Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Nun, so sey denn unser himmlischer Vater vieltausendmal gedankt und gelobt, mein theurer Meister und Freund, dass Sie noch unter uns Erdebewohnern auf dieser freilich ziemlich schlechten sublunarischen Welt umherwandeln! Die Deutschen Zeitungen und nach ihnen die Schwedischen haben Ihre hiesigen Freunde eine lange Zeit hindurch mit drohenden Nachrichten von Ihrem fast gewissen Tode geängstigt. Wir betrauerten schon das Schicksal der Weltalter und der ganzen philosophischen Wissenschaft, über welche wir in diesem schrecklichen Ereigniss ein von Gott für Jahrhunderte ausgesprochenes Todesurtheil sahen. Von meinem persönlichen Gefühl bei der Aussicht eines solchen Verlustes will ich kein Wort sagen. Indessen beruhigte mich über diesen Punct einigermaassen der Gedanke: wenn er wirklich von der Erde entschwunden ist, so kann sein jetziges Loos nur ein schönes und seeliges seyn, und du wirst ihn wohl früh genug wiedersehn, wenn auch du dein Tagewerk vollendet hast — denn wie kurz ist in der That die Spanne Zeit von ein Stück zehn, zwanzig oder dreissig Jahren?

Aber, Gottlob! besser ist doch besser; wir wollen den vergangnen Schmerz über die gegenwärtige Freude vergessen. Ich glaube jezt sehr fest sogar an die Möglichkeit, dass wir noch diesseits des Grabes uns nicht nur im Geiste umarmen werden. Gewiss komm’ ich noch einmal in mein geliebtes Deutschland zurück. Unterdessen will ich treu für unsre gemeinsame Sache thätig seyn, nach meinem Maass von Wissen, Können und Gewissen.

Ihr letztes Schreiben an mich, datirt Franzens-Brunnen in Böhmen den , kam ziemlich spät in meine Hände. Jedoch hätt’ ich es weit früher beantworten können und sollen, wenn ich nicht bei dessen Empfang mit der Ausgabe eines poetischen Taschenbuchs beschäftigt gewesen wäre, das kurz darauf die Presse verlassen sollte; und bald nachher zerstreute mich eine Lustreise auf’s Land in den , so wie gleich darauf die Veränderung meines Wohnorts, der jezt auf noch unbestimmte Zeit von Upsala nach Stockholm versetzt geworden ist. Sie haben vielleicht aus dem Hamburger Correspondenten vernommen, dass unser Kronprinz in Upsala den zugebracht; dort alle Menschen entzückt (was wirklich wahr ist), Vorlesungen fleissig gehört und besucht, und einen Cursus in der schönen Literatur der Deutschen unter meiner Leitung angefangen. Dieses Studium setzt er auch hier fort, und hat mich deswegen hieher berufen. Er hat eine gewandte Sprachfähigkeit und viel poetisches Gefühl. Wir haben in kurzer Zeit die meisten Schiller’schen Trauerspiele durchgelesen, unter denen er Wallenstein und Tell am meisten schätzt. Dass er Schiller dem Goethe vorzieht, dessen Egmont er doch sehr lieb gewommen hat, mag man ja leicht einem jungen Fürsten verzeihen, den natürlicherweise grosse Staats-Actionen, kriegerische Gesinnungen und politische Grundsätze mehr interessiren als die blosse reine Poesie an sich. Nachher will ich seine Aufmerksamkeit zur Bühne des gewaltigen Shakspeare hinlenken, und ihm in der schönen Schlegel’schen Übersetzung besonders die rein historischen Trauerspiele mittheilen, die wahre Fürstenspiegel zu nennen sind. Den Sigurd Schlangentödter von Fouqué will ich ihm auch nächstens vorlesen, weil die zierliche Behandlung, die übrigens dem Stoff nach sich sehr treu an die alte Skandinavische Sage anschliesst, mir geeignet scheint ihm lockend die freundlichste Seite zu zeigen von der heilig-schauerlichen Gemüthstiefe des Landes und des Volkes, die er zu beherrschen bestimmt ist. Von der Existenz jener Tiefe ahndet man freilich hier in der Hauptstadt sehr wenig, und Sie können sich leichtlich denken, wie die alten Perücken über mein Verhältniss zum Kronprinzen ihre Köpfe schütteln. Da der König aber still schweigt und seinen Sohn lesen und treiben lässt was er will — dem Yater ist wohl im Grunde wenig dran gelegen ob man die Französischen Tragiker u.s.w. respectirt oder nicht, wenn man ihm nur nicht politische Kreuzsprünge macht — so sehen sie die Bekehrung des Prinzen zur Schwärmerey als entschieden an und damit das lang gefürchtete Jahrhundert der durch mich und meine Freunde auf die Bahn gebrachten ästhetischen Barbarei und Schellingischen Mystik als leider! angefangen. —

