Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Thema Einleitung der Weltalter: Wissenschaft und Methode

Erwähnungen in Dokumenten

  • in: Druck Schelling »Die Weltalter: Entwürfe und Fragmente zum Ersten Buch« (?). Text















    AIch bin das, was da war, was da ist und1. Ich beginne.
    2. alles an Verg.
    3. Die wahre Vergang˖[enheit] der Urzust˖[and] der Welt ### ### vorhand. unentfaltet eine Zeit ### ###.
    4. Philos.-Wiss. Verg.
    5. Was gewußt wird, wird erzählt.
    6. Warum unmöglich
    7. da ich mir nur vorges˖[etzt] in dem ersten Buch d. ### ### dieser Verg˖[angenheit] zu behandeln, so wird es nicht ohne Dial[ektik].
    8. Der Vergang˖[enheit] folgt die Gegenwart. Was alles zu ihr gehört. — Natur Gesch˖[ichte] Geisterwelt, Erkentn˖[iß]-Darstellung – Nothw. wenn wir die ganze Gesch˖[ichte] der Gegenwart schreib˖[en] wollten, so d. unw. unter aber nur d. Wesentl. denn ### ### nur d. Syst. der Zeiten
    kein Ganzes der Nat˖[ur] n.
    9. Die Zukunft
    so d. Besch. d. Welt nur ### ### Das hier bg. Werk wird in 3 Bücher abgeth[eilt] seyn, nach Verg˖[angenheit] Gegenw˖[art] und Zuk˖[unft] welche hier ### ### in dem hier beg. Werk nicht als bloße Abm˖[essungen] der Z˖[eit] sondern als wirkl˖[iche] Zeiten ver.
    wäre d. – Welt – allein.
    Ein Altes Buch –
    Wenn es die Abs˖[icht] ist dieß Syst˖[em] der Zeit˖[en] zu entw˖[ickeln] s. steht d. ### ### doch Verg˖[angenheit] und Gegenw˖[art] nicht gleichs. ### ###. D. Verg. gewußt.
    Woher nun Wiss˖[enschaft] d. Verg. in jenem hohen, Sinn philos˖[ophisch] verstanden? Wenn aber warum nicht erzählt?
    was da seyn wird, meinen Schleyer hat kein Sterblicher aufgehoben
    ‹, so redete, nach einiger Erzählung, unter dem Schleyer des Isisbildes das geahndete Urwesen einst im Tempel zu Sais den Wandrer an. Unsre Wissenschaft hat ist zu dieser Zeit zuerst nicht nur das Wesen, auch die Einheit des Wesens erkannt wiedergegeben worden, nachdem sie lange Zeit sich selber als eine bloße Entwicklung eigener Ged˖[anken] menschlicher Begriffe und Gedanken gegolten. Aber es ist des Menschen angesehen. Aber es ist nicht genug, das Urwesen als das Eine zu erkennen, wenn es muß nicht zugleich nach jenen drey Abtheilungen erkannt wird werden. Denn es ist Eins, als das Eine und als das Viele oder als das, was war, was ist und was seyn wird.

    Ich habe hiedurch dem Leser aufs kürzeste einen Begriff des gegenwärtigen eben hier beginnenden Werkes gegeben, das sonach demgemäß in drey Bücher abgetheilt seyn wird, das erste wird nach den drey Zeiten Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Ich nehme also diese Begriffe hier nicht, wie insgemein, als bloße Abmessungen der Zeit, sondern als drey wirkliche von einander verschiedene Zeiten, die ich mir auch Weltalter zu nennen erlaube. Ein altes Buch antwortet auf die Frage, was ists, das gewesen ist? Eben das was hernach seyn wird und auf die, was ists das hernach seyn wird? Ebendas, was auch zuvor gewesen ist; und da es nicht vom Wesen redet, so scheint es also alle Differenz der Vergangenheit und der Zukunft d.i. also sie diese selbst im wahren Sinne zu läugnen. Aber es setzt erklärend hinzu, nichts Neues geschehe unter der Sonne, wodurch angedeutet wird, es sey nur von der durch die Sonne bestimmten d.i. weltlichen Zeit die Rede. Ebendas ists, was ich ebenfalls sagen will auszudrücken wünsche die Ged˖[anken] welche der gegenw˖[ärtigen] Schr˖[ift] zu Grunde gelegt werden. Die Zeit dieser Welt ist nur Eine große Zeit, die in sich keine wahre Vergangenheit noch eigentliche Zukunft hat; die aber ebendarum diese zum Ganzen der Zeit gehörigen Zeiten außer sich voraussetzt. Die wahre vergangene Zeit ist die vor der Zeit der Welt gewesene, die wahre zukünftige ist die nach der Zeit der Welt seyn wird, und so entwickelt sich ein System der Zeiten, von welchem die gegenwärtige, mit allem was in ihr vergangen, gegenwärtig oder zukünftig ist seyn mag, nur ein einziges großes Glied ausmacht.

    Aber noch ruht das Bild unter dem Schleyer; noch ist er nicht hinweggenommen und kann nicht wird auch nicht noch hinweggehoben werden; denn noch ist die Erfüllung der Zeiten ist noch nicht gekommen. Noch waltet allein die Gegenwart, und die selige Zukunft, da die Vielheit zur in die Einheit wird wiederkehrt, die Zeiten mit der Ewigkeit und das Band der Zeiten mit der Ewigkeit offenbar wird, steht noch in weiter Ferne. Ganz verschieden ist also unser Verhältnis zu Einsicht von diesen verschiedenen Zeiten. Und doch haben wir unternommen das Ganze darzustellen? Sicher wird es nicht auf einerley Weise geschehen können; eine verschiedene Behandlung wird je nach der Verschiedenheit der Inhalte der drey Theile nothwendig seyn; denn Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges stehen zu unserer der menschlichen Einsicht nicht im gleichen Verhältniß. Das Vergangene wird gewußt, das Gegenwärtige wird erkannt, das Zukünftige wird geahndet. Das Gewußte wird erzählt, das Erkannte wird dargestellt, das Geahndete wird geweissagt.

    Also Wissenschaft wäre der Inhalt unseres ersten Theiles; erzählend müßte er der Form nach seyn, weil er die Vergangenheit zum Gegenstande hat. Das erste, nämlich eine Wissenschaft vorweltlicher Zeit, spricht zwar jeden an, der philosophirt, d.h. der die Herkunft und die ersten Ursachen der Dinge zu erkennen strebt; aber warum wird unser Gewußtes nicht mit der Geradheit und Einfalt wie jedes andere Gewußte erzählt; was hält sie zurück die goldene Zeit, da die Wissenschaft Geschichte und die Fabel wieder zur Wahrheit wird?

    Es schlummert im Menschen noch ein Bewußtseyn der vergangenen Zeit; er hat etwas in sich, das noch aus dem Anfang der Zeiten herstammt.

    Es ist unläugbar daß der Mensch nur dasjenige zu erkennen fähig ist, womit er in lebendigem Bezug steht hat oder worin doch

    Es ist im Menschen ein Princip das noch aus jener UrVorzeit herstammt, und insofern über die Schöpfung, den Zustand der jetzigen Welt hinausreicht. Wie die Vergangenheit überhaupt nur die Grundlage der Gegenwart ist, von der sie verdrungen oder doch zugedeckt wird, ebenso ist im Menschen jener älteste Antheil seines Wesens zurückgedrängt, dem es als bloßer Stoff oder als bloße Unterlage dient untergeordnet ist. Doch es ist auch das Bewußtseyn der Vergangenheit, das in ihm diesem Antheil schlummert, ins Dunkel zurückgesetzt, und kann nur tritt nur hervor, wenn entweder dieses Princip sich

    Es sey uns erlaubt, dieses Princip der Vorzeit im Menschen sein Gemüth zu nennen. Beherrscht vom Geiste, dem jüngeren aber mächtigeren Princip, tritt nicht nur es selbst, sondern in ihm auch das Bewußtsein der Vergangenheit ins Dunkel zurück; doch so daß es erwachen und lebendig werden kann, entweder wenn

    Es ist im Menschen ein Princip das noch aus der Vorzeit herstammt und durch welches er noch jetzt im Rapport mit ihr steht. Das Gemüth ist dieser Antheil seines Wesens, in welchem das Band einer die unergründliche Vergangenheit wohnt; und durch dessen Anregung ihm oft die entferntesten Zeiten wunderbar lebendig werden. Wie oft geschieht es, daß uns ein wir einen gegenwärtigern Augenblick plötzlich vorkommt als wie einen schon dagewesenen erlebten nahe wiederzuerkennen meynen! Aber gleich wie die Vergangenheit überhaupt von der Gegenwart verdrängt wird, der sie zur Grundlage dient, so ist auch jenes Princip der Erinnerung in uns durch das jüngere aber mächt das Gemüth, dieser noch lebendige Zeuge der Vergangenheit, von dem jüngeren aber mächtigeren Princip dem Geiste bewältigt, und mit ihm tritt auch das Bewußtseyn der Vergan Vorzeit ins Dunkle ver gleichsam ins Dunkel zurückgedrängt. Doch treu bewahrt es auch zurückgetreten den Schatz den es verschließt, und eröffnet ihn auch wohl, entweder wenn es Meister über den Geist wird, oder wenn dieser selber an das die Abgründe der Vergang oder wenn dieser selbst es zur Scheidung und Offenbarung und Entwi des in ihm Verborgenen auffordert. Denn der Geist als ein Princip der späteren Zeit und Ewig jung, wie nach den ägyptischen Priestern die Hellenen, hat für sich keine Kenntniß der gewesenen Dinge. Im Gemüth dagegen ruht die älteste Erinnerung aller der Dinge, und ihrer ursprünglichen Verhältnisse; aber dieses innre Bild der Dinge schläft in ihr als ein verdunkeltes und vergessenes, wenn gleich nicht völlig ausgelöschtes Bild; auch ist es unfähig, für sich das Wort zu finden und was in ihm ist auszusprechen. Darum ruft es unaufhörlich das Höhere an, um vor ihm geschieden und dadurch zur Wiedererinnerung gebracht zu werden; der Geist aber verlangt gleich sehr sich nach dieser Erhebung des Entfaltung des Gemüths, um durch dasselbe wissend zu werden.

    Hiedurch entsteht also ein geheimer Verkehr im Innern des Menschen, worinn gleichsam zwey Wesen sind, ein dunkles nach Klarheit ringendes und ein bewußtes in dem die Antwort liegt auf jede Frage der Wissenschaft, und ein bewußtes, das von dem jenes durch Frage das durch die Antwort aus ihm hervorlockt und durch dadurch sowohl jenes zum Bewußtseyn erhebt als sich selbst zur Wissenschaft verhilft.

    Diese Verdoppelung unser selbst, dieser geheime Verkehr, diese innere Unterredungskunst, das eigentliche Geheimniß des Philosophen ist es, von welcher die äußere, die davon Dialektik heißt, nur das Nachbild und wo sie zur bloßen Form geworden der leere Schein und Schatten ist.

    Also erzählt wird seiner Natur nach alles Gewußte, aber das Gewußte der höchsten Wissenschaft ist kein von anbeginn fertig daliegendes und Vorhandenes sondern ein aus dem Innern immer erst Entstehendes. Durch innre Scheidung und Befreyung muß das Licht der Wissenschaft erst aus der Finsterniß aufgehen. Was wir Wissenschaft nennen, ist nur erst ein Streben nach dem Wiederbewußtwerden also mehr noch ein Trachten nach ihr, als sie selbst; aus welchem Grund ihr unstreitig von jenem hohen Manne

    Ende des Bogens A. Bogen B war nicht erhalten! (vgl. SW. S. 201f.). Auf folgendem Bogen C neue Fassung des Anfangs und (abbrechender) Schlußabsatz:















  • in: Druck Schelling »Die Weltalter (1811). Erstes Buch. Die Vergangenheit« (1811). Text

    Einleitung

    Das Vergangene wird gewußt, das Gegenwärtige wird erkannt, das Zukünftige wird geahndet.

    Das Gewußte wird erzählt, das Erkannte wird dargestellt, das Geahndete wird geweissagt.

    Die bisher geltende Vorstellung von der Wissenschaft war, daß sie eine bloße Folge und Entwickelung eigener Begriffe und Gedanken sey. Die wahre Vorstellung ist, daß es die Entwickelung eines lebendigen, wirklichen Wesens ist, die in ihr sich darstellt.

    Es ist ein Vorzug unserer Zeiten, daß der Wissenschaft das Wesen wiedergegeben worden, und zwar, wie wohl behauptet werden darf, auf eine nicht wieder verlierbare Weise. Es ist nicht zu hart, wenn geurtheilt wird, daß nach dem einmal geweckten dynamischen Geist jedes Philosophiren, das nicht aus ihm seine Kraft nimmt, nur noch als ein leerer Mißbrauch der edeln Gabe zu sprechen und zu denken angesehen werden kann.

    Das Lebendige der höchsten Wissenschaft kann nur das Urlebendige seyn, das Wesen, dem kein anderes vorausgeht, also das älteste der Wesen.

    Dieses Urlebendige, da nichts vor oder außer ihm ist, von dem es bestimmt werden möchte, kann sich, in wiefern es sich entwickelt, nur frey, aus eigenem Trieb und Wollen, rein aus sich selber, aber eben darum nicht gesetzlos, sondern nur gesetzmäßig entwickeln. Es ist keine Willkühr in ihm; es ist eine Natur im vollkommensten Verstande des Worts, wie der Mensch der Freyheit unbeschadet, und eben dieser wegen eine Natur ist.

    Nachdem die Wissenschaft der Materie nach zur Objektivität gelangt ist, so scheint es eine natürliche Folge, daß sie dieselbe der Form nach suche.

    Warum war oder ist dieß bis jetzt unmöglich? Warum kann das Gewußte auch der höchsten Wissenschaft nicht mit der Geradheit und Einfalt wie jedes andere Gewußte erzählt werden? Was hält sie zurück die geahndete goldne Zeit, wo die Wahrheit wieder zur Fabel und die Fabel zur Wahrheit wird?

    Dem Menschen muß ein Princip zugestanden werden, das außer und über der Welt ist; denn wie könnte er allein von allen Geschöpfen den langen Weg der Entwicklungen, von der Gegenwart an bis in die tiefste Nacht der Vergangenheit zurück verfolgen, er allein bis zum Anfang der Zeiten aufsteigen, wenn in ihm nicht ein Princip vor dem Anfang der Zeiten wäre? Aus der Quelle der Dinge geschöpft und ihr gleich hat die menschliche Seele eine Mitwissenschaft der Schöpfung. In ihr liegt die höchste Klarheit aller Dinge und nicht sowohl wissend ist sie als selber die Wissenschaft.

    Aber nicht frey ist im Menschen das überweltliche Princip noch in seiner uranfänglichen Lauterkeit, sondern an ein anderes geringeres Princip gebunden. Dieses andere ist selbst ein gewordenes und darum von Natur unwissend und dunkel; und verdunkelt nothwendig auch das höhere, mit dem es verbunden ist. Es ruht in diesem die Erinnerung aller Dinge, ihrer ursprünglichen Verhältnisse, ihres Werdens, ihrer Bedeutung. Aber dieses Ur-bild der Dinge schläft in der Seele als ein verdunkeltes und vergessenes, wenn gleich nicht völlig ausgelöschtes Bild. Vielleicht würde es nie wieder erwachen, wenn nicht in jenem dunkeln selber die Ahndung und die Sehnsucht der Erkenntniß läge. Aber unaufhörlich von diesem angerufen um seine Veredlung bemerkt das Höhere, daß das Niedere ihm nicht beygegeben ist, um von demselben gefesselt zu bleiben, sondern damit es selbst ein Anderes habe, in welchem es sich beschauen, darstellen und sich verständlich werden könne. Denn in ihm liegt alles ohne Unterscheidung, zumal, als Eins; in dem andern aber kann es, was in ihm Eins ist, unterscheidbar machen, aussprechen, auseinanderlegen. Darum verlangen beyde gleich sehr nach der Scheidung, jenes, damit es in seine ursprüngliche Freyheit heimkehre und sich offenbar werde, dieses damit es von ihm empfangen könne und ebenfalls obgleich auf ganz andere Art wissend werde.

    Diese Scheidung, diese Verdoppelung unsrer selbst, dieser geheime Verkehr, in welchem zwey Wesen sind, ein fragendes und ein antwortendes, ein wissendes oder vielmehr das die Wissenschaft selber ist, und ein unwissendes nach Klarheit ringendes, diese innere Unterredungskunst, das eigentliche Geheimniß des Philosophen ist es, von welcher die äußere, die davon Dialektik heißt, nur das Nachbild, und wo sie zur bloßen Form geworden, der leere Schein und Schatten ist.

    Also erzählt wird seiner Natur nach alles Gewußte; aber das Gewußte ist hier kein von Anbeginn fertig daliegendes und vorhandenes, sondern ein aus dem Innern immer erst entstehendes. Durch innerliche Scheidung und Befreyung muß das Licht der Wissenschaft aufgehen, ehe es äußerlich werden kann. Was wir Wissenschaft nennen, ist nur erst Streben nach dem Wiederbewußtwerden, also mehr noch ein Trachten nach ihr, als sie selbst; aus welchem Grund ihr unstreitig von jenem hohen Manne des Alterthums der Name Philosophie beygelegt worden ist. Denn die von Zeit zu Zeit gehegte Meynung, die Philosophie durch Dialektik endlich in wirkliche Wissenschaft verwandeln zu können, verräth nicht wenig Eingeschränktheit, da ja eben das Daseyn und die Notwendigkeit der Dialektik beweißt, daß sie noch keineswegs wirkliche Wissenschaft ist.

    Der Philosoph befindet sich im Grunde in keinem andern Fall als der andre Historiker auch. Denn auch dieser bedarf erstens vieler Scheidungskunst oder Kritik, um das Falsche von dem Wahren, das Irrige vom Rechten in den erhaltenen Ueberlieferungen zu sondern. Auch bedarf er gar sehr jene Scheidung in sich selbst, wohin das gehört was man zu sagen pflegt, er müsse sich von den Begriffen und Eigenheiten seiner Zeit frey zu machen suchen, und noch vieles andre, wovon hier zu reden zu weitläuftig wäre.

    Alles, schlechthin alles, auch das von Natur äußerliche, muß uns zuvor innerlich geworden seyn, ehe wir es äußerlich oder objektiv darstellen können. Wenn im Geschichtsschreiber nicht selbst die alte Zeit erwacht, deren Bild er uns entwerfen will: so wird er nie anschaulich, nie wahr, nie lebendig darstellen. Was wäre alle Historie, wenn ihr nicht ein innrer Sinn zu Hülfe käme? Was sie bey so vielen ist, die zwar das meiste von allem Geschehenen wissen, aber von eigentlicher Geschichte nicht das Geringste verstehen. Nicht bloß menschliche Begebenheiten, auch die Geschichte der Natur hat ihre Denkmäler, und man kann wohl sagen, daß sie auf ihrem weiten Schöpfungsweg keine Stufe verlassen, ohne etwas zur Bezeichnung zurückzulassen. Diese Denkmäler der Natur liegen großentheils offen da, sind vielfach durchforscht, zum Theil wirklich entziffert, und doch reden sie uns nicht und sondern bleiben todt, ehe jene Folge von Handlungen und Hervorbringungen dem Menschen innerlich geworden: denn vom Innerlichwerden fängt alles Wissen und Begreifen an.

