Erlangen, den .
Verehrtester,
Mein Gemüth nöthigt mich, Ihnen meine betrübte Lage anzuvertrauen. Sie kennen mich doch in Hinsicht meiner Persönlichkeit auch etwas. Als Sie von Erlangen abreisten, war ich auf einer kleinen Reise, um mich zu zerstreuen und daheim eine Anzahl Briefe sich sammeln zu lassen. Ich fand einige kalte trostleere aus Sachsen. Aber auch in Bayern will mir das Glük durchaus nicht wohl. Nun ist freilich viel Wahres an dem Spruch »Jeder ist seines Glüks Schmid«. Ich diente als Knabe mehren Bauern meiner Heimath: hier aber vom Kühjungen zum Ochsenjungen, von diesem zum Kleinknecht und Grosknecht emporzusteigen, behagte mir ekelen Buben gar wenig. Ich dachte auch das Bauerleben in Rüksicht auf meine Menschenkenntnis satis superque durchschaut zu haben. Vielleicht war das nur Wahn und mein Glük hätte unter den Bauern geblüht. Da ruhte ich aber nicht, bis ich’s dahin brachte, Etwas in der Schule meiner Vaterstadt zu lernen. (Mein Vater, ein Gärtner, war mir in meinem schon gestorben.) Bald überredete ich mich, in kürzerer Zeit weit über meinen Mitschülern zu stehen und nun sehen Sie meinen Ehrgeiz: ich strebte nach immer größeren Dingen, ich wollte nun Schulmeister auf dem Lande werden. Zu dieser schwindlichmachenden Höhe sollte mich Ihre Excellenzen, das gräflich Hohenthalische Ehepaar, die Gutsherrschaft von Königsbrück, meinem Geburtsort, erheben helfen. Allein, diese war entweder von des Geizes Daimon besessen oder hatte ungleich wichtigere Dinge zu bedenken und zu bezahlen. Ich ergrif daher einen andern Nothanker (einen Rükschritt zu meinen Bauern konnte ich unterrichteter Mensch nun doch nicht mehr thun – aber Schuster hätte ich werden können, vielleicht hätte mein Glük da im Bürgerstande geblüht –) ich wurde Schreiber. Da aber die chursächsischen Schreiber die Bedientenpflichten pünktlich mit versehen müssen, mich aber meine Schreiberei in die Nähe von Bautzen führte, so strebte mein unruhiger Kopf auf das dasige Gymnasium zu kommen, um Prediger zu werden: denn über den Horizont eines Dorfschullehrers blikte er nun stolz hinaus. Ich war 4½ Jahre auf dieser Schule, während welcher Zeit ich vermöge meines etwas reiferen Alters, das ich mit Andern wol gar für größere Geisteskraft zu halten beliebte, aus einer Klasse in die andere schnell überging, so daß mir zulezt sogar die Theologie etwas zu Gemeines war und ich bei meinem Abgang von Bautzen mich als einen Studiosus paedagogices aufzeichnen ließ. In Bautzen hatte ich in verschiedenen Häusern Unterricht gegeben. Von einer Unterstüzung des obenerwähnten Gräfen war keine Rede mehr. In Leipzig aber, da er doch meinen Ernst sah und eine Art eigener Kraft in mir anerkennen mogte, gab er mir einige Semester den bekannten, vielleicht berüchtigten, Hohenthalischen Tisch. Um Stipendien mich hergebrachtermaaßen zu bewerben konnte ich mich in Leipzig nicht entschließen, da ich in dieser Hinsicht gar leidige Erfahrungen zu Bautzen gemacht hatte. Verbindungen, Empfehlungen sah ich dort Alles gelten: Söhne, die nicht nur Väter sondern sogar reiche hatten, bezogen Stipendien. Hätte ich ein Lausitzisches genossen, so wäre ich wol auch noch länger in Bautzen geblieben: so aber eilte ich nach Leipzig – denn fähig zur Universität war ich. Hier ergab ich mich dem Lernen und Leiden. Die Kirchengeschichte, die viele Exegese und sogar die bei Keil begonnene aber von mir und von ihm wegen seines nicht vollendete Dogmatik stempelten mich auf der einen Seite doch immer als einen Studiosus Theologiae. Übrigens hörte ich aber den Gilbert, Hermann, Platner, Krug u.A. Da ließ mich mein unseliger Stolz gar nicht mehr an das Prediger-, sondern geradewegs an’s Professor-Werden denken! Mittel und Wege machten mir den geringsten Kummer: ich