Man muss dem Prinzen Oscar übrigens innig gut werden, wenn man ihn näher kennt. Er ist schön und ritterlich, unschuldig und brav, weich und kräftig, ernst und heiter, alles am rechten Platze. Er kann fröhlich, ja muthwillig seyn, wie es seine zwanzig Jahre mit sich bringen, aber das ernste und besonnene Prinzip, das einem Nordischen Fürsten so wesentlich zu besitzen ist, scheint immer mehr und mehr in ihm vorherrschend zu werden. In Summa, wir haben sehr viel von ihm zu hoffen und erwarten. — Es ist ein eignes und in seiner Art, so viel ich weiss, ganz neues psychologisches Phänomen, diese Transsubstantiation eines jungen französisch gebornen Menschen in eine durchaus entgegengesetzte Natur. Die Übersetzung seiner ersten Individualität in die zweite ist aber so gelungen, dass Keiner, der nicht das Gegentheil historisch wusste, aus der Art seines Sprechens und seines Umgangs vermuthen würde, er wäre nicht mitten in Schweden geboren. Dieses Glück haben wir, nächst Gott, dem eben so ächtschwedischen, als gründlich gebildeten und liebenswürdigen Erzieher des Prinzen, dem Canzlei-Rath von Tannström zu verdanken; so wie auch, dass er eine tüchtige, freie und constitutionelle politische Denkungsart in seinem Innern entwickelt hat. Geschichte, Geographie und Kriegswissenschaft sind übrigens seine täglichen Hauptstudien; er ist von der Armee sehr geliebt, und scheint entschlossen, seinen Feinden einmal recht derb auf’s Leib zu gehen.

