Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Hochverehrtester Herr Director, mein innigst geliebter, väterlicher Meister! –

Durch die Abreise eines jungen Landsmannes, des Herrn Doctor Tengström, nach München, wird mir eine schöne Gelegenheit dargeboten, sicherer, als es vielleicht mit der gewöhnlichen Briefpost der Fall seyn mag, Sie wiederum an meinen unbedeutenden Nahmen mit einigen Zeilen freundlich zu erinnern. Ich ergreife diese Gelegenheit mit unendlicher Freude, aber auch mit unendlichem Schmerz; denn ich hatte mich schon seit vielen Monaten fest an den Gedanken gewöhnt, diesen in München einen neuen und zwar noch längern Besuch abstatten zu können, und dort mit Ihnen die Resultate meiner Reise, meine Hoffnungen und Pläne für die Zukunft, und so vieles, vieles Andre, Wichtigere, Sie Selbst, Ihr Wohlseyn und erhabenes Wirken betreffend, in Musse nach allen Richtungen hin zu besprechen. Allein die göttliche Vorsehung will es für diesmal Anders. Durch allerlei täuschende finanzielle Aussichten und Versprechungen, die meine Neigung zum längern Verweilen in dem mir so vielfachen neuen Stoff des Dichtens und Denkens darbietenden Italien mächtig befestigten und vermehrten, bis zur im Süden Hesperiens hingehalten, brach ich um jene Zeit endlich von Rom auf in des braven Dichter Rückerts Gesellschaft, um den Rückzug nach Deutschland anzutreten, als das einzige zuverläßige Mittel, die eingetroffene völlige Verwirrung und Zerrüttung meiner Geld-Umstände nicht, vielleicht für Jahrelang, ganz unheilbar zu machen. Der übrige Rest des ward nun auf diese retrograde Reise verwendet, wie wir sie denn auch so viel als möglich mit romantischen Umschweifen und Umstreifungen verlängerten, und uns dazu ein bischen zögernd so wohl in dem anmuthigen Florenz, als in der stolzen Neptunischen Venezia aufhielten. Mein Entschluß war aber immer noch, von Wien, wo wir am eintrafen (und wohin ich unvermeidlich direct gehen mußte um hier wieder etwas Geld zu bekommen), nach vierzehn Tagen oder höchstens vier Wochen wegzufahren, um dann in München auf’s Neue meinen Wohnort für wenigstens drei Monate aufzuschlagen. Hier angelangt, erhielt ich aber vor’s Erste eine so knapp zugemessene Summe Geldes, und zugleich so schwankende, ungewiße Erhellungen, das nächste Zukünftige meiner Reise betreffend, daß ich vor der Hand nicht von der Stelle weg konnte, sondern erst wieder nähere und bestimmtere Erkundigungen von Schweden und Berlin einziehen mußte. Die sind denn nun endlich in diesen Tagen angekommen, und lauten folgendermaaßen: Die Schwedische Regierung, speciatim der junge Kronprinz, ein halbes Jahr über von meinen Freunden bestürmt, schneidet nur sehr huldvolle Gesichter, spricht von Möglichkeiten, scheint aber nichts Wirkliches für meinen leeren Reise-Beutel thun zu wollen; die oeconomischen Umstände der guten Frau von Helwig haben sich im leztverfloßnen , wie mir jezt berichtet wird, sehr verschlimmert, anstatt, wie sie selbst im glaubte, zu verbeßern; meine Freunde in Upsala beschwören mich dringend, in dieser Lage der Dinge so schnell wie möglich zurückzukehren, und nach Belieben eine Lehrerstelle entweder in der Geschichte oder in der Philosophie zu wählen; mein Gesandte, Baron Palmstjerna, ein junger freundlicher, aber nichts weniger als reicher Mann, hat eine von meinen in Rom gemachten Schulden bezahlt und mir noch dazu Reisegeld nach Berlin gegeben; dort erwartet mich die letzte Unterstützung, welche meine Schwedischen Freunde für diesmal haben auftreiben können, und welche allerdings zureicht um ehrenvoll nach Schweden zu kommen, aber nicht um in Deutschland länger umherzustreifen – Also, in dieser undurchbrechlichen fatalen Verkettung aller Umstände, was kann ich Vernünftigeres anfangen, als eben den kürzesten Weg über Breslau nach Berlin einzuschlagen, und dann im den Boden meines sehr liebgewonnenen Deutschlands zu verlaßen? – Freylich, schlechthin unmöglich wär’ es mir nicht, den Umweg durch München zu machen, aber ich könnte mich dort nur zwei oder drei Tage aufhalten, ohngefähr