also sind schon im Nothwendigen Gottes zwei Principien; das ausquellende, ausbreitsame, sich gebende Wesen, und eine ebenso ewige Kraft der Selbstheit, des Zurückgehens auf sich selbst, des in-sich-Seyns. Beide, jenes Wesen und diese Kraft, ist Gott ohne sein Zuthun schon von sich.

    Es ist nicht genug, den Gegensatz einzusehen, es muß auch die gleiche Wesentlichkeit und Ursprünglichkeit der Entgegengesetzten erkannt werden. Die Kraft, durch welche das Wesen sich verschließt, versagt, ist in ihrer Art so wirklich als das entgegengesetzte Princip; jedes hat seine eigne Wurzel, und keines ist von dem andern abzuleiten. Denn wäre dieß, so hörte unmittelbar der Gegensatz wieder auf; aber es ist an sich unmöglich, daß das gerad’ Entgegengesetzte vom gerad’ Entgegengesetzten abstamme.

    Zwar die Menschen zeigen eine natürliche Vorliebe für das Bejahende, wie sie dagegen vom Verneinenden sich abwenden. Alles Ausbreitsame, vor sich Gehende leuchtet ihnen ein; was sich verschließt, sich nimmt, ob es gleich ebenso wesentlich ist und ihnen in vielen Gestalten überall begegnet, können sie nicht so geradezu begreifen. Die meisten würden nichts natürlicher finden, als wenn in der Welt alles aus lauter Sanftmuth und Güte bestünde, wovon sie doch bald das Gegentheil gewahr werden. Ein Hemmendes, Widerstrebendes drängt sich überall auf: dieß andere, das, so zu reden, nicht seyn sollte und doch ist, ja seyn muß, dieß Nein, das sich dem Ja, dieß Verfinsternde, das sich dem Licht, dieß Krumme, das sich dem Geraden, dieß Linke, das sich dem Rechten entgegenstellt, und wie man sonst diesen ewigen Gegensatz in Bildern auszudrücken gesucht hat; aber nicht leicht ist einer im Stande es auszusprechen oder gar es wissenschaftlich zu begreifen.

    Das Daseyn eines solchen ewigen Gegensatzes konnte dem ersten innig fühlenden und bemerkenden Menschen nicht entgehen. Schon in den Uranfängen der Natur diese Zweiheit, nirgends aber im Sichtbaren ihre Quelle findend, mußte er früh sich sagen, daß der Grund des Gegensatzes so alt ja noch älter als die Welt sey; daß, wie in allem Lebendigen, so wohl schon im Urlebendigen eine Doppelheit sey, die herabgekommen durch viele Stufen sich zu dem bestimmt habe, was bei uns als Licht und Finsterniß, Männliches und Weibliches, Geistiges und Leibliches erscheint. Daher gerade die ältesten Lehren die erste Natur als ein Wesen mit zwei sich widerstreitenden Wirkungsweisen vorstellten.

    In den spätern aber, jenem Urgefühl mehr und mehr entfremdeten Zeiten wurde oft der Versuch gemacht, den Gegensatz gleich in der Quelle zu vernichten, nämlich gleich anfangs den Gegensatz aufzuheben, indem man das eine der Widerstrebenden auf das andere zurückzuführen und von ihm herzuleiten suchte. In unsern Zeiten galt dieß vorzüglich der dem Geistigen entgegengesetzten Kraft. Der Gegensatz erhielt zuletzt den abgezogensten Ausdruck, den von Denken und Seyn. Dem Denken in diesem Sinn stand das Seyn von jeher als ein Unbezwingliches gegenüber, so daß die alles erklärende Philosophie nichts schwerer fand, als von eben diesem Seyn eine Erklärung zu geben. Gerade diese Unfaßlichkeit, dieß thätliche Widerstreben gegen alles Denken, diese wirkende Dunkelheit, diese positive Neigung zur Finsterniß mußte sie zur Erklärung machen. Aber lieber wollte sie das Unbequeme ganz hinwegschaffen, das Unverständliche völlig auflösen in Verstand oder (wie Leibniz) in Vorstellung.

    Der Idealismus ist das allgemeine System unserer Zeiten, der eigentlich in der Leugnung oder Nichtanerkennung jener verneinenden Urkraft besteht. Ohne diese Kraft ist Gott jenes leere Unendliche, das die neuere Philosophie an seine Stelle gesetzt hat. Sie nennt Gott das schrankenloseste Wesen (ens illimitatissimum), ohne zu denken, wie die Unmöglichkeit jeder Schranke außer ihm nicht aufheben kann, daß etwas in ihm sey, wodurch er sich in sich selber abschließt, sich gewissermaßen für sich selbst endlich (zum Objekt) macht. Unendlichseyn ist für sich keine Vollkommenheit, vielmehr das Merkzeichen des Unvollkommenen. Das Vollendete ist eben das in sich Runde, Abgeschlossene, Geendete.

    Doch auch den Gegensatz erkennen ist nicht genug, wenn nicht zugleich die Einheit des Wesens erkannt wird, oder daß es in der That ein und dasselbe ist, das die Bejahung und die Verneinung ist, das Ausbreitende und das Anhaltende. Viel zu schwach ist für den Gedanken, der hier ausgedrückt werden soll, der Begriff des Zusammenhangs oder jeder dem ähnliche. Zusammenhangen kann auch das bloß Verschiedene; das gerad’ Entgegengesetzte nur wesentlich und so zu sagen persönlich eins seyn, wie nur die individuelle Natur des Menschen Widerstreitendes zu vereinigen vermag. Wollte man aber alles, was nicht Einerleiheit ist, Zusammenhang nennen, so müßte man auch von einem Menschen, der sich jetzt sanft, jetzt zornig zeigt, sagen, der sanfte Mensch hange in ihm mit dem zornigen zusammen, da sie der Wahrheit nach ein und der nämliche Mensch sind.

    Wollte jemand weiter sagen: es sey Widerspruch, daß ein und dasselbe etwas und auch das gerade Gegentheil davon sey, so müßte er sich erstens über diesen Grundsatz bestimmter erklären, da bekanntlich schon Leibniz die Unbedingtheit jener noch immer wiederholten Regel bestritten; sodann möchte er bedenken, ob man denn nicht eben das wolle, daß Widerspruch sey.

    Er wäre unmittelbar wieder aufgehoben, oder vielmehr der eigentliche, der wesentliche Widerspruch in einen bloß förmlichen und wörtlichen verwandelt, wenn die Einheit des Wesens für eine Einerleiheit der Entgegengesetzten selbst genommen würde. Selbst der nachlässigste Ausdruck: das Ja sey auch das Nein, das Ideale das Reale, und umgekehrt, würde diese blödsinnige Erklärung nicht rechtfertigen, weil in keinerlei Urtheil, selbst nicht in dem bloß wiederholenden, eine Einerleiheit des Verbundenen (des Subjekts und Prädicats), sondern nur eine Einerleiheit des Wesens, des Bandes (der Copula) ausgesprochen wird. Der wahre Sinn jedes Urtheils, z.B. das A ist B, kann nur dieser seyn: das, was A ist, ist das, was B ist, oder das, was A, und das, was B ist, ist einerlei. Also liegt schon dem einfachen Begriff eine Doppelheit zu Grunde: A in diesem Urtheil ist nicht A, sondern etwas =x, das A ist; so ist B nicht B, sondern etwas =x, das B ist, und nicht diese (nicht A und B für sich) sondern das x, das A, und das x, das B ist, ist einerlei, nämlich dasselbe x. In demangeführten Satz sind eigentlich drei Sätze enthalten, erstens A ist =x, zweitens B ist =x, und erst hieraus folgend der dritte, A und B sind eins und dasselbe, beide nämlich x.