So habe ich denn das »a Jove Principium« im Auge habend, Ihnen meinen fürstlichen Gönner und Jünger recht ausführlich geschildert. Es wird Ihnen nicht unlieb seyn zu hören, dass der Schwedische Princeps Juventutis das Deutsche gründlich lernen will. Er spricht es auch schon, obwohl noch sehr ungeübt, und will es jezt anfangen zu schreiben. — Jezt etwas von mir selbst und meinen hiesigen Freunden. Meine Gesundheit ist noch häufig von allerlei Magenschmerzen, hämorrhoidalischen Verdriesslichkeiten u. dgl. gezwackt und geplagt. Ich will aber im künftigen eine ungeheure Menge Brunnenwasser verschlucken, wovon mir Freunde und Ärzte grossen Nutzen versprechen. Unterdessen verarbeite ich allmählich allerlei während meiner Reise gesammelten Stoff, und werde wohl bald ein sich darauf beziehendes grösseres Werk, aus Prosa und Versen vermischt, herausgeben. Über Deutschland muss ich wohl die meisten von meinen Briefen im Pulte behalten, bis auf eine fernere Zukunft; denn die Gränzlinie zwischen dem, was ich über die dortige Lage der Dinge und bedeutende persönliche Verhältnisse sagen oder nicht sagen darf, ist gar fein und schwierig zu ziehen. Ich bin noch über diesen Punct mit mir selber in grosser Confusion und Uneinigkeit. Einige Gedichte aus diesem beabsichtigten Reisewerke hab’ ich einem Poetischen Taschenbuch für 1820 einverleibt, unter dem Nahmen Vandrings-Minnen (buchstäblich: Wanderungs-Erinnerungen). Die Überschriften känn ich Ihnen mittheilen, weil sich nichts weiter mittheilen lässt, und Sie doch ein so gütigen Antheil an meinem Thun und Treiben nehmen: 1. Die neunjährige Dichterin (An die Frau von Helwig, veranlasst durch ein kleines Bildniss, wo sie als Kind gezeichnet ist.) 2. An Schelling (das deutsche Original kennen Sie.) 3. Tyroler-Lied. 4. Italia. 5. Byström’s Juno (eine schöne Gruppe von einem in Rom lebendem Schwedischen Bildhauer.) 6. Bettina. (Nachklang eines Albaner-Liedes.) 7. Die schöne Nonne. 8. Auf der Gebirgshöhe von Olebano. 9. Sicilianisches Lied. 10. Der Besuch in Sorrento. 11. Die Guitarrspielerin auf dem Jahrmarkte. 12. Abschied von Villa Borghese. 13. Die Gondelfahrt. 14. In den Kärnthner-Alpen (das Deutsche Original hab’ ich Ihnen ja mitgetheilt.) 15. An eine Schwester. 16. Das Kinder-Ballett (eine Wienerische Theaterscene.) 17. Einsamkeit. 18. Aussicht. 19. An Steffens (auch zuerst Deutsch gedichtet, an seinem GeburtsTage.) 20. Wandrers Abendlied. — Unter vielen andern, die zu diesem Cyclus gehören, aber noch ungedruckt sind weil ihnen die letzte Hand fehlt, werden auch jene Wenn Sie den Herrn von Baader treffen, grüssen Sie Ihn – Ich will ihm bei Gelegenheit einige neue magische Nachrichten mittheilen.Sonette zur Ehren der Heil˖[igen] Jungfrau zum Vorschein kommen, die ich in München deutsch niederschrieb. Auch ein Gedicht zum Lob des Albrecht Dürer, eine Canzone über Raphaels Cäcilia, Stanzen über Rom u.s.w. wovon künftig ein mehreres.*)*) Auch über den Kaiser Julianus (dem Abtrünnigen) hab’ ich eine wunderliche Art von antiker Romanze im Sinn, aus vier Abtheilungen in Alcäischem Versmaasse bestehend. Ich beeile mich um mit einer Menge dergleichen Gegenständen so schnell wie möglich fertig zu werden, weil ich nachher mich vaterländischen Romanzen und dramatischen Bearbeitungen Skandinavischer Stoffe fast ausschliessend widmen will. Mein Freund Geijer arbeitet sehr ämsig in der Schwedischen Geschichte, und hat im , wo der Kronprinz täglich seine Vorlesungen besuchte, einen fast göttlich herrlichen Vortrag über die altnordische Geschichte (von Odin an bis zum Gustaf Wasa) gehalten. In Upsala giebt man jezt eine Zeitschrift Svea heraus, die sehr viel für die Zukunft verspricht. Geijer hat dort eine schöne Abhandlung über Feodalismus und Republicanismus einrücken lassen, die auf eine merkwürdige, aber ganz selbstständige Weise mit Steffens’ politischen Ideen in den wesentlichsten Puncten zusammentrifft. Sie wird auch vom Prinzen Oscar mit lebhaftem Interesse gelesen. Unsre Presse ist wohl jezt die freieste in Europa; nur die Tageblätter stehen unter einiger Aufsicht, die aber keineswegs besonders streng ist. Auch wird die Universität von Upsala jezt von der Regierung mit grosser Achtung und Auszeichnung behandelt. Drum sind auch die 900 Studenten dort sammt und sonders ausgemachte (obwohl constitutionelle) Royalisten. — Hier in Stockholm hat man wohl an der Persönlichkeit des Königs allerlei auszusetzen, aber mit dem Sohne ist man allgemein zufrieden. In den Provinzen hat aber auch jener sich im grossen Credit zu setzen gewusst. Im Grunde hat er den besten Willen, nach Maassgabe seiner Ein- und Ansichten; aber er ist ein Franzose, und fühlt sich als Ausländer, ist dabei durch eine Revolution gebildet und an revolutionären Schauspielen gewöhnt, und dies macht sein Innres unsicher, schwankend und schwermüthig. Gegen unsre Nachbarn beträgt er sich indessen mit Muth und Gewandtheit, gegen das Volk mit Freundlichkeit, und mit Achtung gegen die Repräsentanten desselben. Er lebt an seinem Hofe wie ein militärischer Einsiedler, streng und sparsam, will aber dass die Armee prächtig und glänzend erscheinen soll, und ist in seinem eignen Anzug fast ein bischen zu ausgesucht. Eitel ist er freilich, wie alle Franzosen; aber, wäre er nur nicht so reizbar, hitzig, inconsequent und hypochondrisch, er würde doch einer von unsern tüchtigsten Herrschern seyn. Dies erwarten wir aber von seinem Sohne, der es freudig fühlt, dass er in der Nation gleichsam eingewurzelt ist. —