hatte die Kekheit zu denken: »Wenn nur Kraft da ist, so wird sich auch Geld finden«. Und wahrlich hätte ich mich fürerst nicht geteuscht, hätte ich später nicht eine Reise in die Schweiz unternommen. Denn ich war so glüklich, in meiner lezten Zeit zu Leipzig 4 Kinder eines Holstein-Sonderburg-Augustenburgischen Apanageprinzen für wöchentlich 2 Rthlr zu informiren. Dazumal musste aber das Verhängnis Fellenbergische Werber nach Leipzig schiken. Drei junge Lausitzer ließen sich anwerben: darunter ich. So kam ich ohne Geld in die Schweiz. Da wir aber zu oberflächlich mit dem Berner Patricier schriftlich unterhandelt hatten, so fanden wir uns alle 3 in unseren Erwartungen ein wenig geteuscht. Meine 2 Gefährten, die einen besseren Magen hatten als ich, ließen sich auf dem Hofwylischen Schachbret herumschieben. Einer entfernte sich bald wieder. Ein anderer folgte ihm nach. Ich war gleich anfangs in ein waatländisches KaufmannsHaus gegangen, hatte darauf den Pestalozzi auf 2 Monate besucht. Auch bei diesem fand ich’s unter aller Kritik. So kehrte ich in die Lausitz zurük, ging darauf mit 60 Rthlrn wieder nach Leipzig, um fortzustudiren. Von jener Zeit an nährte ich heimlich den Gedanken, vielleicht Missionar zu werden. Ich nahm aber sehr bald eine Hauslehrerstelle bei Graf Bentzel-Sternau an, wo mir die Aussicht ward, meinen Zögling nach einiger Zeit auf die Universität zu führen. An die Möglichkeit eines Fehlschlagens ließ mich zwar meine damalige schon bereichertere Weltkenntnis denken. Ich trieb’s aber nur 1 Jahr bei Bentzels, die sehr liberale Adlige schienen, aber mir in meinem Erzieherplan oft unverständig entgegenwirkten. Meine Stelle hatte mich wieder in die Schweiz geführt. Meine Missionarsgedanken führten mich nach Basel, um das Wesen und Wollen des dasigen Missionsinstituts unter Blumhardt kennen zu lernen. Ich lernte eine beschränkte Frömmelei und zugleich noch besonders mich in Verhältnis zu lezterer mehr kennen, das ist, die moralische Unmöglichkeit, einen gewissen ChristlichkeitsAnstrich zu heucheln und mich von jenen Leuten befördern zu lassen. Ich schrieb meine »Religionszifferblätter«, die Sie, Vortreflicher, in Ihrem ersten Brief an mich ein »wunderliches Buch« nennen. Um mir vor einseitiger wissenschaftverachtender Kopfhängerei den vollendetsten Ekel einzugießen, ließ mich mein Loos in ein ultraroyalistisches hyperchristliches Berner PatricierHaus gerathen. Da hing ich von einem nonnenhaften Fräulein ab, welches deswegen zu pietisteln schien, weil es kränkelte und allmälich, für eine etwanige Heirath, in die Jahre kam. Diese Menschen schrieben mir vor, was ich in der Geschichte den Kindern mittheilen dürfte und was ich verschweigen müsste, ja sogar wie ich über Könige usw sprechen müsste. Ich empfahl mich, als mir der Landvogt, der Vater meiner Schüler, vorwarf, mir hätten bei der ersten Erzählung der That Louvels Freudenthränen in den Augen gestanden. Zschokke riß mich, ich erkenn’s dankbar, aus diesen Verhältnissen, indem er mich zu den Glarner Demokraten schikte, wo ich eine kleine Honoratiorenschule eine Zeit lang hatte. Hier lernte ich den Gegensaz von meiner vorigen Lage gut kennen. Ein blinder Arzt, Dr. Blumle, ein großer Verehrer von Ihnen, (er hatte Sie in Jena gehört) hatte viel Bücher von Ihnen. Ich las, so viel mir Zeit blieb. Herzliche Blize gingen da vor meinem Geiste vorüber. An dem Schwerverstehbaren des Übrigen war nun aber, da ich mich immer mehr filologisch gebildet hatte, meiner Meinung nach meine wenigere Kenntnis in den Naturwissenschaften Schuld. In der irrigen Vorraussezung, Kielmeyer sey in Tübingen, ging im , nachdem ich mir einige Louisd’or gesammelt hatte, dahin, wo ich Chemie bei einem Andern hörte und von Eschenmayer etwas angezogen