    Von selbst ergibt sich hieraus, daß das Band im Urtheil das Wesentliche, allen Theilen zu Grunde Liegende ist, daß Subjekt und Prädicat jedes für sich schon eine Einheit sind, und was man insgemein das Band nennt, nur die Einheit dieser Einheiten anzeigt. Ferner, daß im einfachen Begriff schon das Urtheil vorgebildet, im Urtheil der Schluß enthalten, der Begriff also nur das eingewickelte, der Schluß das entfaltete Urtheil ist, Bemerkungen, die für eine künftige höchst wünschenswerthe Bearbeitung der edeln Vernunftkunst hier niedergelegt werden; denn die Kenntniß der allgemeinen Gesetze des Urtheils muß die höchste Wissenschaft immer begleiten; für Anfänger aber oder Unwissende in dieser Kunst wird nicht philosophirt, sondern diese sind in die Schule zu verweisen, wie es in andern Künsten geschieht, da keiner leicht ein tonkünstlerisches Werk aufzustellen oder zu beurtheilen wagen wird, der nicht die ersten Regeln des Satzes erlernt hat.

    Daß also je das Ideale als solches das Reale sey, und umgekehrt, Ja Nein und Nein Ja, dieß ist ja wohl unmöglich; denn dieß behaupten, hieße den menschlichen Verstand, die Möglichkeit sich auszudrücken, ja den Widerspruch selbst aufheben. Wohl möglich aber ist, daß ein und dasselbe =x sowohl Ja als Nein, Liebe und Zorn, Milde und Strenge sey.

    Vielleicht nun, daß einige schon hier den Widerspruch finden. Aber es sagt der richtig verstandene Grundsatz des Widerspruchs eigentlich nur so viel, daß dasselbe nicht als dasselbe etwas und auch das Gegentheil davon seyn könne, welches aber nicht verhindert, daß dasselbe, welches A ist, als ein anderes nicht A seyn kann (contradictio debet esse ad idem). Der nämliche Mensch heiße z.B. gut nach seiner Gesinnung oder als ein handelnder, so wird er als dieser, nämlich ebenfalls nach seiner Gesinnung oder als ein handelnder, nicht böse seyn können, was aber nicht verhindert, daß er nach dem, was in ihm nicht Gesinnung oder unwirkend ist, böse sey, und daß ihm auf diese Art zwei contradiktorisch sich entgegengesetzte Prädicate, gar wohl zugeschrieben werden können. Mit andern Worten ausgedrückt würde dieß so viel heißen: von zwei gerad’ Entgegengesetzten, die von einem und demselben ausgesagt werden, muß nach dem Gesetz des Widerspruchs, wenn das eine als das Wirkende, Seyende gilt, das andere zum beziehungsweise Nichtwirkenden, zum Seyn werden.

    Nun soll hier wirklich und im strengsten Sinn ein und dasselbe =x Entgegengesetztes seyn, bejahende und verneinende Kraft. Also scheint, daß, indem beide wirklich eins werden, das eine oder das andere zum beziehungsweise nicht Seyenden, nicht Wirkenden werden müsse; etwa (weil diese den meisten doch als die feindselige vorkommt) die verneinende Kraft.

    Hier tritt nun aber die ursprüngliche Gleichwichtigkeit (Aequipollenz) beider dazwischen. Denn da jede von Natur gleich ursprünglich, gleich wesentlich ist, hat auch jede gleichen Anspruch das Seyende zu seyn; beide halten sich die Wage, und keine weicht von Natur der andern.

    Daß also von Entgegengesetzten, wenn sie in der That eins werden, nur das eine wirkend, das andere leidend sey, wird zugegeben; aber vermöge der Gleichwichtigkeit beider folgt, daß, wenn das eine, dann auch das andere leidend, und ebenso wenn das eine wirkend, schlechterdings auch das andere wirkend seyn muß. Nun ist dieß aber in einer und derselben Einheit unmöglich; hier kann jedes nur entweder wirkend oder leidend seyn. Also folgt aus jener Nothwendigkeit nur, daß die Eine Einheit sich in zwei Einheiten zersetze, der einfache Gegensatz (den wir durch A und B bezeichnen wollen) zu einem verdoppelten sich steigere; es folgt nicht, daß in Gott nur die eine Kraft wirkend, die andere unwirkend sey, sondern daß Gott selbst zweierlei ist, erstens verneinende Kraft (B), die das bejahende Wesen (A) zurückdrängt, es innerlich unwirkend oder ins Verborgene setzt, zweitens ausbreitsames, sich mittheilendes Wesen, das rein im Gegentheil die verneinende Kraft in sich niederhält und nicht zur Wirkung nach außen kommen läßt.

    Und so ist es denn auch in anderem Betracht. Denn die Entgegengesetzten sind schon an sich selbst nicht auseinander zu bringen. Die verneinende, einziehende Kraft könnte für sich nicht seyn ohne etwas, das sie verneint, das sie einzieht, und dieses Verneinte, Eingezogene kann nichts anderes seyn als eben das an sich Bejahliche, Ausquellende. Also sondert sich jene, die verneinende Kraft, von selbst gleichsam zu einem eignen vollständigen Wesen ab. Hinwiederum jene geistige ihrer Natur nach ausbreitsame Potenz könnte nicht als solche bestehen, hätte sie nicht eine Kraft der Selbstheit wenigstens verborgener Weise in sich; also sondert sich auch diese als ein eignes Wesen ab, und statt der gesuchten Einheit haben sich nun zwei entgegengesetzte und außereinander befindliche Einheiten ergeben.

    Welche von beiden wir aufopfern wollten, immer hätten wir damit das eine von beiden Principien selbst aufgegeben; denn jede dieser Einheiten verhält sich, weil nur das eine in ihr wirkend ist, auch nur als dieses eine, die erste als B, die andere als A. Waren aber diese gleichwichtig, daß keines von Natur dem andern nachstehen konnte, so hält sich auch wieder jede der beiden Einheiten das Gleichgewicht, jede hat den gleichen Anspruch seyend zu seyn.

    Und so wären denn jetzt die beiden völlig auseinander und ohne gegenseitige Berührung, den zwei Urwesen der persischen Lehre gleich, die eine Macht auf Verschließung, Verdunkelung des Wesens, die andere auf Ausbreitung und Offenbarung dringend; beide verhielten sich nicht als eine, sondern als zwei Gottheiten.

    Aber es bleibt dabei, daß ein und dasselbe =x beide Principien (A und B) ist. Aber nicht bloß dem Begriff nach, sondern wirklich, der That nach. Also muß dasselbe =x, das die beiden Einheiten ist, auch wieder die Einheit der beiden Einheiten seyn; und mit dem gesteigerten Gegensatz findet sich die gesteigerte Einheit.

    Nur scheint hier der Widerspruch unvermeidlich, da die beiden entgegengesetzten Einheiten wirkend und als eins gesetzt werden sollen. Und doch läßt er sich noch auflösen; denn es hat die hier geforderte Einheit keinen andern als diesen Sinn. Die Entgegengesetzten sollen eins seyn, d.h. es ist eine Einheit beider gesetzt, aber es ist damit nicht gesetzt, daß sie aufhören entgegengesetzte zu seyn. Vielmehr sowohl die Einheit soll seyn, als auch der Gegensatz, oder Einheit und Gegensatz sollen selbst wieder im Gegensatz seyn. Aber Gegensatz an und für sich ist kein Widerspruch; so wenig es widersprechend scheinen konnte, daß sowohl A als B seyen, so wenig kann es Widerspruch seyn, daß sowohl die Einheit als der Gegensatz ist. Diese sind wieder unter sich gleichwichtig, der Gegensatz kann so wenig der Einheit als die Einheit dem Gegensatz weichen.