so wie jezt mein guter Briefträger Tengström; und dann – verzeihen Sie diese Weichlichkeit des Gefühls bei mir, – die Sie um so weniger theilen werden, da Sie unmöglich wißen, dem ganzen Umfange meiner Liebe nach, was und wie viel Sie mir sind, – ich möchte nicht gern alle Schmerzen eines neuen persönlichen Abschiedes in meinem Busen erregen, um des durch die unvermeidliche Eile doch beängstigten Vergnügens willen, ein paar mal mich visitenmässig an Ihren lieben, vertraulichen, unvergeßlichen Theetisch zu lagern; ich würde nachher in dem fortrollenden Postwagen um so grausamer wieder meine Einsamkeit, mein Verlaßenseyn empfinden. – Dagegen will man mich aus Schweden mit der Aussicht einer neuen, zweiten, gründlicheren – Deutschlands-Reise vertrösten, deren Möglichkeit, wie’s behauptet wird, nach drei oder vier Jahren in Erfüllung gehn kann. Möge diese Hoffnung sich zuverläßiger als die frühere bewähren. Es versteht sich dann von selbst, daß ich vor allen Sie und Ihre holde, gemüthvolle Gattin aufsuchen werde, und ich brauche wohl dies mit keinem fernern Eidschwur zu betheuern. – Gern möchte ich Sie um die gütige Erlaubniß bitten, Ihnen unterdessen ein oder zwei mal des Jahrs schreiben zu dürfen; ich werde gewiß in meinem Vaterlande, dem noch in allen Fibern seines Daseyns sturmbewegten und feurig gährenden, oft in Verhältnisse gerathen, wo es mir Noth thut, Licht und Trost bei Ihrem höheren Geiste zu holen. Ihr Charakter ist felsenfest, Ihre Seele ist weise und hell; verstossen Sie mich nicht, und laßen Sie auch in der größern Entfernung Ihr unmittelbareres Einwirken mich schützend und begeisternd umschweben. Wenn Sie mir dann nur zwei Zeilen jährlich zuschicken von Ihrer theuern Hand, – jede Minute Ihrer Zeit ist kostbar, – so machen Sie mich glücklicher, als meine Worte es ausdrücken vermögen; denn Ihr Bild ist die glänzendste Erinnerung, die ich mit mir aus dem so wunderreich geistbegabten Deutschland nach Hause bringe. – Einen ziemlich langen Brief, den ich aus Rom schrieb, ich glaube im , haben Sie vielleicht nicht bekommen. Die gute Louise Seidler, die mir darüber und über den Zustand aller meiner Münchenschen Freunde beiderlei Geschlechts die beste Auskunft hätte geben können, hab’ ich leider nicht gesehen; wie es scheint, haben wir uns in der Nähe von Florenz (wo ich sie vergebens suchte) auf der Landstraße begegnet, beiderseits unsers Naheseyns unbewußt, sie nach Rom, ich nach Florenz reisend; es hat mir sehr leid gethan! Ich möchte nur deswegen gern, daß mein so eben erwähntes Geschreibsel, an dem gewiß übrigens gar nichts Intereßantes war, nicht verloren gegangen wäre, weil Sie und Ihre liebenswürdige Gemahlin sonst allerdings das strengste Recht hätten, mich der unverzeihlichsten Fahrlässigkeit und Undankbarkeit fähig zu denken. –

Da es mir nicht gelang, mein Schreiben zu beendigen, so ist unterdeßen der Doctor Tengström fort nach München gegangen; weswegen es wohl einige Tage später in Ihren Händen kommen wird, obgleich, wie ich nur zu sehr befürchte, früh genug um Ihnen herzliche Langeweile zu geben. – Was machen jezt die Weltalter? Man erwartet sie überall, Ihre Freunde mit der lebhaftesten Sehnsucht, die Andern wenigstens mit der gespanntesten Neugierde. Ich – nun, Sie kennen ja meine Gesinnung. Und sobald Ihr Buch einmal öffentlich erschienen ist, fang’ ich gleich die Skandinavische Übertragung deßelben an. Man hat auch dort so viel dummes Zeug über Sie und Ihre Lehre geschwatzt, daß kein anderes berichtigendes Mittel übrig bleibt, als Sie Selbst unmittelbar, und zwar im populärsten Gewande, nähmlich in der eignen Muttersprache des Volks, auftreten zu laßen. Daß ich nach dem – leider geringen – Umfang meiner Kräfte Alles aufbieten werde, um Ihre Gedanken klar, treu und würdig wiederzugeben, das kann ich mit reinem Gewißen versprechen, und unser herrlicher Freund Steffens, der auch Schwedisch versteht, mag mir nach vollendeter Arbeit darüber Zeugniß darbringen. Zu ihm geh’ ich nach wenigen Tagen ab; wie viel werden wir uns nicht von Ihnen zu sagen haben! – Sein