Bericht über den pasigraphischen Versuch des Professor Schmid in Dillingen.
Von jeher gab es Personen, welche die leidige Folge des babylonischen Thurmbaus aufzuheben suchten, daß wieder Eine Sprache in der Welt wäre oder wenigstens Eine allen Völkern verständliche Schrift.
Das Letzte sucht auch Herr Professor Schmid in Dillingen zu bewerkstelligen.
Des Verfassers Begriff von Pasigraphie. Man muß ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er nicht wie die andern neueren Pasigraphen gerade darauf losgeht, ein allgemeines Correspondenzmittel zu finden; er stellt diesen Gebrauch in größere Ferne und fängt von der Idee einer nicht zufällig, sondern ihrer Natur nach allgemeinen Schrift an.
Hr. Schmid erklärt dieses so: die Schrift oder das Zeichen müsse unmittelbarer Abdruck der Vernunft selber seyn, das menschliche Denken nach Inhalt und Form zeichnen.
Wäre dann zuvörderst das natürliche System, die nothwendige Verkettung und Abstufung unserer Gedanken gefunden, so würde sich, meint Hr. Schmid, die Schrift, welche Abdruck dieses Zusammenhangs wäre, von selbst als eine Schrift für alle Menschen und Völker bewähren.
Vergleichung dieses Begriffs mit der Leibnizischen Idee. Herr Schmid findet zwischen seinem Versuch und der Leibnizischen Idee einer allgemeinen Charakteristik große Uebereinstimmung
, ja er gibt mit klaren Worten zu verstehen, daß durch ihn ausgeführt worden, was Leibniz gedacht
.
Hieran ist aber aus folgenden Gründen zu zweifeln.
a) Von Leibniz ist nicht anzunehmen, daß er eine bloß logische Genealogie der Gedanken im Auge gehabt, und nur eine willkürliche, nicht eine nothwendige Bezeichnung gewollt. Schon der Ausdruck allgemeine Charakteristik zeigt, daß Leibniz an etwas Bezeichnendes in den Dingen selbst, an eine wahre Signatura rerum gedacht hat. Hr. Schmid bleibt sich in dieser Beziehung nicht gleich; denn einige seiner Ausdrücke möchte er für Bezeichnungen der Dinge selbst und ihrer Verhältnisse geben (wie z.B. seine fünf Potenzen
); außerdem schafft er seine Zeichen nach bloßen willkürlichen logischen Subsumtionen.
b) Leibniz äußert, seine allgemeine Charakteristik würde etwas von der Algebra an sich haben, sie würde eine Art von Kalkul enthalten, so daß das Schließen in dieser Sprache oder Schrift ein Rechnen wäre, und die Fehler des Schließens Fehler des Kalkuls.
Es ist aber einleuchtend, daß ein Kalkul nur mit Zeichen möglich ist, welche zugleich die Sache selber sind. Wäre das a+b oder das dx und dy der Analysis die bloße Erinnerung an einen Gegenstand, nicht der Gegenstand selber, so hörte alle Berechnung auf. Hrn. Schmids Pasigraphie hat mit der Algebra gar nichts gemein als etwa den – vielleicht nicht einmal unmittelbar von ihr entlehnten – Ausdruck Potenz; zum Kalkul kann sie schon darum nicht erhoben werden, weil die Zeichen in ihr nicht Aequivalente der Begriffe selbst, sondern wirklich bloße Zeichen sind.
Anmerkung. Ein Versuch mit Hrn. Schmids Zeichen zu kalkuliren führte auf Ungereimtheiten und nöthigte ihn zu dem Geständniß, seine Pasigraphie sey keine Art von Kalkul.
Werth der Ausführung. a) In Betreff des Gedanken Verzeichnißes. Hat Hr. Schmid seinen Begriff durch die Vergleichung mit dem Leibnizischen viel zu hoch gestellt, so scheint er in der Ausführung noch tiefer zu sinken, indem das sogenannte Gedankenverzeichniß, von dem er behauptet, es müsse nach den strengsten Forderungen der Wissenschaft
angelegt seyn, weder wissenschaftlich begründet ist, noch innere Nothwendigkeit, noch im einzelnen richtige Begriffe zur Grundlage hat.