    Der Gegensatz ruht darauf, daß jede der beiden streitenden Mächte ein Wesen für sich, ein eigentliches Princip sey. Der Gegensatz als solcher ist daher nur, wenn die beiden streitenden Principien sich als wirklich voneinander unabhängige und geschiedene verhalten. Gegensatz und Einheit, jedes von diesen soll seyn, heißt daher so viel: das verneinende Princip, das bejahende und wieder die Einheit beider, jedes von diesen dreien soll seyn, als ein eignes von dem andern geschiedenes Princip. Aber hiedurch tritt die Einheit mit den beiden Entgegengesetzten auf gleiche Linie; sie ist nicht etwa vorzugsweise das Wesen, sondern eben auch nur ein Princip des Wesens, darum auch mit den beiden andern vollkommen gleichwichtig.

    Der wahre Sinn jener anfangs behaupteten Einheit ist daher dieser: ein und dasselbe =x ist sowohl die Einheit als der Gegensatz; oder die beiden Entgegengesetzten, die ewig verneinende und die ewig bejahende Potenz und die Einheit beider machen das Eine unzertrennliche Urwesen aus.

    Und hier erst nach vollkommener Entfaltung jenes anfänglichen Begriffs können wir die erste Natur in ihrer vollen Lebendigkeit erblicken. Wir sehen sie gleich ursprünglich in drei Mächte gewissermaßen zersetzt. Jede dieser Mächte kann für sich seyn; denn die Einheit ist Einheit für sich, und jedes der Entgegengesetzten ist ganzes vollständiges Wesen; doch kann keines seyn, ohne daß die andern auch sind, denn nur zusammen erfüllen sie den ganzen Begriff der Gottheit, und nur daß Gott ist, ist nothwendig. Keine ist der andern nothwendig und von Natur untergeordnet. Die verneinende Potenz ist in Ansehung jenes unzertrennlichen Urwesens so wesentlich als die bejahende, und die Einheit wiederum ist nicht wesentlicher, als es jedes der Entgegengesetzten für sich ist. Jedes hat also auch die völlig gleichen Ansprüche, das Wesen, das Seyende zu seyn; keines kann sich von Natur zum bloßen Seyn oder dazu bequemen, nicht das Seyende zu seyn.

    Und hier findet denn endlich das Gesetz des Widerspruchs seine Anwendung, welches sagt, daß Entgegengesetzte nicht in einem und demselben zumal das Seyende seyn können. Gott ist der Nothwendigkeit seiner Natur nach ein ewiges Nein, das höchste in-sich-Seyn, eine ewige Zurückziehung seines Wesens in sich selbst, in der keine Creatur zu leben vermöchte; derselbe ist aber mit gleicher Nothwendigkeit seiner Natur, obwohl nicht als derselbe, sondern einem völlig andern und von dem ersten verschiedenen Princip nach das ewige Ja, ein ewiges Ausbreiten, Geben, Mittheilen seines Wesens. Jedes von diesen Principien ist ganz gleicherweise das Wesen, d.h. jedes hat gleichen Anspruch, Gott oder das Seyende zu seyn. Doch schließen sie sich gegenseitig aus; ist das eine das Seyende, so kann das entgegengesetzte nur das nicht Seyende seyn. Aber ebenso ewig ist Gott das dritte oder die Einheit des Ja und des Nein. Wie die Entgegengesetzten sich untereinander vom seyend-Seyn ausschließen, so schließt wieder die Einheit den Gegensatz und damit jedes der Entgegengesetzten, und hinwiederum der Gegensatz oder jedes der Entgegengesetzten schließt die Einheit vom seyend-Seyn aus. Ist die Einheit das Seyende, so kann der Gegensatz, d.i. jedes der Entgegengesetzten, nur das nicht Seyende seyn, und hinwiederum ist eines der Entgegengesetzten und damit der Gegensatz seyend, so kann die Einheit nur in das nicht Seyende zurücktreten.

    Und nun ist der Fall nicht der, daß etwa alle drei unwirkend bleiben, und so der Widerspruch selbst im Verborgenen bleiben könnte. Denn das, was diese drei ist, ist die nothwendige Natur, ist das Wesen, dem nicht verstattet ist nicht zu seyn, das schlechterdings seyn muß. Aber es kann nur seyn als das unzertrennliche Eins dieser drei; keines für sich würde den ganzen Begriff des nothwendigen Wesens (der Gottheit) erfüllen, und jedes dieser drei hat gleiches Recht, das Wesen, d.i. das Seyende zu seyn.

    Also findet sich, daß die erste Natur von sich selbst im Widerspruch ist, nicht in einem zufälligen, oder in den sie von außen versetzt wäre (denn es ist nichts außer ihr), sondern in einem nothwendigen, mit ihrem Wesen zugleich gesetzten, der also genau gesprochen ihr Wesen selbst ist.

    Die Menschen zeigen im Leben sich keiner Sache abgeneigter als dem Widerspruch, der sie zu handeln zwingt und aus ihrer behaglichen Ruhe nöthigt; ist er längst nicht mehr zuzudecken, suchen sie ihn wenigstens sich selbst zu verbergen und den Augenblick zu entfernen, wo auf Tod und Leben gehandelt werden muß. Eine gleiche Bequemlichkeit wurde in der Wissenschaft durch die Auslegung des Gesetzes vom Widerspruch gesucht, wonach dieser nun und nimmer sollte seyn können. Jedoch wie ließ sich ein Gesetz aufstellen für etwas, das auf keine Weise seyn kann? Indem erkannt wird, daß er nicht seyn kann, muß erkannt werden, daß er gleichwohl auf gewisse Weise ist, wie sollte sich sonst sein nicht-seyn-Können zeigen, wie das Gesetz sich selbst bewähren, d.i. als wahr erweisen?

    Alles andere läßt das Wirken in irgend einem Sinne frei; was schlechthin nicht verstattet nicht zu wirken, was zum Handeln treibt, ja zwingt, ist allein der Widerspruch. Ohne Widerspruch also wäre keine Bewegung, kein Leben, kein Fortschritt, sondern ewiger Stillstand, ein Todesschlummer aller Kräfte.

    Wäre die erste Natur im Einklang mit sich selbst, sie würde bleiben; es wäre ein beständiges Eins und käme nie zum Zwei, eine ewige Unbeweglichkeit ohne Fortschritt. So gewiß Leben ist, so gewiß Widerspruch in der ersten Natur. So gewiß in Fortschreitung das Wesen der Wissenschaft besteht, so nothwendig ist ihr erstes Setzen das Setzen des Widerspruchs.

    Unbegreiflich ist ein Uebergang von der Einheit zum Widerspruch. Denn wie sollte, was in sich eins, ganz und vollkommen ist, versucht, gereizt und gelockt werden, aus diesem Frieden herauszutreten? Der Uebergang vom Widerspruch zu der Einheit dagegen ist natürlich, denn weil er allem unleidlich, wird alles, das sich in ihm findet, nicht ruhen, bis es die Einheit gefunden, die ihn versöhnt oder überwindet.

  • in: Jahreskalender Schelling »Jahreskalender 1817-1« (1817). Text

    Das Erste

  • in: Jahreskalender Schelling »Jahreskalender 1817-2« (1817). Text

    Das Erste

    Forts.

    leer

    leer

    leer

    leer

  • in: Jahreskalender Schelling »Jahreskalender 1818« (1818). Text

    Das Erste

    Forts.

    Forts.

    Forts.

    Forts.

    Forts.

    Forts.

