Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Thema Einleitung zu Buch 1 der Weltalter: Zeit und Vergangenheit

Erwähnungen in Dokumenten

  • in: Druck Schelling »Die Weltalter: Entwürfe und Fragmente zum Ersten Buch« (?). Text

    Die Vergangenheit

    III Fürsichtig hüllt, wie der kommenden Zeit Ausgang der verflossenen Anfang Gott in dunkele Nacht. Jederzeit aber war einigen gegeben, die Zukunft vorher zu sehen: so ist wohl auch Einzelnen ein Blick in die Tiefen der Vergangenheit gegönnt. Es gehört in der That nach dem Urtheil eines großen Verstorbenen fast dieselbe Scharfsichtigkeit und göttlich ahndende Kraft dazu, das Vergangene als die Zukunft zu lesen.

    Alles weist an unglaublich hohe Vergangenheit zurück. Die ältesten der Zerstörung der Zeit entronnenen Werke und Bildungen des menschlichen Geistes tragen ein für uns so fremdes Ansehen, daß wir uns von der Zeit ihrer Entstehung und den Kräften, die damals in der Menschenbrust walteten, nur mit Mühe einen Begriff zu machen vermögen. So jung auch vergleichsweise das Menschengeschlecht seyn mag, so drängt sich die Erkenntniß auf, wie weit von unsrem Ursprunge wir sind. Die älteste Menschengeschichte, arm wie es scheint an den äußeren Ereignissen, die wir fast allein als den einzigen Stoff der Historie ansehen, war desto reicher an inneren Begebenheiten. Jenes Weltalter war noch die Zeit der Betrachtung und göttlichen Offenbarungen. Weil den damals Lebenden alles als Offenbarung erschien, vermischte sich die Nachricht von äußeren Begebenheiten mit der Kunde vom Weltall, von Gott oder göttlichen Wesen. Wenn erst alles was dunkle Vorzeit erhalten, entdeckt, zusammengestellt und verglichen seyn wird, vielleicht daß sich dann mit Hülfe des Fadens, der uns durch die Offenbarung an die Hand gegeben ist, noch der Zusammenhang der äußeren und inneren Geschichte der früheren Vorwelt doch noch mit einiger Wahrscheinlichkeit entdecken läßt. Gewiß ist, daß die Denkmäler der inneren Geschichte zugleich auch die Hauptquellen der äußeren sind, mehr als insgemein gedacht wird, da bey uns alles in’s Äußere getrieben und die Geschichte des Geistes trotz aller geäußerten Erfindungen arm ist gegen jene ungeheuren Bewegungen des Gemüths, durch welche allein die frühesten Vorstellungen von der Natur, und den verschiedenen Urwesen, und jenes ganze wunderbare, in seinem Irrthum tiefe Chaos der ältesten Welt- und Göttergeschichten erzeugt werden konnte.

    Der Bildung und ersten Schöpfung des Menschen mußte die Erschaffung des Schauplatzes vorangehen, auf dem er wirken sollte. Der regelmäßige Einfall allgemeiner Erscheinungen, der gleichförmige Wechsel der Jahreszeiten und Tage, die Dauerbarkeit der leblosen Bildungen wie die unveränderte Wiederkehr der Formen in der lebendigen Natur – dieß alles deutet auf ein stillstehendes Ganzes; aber eben darum weil auf Stillstand zugleich auf eine einst gewesene Bewegung, eine Folge von Zeiten, die nun durch irgend einen Zauber angehalten oder in ihren eignen Netzen gefangen, endlich in den Kreis der Einen Zeit gebannt wurde, die nicht mehr überschreitet. Es ist ein Abgrund von Vergangenheit; und die unermeß- Das was jetzt zumal ist und lebt ist darum nicht auf einmal entstanden; in einer undenklichen Reihe von Zeiten hat je die folgende die vorhergehende überdeckt; die unermeßlichen Zeiträume der Vergangenheit dehnen sich vor der Einbildungskraft in dem Verhältnis aus, als man die Abstufungen und Übergänge zwischen den verschiedenen Arten von Bildungen wahrnimmt. Wie auch immer im Vorhergehenden schon das Folgende mit begriffen, im Späteren das frühere wiederholt seyn mag, so ist doch alles nur Werk einer bestimmten Zeit; und die verschiedenen noch vorhandenen Bildungen sind ebenso viele Marksteine des Wegs, den die stufenweis nach Absätzen wirkende Kraft genommen; jedes Gebild der Zeiger eines Tags, einer Stunde, eines Augenblicks in dem großen Uhrwerk der Schöpfung.

    Wenn aber die Erde nach ihrem gegenwärtigen Bestand nur ein Werk der Zeiten ist, warum sollte es mit dem Weltall anders seyn? An eine Vergangenheit der Welt muß wenigstens der glauben, der annimmt, daß sie nicht von Ewigkeit, daß sie ein in der Zeit Entstandenes ist. Aber vielleicht ist selbst dieser, der gegenwärtigen Ordnung der Dinge unmittelbar vorangegangene Zustand nicht der erste und älteste; vielleicht weist auch dieser an einen früheren zurück, und wenigstens ist es nicht unglaublich, daß die Welt durch eine Reihe von Zuständen gegangen ist, ehe sie in den gegenwärtigen beharrte.

    Vergangenheit – ein hoher Begriff, Allen gemein und nur Wenigen verstanden! Die Meisten wissen von keiner, als der, welche sich in jedem Augenblick durch eben diesen vergrößert, selbst noch wird, nicht ist. Ohne bestimmte entschiedene Gegenwart gibt es keine; wie viele erfreuen sich einer solchen? Der Mensch, der sich nicht scheiden kann von sich selbst, sich lossagen von allem was ihm geworden und ihm sich thätig entgegensetzen, hat keine Vergangenheit oder vielmehr kommt nie aus ihr heraus, lebt beständig in ihr. Ebenso jene, welche immer die Vergangenheit zurückwünschen, die sich selbst nicht steigern wollen, da alles (auch das Schlechte) sich steigert, und die durch ohnmächtiges Lob der vergangenen Zeiten wie durch kraftloses Schelten der Gegenwart beweisen, daß sie in dieser nichts zu wirken vermögen. Wohlthätig und förderlich ist dem Menschen das Bewußtsein, etwas wie man sagt hinter sich gebracht, d.h. als Vergangenheit gesetzt zu haben; heiter wird ihm nur dadurch die Zukunft und leicht, nur unter dieser Bedingung, auch etwas vor sich zu bringen. Nur der Mensch, der die Kraft hat, sich über sich selbst zu erheben, ist fähig, eine wahre Vergangenheit sich zu erschaffen; eben dieser genießt auch allein einer wahren Gegenwart, wie er allein einer eigentlichen Zukunft entgegensieht; und schon aus diesen sittlichen Betrachtungen würde hervorleuchten, daß Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft doch nicht bloße Verhältnißbegriffe einer und der nämlichen Zeit sind, daß sie der höchsten Bedeutung nach wirklich verschiedene Zeiten sind, zwischen denen eine Anstufung oder Steigerung stattfindet.

    Wäre kein wahrer Unterschied der Zeiten, ginge die nämliche Zeit, welche die gegenwärtige ist, in’s Unbestimmte fort: so wäre die Welt, wofür einige vermeynte Weltweise sie angesehen, eine vor- und rückwärts in’s Endlose auslaufende Kette von Ursachen und Wirkungen, ohne einen eigentlichen Anfang und ohne wahrhaftes Ende. Aber dieser Ungedanke sollte billig mit der unlebendigen Ansicht die sein Ursprung ist zugleich verschwunden seyn.