wurde. Als Sie hierauf das Neujahr in Erlangen lasen und im wieder Sommervorlesungen ankündigten, wünschte ich Sie zu hören. Ich hätte gleich aus der Schweiz nach Erlangen gehen sollen, um Ihre merkwürdige Einleitung in die Filosofie zu hören! Göring hat die nachgeschriebenen Vorlesungen ich habe sie aber noch nicht angerührt, um nicht Ihnen Fremdes mit anzutreffen, da Sie schnell vorgetragen und mir selbst einmal von der Beschaffenheit eines Ihnen zu Gesichte gekommenen Hefts Etwas gesagt haben. In den Stand, Erlangen zu besuchen, hatte mich der Buchhändler Wagner in Neustadt an der Orla gesezt. Er hatte sich selbst, wegen einiger pädagogischer Aufsäze von mir in Guts Muths pädBibliothek, zum Verleger etwaniger Schriften von mir erboten. Ich hatte ihm die genannten »Religionszifferblätter« gegeben. Für die Ausarbeitung eines künftigen Werks schikte er mir 50 Rthlr. Ich hörte den darauf außer Ihren Vorlesungen über Mythologie nichts und arbeitete fleisig an dem Werkchen. Zugleich waren wir mit einander übereingekommen, eine Zeitschrift Luna in Verbindung von mehren jungen und ältern Mitarbeitern in Jena herauszugeben, wohin ich mich im begeben wollte. Das Weimarische Ministerium jagte mir aber meinen Verleger so in Furcht, daß aus der ganzen Sache nichts wurde. Gleichwol hatte Wagner mir anderweite 50 Rthlr. gesendet. So war ich auch in Erlangen bis ohne Schulden. In Jena hätte ich neben der Herausgabe der Monatschrift mich bequem auf ein akademisches Lehramt vorbereiten wollen, um in Jena als Privatdocent aufzutreten, wo so viele herrliche Männer meiner Nation vor mir mit Glük angefangen hatten. Nach fehlgeschlagenem Plan aber suchte ich meine Habilitirung zu beschleunigen und zwar dieselbe in Erlangen zu bewerkstelligen, weil ich auf Borg bei meinem Hauswirthe, dem Schneider Lösel, festsaß. Und ich bin ihm vom für Wohnung, Licht und Kost 200 fl schuldig, welches mich izt in die peinlichste Lage versezt, da weder Schubert noch mehre Lausitzer Bekannte mir Geld leihen können oder wollen. Hätte ich aus München die Erlaubnis zu lesen bekommen, so hätt’ ich das Rescript in Abschrift nebst meiner gedrukten Disputation in die Lausitz geschikt und berechnetermaaßen eher ein Darlehen erhalten.
Da dis wieder gescheitert ist und ich auf die ungewisse 2te Beschließung der Minister hin meine Schuldenmenge nur zu vergrößern riskire, ohne vielleicht meinen Zwek zu erreichen, so sah ich mich nach einer meiner Individualität angemessenen Stelle um und nach sonstigem Gelderwerb. Von 3 Hofnungspunkten glaubte ich doch Einen zu treffen. 1) Ich hofte von der Herausgabe eines oder gar (!) zweier Schriften. Beide Manuscripte hab’ ich dem Buchhändler Bauer in Nürnberg vorgelegt. Dieser Mann will aber efemere frappante Kleinigkeiten verlegen; Sachen, wo 3000 fl – wie er von einem meiner Werke behauptet – auslegen muß, mag er nicht auf die Unbekanntschaft meines Namens wagen. Daß Jeder, eh’ er bekannt wurde, unbekannt war, darauf hören diese Kaufleute nicht, die eine Handschrift nur mit ihrem Tabaksgestank verunreinen und achselnzukkend wieder zurük senden. Das mag aber seine volle Richtigkeit haben, daß jezt meist nur Schul- und Handbücher gekauft werden, übrigens der Büchervertrieb, troz des Messkatalogs bedeutenden Dikke, sehr stokt. Auch an Metzler in Stuttgart hab’ ich eines Werkchens wegen, das ich »Wetterleuchtungen« nennen wollte (es ist poetisch und prosaisch), geschrieben. Er antwortete abschläglich: er habe schon zu viel übernommen. 