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 79)« (?). Text

    Begriffe: erster Wille, Lauterkeit, Subjekt/Objekt, zusammenziehender Wille

    Sonstiges: Verweis auf V)

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 82)« (?). Text

    Auflistung 1-9

    Begriffe: das Älteste, Gott

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 87)« (?). Text

    Auflistung 1-48

    Begriffe: Tiefen der Gottheit, Ewigkeit, Freyheit, Ältester Versuch – Emanation, Wille, Effect, ewiger Anfang, das Seiende, A=B (erster Keim der Natur), Rad, Systole, Bewußtseyn der Ewigkeit

    Inhalt: »1. Philosophie ist Streben nach gemeinmenschlicher Weisheit«

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 91)« (?). Text

    1r-1v fast leer

    Begriffe: undenkliche Zeiten, die schlechthin von vorn beginnende Wissenschaft, -A, +A, +-A

    Inhalt: »das schlechthin Erste und allem vorausgesetzte«

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 92)« (?). Text

    163Das Bisherige (161.62) erklärt wohl, warum wir im Anfang des Philosophirens genöthigt sind, etwas voraus-zusetzen, das ebendarum nicht das zu Setzende selbst ist. Aber da wir durch dieses unser Setzen nie erkennen, was ursprünglich ist, warum Ist denn urspünglich ein solches Vorausgesetztes das nicht das zu setzende selbst ist?

    Könnte man so sagen:

    Es ist gleich uranfänglich ein zu setzendes – das sich nicht selbst setzen kann*)*) NB. Eben als das sich setzen Könnende kann es sich nicht selbst setzen., denn sonst müßte es se ipse prius angen˖[ommen] werden und wir wären also nicht auf dem ersten – es muß also ein es setzendes angenommen werden, das ebendarum nicht das zu setzende ist.Es ist kein + ohne ein - möglich. Dieß ist der einzige Grund.

    Eben in jener Region sind die Gesetze des rein geistigen Setzens auch die unm˖[ittelbaren] Gesetze des Seyns und umgekehrt.

    Das erste ist A das nicht einmal wirklich =A gesetzt werden kann denn sonst müßte in ihm noch ein andres =X seyn, das =A gesetzt werden könnte – denn es ist nicht verschieden von sich selbst. Hier ist das rein tautologische, A+A+A+A in’s Unendliche.

    Dieses A darf und kann sich nicht verändern, daß man so etwa setzen könnte A=B, denn da wär’ es nicht mehr =A, das =B wäre. Es muß für sich s˖[elbst] =A bleiben, von dem schlechterdings nichts auszusagen, das nichts ist. (Wenn es Ist, so ist es auch Etwas, und wenn es Etwas ist, so ist es auch) Es ist von ihm nicht einmal ein Urtheil (Ur-theilung) möglich – absolute Inhibition alles Urtheils – Versagung aller Bewegung. Es ist nur Leere, Mangel – wieder aber Reichthum.NB. Wir können ja jenes A eig˖[entlich] auch nicht setzen, nur voraus-setzen. Setzen können wir nur +A, aber indem wir +A setzen, setzen wir -A voraus. Erst nachdem wir es voraus-gesetzt haben und seiner als eines voraus-gesetzten inne geworden sind, können wir versuchen es hervorzuziehen, und dann tritt jene Formel ein, daß es nur A+A+A ist und Nichts.

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 93)« (?). Text

    III. Begriff des Seyn (entstehen) Könnenden, Zufälligen etc.

    IV. Actus purus

    IVa. Ursprüngliche Ununterschiedenheit des Sey˖[enden] und seyn Kön˖[nenden]

    IVb. Das dritte oder A0, was es ist

    Va Nothwendige Doppelheit

    Vb. Zustand vor 1

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 95)« (?). Text

    Vor dem Anfang läßt sich aber auch schlechthin kein Wirken, also keine Wirklichkeit denken. Ein Wirken, das weder etwas Festes hätte von dem es ausginge noch ein bestimmtes Ziel und Ende, deß es begehrte, wäre ein völlig unendliches, unbestimmtes, also kein wirkliches und als solches zu unterscheidendes Wirken. Daher selbst der lebendige (wirkliche) Gott von sich redet, nicht wie die allgemeine Lehre lautet: Ich bin Anfang und Ende, sondern Ich selbst bin der Anfang und das Ende, der Erste und der Letzte.

    Dennoch um den Anfang denken zu können müssen wir etwas vor dem Anfang denken. Natürlich nun kann es nicht Wirkendes, also auch kein wirklich (actu) Seyendes seyn. Doch ebenso wenig ein Nichtseyendes. Was denn also? Die Gedankenlosigkeit antwortet: das Nichts, und wenn sie unter diesem nicht eben das Nichtseyende verstünde, träfe sie es besser in der Rede als sie weiß. Wohl ist es das Nichts, aber wie die lautere Freyheit das Nichts ist, wie der nackte bloße Wille, der Wille sofern er nicht wirklich will sondern schlechthin gleichgültig (in Indifferenz) ist. Freyheit ist der bejahende Begriff dessen, was allein außer und über aller Zeit, also auch allein außer und über allem Anfang ist. Aber

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 96)« (?). Text

    Hier sey es nun uns verstattet anzuknüpfen, und zu wiederholen, daß ursprünglich nichts zu setzen ist, als das lautre bloße Subject des Seyns, von dem, sofern es dieß ist, nothwendig gesagt wird es sey nicht seyend.

    Die Sache selbst zeigt, dieß »nicht seyend seyn« könne nicht so viel heißen, als schlechthin nichtseyend seyn. Das nicht hat hier weder die Bedeutung der Verneinung noch der Aufhebung, sondern der bloßen Beraubung. Es wird nicht behauptet, das Erste sey nicht seyend, sondern nur: von ihm lasse sich nicht sagen, es sey seyend. Es ist mit einem Wort das nicht, welches die Möglichkeit noch übrig läßt. Die Beraubung eben weil bloße Beraubung ist also die Bejahung der Möglichkeit. Also es ist die bloße Möglichkeit, oder weil dieß Wort insgemein von einem bloß leidenden Können gebraucht wird, es ist die bloße, lautere Freyheit zu seyn.

    Allein es leuchtet unmittelbar ein, daß es diese Freiheit zu seyn nur ist, um sie zu seyn nicht aber um seyend zu seyn. Denn wollte es diese Freyheit sich anziehen, oder in einem gewöhnlicheren Ausdruck gesagt, sich ihrer gebrauchen, so wäre es dadurch seyend, aber es hörte damit auf, das Subject des Seyns zu seyn. Wollte man annehmen, es mache sich

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 112)« (?). Text

    Es ist in allen lautern Menschen nur Eine Empfindung von der Unlauterkeit des gegenwärtigen Seyns, in dem sie sich selbst und alle Dinge befangen sehen. Es ist nur Ein Laut in den ersten und ältesten Lehren, daß alles von uranfänglicher Lauterkeit erst später herabgesunken sey in diese gegenwärtige Befangenheit des Seyns. Diesen Sturz nun, wie er gekommen und wie er sich begeben, zu erforschen, wird nothwendig vorausgesetzt die Erkenntniß der Ursache jener Unlauterkeit, oder daß man zuerst begreife, worinn sie bestehe.

    Nun ist ja nichts an sich selbst unlauter, sondern alles das bloß für sich und ohne alle Mischung mit seinem Gegentheil betrachtet wird ist an sich lauter und unendlich, also daß selbst das Böse, könnte es je ganz und rein von dem Guten geschieden werden, etwas Lautres und in sich Unendliches wäre, und nur die Mischung von beyden das Widerwärtige, und Unlautere ist. Hieraus erhellet, daß das Seyn nimmer an sich selbst unlauter seyn könne, sondern nur sofern es von seinem Gegentheil also vom nicht-Seyn, durchkreuzt, angegriffen und gekränkt (affectum) ist. Nun fragt sich worinn das Gegentheil des Seyns oder das nicht-Seyn bestehe.