    Die Endlichkeit der Welt der Zeit nach kann nur darauf beruhn, daß eine andre von ihr verschiedene Zeit außer und vor ihr war. Ist dann auch bewährt in jedem Sinne wahr die alte Rede: Nichts Neues ereigne sich unter der Sonne, ist auf die Frage, was ist’s, das geschehen ist? noch immer jene Antwort die richtige, Ebendas, was hernach geschehen wird, und auf die, was ist’s, das geschehen wird? Ebendas, was zuvor geschehen ist: so würde daraus nur folgen, daß die Welt in sich keine Vergangenheit und keine Zukunft habe; daß alles, was in ihr von Anfang geschehen ist und was bis zum Ende geschehen wird nur zu Einer großen Zeit gehört, daß also die Zeit dieser Welt selbst nur eine bestimmte Zeit ist. Aber eben weil nur eine Zeit hat sie die zum Ganzen der Zeit gehörigen Zeiten außer sich voraus. Die wahre Vergangenheit, (die nicht bloß in Bezug auf einen Moment der gegenwärtigen Zeit ist, die im IV nächsten Augenblick selbst vergangen ist) ist die Zeit, die vor der Welt war; die dieser ganzen Zeit entgegengesetzt ist. Die wahre Zukunft ist nicht ein Augenblick, der selbst mit zu dieser Zeit gehört, sondern die Zeit, die nach der Welt seyn wird, und so schließt sich uns ein System von Zeiten auf, gegen das die gewöhnliche menschliche Zeitrechnung in keinen Betracht kommt.

    Die welche einen zeitlichen Anfang der Welt behaupten, lassen ihm unmittelbar die Ewigkeit vorangehen, und setzen sich damit in die Verlegenheit, die Ewigkeit in Bezug auf die Welt als Vergangenheit zu denken. Aber dieser dunkle Begriff einer der Welt vorangehenden Ewigkeit möchte sich der tieferen Betrachtung wohl noch in eine Folge von Zeiten auflösen können, ebenso wie die dem gewöhnlichen Blick als matter Schimmer vorschwebenden Nebelflecke für das bewaffnete Auge sich noch in einzelne Lichter auflösen zersetzen.

    Ich habe mir vorgesetzt, die durch lange Betrachtung gewonnenen Gedanken über die Herkunft und große Folge der Zeiten schriftlich aufzuzeichnen, doch nicht in sogenannter streng wissenschaftlicher nur in leicht mittheilender Form, wie sie der Natürlichkeit dieser Gedanken und der zur Klarheit gekommenen Wissenschaft allein angemessen ist. Denn wie man bemerkt hat, daß das Erhabene in der Dichtkunst die schlichtesten und allgemeinverständlichsten Worte liebt: so ist gewiß daß überall das Höchste, wenn es erkannt ist, sich in die einfachsten und leichtesten Worte kleiden läßt. Die Sprache der Systeme ist von Gestern, die des Volks wie von Ewigkeit. Sodann glaube ich daß die Zeit gekommen ist, da der mit der höchsten Wissenschaft Beschäftigte die Frucht der Forschungen mehr der Welt und seinem Volke als der Schule schuldig ist.

    Kein Begriff liegt seit langer Zeit in solcher Geringschätzung wie der der Zeit. Ohne Feststellung dieses Begriffs wird sich aber nie eine verständliche Entwicklung der Wissenschaft denken lassen, und es liegt der Grund des allgemeinen Mißverstehens aber in nichts anderem als in den ungewissen schwankenden oder völlig irrigen Begriffen von der Zeit. Auch die Wissenschaft kann die freye Bewegung nicht wieder finden, ehe die Pulse der Zeit wieder lebendig schlagen.

    Der jetzt herrschende Begriff kennt überhaupt keine Zeiten –, sondern nur ein Abstractum von Zeit, eine gewisse allgemeine Zeit, die er für die Zeit schlechthin hält, von der es dann ganz richtig ist zu sagen, daß sie eine bloße Form unsres Bewußtseyns ist, ja richtiger wäre zu sagen, daß sie nichts ist als eine leere selbstgemachte Form. So leicht es nun ist, diesem Begriff gemäß zu sagen, daß die Zeit nichts ist: so fühlt doch jeder im eigenen Thun und Lassen die Wesentlichkeit der wahren Zeit und selbst die welche ihre Nichtigkeit behauptet, weiß sie zu lauten Klagen über ihre furchtbare Wirklichkeit zu zwingen.

    Es konnte schon längst verdienstlich scheinen den Zeitbegriff aufzuhellen; das Scheinbare und Unwahre abzuthun daß das Wesentliche und Wahre erschiene; wenn überhaupt noch die Zeit wäre die großen Gegenstände einzeln, Capitelweis abzuhandeln. Erwünschter ist beym gegenwärtigen Stand der Wissenschaft es gleich in Leben und That zu sehen. Wir ahnden einen in der Zeit tief verborgen liegenden und bis ins Kleinste gehenden Organismus. Wir sind überzeugt (oder wer ist es nicht?), daß jedem großen Ereigniß, jeder folgenvollen That ihr Tag, ihre Stunde, ja ihr Augenblick bestimmt ist, und daß sie kein Nu früher an’s Tageslicht tritt, als die Kraft will, welche die Zeiten anhält und mäßigt. Ist es nun freylich nicht Sache des Menschen, die Tiefen der Zeiten im Einzelnen zu durchschauen, so ist doch der Augenblick gekommen, jenes allgemeine System der Zeiten, in welchem die gegenwärtige Welt selbst nur ein Glied ausmacht, im weitesten Umfange zu entwickeln.

  • in: Druck Schelling »Die Weltalter (1811). Erstes Buch. Die Vergangenheit« (1811). Text


    Erstes Buch
    Die Vergangenheit

    Wie lieblich ist der Ton der Erzählungen aus der heiligen Frühe der Welt, da noch alles zusammen ist im Hause des Vaters, bis die Söhne ausgehen ein jeder nach seinem Geschäft, endlich das Geräusch der Stämme und Völker anhebt!

    Doch nicht von diesen reden wir hier; die Geschichte der Entwickelungen des Urwesens haben wir uns vorgesetzt zu beschreiben und zwar anfangend von seinem ersten noch unaufgeschlossenen Zustand, der vorweltlichen Zeit.Zu benützen bei Vorrede zu den W.A.

    Keine Sage tönt aus jener Zeit herab, denn sie ist die Zeit des Schweigens und der Stille. Nur in göttlichen geoffenbarten Reden leuchten einzelne Blitze, welche diese uralten Finsternisse zerreißen.

    Doch vor allem in uns selbst müssen wir die Vergangenheit zurückrufen, um zu finden, wovon alles ausgegangen und was zuerst den Anfang gemacht. Denn je menschlicher wir alles nehmen, desto mehr können wir hoffen, uns der wirklichen Geschichte zu nähern.

    Aber selbst dieß, daß wir eine Vergangenheit in so hohem Sinne annehmen, scheint in gar vieler Hinsicht der Rechtfertigung zu bedürfen.

    Wäre die Welt, wie einige sogenannte vermeynte Weise gemeynt behauptet haben, eine rück- und vorwärts ins Endlose auslaufende Kette von Ursachen und Wirkungen; so gäbe es im eigentlichen Verstande weder eine Vergangenheit noch eine Zukunft. Aber dieser ungereimte Gedanke Ungedanke sollte billig mit dem mechanischen System, welchem allein er angehört, zugleich verschwunden seyn.

    Wie wenige kennen eigentliche Vergangenheit! Ohne kräftige, durch Scheidung von sich selbst entstandene, Gegenwart gibt es keine.; wieviele erfreuen sich einer solchen? Der Mensch, der sich seiner Vergangenheit nicht entgegenzusetzen fähig ist, hat keine, oder vielmehr er kommt nie aus ihr heraus, lebt beständig in ihr. Ebenso jene, welche immer die Vergangenheit zurückwünschen, die nicht fortwollen, indeß alles vorwärts geht, und die durch ohnmächtiges Lob der vergangenen Zeiten wie durch kraftloses Schelten der Gegenwart beweisen, daß sie in dieser nichts zu wirken vermögen.