    Nun haben einige gemeynt, es sey möglich, jenes Untergeordnete ganz bey Seite zu setzen, und alle Zweyheit in sich aufzuheben, so daß wir gleichsam nur innerlich seyen und ganz im Ueberweltlichen leben. Wer kann die Möglichkeit einer solchen Versetzung des Menschen in sein überweltliches Princip und demnach einer Erhöhung der Gemüthskräfte in’s Schauen schlechthin läugnen? Ein jedes physisches und moralisches Ganzes bedarf zu seiner Erhaltung von Zeit zu Zeit der Reduktion auf seinen innersten Anfang. Der Mensch verjüngt sich immer wieder und wird neuselig durch das Einheitsgefühl seines Wesens. In eben diesem schöpft besonders der Wissenschaftsuchende beständig frische Kraft; nicht der Dichter allein, auch der Philosoph hat seine Entzückungen. Er bedarf ihrer, um durch das Gefühl der unbeschreiblichen Realität jener höheren Vorstellungen gegen die erzwungenen Begriffe einer leeren und begeisterungslosen Dialektik verwahrt zu werden. Ein anderes aber ist, die Beständigkeit dieses anschauenden Zustandes verlangen, welches gegen die Natur und Bestimmung des jetzigen Lebens streitet. Denn wie wir sein Verhältniß zu dem vorhergehenden ansehen mögen, immer wird es darauf zurückkommen, daß was in diesem untheilbarerweise zusammen war, in ihm entfaltet und theilweis auseinandergelegt werde. Wir leben nicht im Schauen; unser Wissen ist Stückwerk, d.h. es muß stückweis, nach Abtheilungen und Abstufungen erzeugt werden, welches nicht ohne alle Reflexion, geschehen kann.

    Daher wird auch der Zweck im bloßen Schauen nicht erreicht. Denn im Schauen an und für sich ist kein Verstand. Auch in der äußern Welt sieht ein jeder mehr oder weniger das nämliche und kann es doch nicht jeder aussprechen. Ein jedes Ding durchläuft, um zu seiner Vollendung zu gelangen, gewisse Momente: eine Reihe aufeinander folgender Prozesse, wo immer der spätere in den früheren eingreift, bringt es zu seiner Reife: diesen Verlauf in der Pflanze z.B. sieht der Bauer so gut als der Gelehrte und kennt ihn doch nicht eigentlich, weil er die Momente nicht auseinanderhalten, nicht gesondert, nicht in ihrer wechselseitigen Entgegensetzung betrachten kann. Eben so kann der Mensch jene Folge von Prozessen, wodurch aus der höchsten Einfalt des Wesens zuletzt die unendliche Mannigfaltigkeit erzeugt wird, in sich durchlaufen und unmittelbar gleichsam erfahren, ja, genau zu reden, muß er sie in sich selbst erfahren. Aber alles Erfahren, Fühlen, Schauen ist an und für sich stumm und bedarf eines vermittelnden Organs, um zum Aussprechen zu gelangen. Fehlt dieses dem Schauenden oder stößt er es absichtlich von sich, um unmittelbar aus dem Schauen zu reden, so verliert er das ihm nothwendige Maß, er ist Eins mit dem Gegenstand und für jeden dritten wie der Gegenstand selber; ebendarum nicht Meister seiner Gedanken und im vergeblichen Ringen das unaussprechliche dennoch auszusprechen ohne alle Sicherheit; was er trifft, das trifft er, jedoch ohne dessen gewiß zu seyn, ohne es fest vor sich hinstellen und im Verstande gleichsam als in einem Spiegel wieder beschauen zu können.

    Also um keinen Preis aufzugeben ist jenes äußere Princip; denn es muß alles erst zur wirklichen Reflexion gebracht werden, damit es zur höchsten Darstellung gelangen könne. Hier geht also die Gränze zwischen Theosophie und Philosophie, welche der Wissenschaftliebende keusch zu bewahren suchen wird. Die erste hat an Tiefe, Fülle und Lebendigkeit des Inhalts vor der letzten gerade soviel voraus, als der wirkliche Gegenstand vor seinem Bilde, die Natur vor ihrer Darstellung voraus hat; und allerdings bis zur Unvergleichbarkeit geht diese Verschiedenheit, wenn eine todte das Wesen in Formen und Begriffen suchende Philosophie zur Vergleichung genommen wird. Daher die Vorliebe inniger Gemüther für sie, die ebenso leicht erklärbar ist, als die Vorliebe für die Natur im Gegensatz der Kunst. Denn diesen Vorzug haben die theosophischen Systeme vor allen bisher geltenden, daß in ihnen wenigstens eine Natur ist, wenn auch eine ihrer selbst nicht mächtige, in den andern dagegen nichts als Unnatur und eitle Kunst. Aber so wenig Natur der recht verstandnen Kunst, so wenig ist die Fülle und Tiefe des Lebens recht verstandner Wissenschaft unerreichbar; nur allmähliger gelangt sie dazu, mittelbarer und durch stufenweises Fortschreiten, so daß der Wissende immer von seinem Gegenstande verschieden, dagegen dieser auch von ihm getrennt bleibt und Objekt einer besonnenen, ruhig genießenden Beschauung wird.

    Hindurchgehen also durch Dialektik muß alle Wissenschaft. Aber, kommt nie der Punkt, wo sie frey und lebendig wird, wie im Geschichtschreiber das Bild der Zeiten, bey dessen Darstellung er seiner Untersuchungen nicht mehr gedenkt? Kann nie wieder die Erinnerung vom Urbeginn der Dinge so lebendig werden, daß die Wissenschaft, da sie der Sache und der Wortbedeutung nach Historie ist, es auch der äußern Form nach seyn könnte, und der Philosoph, dem göttlichen Platon gleich, der die ganze Reihe seiner Werke hindurch dialektisch ist, aber im Gipfel und letzten Verklärungspunkt aller historisch wird, zur Einfalt der Geschichte zurückzukehren vermöchte.

    Unserem Zeitalter scheint es vorbehalten gewesen zu seyn, den Weg zu dieser Objektivität der Wissenschaft für immer zu öffnen. So lange diese auf das Innerliche beschränkt bleibt, fehlt es ihr an dem natürlichen Mittel äußerer Darstellung. Jetzt ist, nach langen Verirrungen, die Erinnerung an die Natur, und an ihr vormaliges Einsseyn mit ihr, der Wissenschaft wieder geworden. Aber dabey blieb es nicht. Kaum waren die ersten Schritte, Philosophie mit Natur wieder zu vereinigen, geschehen, als das hohe Alter des Physischen anerkannt werden mußte, und wie es, weit entfernt das Letzte zu seyn, vielmehr das Erste ist, von dem alle, auch die Entwickelung des göttlichen Lebens, anfängt. Nicht mehr von der weiten Ferne abgezogener Gedanken beginnt seitdem die Wissenschaft, um von diesen zum Natürlichen herabzusteigen; sondern umgekehrt, vom bewußtlosen Daseyn des Ewigen anfangend, führt sie es zur höchsten Verklärung in einem göttlichen Bewußtseyn hinauf. Die übersinnlichsten Gedanken erhalten jetzt physische Kraft und Leben, und umgekehrt wird Natur immer mehr der sichtbare Abdruck von den höchsten Begriffen. Eine kurze Zeit, und die Verachtung, womit ohnedies nur noch die Unwissenden auf alles Physische herabsehen, wird aufhören, und noch einmal wahr werden das Wort: Der Stein, den die Bauleute verworfen, ist zum Eckstein worden. Dann wird die so oft vergebens gesuchte Popularität von selbst sich ergeben. Dann wird zwischen der Welt des Gedankens und der Welt der Wirklichkeit kein Unterschied mehr seyn. Es wird Eine Welt seyn, und der Friede des goldnen Zeitalters zuerst in der einträchtigen Verbindung aller Wissenschaften sich verkünden.

    Bei diesen Aussichten, welche die gegenwärtige Schrift auf mehr als eine Weise zu rechtfertigen suchen wird, darf sich wohl ein oft überlegter Versuch hervorwagen, der zu jener künftigen objektiven Darstellung der Wissenschaft einige Vorbereitung enthält. Vielleicht kommt der noch, der das größte Heldengedicht singt, im Geist umfassend, wie von Sehern der Vorzeit gerühmt wird, was war, was ist und was seyn wird. Aber noch ist diese Zeit nicht gekommen. Wir dürfen unsere Zeit nicht verkennen. Verkündiger derselben, wollen wir ihre Frucht nicht brechen, ehe sie reif ist, noch die unsrige verkennen. Noch ist sie eine Zeit des Kampfs. Noch ist des Untersuchens Ziel nicht erreicht; noch muß, wie die Rede von Rhythmus, Wissenschaft von Dialektik getragen und begleitet werden. Nicht Erzähler können wir seyn, nur Forscher, abwägend das Für und das Wider jeglicher Meynung, bis die rechte feststeht, unzweifelhaft, für immer gewurzelt.

  • in: Druck Schelling »Die Weltalter (1813). Erstes Buch. Die Vergangenheit« (1813). Text

    Einleitung

    Das Vergangene wird gewußt, das Gegenwärtige wird erkannt, das Zukünftige wird geahndet.

    Das Gewußte wird erzählt, das Erkannte wird dargestellt, das Geahndete wird geweissagt.

    Wissenschaft ist schon der Wortbedeutung nach Historie (ἱστορία). Sie konnte es nicht seyn, so lange sie als eine bloße Folge oder Entwicklung eigner Gedanken und Begriffe gemeynt wurde. Es ist ein Vorzug unserer Zeiten, daß der Wissenschaft das Wesen wiedergegeben worden, und zwar, wie wohl behauptet werden kann, auf eine Art, daß sie es nicht leicht wieder verlieren kann. Von nun an ist es die Entwicklung eines wirklichen, lebendigen Wesens, die in ihr sich darstellt.

    Das Lebendige der höchsten Wissenschaft kann nur das Urlebendige seyn, das Wesen, dem kein anderes vorausgeht, also das erste oder älteste der Wesen.

    Dieses Urlebendige, da nichts vor oder außer ihm ist, von dem es bestimmt werden möchte, kann sich, in wiefern es sich entwickelt, nur frey, aus eigenem Trieb und Wollen, rein aus sich selber, aber eben darum nicht gesetzlos, sondern nur gesetzmäßig entwickeln. Es ist keine Willkühr in ihm; es ist eine Natur im vollkommensten Verstande des Worts, wie der Mensch der Freyheit unbeschadet, und eben dieser wegen eine Natur ist.

    Nachdem die Wissenschaft dem Gegenstande nach zur Objectivität gelangt ist, so scheint es eine natürliche Folge, daß sie dieselbe auch der Form nach suche.

    Von jeher hat Philosophie die Gränzen der Welt und damit der gegenwärtigen Zeit zu überschreiten, die erste Herkunft der Dinge zu erklären gesucht und sich so an die Vergangenheit im höchsten Sinne gewendet. Warum war oder ist es bis jetzt unmöglich, daß sie, dem Wort und der Sache nach Historie, es auch der Form nach ist? Das Gewußte wird erzählt, warum kann nicht auch das Gewußte der höchsten Wissenschaft mit der Geradheit und Einfalt wie jedes andere Gewußte erzählt werden? Was hält sie zurück die geahndete goldne Zeit, da die Fabel wieder zur Wahrheit und die Wahrheit zur Fabel wird?

    Dem Menschen muß ein Wesen zugestanden werden, das außer und über der Welt ist; denn wie könnte er allein von allen Geschöpfen den langen Weg der Entwicklungen von der Gegenwart bis in die tiefste Nacht der Vergangenheit zurückverfolgen, er allein bis zum Anfang der Dinge aufsteigen, wenn in ihm nicht ein Wesen von Anfang der Zeiten wäre? Aus der Quelle der Dinge geschöpft und ihr gleich hat das Ewige der Seele eine Mitt-Wissenschaft der Schöpfung.

    Dieses Wesen ist das Band, durch das der Mensch fähig wird, mit der ältesten Vergangenheit, wie mit der fernsten Zukunft in unmittelbaren Bezug zu treten, weil es die Zeit eingewickelt enthält. In welche wunderbare Beziehungen oder innere Verknüpfungen sieht er sich oft durch eben dieses Innerste versetzt, wenn ihm ein gegenwärtiger Augenblick als ein längst dagewesener vorkommt, oder eine ferne Begebenheit, als wäre er Zeuge von ihr gewesen!

    In diesem also ruht die unergründliche Vorzeit; aber obwohl es treu den Schatz heiliger Vergangenheit bewahrt, ist es doch in sich selbst stumm und kann nicht aussprechen was es in sich verschließt.

    Auch würde es sich nie eröffnen, wäre ihm nicht ein Anderes beygesellt, das selbst ein Gewordenes ist, und darum von Natur unwissend und gleichsam ewig jung, wie nach dem ägyptischen Priester die Hellenen. Dieses also, um zur Wissenschaft der gewesenen Dinge zu gelangen, muß sich an jenes innere Orakel wenden, den einzigen Zeugen aus vorweltlicher Zeit.

    Dieses aber fühlt sich nicht weniger zu ihm gezogen. Es ruht in ihm die Erinnerung aller Dinge, ihrer ursprünglichen Verhältnisse, ihres Werdens, ihrer Bedeutung. Aber dieses Ur-Bild der Dinge schlummert in ihm. Zwar nicht als ein ausgelöschtes und vergessenes, wohl aber als ein mit seinem eigenen Wesen verwachsenes Bild, das er nicht aus sich selbst entnehmen und hervorholen kann. Sicher würde es nie wieder erwachen, wenn nicht in jenem Unwissenden selbst die Ahndung und die Sehnsucht der Erkenntnis läge. Aber unaufhörlich von diesem angerufen um seine Veredlung bemerkt das Höhere, daß das Niedere ihm beygegeben ist, nicht um von ihm in der Unthätigkeit erhalten zu werden, sondern damit es ein Werkzeug habe, in dem es sich beschauen, aussprechen und sich selbst verständlich werden könne; denn in ihm liegt alles ohne Unterscheidung zumal, als Eins; in dem andern aber kann es, was in ihm unterscheidbar Eins ist, unterscheidbar machen und auseinanderlegen.

    Es ist also im Menschen eines, das wieder zur Erinnerung gebracht werden muß, und ein anderes, das es zur Erinnerung bringt; eines in dem die Antwort liegt auf jede Frage der Forschung, und ein anderes, das diese Antwort aus ihm hervorholt; dieses andere ist frey gegen Alles und vermag alles zu denken, aber es wird durch jenes Innerste gebunden und kann ohne die Einstimmung dieses Zeugen nichts für wahr halten. Das Innerste dagegen ist ursprünglich gebunden und kann sich nicht entfalten; aber durch das Andere wird es frey und eröffnet sich gegen dasselbe. Darum verlangen beyde gleich sehr nach der Scheidung, jenes damit es in sein ursprüngliches und eingebohrnes Wissen wieder versetzt, dieses damit es von ihm empfange und ebenfalls, obwohl auf ganz andere Art, wissend werde.

    Diese Scheidung, diese Verdoppelung unserer selbst, dieser geheime Verkehr, in welchem zwey Wesen sind, ein fragendes und ein antwortendes, ein unwissendes, das aber nach Wissen sucht, und ein Wissendes, das aber sein Wissen nicht weiß; dieses stille Gespräch, diese innere Unterredungskunst, das eigentliche Geheimniß des Philosophen ist es, von welcher die äußere, darum Dialektik genannte, Kunst nur das Nachbild, und, so sie zur bloßen Form geworden, der leere Schein und Schatten ist.

    Also erzählt wird seiner Natur nach alles Gewußte, aber das Gewußte ist hier kein von Anbeginn fertig daliegendes und vorhandenes, sondern ein aus dem Inneren durch einen ganz eigenthümlichen Prozeß immer erst Entstehendes. Durch innerliche Scheidung und Befreyung muß das Licht der Wissenschaft aufgehen, ehe es äußerlich leuchten kann. Erlangte Wissenschaft wäre der Form nach Historie; aber was wir so nennen, ist nur erst ein Streben nach dem Wiederbewußtwerden, also mehr noch ein Trachten nach ihr als sie selbst; aus welchem Grunde ihr unstreitig von jenem hohen Manne des Alterthums der Name Philosophie beygelegt worden ist. Denn die von Zeit zu Zeit gehegte Meynung, die vollkommenste Dialektik für die Wissenschaft selber anzusehen, verräth nicht wenig Eingeschränktheit, indem eben das Daseyn und die Nothwendigkeit der Dialektik beweist, daß wahre Wissenschaft (ἱστορία) noch nicht gefunden ist.

    Der Philosoph indeß befindet sich hiebey in keinem andern Falle, als der andere Historiker auch. Denn auch dieser muß, was er zu wissen verlangt, den Aussagen alter Urkunden oder der Erinnerung lebender Zeugen abfragen. Auch ihm ist viele Kritik oder Scheidungskunst nöthig, um aus der Verworrenheit der Nachrichten die reine Thatsache herauszuläutern, und das Wahre von dem Falschen, das Ächte von dem Unächten in den vorhandenen Überlieferungen abzusondern. Auch bedarf er gar sehr der Scheidung von sich selbst, der Entfernung von der Gegenwart, der Hingebung an die Vergangenheit, um sich von den Begriffen und den Eigenheiten seiner Zeit loszumachen.

    Überhaupt kann nichts, auch nicht das von außen Gegebene unmittelbar zum Bewußtseyn gelangen, es muß erst innerlich geworden seyn. Wenn im Geschichtsschreiber nicht selbst die alte Zeit erwacht, so wird er nie wahr, nie anschaulich, nie lebendig darstellen. Was wäre alle Historie, wenn ihr nicht ein innerer Sinn zu Hülfe käme? Was sie bey so vielen ist, die zwar vieles von allem Geschehenen wissen, aber von eigentlicher Geschichte nicht das Geringste verstehen. Nicht menschliche Begebenheiten allein, auch die Geschichte der Natur hat ihre Denkmäler, und man kann wohl sagen, daß sie auf ihrem weiten Schöpfungsweg keine Stufe verlassen, ohne etwas zur Bezeichnung zurückzulassen. Diese Denkmäler der Natur liegen großentheils offen da, sind vielfach durchforscht, zum Theil wirklich entziffert, und doch reden sie uns nicht, sondern bleiben todt, ehe jene Folge von Handlungen und Hervorbringungen dem Menschen innerlich geworden: also bleibt alles dem Menschen unfaßlich, bevor es ihm selbst innerlich geworden, d.i. auf eben jenes Innerste seines Wesens zurückgeführt worden, das für ihn gleichsam der lebendige Zeuge aller Wahrheit ist.