    Man möchte wohl antworten: Im Können. Allein das bloße Können, wie jedermann fühlt, ist zwar das nicht-Seyn, aber es ist nicht das nicht-Seyn, d.h. der Gegensatz des Seyns. Das nicht hat hier bloß den Sinn der Beraubung nicht aber der Verneinung. Und selbst dieses nicht-Seyn ist es nur auf gewisse Weise; nämlich es ist nur das nichten desjenigen Seyns das dem Können entgegensteht, nicht aber des Seyns überall und schlechthin betrachtet. Und da auf diese Art auch eine doppelte Ansicht des Könnens entsteht, des Könnens nämlich an sich und desselben sofern es dem Seyn sich entgegenstellt, so können wir auch sagen: das Können, an sich und sofern es dem Seyn nicht entgegensteht, ist auch nicht ein Können sondern selber ein Seyn. Also auch nicht das Können an sich ist das nicht-Seyn, sondern nur das Können, sofern es sich zum Gegensatz des Seyns macht, d.h. es sich vorsetzt, zum Vorwurf macht, oder es will, es begehrt.

    Denn wie kann überhaupt irgend ein Wesen irgend etwas, z.B. a nicht seyn, nämlich nicht so, daß es dasselbe nur nicht ist sondern daß es dasselbe nicht ist? Ich antworte: nur dadurch daß es dieses a sich an- oder zu Gemüthe zieht, dadurch es wirklicher Weise nicht =a; daß es a will ist der bejahende Begriff von seinem a-nicht-Seyn. Wem der Reichthum gleichgültig ist, der ist, obwohl nicht reich, doch darum nicht nicht-reich, d.h. arm; was Etwas will gleich viel was es will, ist ebendarum dieses Etwas nicht und in sofern selbst Etwas, weil das, das Etwas ist, auch Etwas nicht seyn muß.

    Das Wollen also, und wie sich von selbst versteht, das wirkliche Wollen ist der Gegensatz des Seyns. Das lautere Können, worunter hier natürlich nur ein ganz unbedingtes verstanden werden kann, das lautere Können, sofern bloß dieses, ist selbst nichts andres als der lautre, freye Wille; der Wille nicht sofern er will, sondern sofern er nicht will; das nicht auch hier im bloß beraubenden Sinn genommen, der Wille also in der völligen Gleichgültigkeit (Indifferenz). Umgekehrt das Können, das sich zum Gegensatz des Seyns macht, ist das von bloßem Können zu Wirken, von nicht Wollen zu Wollen (a potentia ad actum) übergeht.

    Wir wissen jetzt, worinn die Trübung des Seyns besteht nämlich in dem Angezogenseyn werden können das in Wirkung gerathen d.h. von dem Wollen. Aber woher kommt denn dem Können das Seyn, oder umgekehrt dem lautren Seyn das Können, von dem es getrübt wird?

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 81)« (1813 - 1815). Text

    Die erste Frage wahrer Wissenschaft ist noch immer die, welche schon an den milesischen Thales gerichtet worden, Was das erste Wirkliche, das älteste Wesen sey? Schon der Begriff eines ersten Wirklichen scheint indeß vorauszusetzen, daß Etwas vor allem Wirklichen sey. Natürlich, daß es nicht selbst als wirklich gesetzt werden kann. Aber auch nicht als nichtwirklich. Also nur als das an sich weder Seyende noch Nichtseyende.

    Denen, die von der Wirklichkeit ganz befangen sind, scheint es das Höchste ein Seyendes zu seyn, daher fragen sie was denn über allem Seyn, als ein weder Seyendes noch Nichtseyendes gedacht werden könne? und antworten sich selbst: das Nichts, worunter sie eben das Nichtseyende verstehen. Aber die Wahrheit ist, daß es so wenig Nichts als Etwas, oder in der andern, wiewohl minder guten Wendung, daß es sowohl Nichts (nicht Etwas) als Etwas (nicht Nichts) ist.

    Ja wohl ist es ein Nichts, aber wie die lautere Freyheit ein Nichts ist, wie der Wille, sofern er nicht wirklich will und keiner Sache begehrt, dem alle Dinge gleich sind und der darum von keinem bewegt wird. Ein solcher Wille ist Nichts und ist Alles. Nichts, weil er nicht wirkt, Alles, weil doch von ihm als der ewigen Freyheit allein alle Kraft kommt, weil er alle Dinge unter sich hat, alles beherrscht und von keinem beherrscht wird.

    II)Wir haben auch sonst das Höchste ausgesprochen als die reine Gleichgültigkeit, die unbedingte Einheit von Subject und Object, da keines von beyden und doch die Kraft zu beyden ist. Sehet ein Kind an wie es in sich ist ohne Unterscheidung und Annehmung seiner selbst und ihr werdet in ihm ein Bild der reinsten Göttlichkeit erkennen. Es ist ein Nichts, aber wie die reine Frohheit in sich selber, die sich selbst nicht kennt, die gelassene Wonne die ganz erfüllt ist von sich selber und an nichts denkt, die stille Innigkeit die sich freut ihres nicht Seyns. Es ist lautrer Geist, der durch alles geht und durch alles wirkt, nicht ein eingeschloßner (schon individualisirter) sondern ein unergriffener und an sich unergreiflicher. Daher es auch nicht eigentlich Gott zu nennen ist (denn unter Gott denken wir schon einen bestimmten, persönlichen Geist), sondern nur als das, was in Gott selbst die eigentliche Gottheit ist, die verzehrende Schärfe der Reinheit, der sich der Mensch nur mit gleicher Lauterkeit des Willens sich nähern kann. Denn wie soll dem der in sich selbst zertheilt und vielfältig ist, die höchste Einfalt Etwas werden?

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 113)« (1813 - 1815). Text

    Nach der Lehre der Theologen ist Gott reiner Geist ja die lauterste Geistigkeit selbst. Denn sie bemerken ausdrücklich, daß durch das Wort Geist Gott nicht in eine besondre Categorie von Wesen eingeschlossen werden solle; daß er etwa ein Geist genannt würde im Gegensatz mit Naturdingen, sondern er ist nach ihnen der allergeistigste Geist, gleichsam aller Geister Geist, eine gänzliche Einfachheit des Wesens, die nicht einmal einen wahren Unterschied des Subjects und des Prädicats zuläßt. Nichts kann Gott auf eine von seinem Wesen unterschiedene Weise zugeschrieben werden. Gott ist nicht gut, dadurch daß etwas andres zu seinem Wesen hinzugefügt wird, sondern durch sich selbst, d.i. seinem Wesen nach, und ist darum nicht sowohl gut als die Güte selbst. Gott ist nicht ewig, so daß diese Ewigkeit etwas von seinem Wesen unterscheidbares wäre; sondern er ist selbst seine Ewigkeit. Ja auch das Seyn ist in Gott nicht von dem Wesen unterschieden, sondern das Wesen ist in ihm das Seyn und das Seyn das Wesen. Er hat nicht ein Seyn, sondern er ist selbst sein eignes Seyn (est ipse suum esse).

    Wir bleiben bey diesem Ausdruck stehen, weil er der höchste ist, von dem auch sonst alle Metaphysik ausgegangen; aber der Gebrauch, der von dieser Einheit des Wesens und des Seyns in dem sogenannten ontologischen Beweis gemacht worden, hebt sie offenbar selbst wieder auf. Wenn die Gottheit Seyn in Wesen verschlungen ist, so folgt daraus nicht, daß sie ein nothwendig seyendes Wesen ist; denn der Begriff des Seyenden schließt einen Unterschied von dem Seyn in sich der eben in Ansehung des Wesens der Gottheit verneint wird; es folgt vielmehr jener schon im höchsten Alterthum bekannte, aber den Unkundigen befremdliche Satz, daß von der Gottheit eigentlich nicht zu sagen ist, weder daß sie sey noch daß sie nichtsey. Sie ist nicht, nämlich so daß ihr das Seyn auf eine von ihrem Wesen verschiedne Art beygelegt werden könnte, und doch kann man ihr auch nicht das Seyn schlechthin absprechen, weil eben ihr Wesen selbst das Seyn ist.