    Die meisten scheinen überhaupt von keiner Vergangenheit zu wissen, als der, welche sich in jedem verfließenden Augenblick durch eben diesen vergrößert, und die offenbar selbst noch nicht vergangen, d.h. von der Gegenwart geschieden ist.

    Wäre aber jedoch auch in jedem Sinne bewährt die alte Rede, daß nichts Neues in der Welt geschehe; wäre auf die Frage, was ist’s, das geschehen ist? noch immer jene Antwort die richtige: Ebendas, was hernach geschehen wird, und auf die, was ist’s, das geschehen wird? Ebendas, was zuvor geschehen ist, so würde daraus nur folgen, daß die Welt in sich keine Vergangenheit und keine Zukunft habe; daß alles, was in ihr von Anfang geschehen ist, und was bis zum Ende geschehen wird, nur zu Einer großen Zeit gehört; daß die eigentliche Vergangenheit, die Vergangenheit schlechthin, die vorweltliche ist; die eigentliche Zukunft, die Zukunft schlechthin, die nachweltliche – und so würde sich uns ein System der Zeiten entfalten, von welchem das der menschlichen nur ein Nachbild, eine Wiederholung in engerem Kreise wäre.

    Alles, was uns umgibt, weist an eine unglaublich hohe Vergangenheit zurück. Der Erde selbst und einer Menge ihrer Bildungen muß ein unbestimmbar höheres Alter zugeschrieben werden als dem Geschlecht der Pflanzen und der Tiere, diesen wieder ein höheres als dem Geschlecht des Menschen. Wir sehen eine Reihe von Zeiten, von denen je eine der andern folgte und immer die folgende die vorhergehende zudeckte; nirgends zeigt sich etwas Ursprüngliches, eine Menge nach und nach angelegter Schichten,von S. durch den entsprechenden Absatz in Druck II (u. S. 120) ersetzt. die Arbeit von Jahrtausenden muß hinweggenommen werden, um endlich auf den Grund zu kommen.

    Wenn die vor uns liegende Welt durch so viele Mittelzeiten herabgekommen endlich diese geworden ist: wie vermöchten wir auch nur das Gegenwärtige zu erkennen ohne Wissenschaft des Vergangenen? Schon die Eigenheiten einer ausgezeichneten menschlichen Individualität sind uns oft unbegreiflich, bis wir die besonderen Umstände erfahren, unter welchen sie geworden ist und sich gebildet hat. Und der Natur sollte man so leicht auf ihre Gründe kommen? Ein hohes Werk des Alterthums steht als ein unfaßliches Ganzes vor uns, bis wir der Art seines Wachsthums und seiner allmäligen Entstehung auf die Spur gekommen sind. Wie viel mehr muß dieß bey einem so vielfach zusammengesetzten Individuum, als schon die Erde ist, der Fall seyn! Welche ganz andre Verwicklungen und Verschränkungen müssen hier stattfinden! Auch das Kleinste, bis zum Sandkorn herab, muß Bestimmungen an sich tragen, hinter die es unmöglich ist zu kommen, ohne den ganzen Lauf der schaffenden Natur bis zu ihm zurückgelegt zu haben. Alles ist nur Werk der Zeit und nur durch die Zeit erhält jedes Ding seine Eigenthümlichkeit und Bedeutung.

    Wenn aber einmal die Basis aller der wahre Grund und Anfang auch der Erkenntniß, Wissenschaft oder Herleitung aus der Vergangenheit ist, wo ist hier ein Stillstand? Denn auch bey’m letzten Sichtbaren angekommen, findet der Geist noch eine nicht durch sich selbst begründete Voraussetzung, die ihn an eine Zeit weist, da nichts war, als das Eine unerforschliche Wesen, das alles in sich verschlungen enthielt, und von sich selbst seyende Wesen, aus dessen Tiefe sich alles hervorgebildet; und wenn nun dieses wieder recht im Geiste betrachtet wird, entdecken sich auch in ihm neue Abgründe und nicht ohne eine Art von Entsetzen, ähnlich dem, womit der Mensch erfährt, daß seine friedliche Wohnung über dem Heerd eines uralten Feuers erbaut ist, bemerkt er erkennt er endlich, daß auch in dem Urwesen selbst etwas als Vergangenheit gesetzt werden mußte, ehe die gegenwärtige Zeit möglich wurde, daß eben dieses Vergangene noch immer im Grunde verborgen liegt, und daß dasselbe Princip in seiner Unwirksamkeit uns trägt und hält, das in seiner Wirksamkeit uns verzehren und vernichten würde. es ist, was die gegenwärtige Schöpfung trägt und noch immer im Grunde verborgen ist.

    Ich habe gewagt, die Gedanken, welche sich mir über das Organische der Zeit und der drey großen Abmessungen derselben, die wir als Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unterscheiden, durch oft wiederholte Betrachtung gebildet haben, schriftlich aufzuzeichnen; doch nicht in strengwissenschaftlicher, nur in leicht mittheilender Form, damit sie die Unvollständigkeit ihrer Ausbildung selbst anzuerkennen scheinen, welche ihnen, obgleich lang’ umhergetragenen, nach allen Seiten zu geben der Drang der Zeiten nicht erlaubt hat.

    Wie vielgestaltig ist das Ansehen der Zeit! Im Begriff gegen das ewig Wahre gehalten, wie leer, daß es verzeilich scheint, sie für ein Spielwerk unserer Gedanken auszugeben, das aufhörte, sobald wir nicht mehr Stunden und Tage zählten! Jetzt ein unmerkliches geisterartiges Wesen, das mit so leisem Tritt wandelt, daß wir mit dem Morgenländer sagen möchten: Sie ruht ohne daß sie aufhört zu fliegen, und sie fliegt ohne daß sie aufhört zu ruhen; jetzt mit Schritten einhertretend, unter denen die Erde erbebt, Völker zusammenstürzen.

    Schon längst, wäre nicht auch für solche abgezogne Untersuchungen die Zeit vorübergeeilt, konnte es verdienstlich seyn, Form und Wirklichkeit, Schein und Wesen in der Zeit genau zu scheiden. Bey dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft verlangen wir mit Recht, alles gleich im Leben und That zu sehen und handeln die großen Gegenstände nicht mehr einzeln, oder getrennt nach Kapiteln, ab. Wir ahnden einen in der Zeit tief verborgen liegenden und bis ins Kleinste gehenden Organismus. Wir sind überzeugt (oder wer ist es nicht?) daß jedem großen Ereigniß, jeder folgenvollen That ihr Tag, ihre Stunde, ja ihr Augenblick bestimmt ist, und daß sie kein Nu früher an’s Tageslicht tritt, als die Kraft will, welche die Zeiten anhält und mäßigt. Wäre es nun auch freilich zu viel gewagt, die Abgründe Tiefen der Zeiten Zeit jetzt schon durchschauen zu wollen; so ist doch der Augenblick gekommen, das große System der Zeiten in seinem weitesten Umfange zu entwickeln.