    Nun haben von jeher einige gemeynt, es sey möglich, das äußere Werkzeug ganz bey Seite zu setzen, und alle Zweyheit in sich aufzuheben, so daß wir gleichsam nur innerlich seyen und ganz im Überweltlichen leben, alles unmittelbar erkennend. Wer kann die Möglichkeit einer solchen Versetzung des Menschen in sein überweltliches Princip und demnach einer Erhöhung der Gemüthskräfte in’s Schauen schlechthin läugnen: Ein jedes physisches und moralisches Ganzes bedarf zu seiner Erhaltung von Zeit zu Zeit der Reduction auf seinen innersten Anfang. Der Mensch verjüngt sich immer wieder und wird neuselig durch das Einheitsgefühl seines Wesens. In eben diesem schöpft besonders der Wissenschaftsuchende beständig frische Kraft; nicht der Dichter allein, auch der Philosoph hat seine Entzückungen. Er bedarf ihrer, um durch das Gefühl der unbeschreiblichen Realität jener höhern Vorstellungen gegen die erzwungenen Begriffe einer leeren und begeisterungslosen Dialektik verwahrt zu werden. Ein anderes aber ist, die Beständigkeit dieses anschauenden Zustandes verlangen, welches gegen die Natur und Bestimmung des jetzigen Lebens streitet. Denn wie wir sein Verhältniß zu dem vorhergehenden ansehen mögen, immer wird es darauf zurückkommen, daß, was in diesem untheilbarerweise zusammen war, in ihm entfaltet und theilweis auseinandergelegt werde. Wir leben nicht im Schauen; unser Wissen ist Stückwerk, d.h. es muß stückweis, nach Abtheilungen und Abstufungen erzeugt werden, welches nicht ohne alle Reflexion geschehen kann.

    Darum wird auch der Zweck im bloßen Schauen nicht erreicht. Denn im Schauen an und für sich ist kein Verstand. In der äußern Welt sieht ein jeder mehr oder weniger das nämliche und kann es doch nicht aussprechen. Ein jedes Ding durchläuft, um zu seiner Vollendung zu gelangen, gewisse Momente: eine Reihe aufeinanderfolgender Prozesse, wo immer der spätere in den früheren eingreift, bringt es zu seiner Reife; diesen Verlauf in der Pflanze z.B. sieht der Bauer so gut als der Gelehrte und kennt ihn doch nicht eigentlich, weil er die Momente nicht auseinanderhalten, nicht gesondert, nicht in ihrer wechselseitigen Entgegensetzung betrachten kann. Ebenso kann der Mensch jene Folge von Prozessen, wodurch aus der höchsten Einfalt des Wesens zuletzt die unendliche Mannigfaltigkeit erzeugt wird, in sich durchlaufen und unmittelbar gleichsam erfahren, ja, genau zu reden, muß er sie in sich selbst erfahren. Aber alles Erfahren, Fühlen, Schauen ist an und für sich stumm und bedarf eines vermittelnden Organs, um zum Aussprechen zu gelangen. Fehlt dieses dem Schauenden, oder stößt er es absichtlich von sich, um unmittelbar aus dem Schauen zu reden, so verliert er das ihm nothwendige Maß, er ist Eins mit dem Gegenstand und für jeden dritten wie der Gegenstand selber; eben darum nicht Meister seiner Gedanken und im vergeblichen Ringen Unaussprechliches dennoch auszusprechen ohne alle Sicherheit; was er trifft, das trifft er, jedoch ohne dessen gewiß zu seyn, ohne es fest vor sich hinstellen und im Verstande gleichsam als in einem Spiegel wieder beschauen zu können.

    Also um keinen Preis aufzugeben ist jenes beziehungsweise äußere Princip; denn es muß alles erst zur wirklichen Reflexion gebracht werden, damit es zur höchsten Darstellung gelangen könne. Hier geht die Gränze zwischen Theosophie und Philosophie, welche der Wissenschaftliebende keusch zu bewahren suchen wird. Die erste hat an Tiefe, Fülle und Lebendigkeit des Inhalts vor der letzten gerade soviel voraus, als der wirkliche Gegenstand vor seinem Bilde, die Natur vor ihrer Darstellung voraus hat; und allerdings bis zur Unvergleichbarkeit geht diese Verschiedenheit, wenn eine todte das Wesen in Formen und Begriffen suchende Philosophie zur Vergleichung genommen wird. Daher die Vorliebe inniger Gemüther für sie, die ebenso leicht erklärbar ist, als die Vorliebe für die Natur im Gegensatz der Kunst. Denn diesen Vorzug haben die theosophischen Systeme vor allen bisher geltenden, daß in ihnen wenigstens eine Natur ist, wenn auch eine ihrer selbst nicht mächtige, in den andern dagegen nichts als Unnatur und eitel Kunst. Aber so wenig Natur der recht verstandnen Kunst, so wenig ist die Fülle und Tiefe des Lebens recht verstandner Wissenschaft unerreichbar; nur allmähliger gelangt sie dazu, mittelbarer und durch stufenmäßiges Fortschreiten, so daß der Wissende immer von seinem Gegenstande verschieden, dagegen dieser auch von ihm getrennt bleibt und Object einer ruhig genießenden Beschauung wird.

    Hindurchgehen also durch Dialektik muß alle Wissenschaft. Aber, kommt nie der Punkt, wo sie frey und lebendig wird, wie im Geschichtschreiber das Bild der Zeiten, bey dessen Darstellung er seiner Untersuchungen nicht mehr gedenkt? Kann nie wieder die Erinnerung vom Urbeginn der Dinge so lebendig werden, daß die Wissenschaft auch der äußern Form nach Historie werden dürfte, und der Philosoph, dem göttlichen Platon gleich, der die ganze Reihe seiner Werke hindurch dialektisch ist, aber im Gipfel und Verklärungspunkt aller historisch wird, zur Einfalt der Geschichte zurückkehren könnte?

    Unserm Zeitalter schien es vorbehalten, zu dieser Objectivität der Wissenschaft wenigstens den Weg zu eröffnen. Zuerst indem sie dieser das Wesen wiedergab, womit lebendige Entwicklung zugleich gesetzt ist, indeß zwischen dogmatisch folgenden Sätzen kein lebendiger Fortschritt möglich ist. Sodann durch Erkenntniß des Gesetzes der Steigerung, womit allein zugleich ein wahrer Anfang, eine nothwendige und ewige Unterlage gefunden ist. So lange sie sich auf das Ideale beschränkte, war keine solche zu finden. Kaum waren daher die ersten Schritte geschehen, der Wissenschaft das Leben wieder zu geben, als das hohe Alter des Physischen anerkannt werden mußte, und wie es, wenn auch das Letzte in Ansehung der Würde, das Erste sey in Ansehung aller Entwicklung. Nicht mehr von der weiten Ferne abgezogener Gedanken beginnt seitdem die Wissenschaft, um von diesen zum Natürlichen herabzusteigen; sondern umgekehrt, vom bewußtlosen Daseyn des Ewigen anfangend führt sie es zur höchsten Verklärung in einem göttlichen Bewußtseyn hinauf. Die übersinnlichsten Gedanken erhalten jetzt physische Kraft und Leben, und umgekehrt wird Natur immer mehr der sichtbare Abdruck von den höchsten Begriffen. Eine kurze Zeit, und die Verachtung, womit ohnedieß nur noch die Unwissenden auf alles Physische herabsehen, wird aufhören, und noch einmal wahr werden wird das Wort: Der Stein, den die Bauleute verworfen, ist zum Eckstein worden. Dann wird die so oft vergebens gesuchte Popularität von selbst sich ergeben. Dann wird zwischen die Welt des Gedankens und der Welt der Wirklichkeit kein Unterschied mehr seyn. Es wird Eine Welt seyn, und der Friede des goldnen Zeitalters zuerst in der einträchtigen Verbindung aller Wissenschaften sich verkünden.

    Bey diesen Aussichten, welche die gegenwärtige Schrift auf mehr als eine Weise zu rechtfertigen suchen wird, darf sich wohl ein lang überlegter Versuch hervorwagen, der zu jener künftigen objectiven Darstellung der Wissenschaft einige Vorbereitung enthält. Vielleicht kommt der noch, der das größte Heldengedicht singt, im Geist umfassend, wie von Sehern der Vorzeit gerühmt wird, was war, was ist und was seyn wird. Aber noch ist diese Zeit nicht gekommen. Verkündiger derselben, wollen wir ihre Frucht nicht brechen, ehe sie reif ist, noch die unsrige verkennen. Noch ist sie eine Zeit des Kampfs. Noch ist des Untersuchens Ziel nicht erreicht; noch muß, wie die Rede von Rhythmus, Wissenschaft von Dialektik getragen und begleitet werden. Nicht Erzähler können wir seyn, nur Forscher, abwägend das Für und Wider jeglicher Meynung, bis die rechte feststeht, unzweifelhaft, für immer gewurzelt.

  • in: Druck Schelling »Die Weltalter (SW). Erstes Buch. Die Vergangenheit« (1815). Text

    Einleitung.

    Das Vergangene wird gewußt, das Gegenwärtige wird erkannt, das Zukünftige wird geahndet.

    Das Gewußte wird erzählt, das Erkannte wird dargestellt, das Geahndete wird geweissagt.

    Die bisher geltende Vorstellung von der Wissenschaft war, daß sie eine bloße Folge und Entwickelung eigener Begriffe und Gedanken sey. Die wahre Vorstellung ist, daß es die Entwickelung eines lebendigen, wirklichen Wesens ist, die in ihr sich darstellt.

    Es ist ein Vorzug unserer Zeiten, daß der Wissenschaft das Wesen wiedergegeben worden, und zwar, wie wohl behauptet werden darf, auf eine Art, daß sie es nicht leicht wieder verlieren kann. Es ist nicht zu hart, wenn geurtheilt wird, daß, nach dem einmal geweckten dynamischen Geist, jedes Philosophiren, das nicht aus ihm seine Kraft nimmt, nur noch als ein leerer Mißbrauch der edeln Gabe zu sprechen und zu denken angesehen werden kann.

    Das Lebendige der höchsten Wissenschaft kann nur das Urlebendige seyn, das Wesen, dem kein anderes vorausgeht, also das älteste der Wesen.

    Dieses Urlebendige, da nichts vor oder außer ihm ist, von dem es bestimmt werden möchte, kann sich, inwiefern es sich entwickelt, nur frei, aus eignem Trieb und Wollen, rein aus sich selber, aber eben darum nicht gesetzlos, sondern nur gesetzmäßig entwickeln. Es ist keine Willkür in ihm; es ist eine Natur im vollkommensten Verstande des Worts, wie der Mensch der Freiheit unbeschadet und eben dieser wegen eine Natur ist.

    Nachdem die Wissenschaft dem Gegenstand nach zur Objektivität gelangt ist, so scheint es eine natürliche Folge, daß sie dieselbe auch der Form nach suche.

    Warum war oder ist dieß bis jetzt unmöglich? Warum kann das Gewußte auch der höchsten Wissenschaft nicht mit der Geradheit und Einfalt wie jedes andere Gewußte erzählt werden? Was hält sie zurück die geahndete goldne Zeit, wo die Wahrheit wieder zur Fabel und die Fabel zur Wahrheit wird.

    Dem Menschen muß ein Princip zugestanden werden, das außer und über der Welt ist; denn wie könnte er allein von allen Geschöpfen den langen Weg der Entwicklungen von der Gegenwart bis in die tiefste Nacht der Vergangenheit zurück verfolgen, er allein bis zum Anfang der Zeiten aufsteigen, wenn in ihm nicht ein Princip von dem Anfang der Zeiten wäre? Aus der Quelle der Dinge geschöpft und ihr gleich, hat die menschliche Seele eine Mitwissenschaft der Schöpfung. In ihr liegt die höchste Klarheit aller Dinge, und nicht so wohl wissend ist sie als selber die Wissenschaft.

    Aber nicht frei ist im Menschen das überweltliche Princip noch in seiner uranfänglichen Lauterkeit, sondern an ein anderes geringeres Princip gebunden. Dieses andere ist selbst ein gewordenes und darum von Natur unwissend und dunkel; und verdunkelt nothwendig auch das höhere, mit dem es verbunden ist. Es ruht in diesem die Erinnerung aller Dinge, ihrer ursprünglichen Verhältnisse, ihres Werdens, ihrer Bedeutung. Aber dieses Ur-Bild der Dinge schläft in der Seele als ein verdunkeltes und vergessenes, wenn gleich nicht völlig ausgelöschtes Bild. Vielleicht würde es nie wieder erwachen, wenn nicht in jenem dunkeln selber die Ahndung und die Sehnsucht der Erkenntniß läge. Aber unaufhörlich von diesem angerufen um seine Veredelung, bemerkt das Höhere, daß das Niedere ihm nicht beigegeben ist, um von demselben gefesselt zu bleiben, sondern damit es selbst ein anderes habe, in welchem es sich beschauen, darstellen und sich verständlich werden könne. Denn in ihm liegt alles ohne Unterscheidung, zumal, als Eins; in dem andern aber kann es, was in ihm Eins ist, unterscheidbar machen, aussprechen, auseinanderlegen. – ⦋Es ist also im Menschen eines, das wieder zur Erinnerung gebracht werden muß, und ein anderes, das es zur Erinnerung bringt; eines, in dem die Antwort liegt auf jede Frage der Forschung, und ein anderes, das diese Antwort aus ihm hervorholt; dieses andere ist frei gegen alles und vermag alles zu denken, aber es wird durch jenes Innerste gebunden, und kann ohne die Einstimmung dieses Zeugen nichts für wahr halten. Das Innerste dagegen ist ursprünglich gebunden und kann sich nicht entfalten; aber durch das andere wird es frei und eröffnet sich gegen dasselbe⦌. Darum verlangen beide gleich sehr nach der Scheidung, jenes, damit es in seine ursprüngliche Freiheit heimkehre und sich offenbarDamit es in sein ursprüngliches und eingeborenes Wissen wieder versetzt. werde, dieses, damit es von ihm empfangen könne und ebenfalls, obgleich auf ganz andere Art, wissend werde.

    Diese Scheidung, diese Verdoppelung unserer selbst, dieser geheime Verkehr, in welchem zwei Wesen sind, ein fragendes und ein antwortendes, ein unwissendes, das aber Wissenschaft sucht, und ein wissendes, das aber sein Wissen nicht weiß, dieses stille Gespräch, diese innere Unterredungskunst, das eigentliche Geheimniß des Philosophen, ist es, von welcher die äußere, darum Dialektik genannt, das Nachbild, und wo sie zur bloßen Form geworden, der leere Schein und Schatten ist.

    Also erzählt wird seiner Natur nach alles Gewußte; aber das Gewußte ist hier kein von Anbeginn fertig daliegendes und vorhandenes, sondern ein aus dem Innern durch einen ganz eigenthümlichen Proceß immer erst entstehendes. Durch innerliche Scheidung und Befreiung muß das Licht der Wissenschaft aufgehen, ehe es leuchten kann. Was wir Wissenschaft nennen, ist nur erst Streben nach dem Wiederbewußtwerden, also mehr noch ein Trachten nach ihr, als sie selbst; aus welchem Grund ihr unstreitig von jenem hohen Manne des Alterthums der Name Philosophie beigelegt worden ist. Denn die von Zeit zu Zeit gehegte Meinung, die Philosophie durch Dialektik endlich in wirkliche Wissenschaft verwandeln zu können, die vollkommenste Dialektik für die Wissenschaft selber anzusehen, verräth nicht wenig Eingeschränktheit, da ja eben das Daseyn und die Nothwendigkeit der Dialektik beweist, daß sie noch keineswegs wirkliche Wissenschaft ist.

    Der Philosoph indeß befindet sich hiebei in keinem andern Fall als der andere Historiker auch. Denn auch dieser muß, was er zu wissen verlangt, den Aussagen alter Urkunden oder der Erinnerung lebender Zeugen abfragen, und bedarf vieler Scheidungskunst oder Kritik, um das Falsche von dem Wahren, das Irrige vom Rechten in den erhaltenen Ueberlieferungen zu sondern. Auch bedarf er gar sehr jene Scheidung in sich selbst, wohin das gehört, was man zu sagen pflegt, er müsse sich von den Begriffen und Eigenheiten seiner Zeit frei zu machen suchen, und noch vieles andere, wovon hier zu reden zu weitläuftig wäre.

    Alles, schlechthin alles, auch das von Natur Aeußerliche, muß uns zuvor innerlich geworden seyn, ehe wir es äußerlich oder objektiv darstellen können. Wenn im Geschichtschreiber nicht selbst die alte Zeit erwacht, deren Bild er uns entwerfen will, so wird er nie wahr, nie anschaulich, nie lebendig darstellen. Was wäre alle Historie, wenn ihr nicht ein innerer Sinn zu Hülfe käme? Was sie bei so vielen ist, die zwar das Meiste von allem Geschehenen wissen, aber von eigentlicher Geschichte nicht das Geringste verstehen. Nicht menschliche Begebenheiten allein, auch die Geschichte der Natur hat ihre Denkmäler, und man kann wohl sagen, daß sie auf ihrem weiten Schöpfungsweg keine Stufe verlassen, ohne etwas zur Bezeichnung zurückzulassen. Diese Denkmäler der Natur liegen großentheils offen da, sind vielfach durchforscht, zum Theil wirklich entziffert, und doch reden sie uns nicht, sondern bleiben todt, ehe jene Folge von Handlungen und Hervorbringungen dem Menschen innerlich geworden. Also bleibt alles dem Menschen unfaßlich, bevor es ihm selbst innerlich geworden, d.i. auf eben jenes Innerste seines Wesens zurückgeführt worden, das für ihn gleichsam der lebendige Zeuge aller Wahrheit ist.

    Nun haben von jeher einige gemeint, es sey möglich, jenes UntergeordneteDas äußere Werkzeug. ganz bei Seite zu setzen, und alle Zweiheit in sich aufzuheben, so daß wir gleichsam nur innerlich seyen und ganz im Ueberweltlichen leben, alles unmittelbar erkennend. Wer kann die Möglichkeit einer solchen Versetzung des Menschen in sein überweltliches Princip und demnach einer Erhöhung der Gemüthskräfte ins Schauen schlechthin leugnen? Ein jedes physisches und moralisches Ganzes bedarf zu seiner Erhaltung von Zeit zu Zeit der Reduktion auf seinen innersten Anfang. Der Mensch verjüngt sich immer wieder und wird neuselig durch das Einheitsgefühl seines Wesens. In eben diesem schöpft besonders der Wissenschaftsuchende beständig frische Kraft; nicht der Dichter allein, auch der Philosoph hat seine Entzückungen. Er bedarf ihrer, um durch das Gefühl der unbeschreiblichen Realität jener höheren Vorstellungen gegen die erzwungenen Begriffe einer leeren und begeisterungslosen Dialektik verwahrt zu werden. Ein anderes aber ist, die Beständigkeit dieses anschauenden Zustandes verlangen, welches gegen die Natur und Bestimmung des jetzigen Lebens streitet. Denn wie wir sein Verhältniß zu dem vorhergehenden ansehen mögen, immer wird es darauf zurückkommen, daß, was in diesem untheilbarer Weise zusammen war, in ihm entfaltet und theilweise auseinandergelegt werde. Wir leben nicht im Schauen; unser Wissen ist Stückwerk, d.h. es muß stückweise, nach Abtheilungen und Abstufungen erzeugt werden, welches nicht ohne alle Reflexion geschehen kann.