    Hiernach folgt also, daß die lautere Gottheit, auf den Begriff Seyn bezogen, als das an sich weder Seyende noch Nichtseyende erkannt werden muß. Es ist nur Ein Laut in allen höheren und besseren Lehren, daß das Höchste über allem Seyn ist. Alles Seyn, das nicht in Wesen verschlungen, alles Seyn, das vom Wesen unterscheidbares, wirkliches Seyn ist, verwickelt mit der Nothwendigkeit. Ein tiefes Gefühl belehrt uns nur über dem Seyn wohne die wahre die ewige Freyheit. Freyheit ist der bejahende Begriff des an sich weder Seyenden noch Nichtseyenden; und umgekehrt, was weder ist noch nichtist kann nur die Freyheit seyn gegen das Seyn, nicht das Freye, denn da wäre es schon ein Seyendes, sondern die lautere Freyheit selbst.

    Den Meisten weil sie jene Freyheit nie empfunden scheint es das Höchste ein Seyendes oder Subject zu seyn, (obwohl es in diesem Worte schon liegt, daß alles, in wiefern ein Seyendes, eben damit ein Untergeordnetes ist). Daher wenn sie von Etwas hören, das weder Seyendes ist noch Nichtseyendes fragen sie sich selbst, was denn über dem Seyn gedacht werden könne? und antworten sich selbst das Nichts oder dem ähnliches.

    Ja wohl ist es ein Nichts, aber wie die lautre Freyheit ein Nichts ist; wie der Wille, der nichts will, der keiner Sache begehrt,

    Es folgt ein handschriftlicher Text, der nicht zum Kontext passt. Stattdessen war wohl folgender Text eingeklebt:

    dem alle Dinge gleich sind und der darum von keinem bewegt wird. Ein solcher Wille ist Nichts und ist Alles. Er ist Nichts, inwiefern er weder selbst wirkend zu werden begehrt noch nach irgend einer Wirklichkeit verlangt. Er ist Alles, weil doch von ihm als der ewigen Freyheit allein alle Kraft kommt, weil er alle Dinge unter sich hat, alles beherrscht und von keinem beherrscht wird.

    Die Bedeutung der Verneinung ist allgemein eine sehr verschiedene, je nachdem sie auf das Innere oder Aeußere bezogen wird. Denn die höchste Verneinung im letzten Sinn muß Eins seyn mit der höchsten Bejahung im ersten. Was alles in sich ist, kann eben darum nichts äußerlich haben, Ein jedes Ding hat Eigenschaften, woran es erkannt und gefaßt wird; und je mehr es Eigenschaften hat, desto faßlicher ist es. Das Größte ist rund, ist eigenschaftslos. Am Erhabenen findet der Geschmack, d.i. die Unterscheidungsgabe, nichts zu schmecken, so wenig als am Wasser, das aus der Quelle geschöpft ist. König, sagt ein Alter, ist, der nichts hofft, und der nichts fürchtet. So wird in dem sinnreichen Spiel eines älteren deutschen V)Schriftstellers voll Innigkeit derjenigen Wille arm genannt der weil er sich selbst genug ist nichts hat, das er wollen kann.

    Soviel nun zur Erklärung der höchsten Idee. Was aber für unsern Zweck zunächst daraus folgt, ist daß die Gottheit an sich selbst nur lauterer Wille ist, nicht ein Wille zu etwas, z.B. Wille sich zu offenbaren, sondern das reine Wollen selbst, ohne Sucht oder Begehren, ein Wille der nichts will sondern rein in sich bleibt, oder, wie es auch wohl ausgedrückt werden könnte, reine Gleichgültigkeit (Indifferenz) ist. Ebenso offenbar ist aber, daß diese höchste Einfachheit und Lauterkeit des Wesens zwar die Gottheit in Gott ist, aber nicht den ganzen Begriff dessen erfüllt, was wir den wirklichen lebendigen Gott nennen. Denn unter Gott denken wir uns einen entschiednen, bestimmten Willen. Wir begnügen uns in der That nicht mit der Idee einer Gottheit, in der das Seyn ins Wesen verschlungen ist; wir erkennen jenes an sich weder Seyende noch Nichtseyende als das höchste, aber wir wollen daß es eben als dieses sey, daß es auch ein Seyn habe, und noch auf eine von seinem Wesen unterschiedne Weise da sey. Nach der höchsten Idee ist die Gottheit das Leben selbst; aber wir wollen daß sie noch außer dem, als die die das Leben selbst ist, lebendig, wirklich sey. Nach derselben Idee ist das Thun Gottes mit seinem Wesen Eins, oder vielmehr das Wesen der Gottheit ist selbst nichts als das lauterste Wirken (actus purissimus); aber dieß genügt nicht; wir verlangen einen Gott, der noch auf eine von seinem Wesen unterscheidbare Weise wirkt und vermögen ihn nur in sofern als lebendigen Gott zu denken.

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 84)« (1816 - 1817). Text

    Auflistung 1-19 bis 2r (links)

    Begriffe: das Überseyende, Müssen, Können, Macht zu seyn, Existirendes

    Inhalt: »daß dieß von allem Anfang«

    Sonstiges: Verweis auf Kalender 6. Oct.

    I) E)Die Meisten von denen, welche zum Denken aufgefodert werden, zeigen sich geneigt und willig, alles anzuerkennen, was lauteres Wesen, was frey ausquellender und sich mittheilender Natur ist; dieselben aber erkennen nichts so ungern als das Gegentheil des Wesens, was verneinender, abziehender, nach innen gehender Natur ist. Nichts schiene dem größten Theil natürlicher, als wenn alles in der Welt aus lauter Liebe, Güte und ausfließendem Wesen bestünde, wovon er so augenscheinlich das Widerspiel sieht: ein Hemmendes, Gegenstrebendes, von dem das Wesen oft kaum und nur mit Mühe zur Erscheinung gelangt dringt sich überall auf, jedermann fühlt dieses Andre, das so zu sagen nicht seyn sollte und doch ist ja seyn muß, dieß Nein das sich dem Ja, dieß Verfinsternde das sich dem Licht, dieß Linke das sich dem Rechten, dieß Krumme das sich dem Geraden entgegenstellt, und wie man sonst diesen ewigen Gegensatz in Bildern auszudrücken gesucht hat, aber nicht leicht ist einer im Stande es auszusprechen, noch viel weniger es festzuhalten und zum Verständniß zu bringen. Vielleicht sogar schiene nicht zu viel gesagt: es unterscheide sich der wissenschaftliche Mann von der unwissenschaftlichen Menge ursprünglich durch nichts anders als eben dadurch, daß er dieses dem Wesen Widerstrebende mit festem Blick anschaut und zum Stehen zwingt, indeß jene die Augen feig und weichlich von ihm abwendet und es entfliehen läßt.

    Und doch dringt es sich in Vielen Gestalten auf, und wäre jedem nah genug im eigenen Innersten, scheuten die Meisten nicht den Blick in dieses, vielleicht aus Furcht es zu entdecken. Von allem wirklich Seyenden ist es offenbar, daß es nur ist in seinem Thun und inwiefern es thut, und daß es dieß Thun hinweggenommen alsbald in Nichts zerstieben würde. Wir sehen, wie alle zeitliche Wesen mit großer Begierde ihr Daseyn festhalten und es unabläßig zu bethätigen suchen, gleichsam im Gefühl daß sie nicht an sich selbst sind daß ihr Daseyn nur in ihrem Thun besteht.