leztes Buch, die Caricaturen des Heiligsten, ist hier in Wien von der Censur verboten, und mit grosser Mühe hab’ ich es nur zum zwölf-stündigen Durchblättern bekommen können. Hin und wieder, z.B. wo er zuerst die Idee des Staats zu entwickeln sucht, wo er von der Freiheit und der mit der ersten Selbstthat verknüpften ursprünglichen Schuld u.s.w. redet, schien mir der Gedankengang nicht allemal hell, scharf und bündig genug ausgesprochen zu seyn; indeßen, wer nicht in diesen Geheimnißen ganz uneingeweiht ist, sieht leicht seine Ansicht durch die etwas vernachläßigte Umhüllung hervorschimmern. Das Ganze hat mich sehr angesprochen, und die spezielleren Abtheilungen enthalten so viel Treffliches und eigenthümlich Schönes, dass ich herzlich mich sehne nach einem ordentlichern Studium dieser Schrift, die aber freilich erst jenseits den Gränzen Österreichs ordentlich zu haben und genießen ist. – Unendlich viel hätte der Schwedische Pilger Ihnen jezt zu erzählen von seinem Italiänischen Leben, seinem reizenden zweimonathlichen -Aufenthalt in Albano und Ariccia, seinen Streifereyen mit Hjorth, Rückert, Müller u.a. in den Volscer- und Sabiner-Gebirgen, seiner -Reise nach Neapel, Pästum, den Inseln u.s.w. aber weder Papier, noch Zeit wollen zureichen, und dabei fürcht’ ich auch Ihre Geduld vollends zu erschöpfen, da mein Brief schon in Breite und Länge ziemlich angewachsen und doch eigentlich immer noch ganz inhaltsleer ist. Hier in Wien hab’ ich sehr still und eingezogen gelebt. Von den beiden Haupt-Merkwürdigkeiten dieser Stadt, welche alle hieher Reisende pflichtschuldig sehen, die Stephans-Kirche und die Frau von Pichler, kenn’ ich bis Dato nur die (sehr ehrwürdige) erste. Herr Friedrich von Schlegel wohnt in demselben Hause mit Rückert und mir, ist uns aber allen Beiden etwas zu sehr unzugänglich, esslustig, steif und affektirt Staatsmännisch vorgekommen. Wir machen nur so bisweilen bei ihm rein zeremonielle Visiten. Seine Frau, die freilich auch gern imponirt und geheimnißvoll thut, aber viel lebhafter und gesprächiger ist, lernte ich in Italien kennen, wo wir besonders auf dem Lande ganz nah an einander wohnten. Herr von Schlegel ist jezt, wie er sagt, sehr eifrig mit Besorgung einer bei Cotta bald erscheinenden Ausgabe seiner Sämmtlichen Werke beschäftigt. Bald will er auch der Welt eine vollständige Darstellung seiner philosophischen Welt-Ansicht mittheilen, von welcher Darstellung er behauptet, daß er sie als das eigentliche Ziel seines Lebens immer angesehen hat. Mit dem Herrn von Baader scheint er mehr zufrieden zu seyn, als mit Ihnen; wie weit er aber mit der Baader’schen Natur- und Religionslehre einverstanden oder nicht einverstanden ist, hab’ ich nicht erfahren können, da überhaupt der Herr von Schlegel nur in kurz abgerißnen Orakel-Sprüchen redet, das Ausführlichere aber allein in räthselhaften Mienen und Gebärden zu verstehen giebt. Die Bequemlichkeit ist vielleicht an dieser dunkeln mimischen Darstellungsweise Schuld, denn er ist schrecklich fett geworden, und kein Fremder wird wohl mehr in ihm den feurigen Renommisten des Athenäums (geschweige der Lucinde!) erkennen. – Den Werner haben wir einigemale predigen gehört, auch neue Gedichte von ihm gelesen. Dieser sonderbare, reichbegabte, aber ohne Rettung verunglückte Geist fährt noch immer fort, das Erhabenste mit dem Bizarrsten auf die seltsamste Weise zu vermischen. – Kennen Sie Grillparzer’s vielbesprochene Sappho ? und was halten Sie davon? Ich habe bis jezt nur eine Aufführung dieses Trauerspiels gesehn, und zwar mit Entzückung; vielleicht trug dazu die göttliche Deklamazion der Madame Schröder (die einzige poetisch rezitirende Schauspielerin die ich noch gehört) eben so viel bei, als das eigne Talent des Dichters. Ich bin begierig das Stück zu lesen. Grillparzer selbst ist ein sehr angenehmer, reiner und bescheidener Jüngling, der Alles was er sich vornimmt, mit Ernst und wahrhafter Liebe treibt, und von dem sich also für die Zukunft der Deutschen Dramatik gewiß etwas Bedeutendes erwarten läßt. Seine Ahnfrau