  • in: Druck Schelling »Die Weltalter (1813). Erstes Buch. Die Vergangenheit« (1813). Text


    Erstes Buch
    Die Vergangenheit

    Vergangenheit – ein hoher Begriff, Allen gemein und nur Wenigen verstanden! Die Meisten wissen von keiner, als der, welche sich in jedem Augenblick durch eben diesen vergrößert, selbst noch wird, nicht ist. Ohne bestimmte entschiedene Gegenwart gibt es keine; wie viele erfreuen sich einer solchen? Der Mensch, der sich nicht scheiden kann von sich selbst, sich lossagen von allem was ihm geworden und ihm sich thätig entgegensetzen, hat keine Vergangenheit oder vielmehr kommt nie aus ihr heraus, lebt beständig in ihr. Wohlthätig und förderlich ist dem Menschen das Bewußtsein, etwas wie man sagt hinter sich gebracht, d.h. als Vergangenheit gesetzt zu haben; heiter wird ihm nur dadurch die Zukunft und leicht, nur unter dieser Bedingung, auch etwas vor sich zu bringen. Nur der Mensch, der die Kraft hat, sich über sich selbst zu erheben, ist fähig, eine wahre Vergangenheit sich zu erschaffen; ebendieser genießt auch allein einer wahren Gegenwart, wie er allein einer eigentlichen Zukunft entgegensieht; und schon aus diesen Betrachtungen würde hervorleuchten, daß der Gegensatz der Zeiten auf einer Steigerung beruht, nicht aber durch ein stetiges Verfließen der Zeit-Theile in einander hervorgebracht wird.

    Wäre die Welt, wie einige vermeynte Weise behauptet, eine rück- und vorwärts in’s Endlose auslaufende Kette von Ursachen und Wirkungen: so gäbe es im wahren Verstande so wenig eine Vergangenheit als eine Zukunft. Aber dieser Ungedanke sollte mit dem mechanischen System, dem allein er angehört, billig zugleich verschwunden seyn.

    Wäre jedoch auch in jedem Sinne bewährt die alte Rede, daß nichts Neues in der Welt geschehe; wäre auf die Frage, was ist’s, das geschehen ist? noch immer jene Antwort die richtige, Ebendas, was hernach geschehen wird, und auf die, was ist’s, das geschehen wird? Ebendas, was zuvor geschehen ist: so würde daraus nur folgen, daß die Welt in sich keine Vergangenheit und keine Zukunft habe; daß alles, was in ihr von Anfang geschehen ist und was bis zum Ende geschehen wird, nur zu Einer großen Zeit gehört; daß die eigentliche Vergangenheit, die Vergangenheit schlechthin, die vorweltliche ist; die eigentliche Zukunft, die Zukunft schlechthin, die nachweltliche – und so würde sich uns ein System der Zeiten entfalten, von welchem das der menschlichen nur ein Nachbild, eine Wiederholung in engerem Kreise wäre.

    Alles was uns umgibt, weist an eine unglaublich hohe Vergangenheit zurück. Die ältesten Bildungen der Erde tragen ein so fremdes Ansehen, daß wir uns von der Zeit ihres Entstehens und der damals wirkenden Kräfte kaum einen Begriff zu machen im Stande sind. Den größten Theil derselben finden wir in Trümmer, Zeugen einer wilden Verwüstung, zusammengestürzt. Ruhigere Zeiten folgten, aber auch sie durch Stürme unterbrochen und sammt ihren Schöpfungen unter denen einer neuen begraben. In einer undenklichen Reihe von Zeiten hat je die folgende die vorhergehende zugedeckt, so daß sie kaum etwas Ursprüngliches zeigt; eine Menge von Schichten, die Arbeit von Jahrtausenden, muß hinweggenommen werden, um endlich auf den Grund zu kommen.

    Wenn die vor uns liegende Welt durch so viele Mittelzeiten herabgekommen endlich diese geworden ist: wie vermöchten wir auch nur das Gegenwärtige zu erkennen, ohne Wissenschaft des Vergangenen? Schon die Eigenheiten einer ausgezeichneten menschlichen Individualität sind uns oft unbegreiflich, bevor wir die besondern Umstände erfahren, unter denen sie geworden ist und sich gebildet hat. Und der Natur sollte man so leicht auf ihre Gründe kommen? Ein hohes Werk des Alterthums steht als ein unfaßliches Ganzes vor uns, bis wir der Art seines Wachsthums und seiner allmäligen Ausbildung auf die Spur gekommen. Wie viel mehr muß dies bei einem so vielfach zusammengesetzten Individuum, als schon die Erde ist, der Fall seyn! Welche ganz andre Verwicklungen und Verschränkungen müssen hier stattfinden! Auch das Kleinste, bis zum Sandkorn herab, muß Bestimmungen an sich tragen, hinter die es unmöglich ist zu kommen, ohne den ganzen Lauf der schaffenden Natur bis zu ihm zurückgelegt zu haben. Alles ist nur Werk der Zeit und nur durch die Zeit erhält jedes Ding seine Eigenthümlichkeit und Bedeutung.

    Wenn aber einmal der wahre Grund und Anfang auch der Erkenntniß, Wissenschaft oder Herleitung aus der Vergangenheit ist, wo ist hier ein Stillstand? Denn auch bey’m letzten Sichtbaren angekommen, findet der Geist noch eine nicht durch sich selbst begründete Voraussetzung, die ihn an eine Zeit weist, da nichts war, als das Eine unerforschliche von sich seyende Wesen, aus dessen Tiefe sich alles hervorgebildet; und wenn nun dieses wieder recht im Geiste betrachtet wird, entdecken sich auch in ihm neue Abgründe und nicht ohne eine Art von Entsetzen erkennt er endlich, daß auch in dem Urwesen selbst etwas als Vergangenheit gesetzt werden mußte, ehe die gegenwärtige Zeit möglich wurde, daß eben dieses Vergangene es ist, was die gegenwärtige Schöpfung trägt und noch immer im Grunde verborgen ist.

    Ich habe gewagt, die Gedanken, welche sich mir über das Organische der Zeit und der drey großen Abmessungen derselben, die wir als Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unterscheiden, durch oft wiederholte Betrachtung gebildet haben, schriftlich aufzuzeichnen; doch nicht in strengwissenschaftlicher, nur in leicht mittheilender Form, damit sie die Unvollständigkeit ihrer Ausbildung selbst anzuerkennen scheinen, welche ihnen, obgleich lang’ umhergetragenen, nach allen Seiten zu geben der Drang der Zeiten nicht erlaubt hat.


  • in: Druck Schelling »Die Weltalter (SW). Erstes Buch. Die Vergangenheit« (1815). Text


    Erstes Buch.
    Die Vergangenheit.

    Fürsichtig hüllt wie der kommenden Zeit Ausgang der vergangenen Anfang Gott in dunkele Nacht. Nicht jedwedem ist gegeben, das Ende zu wissen, wenigen, die Uranfänge des Lebens zu sehen, noch wenigeren, das Ganze vom Ersten bis zum Letzten der Dinge zu durchdenken. Die nicht innerlicher Trieb, sondern Nachahmung zu solcher Forschung führt, denen verwirrt wie ein unausbleibliches Geschick die Sinne; denn Seelenstärke ist nöthig, den Zusammenhang der Bewegung von Anfang bis zu Ende festzuhalten. Aber sie möchten da, wo nur die That entscheidet, alles mit friedlichen allgemeinen Begriffen schlichten, und eine Geschichte, in der wie in der Wirklichkeit Scenen des Kriegs und des Friedens, Schmerz und Lust, Errettung und Gefahr wechseln, als eine bloße Folge von Gedanken vorstellen.

    Ein Licht in diesen Dunkelheiten ist, daß, gleichwie nach dem alten und fast abgenutzten Satz der Mensch die Welt im Kleinen ist, so die Vorgänge des menschlichen Lebens vom Tiefsten bis zu seiner höchsten Vollendung mit den Vorgängen des allgemeinen Lebens übereinstimmen müssen. Gewiß ist, daß, wer die Geschichte des eignen Lebens von Grund aus schreiben könnte, damit auch die Geschichte des Weltalls in einen kurzen Inbegriff gefaßt hätte. Der große Theil der Menschen wendet sich von den Verborgenheiten seines eignen Inneren ebenso ab wie von den Tiefen des großen Lebens und scheut den Blick in die Abgründe jener Vergangenheit, die in ihm nur zu sehr noch als Gegenwart sich verhält.