    Hier ist offenbar Etwas, das an sich Nichts ist, weil es unabläßig Wesen anzieht, um Etwas zu seyn, und das doch nicht Nichts sondern eine wirkende Kraft ist, eben weil es Wesen anzieht; ja wir würden unstreitig richtiger sagen, es sey die Kraft schlechthin, es sey die Kraft und Stärke selber, denn worinn wird alle Stärke erkannt, als an der Macht, mit der sie das Daseyn festhält.

    Es ist allerdings nicht genug nur ein Solches anzuerkennen, das an sich nichts und doch wirkend ist; es muß die Einsicht hinzukommen, wie das an sich nicht Seyende sey und wirke, oder umgekehrt ein Wirkendes ein offenbar an sich nicht Seyendes seyn könne.

    Von jeher hat dieser Proteus die Betrachter geirrt und vielfach in Verwirrung gebracht. Ihn vor allem muß bedräu'n und fesseln, wer zur Wissenschaft gelangen will.

    Wir beantworten jene Frage zunächst indem wir eine andere aufwerfen. Wie überhaupt geschieht es, daß irgend Etwas =X irgend etwas Anderes =a wirklicher Weise nicht sey? Denn so urtheilen wir von jenem, über das die Frage ist, es sey wirklich das nicht Seyende, d.h. es sey in dem nicht seyend Seyn wirklich und in seinem Wirken das nicht Seyende.

    Ich antworte: nur dadurch daß es a sich an- oder wie unsere Sprache sehr gut sagt, zu Gemüthe zieht, ist X wirklicher Weise nicht a: daß es a will und begehrt ist der bejahende Begriff von seinem a nicht Seyn. Wem der Reichthum gleichgültig ist, der ist, auch arm, nicht wirklich arm: was nichts will, ist Alles, was Etwas will, gleichviel was es will, ist ebendarum dieses Etwas nicht und daher selbst Etwas denn alles das Etwas ist, muß auch Etwas nicht seyn. Hier nun ist die Rede von einem, das das nicht Seyende ist unstreitig nicht daß es erst das nicht Seyende ist und dann des Wesens begehrt, sondern umgekehrt. Das Begehren geht voraus, nur im Begehren ist es Etwas, nämlich das nicht Seyende, welches ja eben darum nicht Nichts seyn kann, weil es Etwas nicht ist. Abgesehen vom Begehren wäre es allerdings Nichts (also nicht das nicht Seyende) wie ja jede Begierde, jeder Wille für sich nichts ist und erst Etwas ist, indem er Wesen anzieht, d.h. wirklich will.

    Also der Grundbegriff jenes an sich nicht Seyenden ist der Begriff der Begierde oder wie wir es ja gleich anfangs genannt, einer anziehenden Kraft, obgleich wir ebendaraus nun deutlicher erkennen, daß es an sich Nichts, nur in seiner Wirkung Etwas ist, ohne diese Wirkung aber reiner Mangel, lautre Armuth und höchste Bedürftigkeit. Dieses ist die Kraft, die an jeder Creatur zehrt, dieß ihre innere Leere, die unaufhörlich bemüht ist sich zu erfüllen, dieß das an sich ziehende Nichts durch das sie allein sie selbst ist.

    Dieses an sich nicht Seyende also, das doch nicht wegzubringen, nicht Nichts sondern die allerstärkste Kraft ist, suche jeder nicht bloß zu erkennen, sondern sich vertraut mit ihm zu machen, der auch nur einen Schritt thun will auf dem Wege der Wissenschaft.

    Je unwilliger nun die Meisten sind, dieses nicht Seyende zu erkennen, desto bereiter alle, den entgegengesetzten Begriff zu erkennen, der das an sich oder seiner Natur nach Seyende, das wir in vielen Gestalten und Formen als solches erscheinen sehen, das aber in allen vorausgesetzt wird, als das in allem Seyenden eigentlich Seyende oder als das von dem alles einzelne Seyende nur eine besondere Form oder Weise ist. Dieses also an sich und zusammengedrängt als Eins (wie es denn ist) werden wir mit Recht das Wesen alles Wesens nennen.

    Aus diesem also, meynen nun die, welche zuerst dessen Begriff erfaßt und an ihm Wunder wie sich erfreuen, alles nicht Seyende verbannt, denn es ist das an sich und insofern der Gegensatz des wirklich Seyenden, von dem gezeigt worden, daß es eben in einer beständigen Anziehung des Wesens, es zu Sich als Sich zu machen, und demnach in einer beständigen Begierde seiner selbst bestehe. Jenes an sich Seyende aber ist wie die Schönheit, die sich ihrer selbst nicht annimmt, wie die Liebe die nicht das ihre sucht, wie die gelassene Wonne die sich selbst nicht kennt.

    Sehen wir also zu, ob wir jenes Andre, das an sich nicht Seyendes ist, wirklich und in der That von ihm abhalten können, oder ob es nur so scheint. Denn gleich zuerst ist ja klar, daß dieses an sich Seyende weil es dieß ist, darum noch nicht auch das als solches Seyende ist, wir sehen also, daß es, indem das an sich Seyende, doch in anderer Beziehung auch das nicht Seyende ist. Als Wesen ferner alles Wesens ist es Alles, aber das Alles-Seyn ist Verneinung des Etwas-Seyn, und dieses nicht-Etwas-, d.h. Nichts-seyn, was ist es denn andres als wieder jene unendliche Leere, die, wenn noch nicht wirkend, doch der Grund und Anlaß ist zum Etwas seyn. Als Wesen alles Wesens ist es der Reichthum und der Überfluß selbst, aber da es selbst nicht davon erfüllt ist (nach der Voraussetzung sich selbst nicht hat) so ist es als der höchste Reichthum die höchste Armuth. Es ist ganz Reichthum und es ist ganz Armuth je nachdem es betrachtet wird, äußerlich oder gegen Anderes die höchste Fülle innerlich oder für sich selbst die äußerste Leere. Der Reichthum und die Armuth in ihm sind nicht zwey, sondern eben das, das in ihm der höchste Reichthum, ist auch die tiefste Armuth und umgekehrt. Also sehen wir wohl daß es auch hier sich eindringt und eben wie auch im höchsten Seyenden nicht abzuwehren ist jenes nirgends gewollte aber gerade überall sich darstellende und unabhaltliche – Wesen können wir nicht sagen, sondern nur Nichtwesen das doch Wesen seyn will dessen Erkennen kein freywilliges sondern ein reines Muß ist, das man nur nehmen und sich gefallen lassen muß. Ist es nicht da, als wirkend und in sofern ersättigt, so ist es doch ebendarum da als nicht gesättigt als der lautere Hunger; hat es noch nicht empfangen und ist nicht erfüllt, so ist es um so gewisser da als unendliche Leere; eben von dem höchsten Seyenden gilt das Wort, so hoch sein Tag so tief seine Nacht.

    Wir sehen also wohl daß wir zwar das an sich Seyende, aber ebenso unbedingt das an sich nicht Seyende erkennen müssen, wir begreifen aber daraus, daß keines von beyden der höchste BegriffInsof˖[ern] στερησις – nur nicht Gott. s. überhaupt Wallers˖[ee] IIa) p. 3.