    Darum wird auch der Zweck im bloßen Schauen nicht erreicht. Denn im Schauen an und für sich ist kein Verstand. In der äußern Welt sieht ein jeder mehr oder weniger das Nämliche, und kann es doch nicht jeder aussprechen. Ein jedes Ding durchläuft, um zu seiner Vollendung zu gelangen, gewisse Momente; eine Reihe aufeinanderfolgender Processe, wo immer der spätere in den früheren eingreift, bringt es zu seiner Reife; diesen Verlauf in der Pflanze z.B. sieht der Bauer so gut als der Gelehrte, und kennt ihn doch nicht eigentlich, weil er die Momente nicht aus einander halten, nicht gesondert, nicht in ihrer wechselseitigen Entgegensetzung betrachten kann. Ebenso kann der Mensch jene Folge von Processen, wodurch aus der höchsten Einfalt des Wesens zuletzt die unendliche Mannichfaltigkeit erzeugt wird, in sich selbst durchlaufen und unmittelbar gleichsam erfahren, ja, genau zu reden, muß er sie in sich erfahren. Aber alles Erfahren, Fühlen, Schauen ist an und für sich stumm, und bedarf eines vermittelnden Organs, um zum Aussprechen zu gelangen. Fehlt dieses dem Schauenden, oder stößt er es absichtlich von sich, um unmittelbar aus dem Schauen zu reden, so verliert er das ihm nothwendige Maß, er ist eins mit dem Gegenstand und für jeden dritten wie der Gegenstand selber; eben darum nicht Meister seiner Gedanken und im vergeblichen Ringen das Unaussprechliche dennoch auszusprechen ohne alle Sicherheit; was er trifft, das trifft er, jedoch ohne dessen gewiß zu seyn, ohne es fest vor sich hinstellen und im Verstande gleichsam als in einem Spiegel wieder beschauen zu können.

    Also um keinen Preis aufzugeben ist jenes beziehungsweise äußere Princip; denn es muß alles erst zur wirklichen Reflexion gebracht werden, damit es zur höchsten Darstellung gelangen könne. Hier geht die Grenze zwischen Theosophie und Philosophie, welche der Wissenschaftliebende keusch zu bewahren suchen wird. Die erste hat an Tiefe, Fülle und Lebendigkeit des Inhalts vor der letzten gerade so viel voraus, als der wirkliche Gegenstand vor seinem Bilde, die Natur vor ihrer Darstellung voraus hat; und allerdings bis zur Unvergleichbarkeit geht diese Verschiedenheit, wenn eine todte das Wesen in Formen und Begriffen suchende Philosophie zur Vergleichung genommen wird. Daher die Vorliebe inniger Gemüther für sie, die ebenso leicht erklärbar ist, als die Vorliebe für die Natur im Gegensatz der Kunst. Denn diesen Vorzug haben die theosophischen Systeme vor allen bisher geltenden, daß in ihnen wenigstens eine Natur ist, wenn auch eine ihrer selbst nicht mächtige, in den andern dagegen nichts als Unnatur und eitel Kunst. Aber so wenig Natur der recht verstandenen Kunst, so wenig ist die Fülle und Tiefe des Lebens recht verstandener Wissenschaft unerreichbar; nur allmählicher gelangt sie dazu, mittelbarer und durch stufenmäßiges Fortschreiten, so daß der Wissende immer von seinem Gegenstande verschieden, dagegen dieser auch von ihm getrennt bleibt und Objekt einer besonnenen, ruhig genießenden Beschauung wird.

    Hindurchgehen also durch Dialektik muß alle Wissenschaft. Eine andere Frage aber ist, ob nie der Punkt kommt, wo sie frei und lebendig wird, wie im Geschichtschreiber das Bild der Zeiten, bei dessen Darstellung er seiner Untersuchungen nicht mehr gedenkt? Kann nie wieder die Erinnerung vom Urbeginn der Dinge so lebendig werden, daß die Wissenschaft, da sie der Sache und der Wortbedeutung nach Historie ist, es auch der äußeren Form nach seyn könnte, und der Philosoph, dem göttlichen Platon gleich, der die ganze Reihe seiner Werke hindurch dialektisch ist, aber im Gipfel und letzten Verklärungspunkt aller historisch wird, zur Einfalt der Geschichte zurückzukehren vermöchte?

    Unserem Zeitalter schien es vorbehalten, zu dieser Objektivität der Wissenschaft wenigstens den Weg zu öffnen. Solange diese sich auf das Innerliche, Ideale beschränkt, fehlt es ihr an dem natürlichen Mittel äußerer Darstellung. Jetzt ist, nach langen Verirrungen, die Erinnerung an die Natur und an ihr vormaliges Einsseyn mit ihr der Wissenschaft wieder geworden. Aber dabei blieb es nicht. Kaum waren die ersten Schritte, Philosophie mit Natur wieder zu vereinigen, geschehen, als das hohe Alter des Physischen anerkannt werden mußte, und wie es, weit entfernt das Letzte zu seyn, vielmehr das Erste ist, von dem alle, auch die Entwicklung des göttlichen Lebens, anfängtWie es, wenn auch das Letzte in Ansehung der Würde, das Erste sey in Ansehung aller Entwicklung.. Nicht mehr von der weiten Ferne abgezogener Gedanken beginnt seitdem die Wissenschaft, um von diesen zum Natürlichen herabzusteigen; sondern umgekehrt, vom bewußtlosen Daseyn des Ewigen anfangend, führt sie es zur höchsten Verklärung in einem göttlichen Bewußtseyn hinauf. Die übersinnlichsten Gedanken erhalten jetzt physische Kraft und Leben, und umgekehrt wird Natur immer mehr der sichtbare Abdruck von den höchsten Begriffen. Eine kurze Zeit, und die Verachtung, womit ohnedieß nur noch die Unwissenden auf alles Physische herabsehen, wird aufhören, und noch einmal wahr werden das Wort: Der Stein, den die Bauleute verworfen, ist zum Eckstein worden. Dann wird die so oft vergebens gesuchte Popularität von selbst sich ergeben. Dann wird zwischen der Welt des Gedankens und der Welt der Wirklichkeit kein Unterschied mehr seyn. Es wird Eine Welt seyn, und der Friede des goldnen Zeitalters zuerst in der einträchtigen Verbindung aller Wissenschaften sich verkünden.

    Bei diesen Aussichten, welche die gegenwärtige Schrift auf mehr als eine Weise zu rechtfertigen suchen wird, darf sich wohl ein oft überlegter Versuch hervorwagen, der zu jener künftigen objektiven Darstellung der Wissenschaft einige Vorbereitung enthält. Vielleicht kommt der noch, der das größte Heldengedicht singt, im Geist umfassend, wie von Sehern der Vorzeit gerühmt wird, was war, was ist und was seyn wird. Aber noch ist diese Zeit nicht gekommen. Wir dürfen unsere Zeit nicht verkennen. Verkündiger derselben, wollen wir ihre Frucht nicht brechen, ehe sie reif ist, noch die unsrige verkennen. Noch ist sie eine Zeit des Kampfs. Noch ist des Untersuchens Ziel nicht erreicht. Nicht Erzähler können wir seyn, nur Forscher, abwägend das Für und das Wider jeglicher Meinung, bis die rechte feststeht, unzweifelhaft, für immer gewurzelt.

  • in: Jahreskalender Schelling »Jahreskalender 1818« (1818). Text

    Einleitung der Weltalter

    Forts.

  • in: Jahreskalender Schelling »Jahreskalender 1819« (1819). Text

    Einleitung der Weltalter

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  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 79)« (?). Text

    IV)hatten doch immer den Vorzug, daß in ihnen eine Natur war wenn auch eine ihrer nicht mächtige; in der anderen dagegen nichts als Unnatur und leere Kunst. In jenem Einen, daß es ein Lebendiges ist, was sich in ihnen entwickelt, mögen unsre Ansichten immer gern mit der theos˖[ophischen] vergleichen lassen Der Gedanke von Naturphilosophie ist Eins mit dem Grundgedanken aller Theosophie, ob ich es gleich bey der ersten Aufstellung desselben nicht wußte. Nie aber werde ich das wissenschaftliche Streben nach einer theilweis gehenden und es zu wirklicher Reflexion bringenden Erkenntniß verläugnen; und auch in dieser Schrift jenen bescheidenen Begriff getreu bleiben, den uns Plato von der Wissenschaft gelehrt.

    Dieses also mag hinreichen zur Erklärung, warum die Wissenschaft bis jetzt mehr der Absicht als der That nach Historie ist, auch wie in dem folg˖[enden] Werk nicht sowohl Erzählen als Forschen seyn werden.

    Gibt es denn aber für diese Erinnerung nicht wenigstens eine äußere Hülfe? Ist bloß unser eignes Inneres, ist nichts außer uns ein Spiegel jenes Urzustandes, aus dem alles erst in die Gegenwart übergegangen.

    Lieblich –

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 82)« (?). Text

    Staatsmann, Weisheit, Zeit, Philosophie

    Inhalt: »Wissen was war p«

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 87)« (?). Text

    III u)nicht, daß der Ausführung, auch des Theils, bis in’s Einzelne nicht alle Sorgfalt gewidmet worden, aber nur der Fleiß aufeinanderfolgender Zeiten und Arbeiten kann alle Theile gleicherweise vollenden und jeden mit dem vollen Leben ausstatten, dessen er fähig ist. Wenn einst der höchsten Wissenschaft widerfährt, dessen untergeordnete schon länger sich erfreu’n, daß die in derselben Forschenden über den allgemeinen Umriß verstanden sind, daß nicht jeder, berufen oder unberufen, wieder von vorn anfangen zu müssen meynt, zufrieden, wenn er nur etwas Eignes, wär’ es auch nur eine neue und andre Verzerrung des Rechten und Wahren zu Stande bringt, dann wird möglich seyn abzutheilen und der Ausbildung des Einzelnen im Ganzen ungestörten Fleiß zu widmen. Zunächst also beabsichten wir mehr, als die Folgen, das System der Zeiten zu geben, das Gesetz der Bewegung, gleichsam die ewigen Zahlen der großen Fortschreitung in die alles eingeschlossen ist.

    Daß die Zeit etwas Gewordenes und Zufälliges ist, im Allgemeinen zu beweisen, darf man sich wohl überheben. Schon das übrige Geschöpf ist der Eitelkeit nur nicht mit Willen unterworfen ist; der Mensch aber, der mehr als jeder andre die Zeit leidet, kann sie vollends nur als etwas ihm Auferlegtes als ein ursprünglich nur Zugezognes nicht Nothwendiges ansehen. Hier erwacht im tiefsten Bewußtseyn wie die Erinnerung einer unfürdenklichen Schuld, in deren Folgen er eingetreten wenn er sie auch nicht ursprünglich trägt. Denn er sieht im eigenen Innersten noch dasselbe Princip lebendig, das die Zeit angefangen, und erkennt demnach seine innigste Verwandtschaft mit diesem. Er fühlte sich gleichsam an die Stelle eines untergegangnen Princips erschaffen; darum drückt die Vergangenheit als eine Schuld auf ihn, die er zu überwinden angetrieben ist. Er ist der, die Fortführung des angefangnen Proceßes zu übernehmen hat also den Theil der schon zur Vergangenheit geworden und thätlich (practisch) nicht mehr durchzuleben ist, wenigstens wissenschaftlich wiederholen und bis zu dem Punct verstehen muß, wo er wieder in Leben und That übergeht.

    Doch der mächtigste Antrieb zur Wissenschaft ist nicht bloß das Gefühl dieser Verwandtschaft, sondern ein noch tieferes, das als eine dunkle, den Meisten freylich ganz unklare Erinnerung den Menschen selbst in der tiefsten Erniedrigung nicht verläßt, das Gefühl nämlich, daß eben das, was am Tiefsten und Innerlichsten von der Zeit leidet, oder was ihr am meisten unterworfen, ebendarum aber auch das eigentliche und letzte Subject (subjectum ultimum) der Zeit ist, daß eben dieses, das jetzt widerstandlos die Zeit über sich ergehen läßt und allein sie trägt einst das Centrum, das Innerste, die Macht aller Dinge war; und alles Streben nach Wissen, vom tiefsten bis zum höchsten, ist nur das Erzeugniß jener, in den dumpfesten Naturen wenigstens blind wirkenden, in den helleren schon aufdämmernden, in den selbstbewußtesten sogar zum Bewußtseyn kommenden Erinnerung von jener alten Macht und Herrlichkeit über das Seyn. Denn eben das wissenerzeugende ist auch das die Zeit erzeugende Princip und was ist alles Streben nach Wissenschaft letztes und höchstes Ziel, als eben dieses von seinen Sitz Getriebene und Verdrungene, die Bewegung jetzt bloß Leidende und Erfahrende wieder einzusetzen und als die Macht, und als das Vorstehendes (Prius) der Bewegung; denn eben das was jetzt der Unterstand, d.h. das Subject, das Tragende der Bewegung ist, das ist, an seine ursprüngliche Stelle zurückgeführt, der Urstand oder Vorstand, also der Verstand der Bewegung; (die Einheit dieser beyden Begriffe zeigt noch die Vergleichung des deutschen Ausdrucks mit der stammverwandten englischen Sprache). Eben dieses, das gegen die Bewegung sich jetzt selbst als ein bloß Äußeres verhält, soll, wenn nicht der That nach (practisch), aber doch seinem Bewußtseyn nach wieder das innere von ihr werden; Erinnerung also, in diesem Sinne, ist das Ziel alles Strebens nach Wissenschaft.

    Die Meisten sehen die Zeitlichkeit als etwas bloß Äußerliches an, denn gleich wie sie den Raum als eine große für die Dinge allerwärts gleichgültige Leere betrachten, so die Zeit als eine Ordnung und Folge, der sie ohne Antheil ihres Innern unterworfen sind. Allein für das, was in sich selbst nicht zeitlich ist, gäbe es keine Zeit; ein solches wäre mitten in der Zeit außer der Zeit. Die Zeitlichkeit, d.h. die Beschaffenheit, wodurch etwas der Zeit unterworfen wird, ist also etwas Innerliches und kann darum auch nicht ohne eine innerliche Veränderung gesetzt werden. Nichts ist mit Gewalt bloß äußerlich in die Zeit hineingestellt oder eingeschlossen worden und was die Zeit trägt, ist zwar nicht mit seinem Willen aber doch auch nicht ohne diesen unterthan.

    Ebenso kann nichts mit Gewalt zum Anfang gleich erschaffen noch herabgesetzt worden gemacht werden. Denn das Anfangende ist das unrechte, das uneigentliche Seyende, das eigentlich nicht seyn sollte. Wär’ es das Rechte und das seyn soll, so wär’ es nicht Anfang, denn es könnte nichts nach ihm seyn. Nichts aber kann zum uneigentlich Seyenden erschaffen und mit Gewalt gleichsam dazu gemacht werden. Freylich auch nichts kann Anfang seyn wollen, denn ein jedes verlangt von Natur so viel möglich das wahre, rechte Seyende zu seyn. Es begegnet ihm also wider seinen Willen, und was Anfang ist kann es nur unbeabsichteter Weise seyn, doch auch nicht ohne seinen Willen. Es stehet nicht geschrieben, daß ein jedes das rechte Seyende seyn solle; aber es stehet ebenso wenig geschrieben, daß irgend Eins das unrechte seyn müsse. Es konnte eben nicht seyn.

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 92)« (?). Text


    162### ### seyn

    Indem wir nun anfangen zu philos˖[ophiren], setzen wir auch schon die Existenz der Final-Einheit – eben der urspr[ü]nglichen die in unsrem Bew˖[ußtseyn] zwangsweise ist – voraus, so daß wir statt der fremden Einsicht, der unfreyen, die in jener nothwendigen auf uns liegt, nun die eigne suchen, die freye(Es ist in dieser ersten formellen Erkenntniß mehr das Erkannte oder das in dem gewußt wird, als das selbst wissende.), welche bloß dadurch möglich ist daß wir in jene Final-Einheit, von der wir uns ausgeschlossen, uns jetzt selbst – und somit zurechtfinden –

    Unstreitig setzen wir im Anfang des Philos˖[ophirens] jene Final-Einheit auch ausdrücklich als vorhanden voraus und Unsinn wäre, ohne dieß philosophiren zu wollen.

    Wir giengen also wohl auch über jene schon vorhandene Final-Einheit nicht hinaus. Wir wären schon formell darinn, und suchten nur materiell erst darein zu kommen. Unsre Bewegung gienge schon ganz in der bereits vorhandenen FinalEinheit vor,*)*) Das in der Philos˖[ophie] Wissende geht nicht mehr über sie hinaus – wie sie ja auch nicht über sich hinausgeht. Denn bey allen möglichen Stellungen der einzelnen Principien bleibt immer die Einheit – und so bleibt während der ganzen wissenschaftlichen Bewegung des Philos˖[ophen] immer in demselben ein Bewußtseyn. und das erste Geschäft wäre, uns eben formell in sie zu versetzen (das sind wir schon). Ebendarum, weil es sich nur handelte vom Gewinn einer schon vorhandnen Wiss˖[enschaft] wurde die Geschehenheit gleichg[ü]ltig alles wäre schon in die Ewigkeit aufgenommen. Es gibt keine relative Vergang˖[enheit] mehr – oder vielmehr Vergang˖[enheit] ist immer nur relativ – hier ist aber schon alle Zeit überwunden, d.h. alles ist gleich gegenwärtig und gleich vergangen.

    Die allgemeine Bewegung hat uns wieder zurückgebr˖[acht] auf den reinen Mangel – es ist kein + möglich ohne ein -Jener Zwang, welchen die schon vorhandene, existirende Temperatur des Weltalls auf unsre intellectuellen Vermögen ausübt, reducirt uns eig˖[entlich] zuerst aufs Nichtwissen, oder nichtwissende Wissen, denn das ist in der Ureinheit. cfr. p. 160 ### 161.b marg.


  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 93)« (?). Text

    I.Einleitung

    Das Vergangene wird gewußt, das Gegenwärtige wird erkannt, das Zukünftige wird geahndet.

    Das Gewußte wird erzählt, das Erkannte wird dargestellt, das Geahndete wird geweissagt.

    Wenige kennen wahre Vergangenheit bewußt. Ohne entschiedne Gegenwart gibt es keine; wie viele erfreuen sich einer solchen? Der Mensch, der sich nicht scheiden kann von sich selbst, sich lossagen von allem was ihm geworden und diesem sich entgegensetzen, hat keine oder vielmehr kommt nie aus ihr heraus, lebt beständig in ihr. Eben so alle die nicht fortwollen, die sich selbst nicht steigern, da alles (auch das Schlechte) sich steigert und in müßiger Sehnsucht nach dem Vergangenen die Gegenwart verzehren. Wohlthätig ist dem Menschen das Gefühl, etwas wie man sagt, hinter sich gebracht, d.h. als Vergangenheit gesetzt zu haben; heiter wird ihm nur dadurch die Zukunft und leicht nur unter dieser Bedingung, auch etwas, wie man sagt, vor sich zu bringen. Nur der die Kraft hat, sich sich selber zu unterwerfen erschafft sich eine Vergangenheit, eben dieser genießt einer eigentlichen Gegenwart, wie er allein einer wahren Zukunft entgegensieht. Dem andern ist, was er thue oder leide, nur eine beständige Wiederholung derselben Zeit, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind sich gleich, Unterschiede nur Einer Zeit, nicht verschiedene Zeiten. Diese Eine und keine andre Zeit sehen die Meisten auch außer sich. Was jetzt gegenwärtig scheint, ist im nächsten Augenblick vergangen, was zukünftig, demnächst gegenwärtig, um ebenfalls ein Vergangenes zu werden. Nichts bleibt; nur die Vergangenheit scheint sich zu vergrößern, mit andern Worten: alles was in dieser Folge sich bewegt ist zur Vergangenheit verurtheilt, und steht immer wieder auf, nur um immer wieder als vergangen gesetzt zu werden. Also es ist eine nur nicht völlig überwundne, doch schon in der Überwindung begriffne Zeit, es ist nicht entschiedne Vergangenheit weil immer wieder in die Gegenwart tretend, und doch niemals Gegenwart weil stets in die Vergangenheit zurückgesetzt.