2) Der Nürnberger Rath gründet eine Töchterschule. Ich schrieb auf Stephani’s Anrathen, den ich in Gunzenhausen auf meiner Reise besuchte, an den Bürgermeister Binder. In einer Woche drauf ging ich zu ihm. Er sagte mir, es hätten sich zu dieser Stelle »unendlich« viele gemeldet, auch der berühmte Philippi in Dresden (kennen Sie ihn?); übrigens müsse ich das Indigenat haben, und endlich falle ihm ein, daß ich als Unverheiratheter gar nicht mit concurriren könne: Die Lehrer müssten verheirathet seyn. Da stand ich und bekannte, daß ich allerdings nicht über Hals und Kopf heirathen könne und von meiner Hofnung ablassen müsse. Heirathete ich eine Bayerin, so erreichte ich beides, das Weib und Indigenat, zugleich. Aber das geht nicht so schnell, wie das Nürberger Lebkuchenbakken. 3) Der Pfarrer von Vach, bei dem ich übernachtete, fragte mich ob ich nicht geneigt sey, einem seiner reichen Verwandten aus Nürnberg, der gern heirathen, dazu aber doch Etwas, also Doctor Philosophiae, seyn wolle und müsse, sintemal er zwar in Erlangen Jura studirt, aber im Hinblik auf die Verwaltung seiner ihm zufallenden oder schon zugefallenen Güter es nicht eben so hizköpfig getrieben, eine Disputation schreiben wolle. Ich sagte »mit Vergnügen«. Denn ich wollte dem Jüngling sagen, die Disputation ihm zu schreiben habe mir Vergnügen gemacht und ich verlange nichts dafür; indessen seys doch eine Gefälligkeit, einer gegenseitigen werth: er, begütert, solle mir auf einige Jahre verzinslich 300 fl borgen. Nun hing der bestimmtere Auftrag dieser Specimenschmiederei noch davon ab, ob der Nürnberger Jüngling den Professor Heller in Erlangen, wohin er von Würzburg kommend über Vach gegangen war, anträfe. Er trift ihn ganz gewis nicht an, sagter der Vacher Pfarrer, er ist verreist. geh’ ich mit
Und mit allem diesem breiten Plunder behellige ich Sie, Theuerster, in dem Glauben, daß Sie nicht blos in der Wissenschaft sondern vielleicht auch fürs Leben speculativ sind. Wenn Sie mir nur um Gottes Willen Etwas könnten ausspeculiren helfen, wodurch mir vor der Hand jährlich wenigstens 300 fl gewis wären. Ich denke nämlich in meinem alten Stolze: per arduum ad altum. Sie sehen aber leicht, daß ich dem Bayerischen Tabellar- Schema- und MechanisationsWesen dadurch gern entgehen mögte, also an kein filologisches und theologisches Examen denke. Auch Hauslehrer werd’ ich nicht mehr; außer bei einem Prinzen würd’ ich es noch einmal versuchen. Auf Reisen begleitete ich gern Jemanden: französisch kann ich ziemlich und moralisch bin ich für große Herren nur zu sehr. Mit russischen Fürsten ist wol kaum auszukommen? Denn wenn mir diese einfallen, schmeichele ich bedeutender Menschenkennener mir nicht sowol mit einflußreicher Wirksamkeit, als mit Vervollständigung meiner eigenen Ausbildung – ein Egoismus, der nicht allein meine Schuld ist.
Sehr läge’s vielleicht in dem Kreis ihrer Bekanntschaften, mir zu einer Bibliothekarstelle zu verhelfen? Secretärstellen sind schon so mislich wie Hauslehrerstellen. Oder soll ich mich an Jemand in Preußen, etwa an Niemeyer, mit einer Empfehlung vonn Ihnen, wenden? Oder an Niethammer? Der wird mir den legalen filologischen oder theologischen ExamensWeg vorschlagen, falls er an der Erlangung des Indiginats nicht zweifelt. Ob denn Schlichtegroll keine Unterbibliothekare nöthig hat?
Mein geliebter verehrter Herr Director, gönnen Sie mir Bedrängtem doch einige Augenblikke eines Besinnens oder einige Zeilen in einem Briefe wegen mir oder eine Anfrage in einem nicht ausschließend für mich geschriebenen Briefe an eine einflußreiche oder connexionreiche Person! Ihr Wort gilt viel: Sie stehen in hoher Achtung. – Einer meiner großen Fehler ist, nicht, daß ich die Menschen verachtet, sondern, daß ich äußerst viele nicht geachtet habe, die mir allerdings jezt sehr nüzlich seyn könnten. – Ich habe die Lina und das kleine Kind und die Knaben wohl gesehen. Ich empfehle mich ergebenst Ihrer Frau. Kommen Sie recht frisch zurük, ohne zu vergessen
Ihren dankbarsten
K Müglich, M.