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 85)« (1816 - 1820). Text

    (Bogenzählung alpha-alpha) Auflistung 1-11 (weiter mit 5r)

    Begriffe: Freyheit zu sein, Überseyendes, Subject, Unbestimmtheit/Entscheidung

    Inhalt: »1. Alle Wissenschen fängt vom Nichts an«

    (Bogenzählung beta-beta) Auflistung 12-18

    Begriffe: Existenz, Wissenschaft/Ziel, Sollen/Zukunft (ex hypoth.), Weissagen

    (Fortsetzung von 2v) (Bogen beta) Auflistung (11) 12-13

    Begriffe: Überseyendes, Freyheit zu seyn, als das Überseyende seyn

    (Bogenzählung gamma-gamma) bis 8v

    Begriffe: Philosophie, Wissen/Nichtwissen, Dialectik

    Inhalt: »Zwey Annahmen«

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 88)« (1817). Text

    Begriffe: Ewiges Bewußtseyn, Wirklichkeit, Freyheit zu seyn

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 83)« (1817 - 1820). Text

    Man kann nicht einmal von der Voraussetzung anfangen, daß es etwas zu wissen gäbe. Denn es ist nichts an sich Gewußtes, nichts ursprünglich Object. Alles ist an sich Es Selbst (auszudrücken durch die Formel A=A), d.h. lautres Selbst, absolutes Ich, ein schlechthin Innerliches, ganz in sich selbst Zurückgenommenes, nur in seiner Macht stehend (suae potestatis) nicht in eines andern, und mit einem Wort das, was wir das Seyende selbst (αὐτὸ τὸ Ὄν) nennen können, im Gegensatz dessen was nur seyend ist, aber nicht das Seyende selbst, und das nur in diesem Sinn das nicht Seyende (τὸ μὴ Ὄν) heißt. Nicht daß es überall nicht Ist, sondern daß es Ist, aber nicht als das das Seyende selbst, ist. Aber eben ein solches, das nicht Ich, das nicht das Seyende selbst, das also bloßes Object ist kann nicht ursprünglich seyn, sondern auch ebendieses, das jetzt ein Nicht-Ich ist, wenn wir es nicht etwa zur bloßen Modification eines Ichs machen wollen, es sey nun zu einer reellen wie Spinoza oder zu einer ideellen, bloß in der Vorstellung des Ichs vorhandenen wie Fichte, kurz eben dieses Nicht-Ich wenn wir ihm als solchem, ein eignes Seyn lassen wollen, muß selber ursprünglich Ich seyn und kann nur durch plötzliche oder fortschreitende Umwandelung zum Nicht-Ich geworden seyn, herabgestürzt aus dem, das dem Seyenden selbst gleich war, in das bloß seyende, seiner selbst ohnmächtige und nur objective.

    Es gibt also ursprünglich nur Ich. Daß dieses Ich kein Gewußtes ist, versteht sich. Aber auch nicht ein Wissendes, denn wo kein Gewußtes ist auch kein Wissendes. Man kann etwa sagen: In wiefern es kein Gewußtes ist verhält es sich als Wissendes, aber ebenso gut umgekehrt: in wiefern es nicht das Wissende ist, verhält es sich grade so wie ein Gewußtes, d.h. es ist ein Wissen das selbst Seyn und ein Seyn das Wissen ist. Der Wirklichkeit nach ist es also keines von beyden, nicht Subject, weil es dieß nur im Gegensatz vom Object, nicht Object weil es dieß nur im Gegensatz vom Subject, seyn könnte.

    Diese Überschwenglichkeit, dieses daß weder Subject noch Object Ist, ist also die Voraussetzung aller Philosophie d.h. aller Wissenschafts-Erzeugung und zwar die ganz unwillkührliche Voraussetzung, wie in jeder Bewegung der Ausgangspunct unwillkührlich ist. Wir brauchen dieses Vorausgesetzte nicht zu benennen; möchte es Namen haben welche es wollte, es ist nur dieses Weder-Subject-noch Object; nennten wir es das Absolute, so wär’ es nur weil es völlig frey ist von allem außer allem Verhältniß und an nichts gebunden, zu nichts im Bezug weder als das Wissende noch als das Gewußte.

    Klar ist nun zuerst, daß vor diesem (prae hoc) Überschwenglichen nichts seyn kann. Nicht ein Wissendes, denn noch ist kein Gewußtes; nicht ein Gewußtes denn sonst müßte es sich als das Wissende verhalten. Aber auch nicht ein weder Wissendes noch Gewußtes, denn dieses wäre von ihm nicht unterscheidbar, weil Es eben es selbst dieses ist. Also es ist, das nichts vor sich aufkommen, also auch nichts wissen läßt. Natürlich also, daß auch wir nur wissen können in dem Verhältniß als es sich entscheidet, als es Raum machte. Wir sehen: jenes Überschwengliche ist eigentlich das Wissenerzeugende, ihm müssen wir nachgehen um zu wissen. Es muß sich entscheiden; nämlich entscheiden, zu bleiben was es ist, oder ein Andres zu werden. Ein Anderes werdend kann es nur Object werden, denn Wissendes zu werden steht nicht unmittelbar in seiner Gewalt, da es dieß nur seyn könnte, sofern ihm ein Gewußtes würde. Nicht, daß es jemals dieß wollen könnte, Object zu werden; denn nichts will von Natur Nicht-Ich, alles soviel möglich Ich seyn; aber doch daß es zu thun fähig ist, wodurch es, auch wieder seinen Willen, zum Object wird.

    Es muß sich selbst entscheiden. Denn nichts kann mit Gewalt zum Nicht-Ich gemacht oder in jenes Seyn verstoßen werden, da es aufhört das Seyende selbst zu seyn. Und so lang’ es jenes lautre Selbst bleibt, deß Können ganz in ihm selbst aufgeht, jenes ganz in sich selbst zurückgezogne, kann ihm nichts etwas anhaben. Es ist wie auf einer unerklimmbaren Anhöhe unersteiglichen Burg, gegen alles gesichert, und nichts zugänglich.

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 86)« (1817 - 1819). Text

    Begriffe: Bewegung, lauterer Wille, Armuth, Egoität, Selbstheit

    Inhalt: »das Werk selbst«

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 80)« (1820). Text


    I. Urstand

    1.

    1. Das Princip begründet sich nicht durch das ihm vorausgehende sondern nachf[o]lg[ende]. Seine Begründung ist das aus ihm abgeleitete. Aber die Begründung des Princips welches = Ungrund ist die Absicht des Processes. Es ist eben darum als gleich der Begründung ermangelnd (mithin überhaupt als Mangel) gesetzt und dieser Mangel ist der (intelligible) Anfang – ist der Grund der Bewegung. Es ist an sich Leere – Mangel – Nichts (posit˖[iver] Begr˖[iff] = Freyheit. Es ist, das auch am Ende (als +A0) nur dadurch wirklich seyn kann, daß es ein Andres (€\frac{A^3}{etc.}€) zu Sich macht.


    Das Höchste ist weder Zwey seyn Können noch Eins seyn (müssen) – sondern Zwey (S˖[ubject] und O˖[bject]) von sich s˖[elbst] seyn – doch dabey Eins (d.h. Freyheit) bleiben und umgekehrt Eins und doch dabey Zwey seyn können – unerschöpflicher Quell. Dieß ist bey (A0)1 (nachherigem A=B) nicht der Fall.

    Geister die Eins bleiben müssen.

    NB. Nie zu vergessen, daß Geisterw˖[elt] und Natur nur zwey versch[ie]dne Seiten von Einem und dem selben sind und ihre Complication von der Art, daß jede Einheits=(A0)=Erzeugung in der Natur eine Zweyung = Befreyung in der Geisterwelt zur Folge hat. Jeder der beyden Welten fehlt etwas zum A3 – dem A=B die Einheit oder A2, dem A2 die Zweyheit. Einheit aber (A3) ist Ziel in beyden.Geisterwelt und Natur sind Eins, inwiefern in beyden Ausgang (A=B) und Wiedereingang (Umwendung) Hier ist der Unterschied der, daß das A=B in der Geisterwelt, das in der Natur ein urspr˖[üngliches] ist, durch B exp. gesetzt, und dagegen durch A2 exp. aufgehoben wird so wie im Gegentheil B exp. die Natur hinein- A2 exp. aber wieder herauswendet.