    Es ist eine alte Rede: nichts Neues ereigne sich unter der Sonne. Auf die Frage was ists das geschehen ist, müßte man antworten: Ebendas hernach auch geschehen wird, auf die, was ists das man thun wird? Ebendas was zuvor auch gethan. Verschiedene haben verschieden dieß gedeutet; die Meisten mit dem nächsten Sinn über die eigne Lebensleerheit sich getröstet. Der wahre Sinn aber ist dieser. Es ist alles in der Welt nur einerley Zeit, ob vergangen, ob gegenwärtig, ob zukünftig ist gleichviel, die Welt kommt damit doch nicht über die Eine Zeit hinaus, in dieser eingeschlossen oder vielmehr die sie selbst ist. Alle Zeit in der Welt ist nur Wiederholung Einer Zeit, welche eben die Zeit dieser Welt ist; das Schema derselben ist die Reihe A+A+A und so fort in’s Unbestimmte. Es ist Ein und dasselbe A, das immer wiederkehrt. Wie jedes folgende Jahr die Erde da aufnimmt, wo das vorhergehende sie aufgenommen, und genau wieder eben dahin sie führt, wo es selbst sie gefunden, obgleich die Jahre unter sich verschieden sind, und eines durch Mißwachs, Hunger, Krankheiten und allgemeine Erschüttrungen ein andres durch Fruchtbarkeit, Überfluß allgemeine Ruhe und Gedeihlichkeit ausgezeichnet: so vom wahren Gesichtspunct angesehn, ist es bey allem Wechsel der Dinge und Erscheinungen in der Welt doch immer Eine wiederkehrende Zeit, eine Zeit, die weder sterben kann noch bleiben und sich zur Gegenwart erheben.

    Was weiter daraus folgt, verschweigt das alte Buch. Die stets fortgesetzte Wiederholung derselben Zeit ist auch Zeit, aber nicht wirkliche Zeit, vielmehr die aus Verneinung, Fesselung der wahren Zeit entsteht. Dieser, eigentlichen Fortgang setzenden, Zeit stellt sich die eine =A entgegen, die selbst nicht in die Zeit will, vielmehr ein Anhalten (ἐποχή) ein Hinderniß der Zeit ist, die sich als eine Ewigkeit (ein Äon) aufführt, die Zeiten nur in sich, aber selbst nicht in die Zeit will.

    Überwunden würde dieser Widerstand wenn die der wahren Zeit sich widersetzende Zeit selbst in Zeit gesetzt würde, d.h. wenn eine andre Zeit käme der sie weichen müßte, und die sie als entschiedene Vergangenheit setzte.

    Nun erst, nach geschehener Überwindung, entstünde statt der gleich gültigen Reihe bloß im Zählen verschiedener Zeiten eine Folge und Verkettung wirklich verschiedner, d.h. es entstünde wahre Zeit; aus A+A... würde zuerst A+B...

    Daß jene scheinbare Zeit, die eigentlich Nichtzeit, Stillstand der Zeit, ist nicht über diese Welt hinausreicht verstehet sich von selbst, da sie ja eben die Dauer dieser Zeit der Welt ist; ebenso offenbar ist aber daß die wahre Zeit erst diejenige ist, welche auch diese Welt selbst wieder als einzelnes Glied begreift. Hiedurch entstehet der Begriff von Weltzeiten, oder auch nach der gewöhnlichen Übersetzung des doppeldeutigen griechischen Wortes der Begriff ewiger Zeiten (χρόνοις αἰωνίοις). Ewiger, weil sie nicht zu dieser Zeit gehören, die die Meisten allein Zeit nennen. Zeiten, weil sie doch nur einzelne Glieder der großen allbefassenden Zeit sind.

    In sich selbst hat die Welt keine wahre Vergangenheit noch Zukunft. Aber, eben weil nur Eine Zeit, setzt sie die zum Ganzen der Zeit gehörigen Zeiten außer sich voraus. Die wahre Zukunft ist, die nach dieser Welt seyn wird, die wahre Vergangenheit, die vor dieser Welt war. Denn gleichwie sie selbst bestimmt ist, von einer folgenden Zeit als Vergangenheit gesetzt zu werden, so hält auch sie eine andere Zeit in sich bewältigt, die ihr zu Grunde gelegt ist und die nimmer, als vielleicht in einzelnen mehr versuchten als vollbrachten Bewegungen in die Gegenwart heraustritt.

    Aber auch diese unmittelbare Vergangenheit der Welt, die einst Gegenwart war, ist unstreitig nicht die älteste Vergangenheit; auch sie war vielleicht nur das letzte Glied eines Systems oder einer Folge von Zeiten; und so ist kein Stillstand der Forschung, eh’ wir zu derjenigen Vergangenheit gelangt sind, die wir unzweifelhaft für die erste und älteste erkennen.

    Wenn Wissenschaft überhaupt sich auf Vergangenheit bezieht, so die höchste Wissenschaft nothwendig auf die höchste Vergangenheit. Hat aber nicht Philosophie die allgemein als Streben nach der höchsten Wissenschaft gilt von jeher die Gränzen der Welt zu überschreiten, die Herkunft der Dinge vom ersten Anfang abzuleiten gesucht?

    Jugendlichen Völkern war ihr wahres oder eingebildetes Wissen Geschichte; vielleicht, sagt der tiefsinnige J.G. Hamann, enthält die älteste Fabel mehr wahre Begebenheiten, als die eigentliche Geschichte, das heißt, wie wir dieß deuten zu dürfen glauben, vielleicht enthält die älteste, in den Hauptsachen wundersam übereinstimmende, Fabel der Völker, Bruchstücke, einzelne Laute der wirklichen Geschichte jener Vorzeiten der Welt, der Folge von Veränderungen und Umstürzen, wodurch allmälig alles in den gegenwärtigen Stand gelangt ist. Aber der frühe Untergang des Sinns, der Verlust des Schlüssels, der noch heutzutag gesucht wird, zeigt den Unbestand und die Zufälligkeit eines solchen Wissens.

    Hat Philosophie ihren Zweck, Wissenschaft zu erzeugen erreicht, oder kann sie ihn erreichen, warum, wie der Sache, ja der Wortbedeutung nach Historie (ἱστορία), kann sie es nicht auch der Form nach seyn? Das Gewußte wird erzählt; warum kann nicht auch das Gewußte der höchsten Wissenschaft mit der Geradheit und Einfalt, wie alles andre Gewußte erzählt werden? Was hält sie zurück, die gerühmte goldne Zeit, da die Fabel wieder zur Wahrheit und die Wahrheit zur Fabel wird?

    Von dem innersten Selbst des Menschen läßt sich nichts Geringeres denken, als: es sey eben das, das im Anfang war. Nicht einmal wollen könnte der Mensch, was er doch entschieden will, die Wissenschaft, (denn einzeln läßt sich nichts wissen), wäre nicht in ihm wenigstens das dunkele Gefühl eines Wesens, das einst im Centrum und selbst Centrum war, das also die Macht und die Möglichkeit aller Dinge enthielt. Was anderes kann denn überhaupt das Wissende seyn, als das auch das Seyende und lebendige ist, da alles Wissen nur aus und mit dem Leben kommt? Und welches andere könnte den Weg des Lebens von Anfang wissen, als ebendas, welches das Subject dieser Bewegung und aller von ihr gesetzten Veränderungen war? Wir sagen nicht, das Selbst des Menschen war im Anfang; wohl aber sagen wir: der Mensch seinem Allerinnersten nach ist eben das, das auch im Anfang war.

    In diesem Innersten des Menschen ruht also auch die Wissenschaft. Aber diese selbst ist vor ihm verdeckt, wie es ja vor sich selbst verdeckt

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 95)« (?). Text

    I)Das Das Vergangenes allein wird ursprünglich gewußt; das Gegenwärtiges wird höchstens erkannt; das Zukünftiges wird nur geahndet. Wir wissen nur was geschehen, wir erkennen was ist, wir ahnden was seyn wird. Anders freylich, wenn das Gegenwärtige selbst von der Bewegung der Wissenschaft ergriffen, wenn es nicht als ein Seyendes, sondern als ein Werdendes betrachtet wird. Hier, wo es in seinem lebendigen Zusammenhang mit dem Vergangenen und der Mitte zwischen diesem und dem Zukünftigem erscheint, verliert es die dem Wissen widerstrebende Natur und wird in einen Vorwurf der Wissenschaft gleichsam verwandelt.

    Und so verhält sich das Zukünftige, soweit es mit Sicherheit vorauszusehen ist, am entschiedensten als Gegenstand der Wissenschaft, weil es am wenigsten, so zu reden, von dem Seyendes und am meisten von dem Werdenden hat. Denn wenn das Vergangene schon darum vorzugsweise gewußt wird, weil es wenigstens als ein

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 96)« (?). Text

    I) Ich sollte wohl, indem ich dieses lang vorbereitete Werk für den Druck niederschreibe, davon anfangen, den Gegenstand desselben zu erklären und mit deutlichen Worten auseinanderzusetzen, was unter den Weltaltern zu verstehen sey, von denen es den Namen erhalten. So oft ich nur auch darinn dem Herkömmlichen und der Billigkeit nachzugeben geneigt war, fühlte ich doch immer, daß eine solche vorläufige Erklärung des Gegenstandes sich mit der ganzen Anlage dieses Werkes nicht vertragen würde. Denn meine Absicht mit demselben ist keine andre, als von den einfachen Anfängen und den ersten Begriffen an stufenweis das ganze dieser Ansichten oder dieser Wissenschaft, wofür es sich nur am Ende zeigen möge, aufzubauen, also daß ein jeder klar sehe und beurtheilen möge, aus welchem Grund und in welcher Folge es erwachse und jeden Theil, jedes Glied deutlich unterscheide, und wie sich endlich alles zur Einheit fügt erkenne. Zu diesem Ende aber wäre nicht wohl gethan, einen schon sehr zusammengesetzten Begriff, und der selbst erst allmälig erzeugt seyn will gleich voranzustellen. Denn es muß von diesem Begriff gelten, was von jedem wissenschaftlichen, daß er nichts ist, und ohne Gehalt und Werth unabhängig von der Fortschreitung die ihn erzeugt und unter den Händen derer, die ihn diesem Leben entnehmen, wie Früchte vom Baum getrennt abstirbt. Diesen Weg aber mit dem Forscher zu gehen, sträubt sich die Bequemlichkeit und die Trägheit wie die freche und Gewohnheit des leeren endlosen Geredes, und die Mißgunst, die der Meynung ist, es könne nichts geleistet werden als das sie entweder auch geleistet habe oder von dem sie doch zum Voraus erkannt, daß es geleistet werden könne. Darum verlangt diese Art so sehr nach dem Resultat, weil dieses allerdings ein bloß leidender Stoff ist, über den sie nach ihrer Weise hin und her reden kann. Der gleichgestimmte Forscher aber hat seine Freude nicht so sehr an dem Werk, als an dem Thun durch das es erzeugt wird und folgt, auch ohne Ankündigung des Zwecks, die, stelle man sich wie man wolle, immer etwas Prahlerisches hat, gern der Untersuchung, in der er nur ein wissenschaftliches und kunstmäßiges Verfahren wahrnimmt, überzeugt, daß sie zu einem Ziel führe, das ihn um so mehr erfreut, je weniger er es vorher bestimmt erkannt.

    Und so bleibt mir denn nichts, als von allen Lesern diejenige Gelassenheit Ruhe und Ergebung in den Gang der Entwicklung für den Anfang und Fortgang zu wünschen, die ich selbst mir bei dieser Darstellung zur Pflicht gemacht.

    Weil aber jede Einleitung, d.h. jeder Vortrag, der nicht unmittelbar und gleich mit dem Ersten anfängt, unwillkührlich und nothwendig Begriffe voraus nimmt, die erst in der Folge und im Zusammenhang des Ganzen ihrem wahren Gehalt nach bestimmt werden; so möchte das Unverfänglichste, was man noch etwa dem Anfang vorausschicken könnte, das Geschichtliche seyn oder eine, wenn auch kurze Nachweisung, wie aus den zunächst vorhergegangnen Forschungen eben dieser Anfang sich ergeben und allmälig herausgewickelt.

    Bekanntlich ging die Anregung zu der großen wissenschaftlichen Bewegung, welche bis jetzt, in verschiednen Erscheinungen stets noch mehr sich verbreitend, unter uns fortdauert, von der einfachen Frage aus: Wie sind synthetische Urtheile möglich, d.h. wie kann man in Urtheilen über das Subject hinausgehen, wie wird es möglich*) oben*) ad vocem: möglich. Möglich ist hier nicht das rechte Wort. Denn eigentlich ist das Gegentheil unm˖[öglich] – Wahrhaft ist das Subj˖[ect] nicht das Subj˖[ect] sondern Etwas andres – und sein A=A Seyn ist eigentlich sein Nicht-Seyn. Wenn man von A urtheilen will A ist – so muß an der Stelle des Prädicats Etwas stehen – und nur sofern Etwas dasteht, ist es Etwas d.h. ein Seyendes. Also das A=A Seyn allein ist sein Nichts – sein Nicht-Etwas Seyn – sein Nicht-Seyn überhaupt., dem Subject nicht wieder nur das Subject (wie in A=A) oder etwas in dem Subject als solchen Begriffenes, sondern etwas völlig Anderes und Fremdes zu verknüpfen.

    Eine Frage die allerdings den Grund des Wissens berührte, der man aber weder in dieser Form, noch in der Beantwortung die sie zunächst erhielt, die Tiefe ansehen konnte, in die sie führen würde.

    Es zeigte sich nämlich bald, daß jene materiellen Eigenschaften oder Bestimmungen, welche in den gewöhnlichsten Urtheilen durch das Wörtlein ist mit dem Subject verbunden werden, nur untergeordnete Beyspiele einer solchen über das Subject hinausgehenden Verknüpfung sind; es zeigte sich, daß die ursprünglichste Synthesis, die allen Einzelnen zu Grunde liegt, diejenige ist, wo sondern daß das Seyn (die Existenz) selbst ausgesagt und mit einem Subject verknüpft wird. Denn alle besondern Bestimmungen, die von irgendeinem Subject A ausgesagt werden, drücken doch nur verschiedne Bestimmungen des Seyns aus; daher alle jene besondern Urtheile, A ist B, ist C, ist D u.s.w. doch nur unter den allgemeinen stehen; A Ist, d.h. A ist ein Seyendes, wie denn selbst der gemeine Sprachgebrauch richtig erkennt, der das was nicht Etwas (Nichts) ist auch für das nimmt, das nicht Ist, und umgekehrt von dem das nicht Ist, auch sagt es sey Nichts oder nicht Etwas.

    Nun ist aber jede Synthesis schon etwas bedingtes, und es folgt unmittelbar, daß von keinem möglichen Gegenstand irgendeines Denkens gradezu, unmittelbar und unbedingt ausgesagt werden könne, daß er Ist. Das einzige unmittelbar zu Setzende ist vielmehr das, was in aller Synthesis schon vorausgesetzt wird, das bloße Subject des Seyns, oder das was seyend zwar seyn kann, aber eben darum nicht an sich ist.

    Unstreitig war es diese Folgerung, die den ersten Anlaß gab zum Grundgedanken der Wissenschaftslehre. Fichte bemerkt gleich zu Anfang, der Satz A=A drücke schlechterdings kein Seyn des A aus: und inwiefern dieser Satz für ihn mit Recht die Form alles schlechthin- oder unbedingt-Setzens war, so folgte von selbst, daß aus dem schlechthin – oder unbedingt zu Setzenden auch alles Seyn entfernt seyn mußte. Dieser Gedanke wurde aber so gleich wieder dadurch verdunkelt, daß jenes bloße Subject des Seyns als Ich ausgesprochen wurde, denn das Ich ist freylich auch jenes Subject, aber nicht mehr in seiner Reinheit, sondern sofern es zugleich schon Object ist. Und so blieb denn auch wohl die Einsicht oder nur das Gefühl, daß jenes erste die bloße Voraussetzung sey, von der aus- und auf ein Zweytes, ja auf ein Drittes fortzugehen sey; da aber gleich dem Ersten selbst die Ergänzung beygefügt war, die es erst durch das Zweyte und Dritte erhalten sollte, so blieb nur noch die Form, aber die richtige Fortschreitung selbst war unmöglich gemacht. Doch dieses wird am besten erhellen, wenn es uns in der Folge gelingen sollte, diese richtige Fortschreitung selbst zu zeigen.

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 112)« (?). Text

    Begriffe: Prozeß, Welterzeugung, Ich, Wissen, Seyn, Zweyheit, Einheit, Dialektik, Subject, Object, Philosophie, Bewegung

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 111)« (1813). Text

    1)Nächst der Frage: was ist? beschäftigen den Menschen keine so sehr, als die: was ist gewesen? und was wird seyn? ja es ist zu erwarten, daß er von diesen beyden noch mehr als von jener ersten angezogen wird, weil der Mensch gern dem Druck der Gegenwart entflieht oder wegen des nichtigen Gefühls, daß die Gegenwart nicht begreiflich ist, ohne das Vergangene zu wissen und das Zukünftige in gewißem Maß vorauszusehen; denn was in der Gegenwart vergangen oder zukünftig ist gehört, als ein solches, eben so gut zu ihr, als das wirklich Gegenwärtige. Beydes, wissen was war, und wissen was seyn wird, ist sich in gewißem Betracht ähnlich; denn es gehört, wie Ein großer Schriftsteller sich ausdrückt, beynahe eben die Scharfsinnigkeit und divinirende Kraft dazu, das Vergangene als das Zukünftige zu lehren.

    Alles was uns umgibt, weist an eine unglaublich hohe Vergangenheit zurück. Der Erde und wieder ihren Bildungen muß ein unbestimmbar höheres Alter zugeschrieben werden, als dem Geschlecht der Pflanzen und Thiere, diesen wieder ein höheres, als dem Geschlecht der Menschen. Von der Zeit der ältesten Bildungen und der damals wirkenden Kräfte wissen wir uns kaum einen Begriff zu machen. Viele derselben tragen die Spuren späterer Verwüstung; ruhigere Zeiten folgten aber auch sie durch Stürme unterbrochen und sammt ihren Schöpfungen unter denen einer neuern begraben. In einer undenklichen Reihe von Zeiten hat je die folgende die vorhergehende zugedeckt, so daß sich kaum etwas Unverändertes zeigt; eine Menge von Schichten, die Arbeit von Jahrtausenden, müßte, so scheint es, hinweggenommen werden, um endlich auf den Grund zu kommen.