ließ allerdings nicht viel erwarten. – Mit dem Baron von Hormayr sind wir oft zusammen; er hat sich besonders an Rückert freundschaftlich angeschlossen. Er ist voll guten Willens und vaterländischer Begeisterung, obwohl nicht selten in seinen Urtheilen von wunderlichen Irrthümern, bisweilen auch von derber Eitelkeit, befangen. Einem gewissen Herrn von Pilat waren wir von Rom aus besonders empfohlen, welcher ein Freund der Schlegel’schen Familie ist; wir machten ihm auch gleich nach unsrer Ankunft einen Abendbesuch, und fanden einen artigen, heitern Mann: den Tag nachher bekamen wir aber von ohngefähr zu wißen, dass er der Redacteur des Österreichischen Beobachters wäre – und seitdem haben wir nie unsre Füße über die Schwelle dieses neuen Pilatus gesetzt. – Rückert, der persönlich einer von den trefflichsten Menschen ist, die ich je gekannt, studiert hier die Persische Sprache mit dem angestrengtesten Eifer. Er hat, unter uns gesagt, ein Heldengedicht über die Kreuzzüge im Sinn, dem er sein ganzes Leben widmen will; und so, wie er jezo gestimmt und in seinem Innern gestaltet ist, wird er künftig als Dichter entweder gar nichts, oder etwas sehr Grosses leisten. Er ist auch einer von Ihren wärmsten und verständigsten Verehrern, und wünscht nichts sehnlicher, als daß die Weltalter bald erscheinen mögen. Durch seine langen Haare und eine altdeutsche Mütze, die er noch aus Rom her beibehalten, erregt er übrigens bei den guten Wienern, denen schon seine riesenhafte Statur auffällt, großes Erstaunen. Er sieht wirklich aus wie Volker, der kühne Fiedeler . – Ich meinerseits muß mich, so lange das Reise-Getümmel fortdauert, nur damit beschäftigen, einige Ordnung in verschiednen Reise-Papieren, Gedichten, prosaischen Aufsätzen u.s.w. zu bringen; verleiht mir aber Gott in Upsala Gesundheit und Ruhe, so werd’ ich wohl auch wichtigere Dinge anfaßen. Ich hoffe dort recht viel für die Sache des Wahren und Guten zu bewirken, da die Aussichten meiner ferneren Schwedischen Schriftsteller-Bahn, wie mir meine Upsalischen Freunde versichern, in jeder Richtung erfreulich sind. – Zu meinen neuesten dichterischen Productionen gehört auch eine Schwedische Umgestaltung des Sonetten-Cyklus über die Mutter Gottes, der das Glück hatte Ihnen in seiner ersten unvollkommenen Gestalt zu gefallen. Aus 10 deutschen Sonetten sind 14 schwedische geworden, und ich habe jezt, wie ich glaube, meine Ansicht vollständiger, bestimmter, organischer durchgeführt. Neugierig bin ich zu sehen, was man dazu in Schweden sagen wird. Unter mehrern Gedichten, durch Italiänische Gegenstände veranlaßt, kann ich noch eine große Canzone zu Ehren der H˖[eiligen] Cäcilia nennen und ein Gedicht über Rom, das ich in Berlin vollenden will; es wird ziemlich lang und in achtzeiligen Stanzen. Sorrento hab’ ich auch besungen. – In dem Fall, daß es Ihnen etwa gütigst geruhen sollte, mir in einigen Worten ein sichtbares Zeichen zu geben Ihrer fortwährenden unveränderten Gesinnung für mich, an der ich allenfalls nicht den geringsten Zweifel hege, so können Sie nach Belieben Ihren Brief, der für mich eine wahre Brieftaube wird, entweder unter Umschlag an den Baron und Kammerherrn Palmstjerna, Gesandten des Königs von Schweden am hiesigen Hofe, oder an die Generalin Amalia von Helwig, geb˖[orene] Freiin von Imhoff in Berlin, adreßiren; er wird mich dann sicher treffen.

Und so leben Sie denn tausendmal wohl, mein theures Vorbild, väterlicher Meister! heiter und muthig! – und spenden Sie in meinem Nahmen die herzlichsten Grüße ohne Zahl aus, an Ihre verehrungswürdige Frau Gemahlin, Ihre holdseeligen Kinder (hat der goldlockige Arminius noch seinen Goldhelm?) an den biedern, geistvollen Herrn Professor Thiersch, von dem ich so eben in den Wiener Jahrbüchern eine tüchtige Rezension über Ast gelesen, und an seine kindlich gute und lebensfrohe Gattin, – den wackern Herrn von Oberkamp und alle andre Freunde und Freundinnen, die sich noch des Skandinavischen Wallers erinnern.
Und vergessen Sie mich nicht!!!
Ihr treu-ergebenster

Dan. Amadeus Atterbom.