Es ist nicht wißenschaftlich begründet. Für seine fünf Grundbegriffe, Materie, Pflanze, Thier, Mensch, Geist
, welche er als ebenso viele Potenzen
des potenzlosen Dings oder des Dings überhaupt
ansieht – ein Gedanke, der mir noch überdem aus irgend einem rohen Produkt der neueren philosophischen Literatur entlehnt scheint – hat er keine anderen Beweise als die Frage: ob irgend etwas sey, das nicht unter diese fünf Begriffe gebracht werden könne
(wovon aber gleich der allgemeine Begriff der Form ein Beispiel ist, der unter die Rubrik der Materie gebracht schon zu sehr beschränkt würde).
Es ist ohne innere Nothwendigkeit. Die Stelle, die ein Begriff in der Reihe erhält, wird bloß darnach bestimmt, ob er unter einen gewissen andern Begriff subsumirt werden kann, nicht aber darnach, daß er unter ihn subsumirt werden muß. Hiedurch entstehen ganz zufällige Verbindungen, die nicht mehr Grund haben als die Zusammenstellungen der Ideenassociation. So werden z.B. Schiffe bei dem Wasser
untergebracht, weil sie auf dem Wasser schwimmen, Fische aber, die im Wasser leben, erhalten eine ganz andere Stelle.
Es hat keine richtige Begriffe zur Grundlage. Es wird von der Materie
z.B. ohne weiteres angenommen, sie sey das schlechthin Leblose, in ihr gehe alles nur durch Druck und Stoß
zu, obgleich im Gedankenverzeichniß auch wieder eine Rubrik: dynamische Kräfte
steht; in allen physikalischen Begriffen zeigt sich weder die hier durchaus erforderliche Kenntniß noch wissenschaftliche Schärfe.
Man sieht, der Verfasser hat nur Eile gehabt, alle Begriffe so schnell als möglich, gleichviel wo, unterzubringen, ohne sich viel darum zu bekümmern, wie sie an sich zusammenhängen.
In Bezug auf Entwicklung des natürlichen Zusammenhangs unserer Begriffe kann also dieser Pasigraphie kein Verdienst zugeschrieben werden.
Der Verfasser hat zwar von seinem Unternehmen einen höheren Begriff als die meisten oder alle neueren Pasigraphen, es zeigt sich aber, daß er ihm in der Ausführung bis jetzt wenigstens nicht gewachsen ist.
b) In Ansehung der Zeichen. In einer wahren Vernunftsprache oder Schrift müßten auch die Zeichen nicht zufällig oder willkürlich, sondern nothwendig seyn. Wer eine solche Schrift für möglich hält, muß auch an einen natürlichen Zusammenhang des Zeichens mit dem Bezeichneten glauben, eine Meinung, welche ohnehin dem Menschen tief eingeprägt scheint. Woher käm' es sonst, daß auf das Wort von jeher so viel gebaut worden, in religiösen, in politischen Cerimonien, so sehr, daß bekanntlich das Glück ganzer Unternehmungen davon abhängig geglaubt worden; woher der unter allen Völkern verbreitete Glaube an eine Magie, die durch Worte das höhere Wesen der Dinge aufzuschließen, Krankheiten zu heilen, Geister zu zwingen vermöchte, überhaupt aber die Meinung, welche dem Wort physische Wirkungen zuschrieb. Abgesehen von diesen besonderen Vorstellungsarten kann der Philosoph nicht umhin, einen ursprünglichen, wenn auch für uns jetzt unergründlichen Zusammenhang zwischen Wort und Sache anzunehmen, weil ohne einen solchen alle menschliche Sprache als ein Werk entweder des blindesten Zufalls oder der regellosesten Willkür angesehen werden müßte; Annahmen, welche beide dem philosophischen Geist gleich sehr widerstreiten. Dieser philosophische Grund würde freilich in den Augen der meisten durch