    Aber bald sehen wir, daß nicht ein regelloser Strom der Zeit, daß eine geordnete Folge von Zeiten allmälig dieß alles gebildet. Urgebirg, Flözgebirg, aufgeschwemmtes Gebirg, alle diese Bildungen folgen sich in gemeßnen Zeiten und deutlich[en] Absätzen. Die ältesten Gebirge zeigen keine Spur von organischem Leben, und deuten auch durch ihr ganzes Aussehen auf eine Zeit, da nur unorganische Kräfte walteten; aber auch das Leben hat sich nicht auf einmal, einem Strom gleich ausgebreitet; nur allmälig gewann es Platz, und erhob sich in deutlichen Abstufungen und bestimmten Zeiten erst zu der Höhe der vollkommenen Geschöpfe. Eine unbestimmbar lange Zeit war die schaffende Natur vielleicht nur mit der Hervorbringung der untersten Gattungen, jener Schalthiere beschäftigt, deren Reste sich in unermeßlicher Anzahl in den ältesten der späteren Gebirge aufgehäuft finden; und nach den Zeugnissen, welche des Innre der Erde selbst von ihrer Vergangenheit aufbewahrt, dürfte man vielleicht schon fast die Meynung fassen, daß jedes Geschlecht der lebenden Wesen das Werk einer eignen Zeit und gleichsam der Zeiger einer bestimmten Stunde in dem großen Gang der Schöpfung sey. So sehen wir denn in der jetzigen, die Werke so verschiedner Zeiten vereinenden Welt, eigentlich eine Totalität, ein geschlossenes System schon gewesener Zeiten vor unsern Augen gegenwärtig.

    Wollte sich nun der Forscher auch nur auf die Erkenntniß des Gegenwärtigen beschränken wie vermöchte er auch nur das einzelste zu begreifen, ohne ihm seine Zeit in der Schöpfung anzuweisen. In einem Ganzen, worinn alles und jedes den Abdruck rhythmisch und gesetzmäßig folgender Zeiten zeigt, kann nichts einzeln nichts für sich genommen werden. Nur die Zeit zu der jedes gehört, ertheilt jedem Ding seine Eigenthümlichkeit und Bedeutung. Auch das Kleinste, bis zum Sandkorn herab, muß Bestimmungen an sich tragen, hinter die es unmöglich ist zu kommen ohne den ganzen Lauf der schaffenden Natur bis zu ihm zurückgelegt zu haben. Schon die Eigenheiten einer ausgezeichneten menschlichen Individualität sind uns oft unbegreiflich, bevor wir die besondern Umstande erfahren, unter denen sie geworden ist und sich gebildet hat. Und der Natur sollte man so leicht auf ihre Gründe kommen? Ein hohes Werk des Alterthums steht als ein unfaßliches Ganzes vor uns, bis wir der Art seines Wachsthums und seiner allmäligen Ausbildung auf die Spur gekommen. Wie viel mehr muß dieß bey einem so vielfach zusammengesetzten Individuum als schon die Erde ist der Fall seyn? Welche ganz andre Verwicklungen müssen hier stattfinden?

    Aber was von der Erde gilt, gilt von der Welt, und wenn einmal der wahre Grund der Erkenntniß auch der Gegenwart Herleitung aus der Vergangenheit ist, wo ist hier ein Stillstand? Denn auch beym letzten Sichtbaren angekommen findet der Geist noch eine nicht durch sich selbst begründete Voraussetzung und ruht nicht, eh’ er zum unbedingten, sich selbst setzenden Anfang gelangt ist und von dorther in geordneter Folge der Zeiten alles wie es geworden urkundlich begriffen hat. Und wenn er auch zum Anfang gelangt ist, erkennt er doch, daß auch in dem, was vor der Welt voraus war, etwas als Vergangenheit gesetzt werden mußte, ehe die gegenwärtige Zeit möglich war; daß aber dieses Vergangene die jetzige Schöpfung trägt und noch immer im Grunde verborgen liegt.

    Der gegenwärtige wissenschaftliche Begriff kennt zwar keine Zeiten; sondern nur ein Abstractum von Zeit, eine gewisse allgemeine Zeit, die er die Zeit schlechthin nennt. Von dieser Zeit redet man denn sehr wahr, daß sie eine bloße Form unsrer Vorstellungen sey, ja man würde noch richtiger sagen, daß sie überall nichts 2)sey, als ein selbstgemachter Begriff.

    Bezogen auf diese unwahre Zeit sind Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wirklich bloße Verhältnißbegriffe, die keinen wahren Gegensatz bilden, also auch von Nichts an sich ausgesagt werden können.

    Vergangenheit ein wunderbarer Begriff, allen gemein, doch nur Wenigen verstanden. Die Meisten wissen von keiner, als der, welche sich in jedem Augenblick durch ebendiesen vergrößert, selbst noch wird, nicht ist. Ohne bestimmte entschiedne Gegenwart gibt es keine; wie viele erfreuen sich einer solchen. Der Mensch, der sich seiner Vergangenheit nicht entgegenzusetzen fähig ist, hat keine oder vielmehr kommt nie aus ihr heraus, lebt beständig in ihr. Ebenso jene welche immer die Vergangenheit zurückwünschen, die sich selbst nicht steigern wollen, da alles (auch das Schlechte) sich steigert, und die durch ohnmächtiges Lob der vergangenen Zeiten wie durch kraftloses Schelten der Gegenwart beweisen, daß sie in dieser nichts zu wirken vermögen. Wohlthätig und förderlich ist dem Menschen, etwas wie man sagt, hinter sich gebracht zu haben; heiter wird ihm nur dadurch die Gegenwart und leicht nur unter dieser Bedingung auch etwas vor sich zu bringen. Nur der Mensch der sich scheiden kann von sich selbst sich lossagen von allem was ihm geworden, ist fähig, sich eine wahre Vergangenheit zu erschaffen; ebendieser genießt auch allein einer wahren Gegenwart, wie er allein einer eigentlichen Zukunft entgegensieht; und schon aus diesen Betrachtungen würde hervorleuchten, daß die Verschiedenheit der Zeiten auf einem Gegensatz, auf einer Steigerung und Erhebung beruht, durch die sie von einander geschieden sind, und zugleich miteinander zusammenhangen.

    Wäre zwischen den Zeiten keine Steigerung, so liefe alles bedeutungslos in’s Unendliche fort; die Welt wäre, wofür sie einige vermeynte Weltweise gehalten, eine rück- und vorwärts in’s Endlose auslaufende Kette von Ursachen und Wirkungen, ohne einen eigentlichen Anfang und ohne wahrhaftes Ende. Dieser Ungedanke sollte mit der verwerflichen Denkart, die sein Ursprung ist und nichts auf organische Weise begreift, billig zugleich verschwunden seyn.

    Ein altes Buch sagt, auf die Frage was ist’s das geschehen ist? sey die Antwort: Ebendas was hernach geschehen wird; und auf die, was ist’s, das geschehen wird? Ebendas was zuvor geschehen ist. Aber es beschränkt diese Erklärung durch die bekannte Rede, Nichts neues begebe sich unter der Sonne. Die Welt, oder, genauer geredet, diese Welt, die Welt der (durch die Sonne bestimmten) Zeit hat in sich weder Vergangenheit noch Zukunft. Die Zeit dieser Welt ist nur Eine große Zeit, zu welcher alles gehört, was in dieser von Anbeginn geschehen ist, und was sich in ihr bis zum Ende ereignen wird. Aber ebendarum, weil nur Eine Zeit, setzt sie die zum Ganzen der Zeit gehörige Zeiten außer sich voraus. Die wahre Vergangenheit ist die vorweltliche, die wahre Zukunft die nachweltliche Zeit; und so schließt sich uns ein System von Zeiten auf, von welchem unsre gewöhnliche menschliche Zeitrechnung nur ein schwaches Nachbild, eine Wiederholung im engsten Kreise ist.

    Nun findet der Mensch, daß er nur in eine bestimmte Zeit geraten ist; also muß er, um seine Stellung zu begreifen und nach diesem Begriff zu handeln, zuvörderst die Zeiten der Welt von Anfang bis jetzt verstehen und unterscheidet: da ihm aber nicht verborgen bleiben kann, daß alle diese Zeiten zusammen nur Eine Zeit sind, und die jetzige Welt selbst auf einer großen Vergangenheit ruht, so muß er über die Gränzen der Welt hinausgehen und forschen, was gewesen ist, ehe die Welt war. Es ist eine bewährte Regel, daß wer den Anfang einer Sache nicht kennt, auch unmöglich deren Fortgang und Ende beurtheilen kann. Ebenso gewiß aber ist, daß um das Mittel einer Sache recht zu verstehen man Anfang und Ende verstehen muß; denn das Mittel ist vom Anfang und Ende gleich weit entfernt und hat von beyden gleich viel in sich. Wie in der Gegenwart die Vergangenheit ruht, regt sich in ihr die Zukunft. Ausgeburt der vergangenen Zeit, ist sie schwanger des Zukünftigen. Also ist der Mensch aufgefodert, Anfang, Mittel und Ende des großen Processes zu verstehen, in den er sich von Beginn seines Daseyns verschlungen findet. Er muß zu dem Anfang aufsteigen, um alles aus der Quelle herzuleiten; er muß bis an’s Ende hinaus sehen; denn die Absicht jeder fortschreitenden Bewegung wird nur in ihrem Ziel erkannt; und was im Beginn und Fortgang eigentlich war, wird nur durch das Ende klar.

    Ein solches vollständiges von Anfang bis zu Ende durchgeführtes System der Zeiten wäre dann unstreitig das so lang gesuchte vollständige System der Wissenschaft. Wissenschaft ist schon der Wortbedeutung nach Historie (ἱστορία). Nur von dem, was im Werden im Geschehen erfaßt wird, haben wir ein Wissen im eigentlichen Verstand. Unser angebornes Sprachgefühl sträubt sich, Einsichten todter, stillstehender Wahrheiten, wie z.B. die geometrischen sind, ein Wissen zu nennen, so gewöhnlich das jetzt ist. Darum sagen wir vorzugsweise nur von geschehenen Dingen wir wissen sie. Wenn aber das Gegenwärtige durch gesetzliche Folgerung aus dem Vergangenen, und so das Zukünftige aus dem Gegenwärtigen und Vergangenen hergeleitet wird, so begreifen wir auch diese im Geschehen oder als Werdende; und die bloße Erkenntniß des Gegenwärtigen und Ahndung des Zukünftigen erhebt sich zur Wissenschaft. Darum wird die Art von Erkenntniß, die ursprünglich in Gott wohnt, vorzugsweise durch Wissenschaft bezeichnet. Gott weiß alle Dinge; und wir schreiben ihm Allwissenheit zu, nicht Allerkenntniß. Denn Er sieht die Dinge nicht in ihrem gegenwärtigen Bestand allein, sondern weiß jedes Dings Anfang und Ende. Wissen ist die höchste Art von Einsicht, und eine höhere Stufe als Erkennen.

    3)Diese vollkommenen Wissenschaft ist gesucht worden, seitdem der Mensch zur eigentlichen Menschheit erwacht ist, und wird gesucht werden, so lang’ er Mensch ist. Denn diese Wissenschaft ist jene Weisheit, deren der Mensch, als solcher in dem Maß bedarf wie er sich selbst empfindet. Anfang Mittel und Ende einer Sache sehen, das ist weise seyn in dieser Sache. Wissen was war, was ist und was seyn wird, darinn besteht die Weisheit. Oder in einer andern Wendung, der Begriff, das Verständniß und die Unterscheidung der Zeiten, das ist das Wesentliche der Weisheit. Seinen Namen hat dieses Streben erst, da es sich klar geworden, aber früh genug erhalten. Philosophie ist Streben nach gemeinmenschlicher Weisheit, also vorzugsweise und zuerst Streben nach jener allgemeinen Wissenschaft, die vom Anfang bis auf’s Ende hinausgeht. Eine Philosophie, die sogar das Streben nach Wissenschaft verwirft, gehört zu den Erfindungen der letzten Zeiten, denen die rechten Begriffe bis auf die letzte Spur verloren gegangen.

    Von jeher hat Philosophie die Gränzen der Welt und damit der gegenwärtigen Zeit zu überschreiten, die erste Herkunft der Dinge zu erklären gesucht, und sich so an die Vergangenheit im höchsten Sinne gewendet.

    Hier entsteht die wichtige Frage: Wenn Philosophie Wissenschaft der vergangenen Dinge erlangt, warum war oder ist es unmöglich, daß da dem Wort und der Sache nach Historie, es auch der Form nach sey? Das Vergangene, sofern es ein Gewußtes ist, wird erzählt; warum kann nicht auch das Gewußte der höchsten Wissenschaft mit der Geradheit und Einfalt, wie jedes andre Gewußte erzählt werden? Was hält sie zurück die geahndete goldene Zeit, da die Fabel wieder zur Wahrheit und die Wahrheit zur Fabel wird? – Oder wenn die Philosophie Wissenschaft nicht wirklich erlangt, was ist der Grund, daß sie immer nur im Streben nach derselben bleibt?

    Diese Frage, da sie sich auf den Vorwurf des gegenwärtigen Buchs zunächst bezieht, scheint eine vorläufige Beantwortung zu erfodern.

    Dem Menschen muß ein Wesen zugestanden werden, das außer und über der Welt ist; denn wie könnte er allein von allen Geschöpfen den langen Weg der Entwickelungen von der Gegenwart bis in die tiefste Nacht der Vergangenheit zurückverfolgen, er allein bis zum Anfang der Dinge aufsteigen, wenn in ihm nicht ein Wesen vom Anfang der Zeiten wäre?

    Der Mensch ist in gewissem Betracht ein Ende der Schöpfung; also mußte er auch schon im Anfang seyn; Anfang und Ende berühren sich also an ihm; dieß ist es, was ihn über die Zeit erhebt, ihm verstattet, frey aus der Zeit herauszutreten. Jenes Wesen des Menschen, das Ziel der Schöpfung war, und das ebendarum schon im Anfang vorgesehen wurde, ist selbst ein Mittelpunkt der Zeit, die alle Zeiten eingewickelt enthält. Aus der Quelle der Dinge geschöpft und ihr gleich hat das Ewige der Seele in gewissem Maß eine Mitwissenschaft der Schöpfung.

    Dieses Wesen ist das Band, durch welches der Mensch fähig ist, mit der ältesten Vergangenheit wie mit der fernsten Zukunft in unmittelbaren Bezug zu treten. In welche wunderbare Beziehungen oder Verknüpfungen sieht er sich oft durch eben dieses Innerste versetzt, wenn ihm ein gegenwärtiger Augenblick als ein längstdagewesener vorkommt, oder eine ferne Begebenheit als wäre er Zeuge von ihr gewesen!

    In diesem also ruht die unergründliche Vorzeit; aber obwohl es treu den Schatz heiliger Vergangenheit bewahrt ist es doch in sich selbst stumm und kann nicht aussprechen, was es in sich verschließt.

    Auch würde es sich nie eröffnen, wäre ihm nicht ein Anderes beygesellt, das selbst ein Gewordenes ist und darum von Natur unwissend und gleichsam ewig jung, wie nach dem ägyptischen Priester die Hellenen. Dieses also um zur Wissenschaft der gewesenen Dinge zu gelangen, muß sich an jenes innere Orakel wenden, den einzigen Zeugen aus vorweltlicher Zeit.

    Dieses aber fühlte sich nicht weniger zu ihm gezogen. Es ruht in ihm die Erinnerung aller Dinge, ihrer ursprünglichen Verhältnisse, ihres Werdens, ihrer Bedeutung. Aber dieses Ur-Bild der Dinge schlummert in ihm, zwar nicht als ein ausgelöschtes und vergessenes, wohl aber als ein mit seinem eignen Wesen verwachsenes Bild, das es nicht aus sich selbst entnehmen und hervorholen kann. Auch vielfach verhüllt – alle diese Hüllen hinweggenommen bis es als Bewußtseyn der Ewigkeit in seiner Reinheit da steht. Sicher würde es nie wieder erwachen, wenn nicht in jenem Unwissenden selbst die Ahndung und die Sehnsucht der Erkenntniß läge. Aber unaufhörlich von diesem angerufen um seine Veredelung bemerkt das Höhere, daß das Niedere ihm beygegeben ist, nicht um von ihm in der Unthätigkeit erhalten zu werden, sondern damit es ein Werkzeug habe, in dem es sich beschauen, aussprechen und sich selbst verständlich werden könne; denn in ihm liegt alles ohne Unterscheidung zumal, als Eins; in dem andern aber kann es, was in ihm Eins ist, unterscheidbar machen und auseinanderlegen.

    Es ist also im Menschen eines, das wieder zur Erinnerung gebracht werden muß, und ein anderes, das es zur Erinnerung bringt; eines, in dem die Antwort liegt auf jede Frage der Forschung, und ein anderes, das diese Antwort aus ihm hervorholt; dieses andere ist frey gegen alles und vermag alles zu denken, aber es wird durch jenes Innerste gebunden und kann ohne die Einstimmung dieses Zeugen nichts für wahr halten was nicht das Ewige der Seele bejaht. Das Innerste dagegen ist ursprünglich gebunden und kann sich nicht entfalten; aber durch das Andere wird es frey dieses nimmt ihm die Hüllen ab und eröffnet sich gegen dasselbe. Darum verlangen beyde gleich sehr nach der Scheidung, jenes, damit es seines ursprünglichen und eingebohrnen Wissens bewußt, dieses damit es von ihm empfange und ebenfalls, obwohl auf ganz andre Art wissend werde.

    Diese Scheidung, diese Verdoppelung unsrer selbst, dieser geheime Verkehr, in welchem zwey Wesen sind, ein fragendes und ein antwortendes, ein unwissendes, das aber nach Wissen sucht, und ein wissendes, das aber sein Wissen nicht weiß; dieses stille Gespräch, diese innere Unterredungskunst, das eigentliche Geheimniß des Philosophen ist es, von welcher die äußere, darum Dialektik genannte, 4)das Nachbild und wo sie zur bloßen Form geworden, der leere Schein und Schatten ist.

    Also erzählt wird seiner Natur nach alles Gewußte, aber das Gewußte ist hier kein von Anbeginn fertig Daliegendes und Vorhandenes, sondern ein aus dem Innern durch einen ganz eigenthümlichen Proceß immer erst Entstehendes. Durch innerliche Scheidung und Befreyung muß das Licht der Wissenschaft aufgehen, ehe es äußerlich leuchten kann. Erlangte Wissenschaft wäre der Form nach Historie; aber was wir so nennen ist nur erst ein Streben nach dem Wiederbewußtwerden, also mehr noch ein Trachten nach ihr als sie selbst; aus welchem Grunde ihr eben von jenem hohen Manne des Alterthums der Name Philosophie beygelegt worden ist. Denn es ist klar, daß die ganze und vollständige Wissenschaft an der Wissenschaft des Vergangenen, wie eine Kette an ihrem obersten Gliede, hängt; wie auch in späterer Zeit Platon alles Streben nach Wissenschaft als ein Streben nach Erinnerung beschrieben, dadurch andeutend, daß das Vornehmste der Wissenschaft sich auf Vergangenheit beziehe. Was aber die Meynung betrifft, die von Zeit zu Zeit gehegt worden, die vollkommenste Dialektik für die Wissenschaft selber anzusehen, verräth nicht wenig Eingeschränktheit, indem eben das Daseyn und die Nothwendigkeit der Dialektik beweist, daß eigentliche Wissenschaft (ἱστορία) noch nicht gefunden ist.