    Um so mehr, und weil mir bewußt ist, daß ich nicht von etwas Bekanntem oder Beliebtem, oder was mit dem Angenommenen übereinstimmig ist, rede, scheint mir nöthig, zuvörderst an die Natur alles Geschehens zu erinnern, wie alles im Dunkel anfängt, da niemand das Ziel sieht, und nie das einzelne Ereigniß für sich sondern nur die ganze vollständig abgelaufene Begebenheit verständlich ist. Sodann wie alle Geschichte nicht in der Wirklichkeit bloß, auch in der Erzählung nur erlebt, nicht aber mit einem allgemeinen Begriff gleichsam auf einmal mitgetheilt werden kann. Wer von ihr Kenntniß will, muß den großen Weg mitwandeln, bei jedem Moment verweilen, sich ergeben in die Allmählichkeit der Entwicklung. Nicht plötzlich, nicht mit Einem Schlag kann die Dunkelheit des Geistes überwunden werden. Die Welt ist nicht ein Räthsel, dessen Auflösung mit Einem Wort gegeben werden könnte, ihre Geschichte zu umständlich, um auf ein paar kurze abgebrochene Sätze, gleichsam, wie einige zu wünschen scheinen, auf ein Blatt Papier gebracht zu werden.

    Aber die Wahrheit zu sagen, gibt es in der wahren Wissenschaft so wenig als in der Geschichte eigentliche Sätze, d.h. Behauptungen, die an und für sich, oder abgesehen von der Bewegung, durch die sie erzeugt werden, einen Werth, oder die eine unbeschränkte und allgemeine Gültigkeit hätten. Die Bewegung ist aber das Wesentliche der Wissenschaft; diesem Lebenselement entnommen, sterben sie ab, wie Früchte vom lebendigen Baum getrennt. Unbedingte aber, d.i. ein für allemal gültige, Sätze streiten gegen die Natur wahrer Wissenschaft, als welche in Fortschreitung besteht. Denn es heiße der Gegenstand der Wissenschaft A, und der erste Satz, der behauptet wird, sey, daß A=x ist. Gilt dieser nun unbedingt, d.h. ist A immer und überall nur x, so ist die Untersuchung fertig; es ist nichts weiter hinzuzuthun. So gewiß sie fortschreitender Art ist, so gewiß ist A=x nur ein beschränkt gültiger Satz. Er gilt etwa für den Anfang, aber wie sie fortschreitet, findet sich, daß A nicht bloß x, daß es auch y, also x+y ist. Hier irren sich nun die, welche von der Art wahrer Wissenschaft keinen Begriff haben, indem sie den ersten Satz A=x für unbeschränkt nehmen, und da sie vielleicht anderswoher in Erfahrung gebracht oder sich vorgestellt, daß A=y sey, diesen zweiten unmittelbar dem ersten entgegenstellen, anstatt zu warten, bis die Unvollständigkeit des ersten von selbst den Fortgang zum zweiten fordere. Denn wollen sie alles in Einem begreifen, so müssen sie nichts als eine absolute Thesis zugeben, aber auf Wissenschaft Verzicht thun. Denn wo keine Folge, da ist keine Wissenschaft.

    Hieraus erhellt wohl, daß in der wahren Wissenschaft jeder Satz nur eine bestimmte und so zu sagen örtliche Bedeutung hat, und daß er der bestimmten Stelle entnommen und als ein unbedingter (dogmatischer) hingestellt, entweder Sinn und Bedeutung verliert oder in Widersprüche verwickelt. Inwiefern nun Methode die Art der Fortschreitung ist, so leuchtet ein, daß hier die Methode vom Wesen unzertrennlich ist, und außer dieser oder ohne diese auch die Sache verloren geht. Wer da glaubt, das Hinterste zum Vordersten machen zu dürfen und umgekehrt, oder den Satz, der nur an dieser Stelle gelten sollte, in einen allgemeinen oder unbeschränkten umprägen zu können, der mag damit wohl für die Unkundigen Verwirrung und Widersprüche genug erregen, aber die Sache selbst hat er eigentlich nicht berührt, viel weniger ihr geschadet.


  • in: Jahreskalender Schelling »Jahreskalender 1817-1« (1817). Text

    Einleitung der Weltalter

    Forts.

    leer

    leer

    Forts.

    Forts.

    leer

    Forts.

    Forts.

    Forts.

  • in: Jahreskalender Schelling »Jahreskalender 1818« (1818). Text

    Einleitung zu Buch I

    Forts.

    Forts.

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 79)« (?). Text

    Kaum liegt von allen menschlichen Begriffen zu dieser Zeit irgend einer in größerer Geringschätzung noch ebendarum größerem Dunkel, als der der Zeit; ja man möchte sagen: die gewaltigste Zeit fand die thörichsten Begriffe von der Zeit. Schon immer waren einzelne die sich nicht wenig damit wußten Zeit und Folge für etwas bloß in unsern Gedanken vorhandenes auszugeben. Woher dennoch die Allgewalt der Zeit kommt, die ein jeder im eignen Thun und Leben, gegen sein Denken und Wollen empfindet, unterließen sie zu erklären. Als aber die Begriffe sich immer mehr zusammenzogen und verdünstigten, und zuletzt die Triebe und Springfedern des ganzen großen Schauspiels im bloß menschlichen Erkenntnißvermögen gesucht werden sollten, ward es zum Lehrsatz, daß die Zeit nichts sey als eine bloße Form unsrer Vorstellungen eine nothwendige zwar aber der in den Gegenständen selbst nichts entspreche. Dabey ist es dann fast geblieben bis diesen Tag. Denn gleichwie eine oft und lang gehörte Melodie nicht so gleich und ganz wieder aus unsrem Gehör verschwindet: so sind von einer im Ganzen abgeschätzten Lehre noch lange in einzelnen Tönen die Nachwirkungen zu spüren, und so mag es sich erklären, wie auch Männer, die von jener beengten Ansicht längst sich frey gemacht, dennoch um so lauterer und trefflicher sowohl zu denken als zu philosophiren glauben, je mehr sie ihre Begriffe weit von aller Zeit und sorgfältig von jeder Beymischung derselben frey zu halten suchen.

    Wenn nun aber gefragt wird, wie es möglich gewesen, die Zeit so leicht und gleichsam als Nichts anzusehen: so wird dieß begreiflich, wenn wir bedenken, daß jene Herabsetzungen und Nichtigkeits-Erklärungen wirklich ein bloßes Scheinbild von Zeit trafen, da jeder lebendige Begriff, wie von andern Dingen, auch von der Zeit sich völlig verloren hatte. Die Zeit war wirklich nichts als eine Leere, sich durchaus gleiche und gegen ihren Inhalt gleichgültige Form, ohne wahren Anfang, eigentliches Mittel und rechtes Ende, ohne wahrhafte innere Unterschiede. Denn wenn diese erkannt wurden, so mußte man nicht von der Zeit schlechthin, sondern von Zeiten reden, oder wenn doch von Einer Zeit, so mußte diese als die alle Zeiten befassende Zeit, nicht als eine einfache, sondern als eine gesteigerte und mit Einem Wort: organische Einheit gedacht werden.

    Wüßte man nicht, wie langsam in allgemeinen Gegenständen das Besinnen ist: so müßte noch unbegreiflicher scheinen, wie, nachdem der Begriff organisch Organismus, auf jedes natürliche und sittliche Verhältniß, ja zuletzt auf das Weltganze selbst ausgedehnt worden, dennoch das Wesen der Zeit so unbeachtet und unerkannt bleiben konnte. Denn eben dem Organischen ist die Zeit dergestalt wesentlich und eingeboren, daß sie nur die eigentlich organische Lebensform zu seyn scheint; ja gehen wir auf die allgemeine Frage zurück: warum ist überhaupt eine Zeit? So möchte sich schwerlich eine andre Antwort finden, als, weil alles werkzeuglich zusammenhangen und organisch vollendet werden soll.