den aus Erfahrung genommenen besiegt werden. Was haben die Wörter, womit in Hebräischen, Griechischen, Lateinischen, Deutschen Sonne bezeichnet wird, was haben Schaemaesch, ἥλιος, Sol, Sonne miteinander gemein als höchstens einen Buchstaben? Allein hier zeigt sich dem tieferen Nachdenken eine Seite der Sprachforschung, an die bisher wenig oder gar nicht gedacht worden. Die Ausdrücke der Ursprachen (denn von solchen, die ein bloßes Kauderwelsch, nämlich ein durch Corruption entstandenes Idiom sind, wie die französische und italienische, kann freilich nicht die Rede seyn) die Ausdrücke der Ursprachen, sage ich, sind weit bezeichnender für das Wesen der Dinge, als wir uns vorstellen. Wie der Philosoph z.B. nicht die Sonne als solche, d.i. insofern sie eine äußere Sache ist, zu erkennen sucht, sondern ihr Wesen – gleichsam die Sonne in der Sonne –, so bedeutet Schaemaesch, Helios, Sol, Sonne auch ursprünglich nicht die äußere Sonne, sondern etwas anderes, das für das Wesen der Sonne geachtet, und nach dem sie genannt worden. In der höheren Ansicht der Dinge aber stehen bekanntlich weder alle Menschen noch alle Zeiten noch alle Völker auf der gleichen Stufe. Vielleicht kann ich in der Folge der Akademie eine Reihe von Beobachtungen mittheilen, die ich in dieser Beziehung über Wörter, besonders über Substantive unserer deutschen Sprache gemacht habe, von der schon Leibniz sagt, sie sey eine geborene Philosophie
. Wer nicht solche Untersuchungen angestellt hat, müßte es unglaublich finden, welches organische Gedankensystem, welche tiefsinnigen Verknüpfungen oft in den einzelnen Wörtern dieser Sprache ausgedrückt sind.
Dem Wort am nächsten verwandt ist die Figur – auch äußerlich oder physisch jetzt durch die bekannten Klangfiguren; aber auch der Figur wurde die Macht des Worts zugeschrieben, und nicht Schwärmerei allein, die älteste wissenschaftliche Ansicht der Geometrie, wie sie noch in den Commentarien des Proklus und zuletzt in den Werken Keplers gefunden wird, schreibt den Figuren eine wesentliche Bedeutung zu. Ich erinnere an die fünf regulären Körper, die von den Pythagoreern als Figurae mundanae
betrachtet wurden und nach Kepler die Intervalle der Planetenbahnen
bedeuten sollten. Jene gaben der Erde den Cubus, dem Feuer die Pyramide, der Luft das Ikosaëder zu
; unstreitig eine ganz andere Pasigraphie als die neueste.
Der Figur zunächst steht die Zahl; so unergründlich für uns jetzt das Pythagoreische Zahlensystem scheint, so wenig kann der unbefangene Geschichtsforscher umhin, einen sehr reellen Sinn desselben vorauszusetzen. Auf jeden Fall aber muß es als etwas weit Höheres erscheinen, wenn Pythagoras durch die Einheit den Geist, die Idee, die Form, durch die Zweiheit (den Binarius) die Anderheit, die Materie, durch den Ternarius den Körper, als zusammengesetzt aus Materie und Form, repräsentirt glaubte; wenn er allgemein die von der Eins herkommenden Zahlen ihrer Untheilbarkeit wegen den geistigen, die von der Zweiabstammenden, der Theilbarkeit wegen, den materiellen Gegenständen anwies; es ist dieß, sage ich, etwas ganz anderes, als die Materie durch C1, die Pflanze durch C2, den Geist durch C5
auszudrücken. Die Behauptung, »selbst die Wissenschaft könne nichts Gründlicheres aufstellen
«, tritt durch solche Betrachtungen von selbst an ihren gehörigen Platz.