    So wollen wir auch gleich im Beginn dieses Werks alle erinnern, was sie in der Philosophie überhaupt, und in dieser Entwicklung insbesondere zu suchen haben. Keine Sätze, keine ein für allemal feststehende Wahrheiten, wie die geometrischen. Dieses schon nicht des Gegenstandes wegen, weil er ein ewig sich fortbewegender ja die ewige Bewegung selbst ist, also keiner, der in Gränzen einzuschließen, gleich einer geometrischen Figur und definibel wäre. Was lebendig fortschreitet, ist nicht in jedem Augenblick dasselbe; was von ihm ausgesprochen werden mag, es wird nur für diesen Moment von ihm ausgesprochen. Allgemeine Sätze lassen sich von dem Vorgebrachten so wenig abziehen, als sich historische Erzählungen in allgemeine Wahrheiten umwandeln lassen; und so wenig aus der einzelnen Handlung des Menschen, dessen Leben erzählt wird eine allgemeine Definition desselben zu schöpfen ist, so wenig läßt sich in der fortschreitenden Entwicklung der Philosophie der einzelne Moment zu einer unbedingten Behauptung umprägen. Daher sich jeder mag vergehen lassen, Sinn Absicht und Inhalt eines wahrhaft philosophischen Buchs in kurzen, allgemein-behauptenden Sätzen sich anzueignen. Wer es verstehen will, muß es von Anfang bis zu Ende verstehen; hat er es bis zum Ende verfolgt, dann wird er auch wissen, wie er jedes Einzelne zu nehmen hat, wie man die Handlungen eines Menschen erst nach seinem Ende richtig beurtheilen kann. Unmöglich aber sind dogmatische Sätze in der wahren Philosophie auch wegen der ihr eigenen Methode. Denn sie ist nicht unmittelbar Wissenschaft, sondern Untersuchung, die Wissenschaft zum Zweck hat. In der Untersuchung selbst aber wird nichts Allgemeines ausgesprochen, sondern alles wird in jedem Augenblick so gegeben, wie es eben aus der Untersuchung hervorgeht, von der sogar Zweifel nicht immer und sogleich zu entfernen ist.

    Denn der Philosoph befindet sich wahrhaft in keinem andern Falle als der andre Historiker auch. Denn auch dieser muß was er zu wissen verlangt, den Aussagen alter Urkunden oder der Erinnerung lebender Zeugen abfragen. Auch ihm ist viele Kritik oder Scheidungskunst nöthig, um aus der Verworrenheit der Nachrichten die Thatsachen herauszuläutern, und das Wahre von dem Falschen das Ächte von dem Unächten in den vorhandenen Überlieferungen abzusondern. Auch bedarf er gar sehr der Scheidung von sich selbst, der Entfernung von der Gegenwart, der Hingebung an die Vergangenheit um sich von den Begriffen und den Eigenheiten seiner Zeit loszumachen.

    Überhaupt kann nichts, auch nicht das von außen Gegebene unmittelbar zum Bewußtseyn gelangen, es muß erst innerlich geworden seyn. Wenn im Geschichtsschreiber nicht selbst die alte Zeit erwacht, so wird er nie wahr, nie anschaulich, nie lebendig darstellen. Was wäre alle Historie, wenn ihr nicht ein innerer Sinn zu Hülfe käme? Was sie bey so vielen ist, die zwar vieles von allem Geschehenen wissen, aber von eigentlicher Geschichte nicht das Geringste verstehen. Nicht menschliche Begebenheiten allein, auch die Geschichte der Natur hat ihre Denkmäler, und man kann wohl sagen, daß sie auf ihrem weiten Schöpfungsweg keine Stufe verlassen, ohne etwas zur Bezeichnung zurückzulassen. Diese Denkmäler der Natur liegen großentheils offen dar, sind vielfach durchforscht zum Theil wirklich entziffert, und doch reden sie uns nicht, sondern bleiben todt, ehe jene Folge von Handlungen und Hervorbringungen dem Menschen innerlich geworden, d.i. auf eben jenes innerste seines Wesens zurückgeführt worden, das für ihn gleichsam der lebendige Zeuge aller Wahrheit ist.

    So kann auch der Mensch durch keine Art von äußerer Mittheilung oder Offenbarung gleichsam unmittelbar in das wahre Wissen versetzt werden. Alles muß aus ihm selbst kommen, oder da alles schon in ihm liegt, in ihm selber aufgehen. Alle wahre Offenbarung will nur Anregung seyn, nur Mittel der Entwicklung. Denn enthielte sie die vollständigste und genaueste Erzählung der Wege Gottes von Anbeginn an, so würde es der Mensch mittelst derselben nur zu einem äußeren Wissen bringen. Darum redet die wahre Offenbarung in Gleichnissen und in dunkeln Worten, sie gibt nie das Ganze, wohl aber die Puncte, von denen aus zum Ganzen zu gelangen ist; jene höchste, auf den Weltplan gehende Wissbegierde, wird von ihr mehr erregt als befriedigt; nicht in vollem Lichte zeigt sie die enthüllten Geheimnisse, nur einzeln leuchtende Blitze bezeichnen gleichsam ihren Ort und den Weg zu ihnen. Weit entfernt, jenes Streben des Menschen nach vollständiger Wissenschaft, d.i. nach Weisheit zu verwerfen, hat sie vielmehr auf dasselbe gerechnet; und es 5)wohl der Mühe werth, auch dieses gleich anfangs zu berühren, da eine gewisse Trägheit oder Verzweifelung an der menschlichen Kraft auf’s Neue die Offenbarung der Philosophie entgegen und mit ihr in Zwietracht zu setzen sucht.

    Wir wissen es, und werden es im Verlauf des Werks oft genug anerkennen, welches Licht uns durch die Offenbarung zutheil geworden; wir gestehen sogar, daß es vielleicht unmöglich gewesen wäre, auch nur den Gedanken dieses Unternehmens ohne vorleuchtende Offenbarung zu fassen. Aber sie gewährt uns dieses Licht nur inwiefern wir sie zum Hülfsmittel unsres wirklichen Strebens nach Weisheit machen, inwiefern wir also Weisheit wirklich suchen, oder philosophiren; nicht aber inwiefern wir uns mit einem verstandlosen, bloß äußerlichen Wissen begnügen. So kann auch Philosophie eigentlich der Offenbarung nicht widerstreben. Denn theils könnte es wohl seyn, daß uns die Philosophie selbst auf Gegenstände oder Fragen führte, über die sie ihrer Natur nach nur Offenbarung Aufschluß ertheilen könnte, so daß sie selbst an diese verweisen müßte; theils kann Philosophie, als allseitige Forschung, nicht einseitig einer Quelle der Erkenntniß anhangen und alle anderen ausschließen wollen; im Gegentheil wenn sie glauben kann, daß in irgend einer Lehre wahre Überlieferungen aus einer uns jetzt unzugänglichen Zeit enthalten sind, wird sie eifrig den Spuren derselben nachgehen und was sie aus solchen göttlichen Reden lernt gewiß nicht verschmähen.

    So haben auch von jeher Einzelne gemeynt, es sey möglich, das äußere Werkzeug, Dialektik ganz beyseitezusetzen, alle Zweyheit in sich aufzuheben, so daß wir gleichsam nur innerlich seyen und ganz im Überweltlichen leben. Wer kann die Möglichkeit einer solchen Versetzung des Menschen in sein überweltliches Princip und demnach eine Erhöhung der Gemüthskräfte in’s Schauen schlechthin läugnen? Ein jedes psychisches und moralisches Ganzes bedarf zu seiner Erhaltung von Zeit zu Zeit der Zurückführung auf seinen innersten Anfang. Der Mensch verjüngt sich immer wieder und wird neuselig durch das Einheitsgefühl seines Wesens. In eben diesem schöpft besonders der Wissenschaftsuchende beständig frische Kraft; nicht der Dichter allein, auch der Philosoph hat seine Entzückungen. Er bedarf ihrer, um durch das Gefühl der unbeschreiblichen Realität jener höhern Vorstellungen gegen die erzwungenen Begriffe einer leeren und begeisterungslosen Dialektik verwahrt zu werdenaber erst durch Kunst und Reden in diesen Zust˖[and] versetzt, so daß er ihn besitzt. Ein anderes aber ist, die Beständigkeit dieses anschauenden Zustandes verlangen, welches gegen die Natur und Bestimmung des jetzigen Lebens streitet. Denn wie wir sein Verhältniß zu dem vorhergehenden ansehen mögen, immer wird es darauf zurückkommen, daß, was in diesem untheilbarerweise zusammen war, in ihm entfaltet und theilweis auseinandergelegt werde. Wir leben nicht im Schauen; unser Wissen ist Stückwerk, d.h. es muß stückweis, nach Abtheilungen und Abstufungen erzeugt werden, welches nicht ohne alle Reflexion geschehen kann.

    Darum wird auch der Zweck im bloßen Schauen nicht erreicht. Denn im Schauen an und für sich ist kein Verstand. In der äußern Welt sieht ein jeder mehr oder weniger das nämliche und kann es doch nicht aussprechen. Ein jedes Ding durchläuft, um zu seiner Vollendung zu gelangen, gewisse Momente: eine Reihe aufeinanderfolgender Prozesse, wo immer der spätere in den früheren eingreift, bringt es zu seiner Reife; diesen Verlauf in der Pflanze z.B. sieht der Bauer so gut als der Gelehrte und kennt ihn doch nicht eigentlich, weil er die Momente nicht auseinanderhalten, nicht gesondert, nicht in ihrer wechselseitigen Entgegensetzung betrachten kann. Ebenso kann der Mensch jene Folge von Prozessen, wodurch aus der höchsten Einfalt des Wesens zuletzt die unendliche Mannigfaltigkeit erzeugt wird, in sich durchlaufen und unmittelbar gleichsam erfahren, ja, genau zu reden, muß er sie in sich selbst erfahren. Aber alles Erfahren, Fühlen, Schauen ist an und für sich stumm und bedarf eines vermittelnden Organs, um zum Aussprechen zu gelangen. Fehlt dieses dem Schauenden, oder stößt er es absichtlich von sich, um unmittelbar aus dem Schauen zu reden, so verliert er das ihm nothwendige Maß, er ist Eins mit dem Gegenstand und für jeden dritten wie der Gegenstand selber; eben darum nicht Meister seiner Gedanken und im vergeblichen Ringen Unaussprechliches dennoch auszusprechen ohne alle Sicherheit; was er trifft, das trifft er, jedoch ohne dessen gewiß zu seyn, ohne es fest vor sich hinstellen und im Verstande gleichsam als in einem Spiegel wieder beschauen zu können.

    Also um keinen Preis aufzugeben ist jenes beziehungsweise äußere Princip; denn es muß alles erst zur wirklichen Reflexion gebracht werden, damit es zur höchsten Darstellung gelangen könne. Hier geht die Gränze zwischen Theosophie und Philosophie, welche der Wissenschaftliebende keusch zu bewahren suchen wird. Die erste hat an Tiefe, Fülle und Lebendigkeit des Inhalts vor der letzten grade soviel voraus, als der wirkliche Gegenstand vor seinem Bilde, die Natur vor ihrer Darstellung voraus hat, und allerdings bis zur Unvergleichbarkeit geht diese Verschiedenheit, wenn eine todte das Wesen in Formen und Begriffen suchende Philosophie zur Vergleichung genommen wird. Daher die Vorliebe inniger Gemüther für sie, die ebenso leicht erklärbar ist, als die Vorliebe für die Natur im Gegensatz der Kunst. Denn diesen Vorzug haben die theosophischen Systeme vor allen bisher geltenden, daß in ihnen wenigstens eine Natur ist, wenn auch eine ihrer selbst nicht mächtige, in den andern dagegen nichts als Unnatur und eitel Kunst. Aber so wenig Natur der recht verstandnen Kunst, so wenig ist die Fülle und Tiefe des Lebens recht verstandner Wissenschaft unerreichbar; nur allmähliger gelangt sie dazu, mittelbarer und durch stufenmäßiges Fortschreiten, so daß der Wissende immer von seinem Gegenstande verschieden, dagegen dieser auch von ihm getrennt bleibt und Object einer ruhig genießenden Beschauung wird.

    Hindurchgehen also durch Dialektik muß alle Wissenschaft. Aber, kommt nie der Punkt, wo sie frey und lebendig wird, wie im Geschichtschreiber das Bild der Zeiten, bey dessen Darstellung er seiner Untersuchungen nicht mehr gedenkt? Kann nie wieder die Erinnerung vom Urbeginn der Dinge so lebendig werden, daß die Wissenschaft auch der äußern Form nach Historie werden dürfte, und der Philosoph, dem göttlichen Platon gleich, der die ganze Reihe seiner Werke hindurch dialektisch ist, aber im Gipfel und Verklärungspunkt aller historisch wird, zur Einfalt der Geschichte zurückkehren könnte?

    Es schien unsrem Zeitalter vorbehalten, zu dieser Objectivität der Wissenschaft wenigstens den Weg wieder zu eröffnen. Sie konnte nicht wahre Wissenschaft, d.i. Historie seyn, so lange sie als eine bloße Folge oder Entwicklung eigner Gedanken und Begriffe gemeynt war. Unsere Zeiten haben wir das Leben wieder gegeben und zwar wie wohl behauptet werden kann auf eine Art, daß sie es nie leicht wieder verlieren kann. Von nun an ist es ein Lebendiges das in ihr sich nach gemeßner Folge, und in gesetzlichem Fortschritt entwickelt. Ein zweyter Schritt zu dieser Objectivität der Wissenschaft geschah durch die Erkenntniß des Gesetzes der Steigerung, womit allein zugleich ein wahrer Anfang, ein nothwendiger, ewiger Grund zu ununterbrochnem Wachsthum gelegt ist: So lange sich die Wissenschaft auf das Ideale beschränkte, war kein solcher zu finden. Kaum

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 113)« (1813 - 1815). Text

    I)Weisheit ist ein allgemein begehrungswürdiges Gut. Weisheit bedarf der Vater in seinem Haus, der Richter auf seinem Stuhl, der Staatsmann an der Spitze des Gemeinwesens. Aber außer aller dieser den Einzelnen nöthigen Weisheit gibt es eine, die der Mensch rein als Mensch und zwar in dem Maße bedarf, wie er sich als solcher empfindet.

    Das Streben nach dieser gemeinmenschlichen Weisheit ist seit dreytausend Jahren Philosophie genannt worden.

    In sofern ist es kein so großes Geheimniß was Philosophie sey, als wohl scheinen möchte. Man kann sich über die Mittel irren, über den Zweck selbst, wer nur aufrichtig seyn will nicht.

    Wer einer Sache Anfang, Mittel und Ende kennt, der allein ist weise in dieser Sache und allein fähig, auch mit Weisheit in ihr zu handeln. Jede Handlung bezieht sich auf Gegenwart, mittelbar auf Zukunft, aber die Norm des Handelns muß doch meist von der Vergangenheit hergenommen werden. Der Volksführer, will er die Sachen seines Volks mit Weisheit leiten, muß zumindest dessen Herkunft und Vergangenheit wissen und wie es in den gegenwärtigen Stand gekommen; dann seinen jetzigen Stand wohl erkennen und seine zukünftigen Verhältnisse voraussehen, um Glück und Gedeihen schon in der Gegenwart vorzubereiten. Denn das Verständniß und die Unterscheidung der Zeiten, das vor allem ist Weisheit.

    Anfang Mittel und Ende nicht irgend einer einzelnen Sache, sondern der Dinge überhaupt kennen, das ist zu jener allgemeinen Weisheit erfoderlich, welcher der Mensch als solcher nachzustreben hat. Denn es ist der Mensch so geartet, daß er seinen Ursprung als solcher nur an den des Weltalls anknüpft, sein Ende nur mit den letzten Schicksalen des Ganzen verstrickt denken kann.

    Was er in dieser Hinsicht verlangt ist klar, nämlich Einsicht in den wirklichen Hergang, wodurch vom ersten Beginn alles bis in den gegenwärtigen Stand entwickelt worden und durch den es bis zu seinem letzten Ziel geführt wird, mit einem Wort eine Welt- und Menschengeschichte, die vom Anfang bis zum Ende hinausgeht.

    In sofern liegt der Zweck der Philosophie, über den sich die Schulen streiten, eigentlich jedem Menschen ganz nah’ und ist allen verständlich.

    Die Systeme, welche den Ursprung der Dinge aus abgezogenen Begriffen oder Vernunftwahrheiten herleiten legen dem natürlichen Verstand ein unerträgliches Joch auf; eine Weile mögen sie ihm wohl Gewalt thun, aber bald wirft er die Last ab. Das Daseyn der Welt als bloßen Folgesatz aus einer allgemeinen Wahrheit ableiten, befriedigt so wenig, als der Erweis, daß wir eine Welt wie diese uns vorstellen müssen, für eine Erklärung ihres Ursprungs gelten kann.

    Besser wäre, zu erklären, der Zweck der Philosophie sey überall unerreichbar, als ihr einen geringern oder einen andern zuzuschreiben, als, wie ein morgenländisch Buch sich ausdrückt, das Werk des Herrn zu begreifen von Anfang bis zu Ende.

    Was uns zunächst umgibt, weist an unglaublich hohe Vergangenheit zurück. Der Erde muß ein unbestimmbar höheres Alter zugestanden werden, als den Pflanzen und den Thieren; diesen ein höheres als den Menschen. In einer undenklichen Reihe von Zeiten hat je die folgende die vorhergehende zugedeckt, um selbst wieder sammt ihren Hervorbringungen unter den Werken einer neuen begraben zu werden; bis die alle vereinigende Zeit erschien, oder jene einst gewesene Bewegung wie durch einen Zauber angehalten oder in den eignen Netzen gefangen in die Eine Zeit festgebannt wurde, deren Kreis jetzt nichts mehr zu überschreiten vermag. Ja selbst in dem, was sich gleichzeitig entstanden ankündigt, ist doch eines dem andern vorgeordnet, eines eine Staffel zum andern, dieses folgend jenes vorhergehend. Alles ist nur Werk der Zeit; jedes Gebild gleichsam der Zeiger II.eines Tags, einer Stunde, eines Augenblicks in dem großen Uhrwerk der Schöpfung.

    Wenn die vor uns liegende Welt durch so viele Mittelzeiten gegangen ist, bis sie in die gegenwärtige Verfassung gekommen, wie vermöchte jemand, auch das Geringste vom Gegenwärtigen zu erkennen ohne Wissenschaft der Vergangenheit. Die Eigenheiten einer ausgezeichneten Individualität sind uns oft unbegreiflich, bevor wir die besondern Umstände erfahren, unter denen sie geworden ist und sich gebildet hat. Und der Natur sollte man so leicht auf ihre Gründe kommen? Ein hohes Werk des Alterthums steht als ein unfaßliches Ganzes vor uns bis wir der Art seines Wachsthums und seiner allmäligen Ausbildung auf die Spur gekommen. Wie vielmehr muß dieß bey einem so vielfach zusammengesetzten Ganzen als schon die Erde ist der Fall seyn! Welche ganz andre Verwicklungen müssen hier stattfinden! In einem Ganzen, darinn Alles und Jedes den Abdruck rhythmisch folgender Zeiten zeigt kann nichts einzeln nichts für sich genommen werden. Auch das Kleinste bis zum Sandkorn herab muß Bestimmungen an sich tragen, hinter die es unmöglich ist zu kommen, ohne den ganzen Lauf der schaffenden Natur bis zu ihm zurückgelegt zu haben. Alles ist Werk der Zeit und nur die Zeit zu der jedes gehört ertheilt ihm seine Eigenthümlichkeit und Bedeutung.

    Sollte es nun mit dem Weltall anders seyn und wie möchte der Mensch auch nur sein Verhältniß (wie er doch soll und muß) zur Welt begreifen, ohne eine vollständige Genealogie des gegenwärtigen Zustandes der Dinge.