    Der Arzt, der getreuer Beobachter der Natur ist, erkennt die Gewalt und Bedeutung der Zeiten, nicht bloß der einzelnen Krankheit, sondern auch im Rhythmus des Kommens und Gehens ### die Krankheiten im einzelnen Menschenleben und in dem der Gattung beobachten. Der Naturforscher ahndet ein bestimmtes Gesetz in der gleichen Wiederkehr der Witterung und der allgemeinen Erscheinungen. Der Erdkundige schreibt der Erde eine Geschichte zu und unterscheidet mit Bestimmtheit die sich folgenden Zeiten durch die sie in ihre gegenwärtige Gestalt gelangt ist. Er erkennt, daß die spätere Zeit, z.B. die, welche zuerst organische Wesen hervorbrachte, nicht eine bloße Fortsetzung, sondern eine Überwindung der vorhergehenden ist; er sieht in der unorganischen Welt eine wahre und wirkliche Vergangenheit, und so in der ganzen Folge der Zeiten eine wahre Steigerung, ein fortgehendes Besiegen und als vergangen-Setzen eines erst gegenwärtigen Princips. Daß der eigentliche Geschichtsforscher einzelne, ganze, von den vorhergehenden und folgenden abgesetzte Zeiten erkennt, bedarf ohnedieß nicht der Erwähnung.

    Wenn nun der Natur- und Geschichtforscher nicht umhin kann, eine organische Folge der Zeiten zu erkennen, ja wenn endlich jeder, der Dinge und Begebenheiten mit religiösem Sinn anzusehen gewohnt ist, einen in der Zeit tief verborgenen und bis in’s Kleinste gehenden Organismus ahndet, der jedem Ereigniß, jeder folgenden That den Tag, die Stunde, ja den Augenblick bestimmt: wie kommt es, daß der Philosoph sich die Zeit so fern hält, ja von der ihm eigenthümlichen, durch ihn zu erforschenden Welt, sie so gänzlich ausschließt.

    Unter denen, die sich heutzutage Philosophen nennen, müssen wir zunächst zwey ganz gesonderte Arten unterscheiden. Die eine, welche meynt, daß alle Erkenntniß, auch philosophische, sich bloß auf die sogenannte Erfahrungswelt beziehen und höchstens auf die Bedingungen der Möglichkeit einer solchen, ja nicht einmal auf diese, sondern auf die bloßen Bedingungen der Möglichkeit, dieselben vorzustellen, sich erstrecken können; die andere welche glaubt, daß diese sogenannte Erfahrungs- oder was am Ende dasselbe ist Sinnenwelt in den Betrachtungen der Philosophen nur als ein sehr einzelner und untergeordneter Theil vorkomme.

    Den ersten also ist die Zeit auch eine solche bloße Bedingung oder Form, unter der diese Welt vorstellbar ist; und wie diese sich in den Gegenständen oder die Gegenstände sich zu ihr finden, bekennen sie nicht zu wissen; daher sie es dem Natur- und Geschichtsforscher überlassen, wie sich jeder in seinem Theil die rhythmischen und organischen Verhältnisse der Zeit erklären möge.

    Die anderen aber, welche sich von diesen gern auf’s Weiteste entfernen und darum ihre Geisteskraft vorzüglich dem Übersinnlichen zuwenden, befleißen sich um so mehr, das was jene als bloße Formen der Sinnenwelt und der Sinnlichkeit ansehen, von ihren Betrachtungen auszuschließen und glauben den ersten, wenn nicht, daß außer Sinnenwelt keine Erkenntniß, doch daß die Zeitform bloß dieser gegenwärtigen, in unsrer Erfahrung vorkommenden Welt angehöre. Sie lassen also ein System von Zeiten innerhalb dieser Welt etwa gelten, aber dieses System auch über die Gränzen der gegenwärtigen Welt auszudehnen, können sie weder sich selbst beygehen lassen noch an anderen gutheißen.

    Und doch bedarf es um die Einschränkung der Zeit überhaupt auf diese gegenwärtige Welt als nichtig zu finden, nur der einfachen Betrachtung, daß das wodurch die Welt – Welt ist, eine bloße Form ist und zwar eine Form, die durchaus für keine erste und ursprüngliche gehalten werden kann. Denn die Welt ist eine Welt, inwiefern zum bloßen Werkzeug herabgesetzt. Aber nichts ist gleich ursprünglich und zuerst Werkzeug, sondern wie nichts Abbild, alles so viel möglich Urbild, so will auch nichts bloß Werkzeug seyn, und wenn die Welt nicht Wesen, sondern Werkzeug ist, so ist sie dazu geworden, und in dieß werkzeugliche Verhältniß erst gesetzt worden.

    Eine Zeit kann wieder Zeiten unter sich begreifen wie z.b. Jahre

    Die Zeit in einer Periode ist nur insofern nicht gehemmt, als sie immer dies˖[elbe] Zeit wieder hervorbringt - aber insofern gehemmt, als sie nicht über diese Zeit hinauskann - bis sie gesprengt wird.

    Sobald eine Zeit gehemmt ist, daß sie nur immer s˖[ich] s˖[elbst] wiederholen kann, geht es aus dem qualit. in's arithmet˖[ische] über – diese bloß arithme˖[tische] Zeit ### welche d˖[er] Kantian˖[er] kennt. Man kann sagen, diese Zeit sey von der welche zwischen qualit˖[ativ] versch˖[iedenen] herrscht, verschieden.

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 82)« (?). Text

    Begriffe: Anfang, Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft

    »Prophet nach F. Schlegel«)

    Verweis auf p. 17.

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 87)« (?). Text

    Begriffe: Wissenschaften und Sein

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 91)« (?). Text

    Begriffe: Wissenschaften und Seyn, das Seyende zum Gegenstand

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 93)« (?). Text

    Bogenzählung Aleph

    Begriffe: Anfang, Zeit. Ewigkeit, Epoche

    Begriffe: seyn Müssen/Sollen

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 95)« (?). Text

    Einleitung. (ohne besondern Titel)

    1. Der natürliche Eindruck der W˖[elt] – in Entwicklung – Mittleres – Einheit voraussetzend.

    2. Was für Einheit? Reelle, lebendige.

    3. Gegensatz – also negat˖[iv] und pos˖[itiv] durch die versch˖[iedenen] Ausdrücke sind gewöhnlich anziehend und ausbreitend – leiblich und geistig – real und ideal – Finstern˖[iß] und Licht. Gut und bös. – Einheit und Gegensatz.

    4. Gleiche Real˖[ität] beyder; jede absol˖[ut], keine aus der anderen – Wenn überhaupt wird, so die eine hintanges˖[etzt] (Von Cartesius an bes˖[onders] aber Ideal˖[ismus] und Real[ismus].

    5. Doch zu Einem Wesen gehörig A, B, X. Allgemeiner Beweis innere qual˖[itative] Einheit als Result˖[at] aus dieser; gegen den Dual˖[ismus] – Einwurf dagegen. Satz des Widerspruchs – aus diesem zu kommen

    6. auf ihren Gegens˖[atz] als Chaos und Niederes – sie können nicht zumal wirken wie der Mensch nicht gut und bös und doch immer beydes. Der Natur nach Eines das H[ö]hre, Eins das Niedere (hier die höchste Erklärung von Liebe und Egoism˖[us])

    7. Da aber doch gleiche Real˖[ität], so als Potenzen d.h. jedes wirkend; und da nicht zumal, so nach einander, und zwar im umgekehrten Verh˖[ältniß] ihrer Dignitätsfolge; so nämlich daß jedem das Ganze untergeordnet; und jede Potenz sich wieder verh˖[ält] wie Eines der Princ[ipien].