Hrn. Schmids Zeichen sind ihm nach seiner eignen Erklärung bloß Mittel; es hört aller natürliche Bezug auf das Bezeichnete auf; oder vielmehr auch hier bleibt sich der Verfasser nicht gleich, indem er dasselbe Zeichen bald als ein nothwendiges behauptet, bald nur als ein willkürliches
will gelten lassen. So ist ihm der Geist, nicht bloß dem Zeichen nach, sondern wirklich, die fünfte Potenz des Dings überhaupt; unter den Metallen erhält das Gold ebenfalls die fünfte Potanz, aber es soll damit nicht behauptet werden, daß es sich zu den andern Metallen verhalte, wie sich der Geist zum Thier oder zur Pflanze verhält. Das Philosophische erstrekt sich nur auf die Ordnung und Reihung der allgemeinsten Gedanken; so ist es daher ein wahrer Mißbrauch des Worts, die Schrift philosophisch zu nennen. An ihr hat Philosophie so wenig Antheil als an irgend einer andern willkürlichen Erfindung, z.B. an einer Chiffernschrift. Ueberhaupt ist das Philosophische nur ein der Sache vornherein umgeworfenes Gewand, hintennach in der Ausführung sinkt der Versuch zu den gewöhnlichen Kunstgriffen, den bloß conventionellen Zeichen gemeiner Pasigraphen herab.
Praktische Anwendbarkeit. Obwohl Hr. Schmid im Eingang den praktischen Gebrauch seiner Schrift als einen sehr entfernten Zweck vorstellt, gleich als wäre es hier um die reinste Wissenschaft zu thun: so bemüht er sich in der Folge, den Freunden des praktisch Brauchbaren den Vortheil ans Herz zu legen, mit dieser Schrift allen alles zu werden, den Franzosen ein Franzos, den Engländern ein Engländer, dem Spanier ein Spanier. Doch fühlt er sich zum Geständniß gedrungen, der Gebrauch dieser Schrift könne nie für das Volk, nur für die Gebildeten seyn. Es fragt sich, was Hr. Schmid unter dem Volk und was er unter den Gebildeten versteht?
Die Schwierigkeit der Anwendung, auch für manche, die unter die Gebildeten gerechnet werden, läßt sich an einem einzigen Beispiel klar machen. Hr. Schmid will den Begriff ausdrücken: etwas aus dem Gesichte verlieren
. Hiebei muß er so zu Werke gehen. Weil das Auge und das Sehen auch dem Thiere zukommt, so wird erstens das Grundzeichen der thierischen Natur genommen. Durch eine Modification desselben wird angedeutet, daß nicht das ganze Thier, sondern der Theil von einem Thiere gemeint sey. Eine zweite Modification zeigt, daß bestimmt vom Auge die Rede sey. Je nachdem es Hrn. Schmid gefällt, das Sehen als ein Leiden oder als ein Thun des Auges anzunehmen, drückt er durch eine weitere Modification aus, daß ein Thun oder Leiden des Auges gemeint sey. Weil nun die natürlichste Funktion des Auges das Sehen ist, so wird errathen, es sey vom Sehen die Rede. Ein neuer Zusatz, welcher das Verbum anfangen ausdrückt, und der selbst schon wieder ein componirtes Zeichen ist, bringt endlich die Chiffre so weit, daß sie nun heißt: anfangen zu sehen
. Weil also aus dem Gesichte verlieren so viel ist als aufhören zu sehen
, und aufhören zu sehen das Gegentheil ist vom anfangen zu sehen, so erhält die Chiffre noch einen Zusatz, der das Zeichen des Gegentheils oder, wie Hr. Schmid sagt, des Contrars
ist, – und so ist, obgleich mit noch mancher Zweideutigkeit, die jedem von selbst in die Augen leuchten muß, durch viele Arbeit endlich das Verlangte ausgedrückt.