    Groß und mächtig sind allerdings die Zweifel, die sich dem Glauben an die Möglichkeit einer solchen allgemeinen von Anfang bis zu Ende hinausgehenden Wissenschaft entgegenstellen.

    Zuerst das gerechte Mißtrauen in die menschlichen Kräfte; inwiefern nämlich angenommen wird, daß der Mensch diese Wissenschaft bloß aus sich selbst, aus eignen Gedanken oder Gedankenentwicklungen schöpfen soll, ohne alle äußere Hülfe. Durch diese Vorstellung wird zwar jenes Streben, die Philosophie sehr hoch aber auch in eine Gegend hinaufgerückt, wo ihr der feste Boden und die Luft völlig ausgeht. Der Mensch ist auf die Erde gesetzt, wie die Pflanze aber um aus ihr diese Kraft und Nahrung seines geistigen Wachsthums zu ziehen. Der Baum der seine Wurzeln am tiefsten in die Erde schlägt kann den blüthenbehängten Wipfel wohl noch bis zum Himmel treiben; aber die Gedanken derer, die alles innerlich abmachen wollen, die äußere Hülfe verschmähen, sind die geistreichsten selbst wurzellose Pflanzen, jenen zarten Fäden vergleichbar, die zur Zeit des Spätsommers in der Luft schwimmen, gleich unfähig, den Himmel zu berühren und durch ihr eignes Gewicht zur Erde zu gelangen. An der Leiter der Creatur soll der Mensch aufsteigen, die übersinnlichen Gedanken erst wie einen durchs Feuer bereiteten Geist aus der Erde und aus allen Elementen ziehen lernen.

    In einer so hochwichtigen Sache darf keine Quelle der Erkenntniß ausgeschloßen werden. Hier heißt’s: Helf’ was helfen mag. Was die sinnliche Erfahrung, was eine besondre Offenbarung, was die innerste Gedankenerzeugende Kraft darbietet alles muß zusammengenommen werden.

    So im Forschen, im Suchen; womit nicht geläugnet wird, daß nach vollendetem Forschen die Urformel gefunden werden könne, aus der alles in einem stetigen ununterbrochnen Strom, nach innrer Nothwendigkeit ausfließe. Aber diese wird schwerlich einer überhaupt oder ganz verstehen, der nicht erst jenen Weg der Untersuchung gewandelt und allmälig vom Besondern zum Allgemeinen, vom beziehungsweise Allgemeinen zum schlechthin Allgemeinen aufgestiegen.

    Dadurch aber, daß jene in der Philosophie gesuchte Wissenschaft als Geschichte gedacht wird, wie Wissenschaft schon der Wortbedeutung nach Historie (ἱστορία) ist, dadurch wird jenes Streben auf das Maß einer leidlichen, billigen, allmälig fortschreitenden Untersuchung zurückgebracht, an der jeder theilnehmen kann, der nur sonst gehörig unterrichtet ist, und dem nicht falsche Wissenschaft, irdisches Treiben oder andres Unheil allen höheren Gedankenschwung gelähmt; die auch jeder in seinem Theil erweitern und immer fortbilden kann, wenn nur erst der Weg gefunden und bezeichnet ist. Aber über den Weg eben herrschte bis jetzt die Uneinigkeit; wie ließ sich da an gemeinschaftliches Forschen und Aufbauen denken?

    III)Ein zweyter Zweifel entsteht aus der Größe des Gegenstands. Wer wagt es, kann man sagen, die unermeßliche Bahn von der tiefsten Nacht der Vergangenheit bis in die Gegenwart und in die letzte Zukunft zu verfolgen? wer die unabsehbare Folge von Zeiten und Zuständen, durch die alles vom Urbeginn bis zur Gegenwart fortgeschritten ist geschichtlich zu ordnen? Unerschöpflich und unaussprechlich ist freylich schon ein einzelnes Leben; wer wollte alle Stufen oder Übergänge desselben angeben. Aber die großen Zeitabschnitte leuchten in seinen Thaten und Werken deutlich genug hervor. Also ist es auch in jener allgemeinen Wissenschaft nur um das Gesetz der Bewegung, um die Folge der Zeiten, gleichsam um die Zahlen der ewigen Progreßion zu thun. Gleichwie nämlich (um an ein Bekanntes zu erinnern) in der Geschichte der Erde und deren Erforschung schon dadurch kein geringes Licht aufgegangen, daß man angefangen verschiedne Zeiten in ihr zu unterscheiden und jeder besondern Bildung die ihrigen anzuweisen ohne daß darum schon die Entstehung jedes Einzelnen erklärt wäre: so läßt sich annehmen, daß der Stoff der allgemeinsten Wissenschaft, der in einzelnen Ahndungen, Offenbarungen und Erkenntnissen längst vorhanden, aber weil ungeordnet ungenießbar und unverständlich war, daß auch dieser Stoff geschichtlich und nach Zeiten geordnet zur wissenschaftlichen Form erhoben endlich jene allgemeine Anerkennung erhalten werde, die ihr bis jetzt trotz so vieler Versuche, sie für irgend eine Ansicht zu erhalten, noch immer gefehlt hat.

    Und hier zeigt sich eine neue Seite, von welcher sich diese Behandlungsart als nothwendig erweist. Die Zeit des Kampfes der Systeme ist vorüber. Die Welt verlangt eine Wahrheit, in der sie Beruhigung und den Grund eines friedlichen Seyns und Fortschritts findet. Man kann sicher annehmen, daß seit Anbeginn der Philosophie nichts namhaftes behauptet worden, das nicht wahr und unbestreitbar gewesen an seiner Stelle, aber auch nichts, das nicht hinweggerückt von seiner Stelle und unbedingt behauptet falsch und der ungereimtesten und gehäßigsten Folgen überweislich. Müßte oder wollte man daher schlechthin auf jener Methode unbedingter Behauptungen, schlechthin und in jeder Beziehung aufgestellter Sätze beharren: so müßte der Verständige wenigstens längst auf jene alte Meynung zurückgekommen seyn, daß sich eben gar nichts behaupten lasse, weil jedes so Behauptete nothwendig wahr und falsch zugleich ist. Das ist der Ursprung der streitenden Systeme und aller Secten, daß jeder ein Stück hat vom Ganzen, und dieses Stück für das Ganze will geltend machen. Dem Schwächeren gereicht dieser Streit zur gänzlichen Verwirrung; dem Verständigen ist er ein unleidliches Schauspiel, weil er das gleiche Recht und Unrecht in allem sieht. Wäre alles nur gradezu falsch und schlechthin verwerflich, so wäre leicht fertig zu werden; aber grade daß es wahr ist, nämlich mit der gehörigen Einschränkung an seinem bestimmten Ort und gleichsam zu seiner Zeit, aber zum Irrthum gemacht durch ein unbeschränktes Hinstellen, dieß ist das Widerwärtige. Die so oft gewünschte Ausgleichung und damit zugleich eine vernünftige Beurtheilung der widerstreitenden Systeme wäre längst bewerkstelligt, wenn nur einer erkannt hätte, daß der Gegenstand der Philosophie kein stillstehender sondern lebendiger und in einem unaufhörlichen Werden ist und dann die verschiednen Momente dieses Werdens, nachdem er ihre gesetzliche Folge erkannt, mit den verschiednen philosophischen Systemen verglichen hätte.

    Durch diese Betrachtungen verliert der dritte Zweifel, der von der bisherigen Erfahrung, von dem beständigen Mislingen jedes Versuchs einer allgemeinen Wissenschaft hergenomm[en] werden kann, schon einen Theil seines Gewichts. Wir wollen ihn daher statt in jener allgemeinen Gestalt, nach einer besondern Wendung in die Augen fassen, derer er fähig ist.

    Unmöglich ist, kann man sagen, die erste Herkunft der Dinge, wie doch gefodert wird zu begreifen ohne bis in die Tiefen der Gottheit selbst zu forschen. Aber noch nie, so oft es auch von den ältesten Zeiten versucht worden, gelang es, das Endliche aus dem Unendlichen (wie doch geschehen müßte) abzuleiten, oder eine stetige Folge und Verkettung zu finden von Gott aus bis zum Einzelnen Geschöpf. Immer und nothwendig, kann man sagen ging bey jedem Versuch der Art entweder der wahre Begriff von Gott oder die besondre Natur des Geschöpfs unter.

    IV)Wir wollen die Thatsache nicht in Abrede ziehen nur die Frage aufwerfen ob nicht vielleicht allen diesen Versuchen eine gemeinschaftliche falsche Voraussetzung zu Grunde lag? Durch die Untersuchung dieser Frage treten wir zugleich dem Gegenstand unsrer Forschung näher.

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 94)« (1816 - 1820). Text

    Begriffe: Anfang, ewige Freyheit, nichtwissendes Wissen, Bewegung, Zeit, epoche

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 88)« (1817). Text

    Einleitung WA bis zur ewigen Freyheit (8v)

    ZEin alter Spruch ist: Nichts Neues geschieht unter der Sonne. Was ist’s das geschehen ist? Eben das hernach geschehen wird. Was ist’s, das man thun wird? Eben das was zuvor auch geschah. Viele trösten sich mit dem Wort über die eigne Lebens-Leerheit und Gleichgültigkeit, aber der Sinn liegt tiefer, in einer nicht sehr genauen uralten Ansicht der Zeit, welche dieser Zeit fremd ist. In sich habe die Welt (diese, versteht sich) keine wahre Vergangenheit noch eigentliche Zukunft: es sey alles nur Eine Zeit, ob vergangen, ob gegenwärtig ob zukünftig sey gleichviel, die Welt komme damit doch nicht über sich selbst hinaus, über die Eine Zeit, in die sie eingeschlossen, oder die sie vielleicht selbst ist. Dieses möchte der wahre Sinn jenes Worts seyn, welchem ganz gemäß in der ältesten Sprache Zeit und Welt Ein Wort ist, wie ja selbst das deutsche Wort soviel als Währung oder Dauer ausdrückt. Was weiter aus der Ansicht folgt, verschweigt die Rede. Ist diese Welt mit allem was in ihr geschehen ist, geschieht oder noch geschehen wird, nur Eine sich selbst immer wiederholende Zeit: nämlich die gegenwärtige Zeit,Das Seyende kann nur von dems˖[elben] Stoff seyn von dem das Wissende so setzt diese Zeit die sie ergänzenden Zeiten außer ihr voraus. Die wahre Vergangenheit ist die, die dieser Welt vorangegangen, ihr selbst zu Grunde gelegte Zeit. Die wahre Zukunft ist, durch welche die gegenwärtige überwunden und als Verg˖[angenheit] gesetzt wird wird, die nachweltliche Zeit.

    Nach dieser Ansicht erhält auch ein andres Wort eine tiefere Bedeutung. Wir sind von gestern, und wissen nicht! Denn auch das Wissen, welches wir unser Wissen nennen können, ist nur ein Bild dieser Einen Zeit; des großen Heute, nicht in Ansehung der Gegenstände, als welche mit andern als diesen Bestimmungen, oder in andern als diesen Verhältnissen zu erkennen, die gegenwärtige Verfassung nicht erlaubt, sondern auch in Ansehung seiner selbst. Denn wir werden gleich zum Voraus wegwerfen die Meynung, die nur bestehen kann so lang man sich ihrer nicht deutlich bewußt ist, daß nämlich dieses geistige, welches sich als Wissendes verhält, erst später zu dem schon fertigen Seyn, als ein ihm Fremdes und Zufälliges hinzugetreten sey; das Verhältniß, dieses müssen wir zum voraus möglich finden, daß das Verhältniß, in welchem dieses oder jenes zu ihm als ein Gewußtes steht, erst geworden und nur die Folge einer Umkehrung geworden sey, durch die es aus dem Erkannten zum Erkennenden geworden.

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 83)« (1817 - 1820). Text


    I) Die Wiss˖[enschaft] bedarf der Erz˖[eugung] weil der Gegenst˖[and] s˖[elbst] sich mit erzeugtWenn der bloße sogenannte Selbstdenker den zufälligen Vorrath seiner Begriffe sichtet, die einzelnen prüft, aufklärt, bestimmt, vergleicht und auseinandersetzt: so mag er dadurch etwa seine Befähigung zur Wissenschaft erhöhen, aber keineswegs diese selbst wirklich erzeugen. Wenn ein solches vorhergeht, so nur die Gewißheit von einzelnen Wahrheiten.Wer zum h[ö]chsten Wissen kommt findet nichts das er verstehen könnte. Denn kein Obj˖[ect] und kein Sub˖[ject] ist da. – Was denn? lautere Freyheit. (als ewige Freyheit gleich der höchsten Armuth und dem Reichthum) Ein geistiges Thun höherer Art ist die dialektische Agitation des Begriffs, da dieser selbst als etwas gewissermaßen Lebendiges betrachtet, seinen eigenen Steigerungs- und endlichen Läuterungsproceß vollführt; aber was es erzeugt ist einzig, was man so nennt Begriffswissen – nämlich wo der einzige Gegenstand der Begriff s˖[elbst] ist; es bleibt immer nur ein Wissen des Denkens, und es wird nicht ein Wissen des Wissens. Was man auch so nennt Begriffswissen d.h. wo ein Wissen der bloße Begr˖[iff] des Gegenst˖[andes] ist nicht aber Gegenstands-Wissen. Wenn denn oben doch ein freyes und selbstständiges Erzeugen des Wissens, und zwar des Gegenstands-Wissens, wenigstens gedacht und im Begriff gefordert ist, wie schon das Wort Philosophie beweist: so entstehet die Frage: welchen Sinn hat dieses Erzeugen, woran liegt es, daß die Wissenschaft der Erzeugung bedarf, – Das Erste ist allerd˖[ings] über Subj˖[ect] und Obj˖[ect] aber als ein seyn Könn[en]. Das Zweyte ist auch über S˖[ubject] und O˖[bject] aber bloß als ein reines seyn Müssen aber nicht Können. Es ist ein Wissen, das den Gegenst˖[and] s˖[elbst] nicht voraussetzt, auch also mit dem Gegenst˖[and] s˖[elbst] sich erzeugt. Ein Wissen also das davon anfängt, daß kein Gegenst˖[and] und daher nicht einmal etwas zu wissen ist.
    NB. Das bleibt auch bey der jetzigen Ansicht daß 1 oder A0=B erst bestimmt, was ist. Denn ist es –A0 so ist das Absolute ist A=B so dieß nicht. Also dieses das Wissen bestimmende – ihm nachgehen. Oder wir können nur in dem Verh˖[ältniß] wissen, als es sich bestimmt. NB. Es soll gar nicht wissend seyn gegen +A und +A0 sondern – es seyn. Dieß ganze Verh˖[ältniß] von wissen entsteht erst indem es diese nicht ist. – Im Ersinken wo es zum Erkannten wird – erfährt es das andre.
    warum ist sie nicht da, oder warum wird sie nicht bloß gegeben?

    Allem natürlichen Gefühl zufolge ist es so, daß das Wissen den Gegenstand voraussetzt Wobey allerdings zu bemerken ist, daß dieses Voraussetzen nicht etwa ein über – oder ein höher als Sich Setzen seyn müsse. Das Wissen setzt den Gegenstand voraus, wie das Feuer den Körper, den es durchglüht, oder wie der Genießende die Speise die er zu sich nimmt; ohne daß jemandem einfällt zu läugnen, das Feuer sey geistiger als der Körper und der Essende höher als das gegessen wird. Also wo kein Gegenstand, da ist auch kein Wissen. Aber ebendieses, wie es überhaupt so etwas, wie einen Gegenstand geben könne, ist die Frage. Darum also gibt es ein Erzeugen des Wissens; denn wäre das Daseyn des Gegenstandes schon entschieden, so möchten wir sehen, wie wir ihm beykommen, was wir ihm für die Erkenntniß abgewinnen, aber es gäbe keine freye und selbstständige Erzeugung von Wissenschaft.


  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 86)« (1817 - 1819). Text

    Nun es ist das lautre Wesen – das das Sey˖[ende] s˖[elbst] ist – und zwar als das was es ist – nicht als ein schon Existirendes, sondern seyend als die Freyheit zu exist[iren]. Weil aber als diese – schon seyend – also nicht die Freyheit zu seyn, die vor allem Seyn ist, so ist es nicht dem ausgesetzt, daß es im Seyn aufhören konnte, das Seyn s˖[elbst] oder die Freyheit p zu seyn. Es kann vielm˖[ehr] seyn und nicht seyn, wie es ihm gefällt. Hier ist das Seyn auch das Wesen und das Wesen das Seyn (scharf bedacht!) – nicht wie im ersten, da das Wesen vor dem Seyn – dieses eben darum in Widerspr˖[uch] mit ihm war, es änderte. Das seyn Können hat in Ansehung des €יי \atopי€ keinen Bezug mehr auf Es S˖[elbst] – auf das was es ist – das Können geht von ihm s˖[elbst] weg – ist zwar nicht in Ansehung des nun ins nicht-seyend seyn versunkenen A=B, aber in Ansehung seiner selbst gleichgültig – es ist also seiner selbst bloß und ledig, es braucht keine Rücksicht auf sich zu nehmen, denn Existiren ist zwar auch ein εξιστασθαι – aber nicht in Bezug auf sich s˖[elbst] sondern in Bezug auf das was vor ihm ist. Es wird sich durch das εξισ˖[τασθαι] nicht ungleich.

    (A0)1 ist nur frey in Ansehung des was – nicht aber überhaupt, zu handeln oder nicht zu handeln. Vor 4 ist (A0)2 dieser und damit aller Nothwendigkeit überhoben. Nach 4 ist es Freyheit – nicht entweder zu s˖[eyn] oder nicht zu seyn – sondern zu s˖[eyn] und nicht zu s˖[eyn] gleicherweise, es ist mit einem Wort die freye Freyheit, die Freyheit die wirklich Ist.

    Hier dann Beweis, daß es Gott. Aus dem Begr˖[iff] »Einheit von Wesen und Seyn«. Dieser doppelt zu verstehen a) Einmal, so wie vom lautern A0 gesagt wird bloß Es Ist, und es ist ein Seyendes. Woraus aber eben erhellt daß der ontol˖[ogische] Beweis nicht leistet, was er soll. Daß A0 für sich nicht Gott, sondern nur sofern seyend ist. Wie nun dieses möglich verschiedene Erklärungen; auch die der Theologen. Emanation etc. Creation durch bloßen Willen. b) In dem Sinn ward es soeben von +A0 gesagt worden – daß Wesen und Seyn eins ist – wo es also auf’s Neue erhellt, daß +A0 = Gott ist.

    Beantwortung der Einwürfe, wobey besonders immer geltend zu machen, daß die erste Unentschiedenheit nur ein Gedanke des Augenblicks ist, daß soweit wir nur zurückdenken können also Gott schon ist – – er ist so lang’ er weiß es selber nicht – u.s.f. dann das übrige, besonders

    Wie Gott nun so bloß steht – an nichts gebunden, die höchste Armuth (wenn man will) – daß er aber doch auch in sich durch das Gefühl seiner leeren Stelle hat dieses seine Eingeweide – das Gefühl der ewigen Barmherzigkeit gegen das Andere.

    Hier dann die übrigen Reflexionen des alten M[anu]sc[ri]pts

    Nach Beendigung d. ganzen Folg.