    9. Bisher Gang bloß in Gedanken aber die wirkliche Einheit beyder – diese selber durch B bestimmt. Da nur erst mit nicht wirklicher Einheit beyder die Constr˖[uction] anfangen kann, so diese der Anfangsp˖[unct] aller Geschichte und aller leb˖[endigen] Entwicklung, inwiefern diese Entw˖[icklung] eines wirklichen Wesens seyn soll und wir uns nicht etwa begn˖[ügen] wollen, in der Wiss˖[enschaft] bloß unsre Gedanken zu entwickeln.

    10. Es hat von jeher viele gelüstet die Vergang˖[enheit] das Vorweltliche zu begr˖[eifen] und so im eig˖[entlichen] Verstand hinter den großen Proz˖[eß] zu kommen, von dem sie theils die zuseh˖[enden], theils mithandelnde und leidende Glieder sind. Aber allen oder doch den bey weitem meisten fehlte die Demuth und die Selbstverl˖[eugnung] auf die erste Pot˖[enz] zurückzug[ehen]. Gleich mit den höchsten und geistigsten Begr˖[iffen] – Namentlich Gott und wann und wie dieser sich zur Welt entschließe oder dazu getr˖[ieben] worden. Wenn es allen freylich wahr ist, daß Gott das Wesen in allen Dingen, so doch als dieses Wesen noch nicht, was er als Gott ist. Den Ged˖[anken] ### sie nicht fassen, daß es auch in Ans˖[ehung] Gottes eine Verg˖[angenheit] gibt, der auf einmal soviel erkl˖[ärt], das Dunkelste aufschließt. Wir k[ö]nnen also dieß Wesen auch nicht so nennen und es ist in dieser Beziehung nicht wahr, daß alle Philos˖[ophie] von Gott anfangen müsse.

    Wenn irgendetwas ist, was dieser Darstellung den Eingang versagt, so dieses voreilige Wesen – lieber mit schönen Redensarten blenden. ### macht viel vom geistigen gesprochen. Während wir von etwas ganz Untergeordn˖[etem] reden, werden sie in die Ferne greifen, suchen und nicht finden.

    Dieß ohngef˖[ähr] was zu wissen nöthig und nachdem ich diese Einleit˖[ung] gemacht, so wird es verstattet seyn, soviel möglich frey erzählend zu Werke zu gehen und die bereits erklärten oder auch bewiesnen Princ˖[ipien] auch als ber˖[eits] erkl˖[ärt] und bew˖[iesen] vorauszusetzen.

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 96)« (?). Text

    Begriffe: Bewegung, Zeit, Anfang

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 112)« (?). Text

    IIInicht daß nicht der Ausführung auch des Einzelnen alle Sorgfalt gewidmet worden, aber nur der Fleiß aufeinanderfolgender Zeiten und Menschen vermag auch jeden Theil mit dem Leben auszustatten, dessen er fähig ist. Wenn einst der Wissenschaft, die es vorzugsweise ja im höchsten Sinn allein ist, ebendas widerfährt, was den untergeordneten längst zu theil geworden, daß die Bearbeiter über den allgemeinen Umriß einig und verstanden sind, dann erst wird es möglich seyn abzutheilen und der Ausbildung des Einzelnen ungestörten Fleiß zu widmen. Wir beabsichten nichts als die Folge, das allgemeine System der Zeiten zu geben, das Gesetz der Bewegung gleichsam die ewigen Zahlen jener großen Fortschreitung, in die alles eingeschlossen ist.

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 81)« (1813 - 1815). Text

    C)Fürsichtig hüllt, wie der kommenden Zeit Ausgang, der vergangenen Anfang Gott in dunkel Nacht. Nicht jedem ist gegeben, das Ende zu wissen, wenigen die Anfänge des Lebens zu sehen, noch wenigeren das Ganze vom Ersten bis zum Letzten zu durchdenken: denn ### Seelenstärke ist nöthig, den Zusammenhang der Bewegung vom Anfang bis zum Ende festzuhalten. Die Meisten aber möchten, wo nur die That entscheidet, alles mit friedlichen Allgemeinbegriffen schlichten, und eine Geschichte, in der wie in der Wirklichkeit Scenen des Kriegs und des Friedens, Schmerz und Lust Gefahr und Errettung wechseln als eine bloße Folge von Gedanken vorstellen.

    Ein Licht in diesen Finsternißen ist die Gewißheit, daß die tiefsten und innersten Vorgänge des menschlichen Lebens dieselben sind mit denen des allgemeinen Lebens. Der Proceß, den wir zu beschreiben unternehmen, ist auch der Proceß des Menschen. Denn die Verborgenheiten der Welt sind dieselben mit denen des Menschen. Nur wer des kräftigen Zurückwendens auf sich selbst fähig ist und seine Anschauung in die tiefste Innerlichkeit zu führen vermag, kann hier etwas sehen, denn in den Anfängen ist nichts äußerlich anzuschauen. Alles was wir erblicken, hat sich aus unergründlicher Tiefe erst allmälig in diese Äußerlichkeit gebildet. Aber der große Theil wendet sich von den Abgründen und Vergangenheiten des eigenen Innern mit gleicher Scheu ab, wie von den Tiefen und Verborgenheiten des allgemeinen Lebens.

    An unglaublich hohe Vergangenheit weist schon das Nächste zurück. Die Erde, ihrem jetzigen Bestand und Aussehen nach, ist das Werk der Zeiten, da in einer undenklichen Folge je die spätere die frühere zudeckte; nirgends zeigt sich etwas Ursprüngliches, eins ist immer auf das andre gesetzt, eins dem andern zu Grunde gelegt nicht ohne in dieser Unterwerfung verwandelt zu werden. Ist die Erde durch so viel Zeiten gegangen, wie vermöchten wir das kleinste vom Gegenwärtigen zu erkennen ohne Herleitung aus der Vergangenheit. Die Eigenheiten mancher ausgezeichneten Persönlichkeit scheinen uns unbegreiflich, ehe wir die besondren Umstände erfahren unter denen sie geworden ist und sich gebildet hat. Und der Natur sollte man so leicht auf ihre Gründe kommen? Ein hohes Werk des Alterthums steht als ein unfaßliches Ganze vor uns, bis wir der Art seines Wachsthums und seiner allmäligen Entstehung auf die Spur gekommen sind. Welche ganz andre Verwickelungen müssen in einem so vielfach zusammengesetzten Ganzen als schon die Erde ist sich zu finden! Alles bis zum Sandkorn herab muß Bestimmungen an sich tragen, hinter die es unmöglich ist zu kommen, ohne gewissermaßen den Lauf der schaffenden Natur bis zu ihm zurückgelegt zu haben. In einem Ganzen, darinn Alles und Jedes den Abdruck rhythmisch folgender Zeiten zeigt, kann nichts einzeln, nichts für sich genommen werden. Alles ist nur Werk der Zeit und nur die Zeit, zu der jedes gehört, ertheilt ihm seine Eigenthümlichkeit und Bedeutung.

    Aber was von der Erde, gilt in viel höherem Maß vom Weltall, nämlich daß es ein Werk der Zeiten ist, da je eine der andern zu Grund gelegt worden, je die aufgehende Spätere über der untergehenden Früheren sich erhob, bis durch fortschreitende Steigerung dieses wunderbare und bloß im gegenwärtigen Seyn betrachtet unbegreifliche Ganze erwuchs. Also ist auch ein bloß allgemeines Begreifen (das wenigste, was doch der Mensch an sich selbst fordert) unmöglich ohne eine vollständige Genealogie des jetzigen Zustandes der Dinge und diese wiederum nicht ohne in Gedanken das ganze Gebäude der Zeiten abzutragen, um so auf den letzten Grund zu kommen.