Von den alten Edda’s haben wir durch Rask und Afzelius eine schöne Ausgabe erhalten, mit einer gut gelungnen Übersetzung in unsrer jetzigen Sprache. Afzelius hat auch eine treffliche Sammlung von unsern Ritter- und Liebesliedern aus dem Mittelalter herausgegeben, mit den alten Melodieen dazu. Er macht selbst sehr hübsche Lieder, so wie auch ein andrer Freund von mir, Hedborn. Beide sind Hofprediger hier in Stockholm. —

Ist Hjort noch in München, oder ist er dort über gewesen? Ich wollte dem trefflichen Freund etwas Geld schicken, was ich ihm noch schuldig bin, weiss aber gar nicht wohin ich Briefe und Gelder adressiren soll. Er hat mir aus Florenz geschrieben im , wo er sich auf ein vorhergehendes Schreiben aus Rom bezieht, worin mir alles Nöthige über Geld und Adresse gesagt seyn sollte; dieser Brief ist aber unterwegs verloren gegangen, denn ich hab’ ihn nie gesehen. Nur so viel merkte ich aus seinem Florentinischen Brief, dass er in München den verleben wollte und nachher Paris besuchen. Er ist in Florenz der Krankenwärter des unglücklichen Rühs gewesen; dies sieht dem guten und wahrhaft grossmüthigen Hjort sehr ähnlich. Ob Rühs noch lebt, weiss ich nicht.

Schliesslich, mein ehrwürdiger Lehrer, lassen Sie sich Ihre letzte Krankheit fein als Warnung gelten, dass Sie nun nicht länger die Ausgabe Ihrer heiss erwarteten Weltalter verzögern!!! Wer weiss, wie lange der irdische Lebensfaden fortgesponnen wird? —

Wenn das Buch wirklich fertig ist, so senden Sie es entweder der Frau Generalin von Helwig in Berlin oder dem dortigen Schwedischen Legazions-Secretär von Maule — so werd’ ich’s wohl am sichersten bekommen. An mich können Sie schreiben entweder unter Umschlag an die Helwig, oder an Professor Geijer in Upsala,** Oder auch an den Buchdrucker der Universität, Magister Palmblad. weil ich noch nicht weiss wie lange ich hier in Stockholm verweilen werde. Im letzten Fall thun Sie vielleicht besser, Ihren werthen Brief lieber über Stralsund, als Hamburg gehen zu lassen; man sagt, dass der Postgang über Hamburg jezt langsamer ist. — Wenn ich die Sache recht bedenke, so ist, was die Weltalter betrifft, das Räthlichste, dass Sie mir das Buch gradezu mit der Briefpost senden — wenn nur dieser Weg überhaupt zuverlässig ist. Denn das bischen mehrere Postporto macht mir keine Bedenklichkeit — Die Hauptsache ist, das Buch geschwind zu bekommen — weil mir sehr viel daran gelegen ist.

In Deutschland scheint die seltsam-peinliche Lage der Dinge jezt bald ihren höchsten Culminationspunct erreicht zu haben. Was wohl daraus entstehen wird? — Die Rolle, die besonders Preussen in dieser tragikomischen Farce spielt, ist zum Grausen abgeschmackt. Hier behauptet man, die Deutschen hätten eine unermüdliche Lammesgeduld und werden sich in Alles willig fügen und schmiegen. Ich kann aber die Möglichkeit von so Etwas nicht im Kopf hineinzwingen. Mag aber geschehen was da will, Gott und das Gute werden doch wohl am Ende siegen.

Wie geht’s den lieben Freunden und Freundinnen in München? und vor allen Ihrer holden, trefflichen Pauline? Was macht die gute Louise Seidler? Ist sie noch immer in Rom? — Sie hat mir Ihr Bildniss versprochen und sie muss ihr Gelübde erfüllen. Sag’ ihr das! — Grüssen Sie auch den braven Thiersch herzlich und seine heitre Frau — Die Niethammer’s sind wohl noch lebend und gesund? — Wie mögen jezt Ihre Knaben sich blühend entfalten! — O könnt’ ich mich doch in Ihrem Kreise wieder versetzen, Ihr Lieben Alle! — Aber ich bin im Geiste oft bei Euch — zweifle auch nicht, dass Sie mich in Ihrem Andenken behalten.

Atterbom.