    Aber so wenig ahndet gemeiner Verstand die Tiefen der der Welt zu Grunde liegenden Vergangenheit, daß er den gegenwärtigen Zustand und seine Verhältnisse als ewige und unbedingte ansieht, und was er von ihnen entnommen unter dem Namen von Thatsachen des Bewußtseyns, Aussprüchen des gemeinen Menschenverstandes für ewige allgemeingültige Wahrheiten ausgibt und die Anfänge (Principien) wenn sie irgendwo zum Vorschein kommen mit Meynungen bestreitet, die er doch nur von der Gegenwart abgezogen. Wie ihm denn alle Wahrheit eine (wie das Gegenwärtige) stillstehende ist, so kann er auch die Sätze wahrer Wissenschaft, obschon sie vorzugsweise und zuerst an Vergangenheit sich wendet und schon der Wortbedeutung nach Historie (ἱστορία) ist, nur als ebenfalls stillstehende, unbedingte, allgemein und an jeder Stelle gültige ansehen, woraus ihm nothwendig die gräßlichste Verwirrung entsteht. Denn jeder ungeschichtlich d.h. für einen bestimmten Moment oder Punct der Fortschreitung geltende Satz, wird nothwendig so wie er in einen allgemeinen und stillstehenden (dogmatischen) verwandelt wird falsch und widerleglich; ja nothwendig ist, daß die Fortschreitung selbst das gerade Gegentheil von ihm herbeyführe und wenn z.B. im Anfang behauptet worden, X sey =Y, in der Folge sich zeige, daß X auch nicht =Y sondern etwa =Z sey. Werden nun diese Sätze, welche die Zeit und Bewegung auseinander hält, bewegungslos (im Simultaneitäts-Verhältniß) genommen, so ist jedem Unwissenden leicht das lebendigste Ganze, und gerade desto mehr je lebendiger es ist, dem nicht Verstehenden als des Widerspruchs vollste darzustellen; indeß dem Verstehenden nichts bewiesen ist als daß ihm von wissenschaftlicher Methode aller Begriff mangelt.

    Ich habe gewagt, die Gedanken die sich mir über die große Folge der Zeiten von Anbeginn durch oft wiederholte Betrachtung gebildet schriftlich aufzuzeichnen, doch nicht in äußerlich strenger mehr in leicht mittheilender Form, denn ein andres ist das innre Gedankenwerk ein andres die äußere Darstellung, und auch damit sie die Unvollständigkeit der Ausbildung selbst bekennen. Denn es war hier nicht um die vollendete Ausführung jedes Theils es war um den noch fehlenden, allgemeinen Umriß der ganzen Wissenschaft zu thun. Obwohl nun dieß Ganze Jahre lang mich beschäftigt und jedem Theil eine sorgfältige Ausführung gewidmet worden: so wird sich doch von selbst zeigen, daß jeder für sich ein ganzes Leben erfodern könnte, um mit vollster Lebendigkeit ausgestattet zu werden. Wenn einst die höchste Wissenschaft das Glück anderer genießt, daß ihre Pfleger über den allgemeinen Umriß einig und verstanden sind, dann erst wird es erlaubt seyn, abzutheilen und der Ausbildung des Einzelnen im Geist des Ganzen vollen Fleiß zu widmen. Ich beabsichte nichts anders, als die allgemeine Folge, das System der Zeiten zu geben, das Gesetz der Bewegung, gleichsam die ewigen Zahlen jener großen Fortschreitung, in die alles eingeschlossen ist; was ich drüber thue, muß mir zu gut gerechnet werden.

    Wenn nun jene ungeh˖[euere] Vergang˖[enheit] uns zurückschreckt, so bedenken, das was von Ew˖[igkeit] Anfang war es auch jetzt noch ist – der Mensch wieder wie im Anfang ist.

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 88)« (1817). Text

    Begriffe: Realismus, Idealismus, Wissenschaft

    Inhalt: »Es wäre ein Wissen, das selbst nicht gewußt werden könnte«

    Begriffe: Wissen, Wissenschaft, Philosophie, Nichts, Seyendes

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 86)« (1817 - 1819). Text

    III)zu begreifen, müßte das Gebäude der Zeiten bis auf den Grund abgetragen und Stufe für Stufe wieder aufgeführt werden.

    Dagegen sehen wir die Meisten so sorglos über die Beweglichkeit aller Verhältnisse, daß sie die Sätze, welche sie vom gegenwärtigen Zustand der Dinge abgezogen, kecklich als allgemeingültige, ja als ewige Wahrheiten aussprechen, die es Frevel sey anzutasten. Wie z.B. wenn sie sagen: das Natürliche ist außer dem Übernatürlichen, welches für den wissenschaftlichen Forscher nicht mehr bedeutet, als für den Geologen der Satz: das Feste ist außer dem Flüssigen. Nicht daß wir ewige Wahrheiten schlechthin läugnen wollten und bloß zeitliche behaupten. Aber hätten sie von der Weisheit der letzten Zeit wenigstens dieses gelernt, daß diese Wahrheiten nicht als festsetzende (constitutive) sondern nur als leitende (regulative) Principien gelten können. Sie sind dem Wissenschaft Suchenden, was die unbeweglichen Sterne dem Seefahrer, aber damit sie ihm dieß sey’n muß er sich wenigstens bewegen. Aber überhaupt ist dieser Weg, zur Wahrheit zu gelangen ihnen zu langsam; kürzer halten sie eine Vernunft, die Gefühl und ein Gefühl, das Vernunft ist und den höchsten Preis derselben umsonst, dem Ruhenden, vergönnt und ähnliche Erfindungen, die gemacht werden, nur um einmal von der Stelle zu kommen.

    Was aber auch thätigere und regsamere Geister hindert zur letzten Freyheit und Unabhängigkeit vom Begriff, oder weil dieß den Meisten verständlicher scheint zur Objectivität der Wissenschaft durchzudringen, ist die Scheu vor der Zeit, die von wirklicher Bewegung und Folgen d.h. solcher die nicht in bloßen Begriffen stattfindet einmal nicht auszuschließen ist. Denn gesteht man auch, daß eine unnatürliche Metaphysik die Zeit wie ein böses Gewissen zu fliehen hat, und ein System aus bloßen Begriffen füglich sie entbehren kann: so wird sich doch nie wirkliche Wissenschaft und nie eine verständliche Entwickelung derselben denken lassen, die der Zeit ihr Recht ertheilt; ja es liegt der Grund des allgemeinen Mißverständnisses und der in allen Begriffen fühlbaren, zu neuer Dumpfheit führenden, Stockung eben in nichts anderem, als den schwankenden, zweifelhaften oder ganz irrigen Begriffen von der Zeit. Auch die Wissenschaft kann die freye Bewegung nicht wiederfinden, ehe die Pulse der Zeit wieder lebendig schlagen.

    Eine einzelne und vom Zusammenhang des Ganzen abgerissene Untersuchung über das Wesen der Zeit könnte zu nichts führen. Sie ist zu tief verflochten in dieses Ganze, um sich anders als mit und in ihm zugleich zu erzeugen. Bey dem Stand, den die Wissenschaft errungen, vermögen wir überhaupt nicht mehr die großen Gegenstände getrennt, capitelweis abzuhandeln. Wir verlangen alles in Leben und That zu sehen. Wir ahnden eine in der Zeit tief verborgen liegende und bis in’s Kleinste gehende werkzeugliche Verknüpfung. Wir sind überzeugt, (oder wer ist es nicht?) daß jedem Ereigniß, jeder That ihr Tag, ihre Stunde ja ihr Augenblick bestimmt ist und daß sie kein Nu früher an’s Tageslicht tritt als das Unsichtbare will, welches die Zeiten anhält und mäßigt. Ist es nun freylich nicht die Sache dieser Zeit, diese innre Systematik im Einzelnen zu durchschauen: so ist uns doch gegeben, das allgemeine System der Zeiten, gleichsam die Urzahlen zu erkennen, die sich in der weitesten

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