Hier ergibt sich nun die ganz natürliche Alternative.
Wer die pasigraphische Schrift liest, liest sie entweder mit Verstand, d.h. er findet jedesmal durch Analysis der zusammengesetzten Zeichen ihre Bedeutung, oder er behält zuletzt die Zeichen im Gedächtniß, und liest die Schrift ebenso mechanisch und gedankenlos als wie die Buchstabenschrift. Wird das erste verlangt, so möchte die Pasigraphie, die hierdurch in die schwerste, nämlich in eine philosophische Dechifferirkunst übergeht, höchstens für eigentliche Gelehrte seyn, denn daß Kaufmannsdiener und Comtoristen, die sich doch ebenfalls zu den Gebildeten rechnen, so viel logische Fertigkeit und Geduld haben, um mit solche Chiffern fertig zu werden, ist billig zu bezweifeln. Im andern Fall, da es doch auf etwas Mechanisches hinausläuft, wäre es weit einfacher, pasigraphische Wörterbücher in allen Sprachen zu schreiben, nicht nur Worte, sondern ganze Redensarten, ja ganze Geschäftsbriefe zu beziffern, bei denen nur etwa die Zahlen supplirt werden dürften.
Für gelehrte Zwecke, die einzig noch übrig bleibenden, ist aber vollends keine Nothwendigkeit einzusehen. Wer eine fremde Sprache lernt, hat etwas Lebendiges gelernt, wodurch er sich selber belebt fühlt; wer die pasigraphischen Zeichen lernt, schleppt etwas Todtes mit sich herum, das keinen Werth an sich hat, bloßes Mittel ist. Wollte man aber auch die Gelehrten im allgemeinen von aller Kenntniß fremder Idiome freisprechen, so wird doch immer eine Anzahl seyn müssen, die Sprachenstudien sich zum Zwecke setzt, die also alte und neue Werke durch Uebersetzungen verständlich machen wird, welche nicht bloß den allgemeinen Sinn, sondern auch das Wort, die Wendung, den individuellen Geist wiedergeben. Niemand wird auf diesen Verzicht thun, nicht einmal in Werken, welche am meisten durch die Sache interessiren, als wer etwa, wie Hr. Schmid, auch die Wortsprache für ein bloßes Mittel ansieht. Von Werken der Beredsamkeit und Dichtkunst, wo die Sprache wesentlich wird, gar nicht zu reden.
Prüfung derselben durch Versuche. Hr. Schmid beruft sich auf den Erfolg der Versuche, die er gewöhnlich mit einem von ihm gebildeten pasigraphischen Zögling anstellt, und welche für Personen, die nicht tiefer die Sache untersuchen, viel Ueberzeugungskraft haben müssen. Hiebei ist jedoch zu bemerken, 1) daß solche Versuche wenigstens für die Leichtigkeit der Sache nichts beweisen; durch die Jahr und Tag angestellten Versuche bildet sich zwischen Lehrer und Zögling ein stillschweigendes Verständniß, vermöge dessen der letzte auch unvollkommene Zeichen leicht auslegt. Das wahre experimentum crucis – wäre, daß ein scharfsinniger Kopf, dem nur die allgemeinen Grundsätze der Methode, die Grundzeichen und der dazu gehörige Schlüssel mitgetheilt wären, einen pasigraphisch geschriebenen Aufsatz entziffern müßte. Unter diesen Voraussetzungen würde sicher kein Versuch gelingen, ob er gleich gelingen müßte, wenn die Schrift eine wirklich philosophische und die Bezeichnung nicht großentheils willkürlich wäre. 2) Die feinern Nuancen der Worte gehen selbst bei jenen Versuchen oft verloren, da die Zeichen in der Regel nur das Allgemeine, nicht das Besondere, was im Worte noch außerdem enthalten ist, ausdrücken können. So wurde statt dynamisch (im Gegensatz von atomistisch) nur physisch ausgedrückt; statt ausgezackter Blumenblätter zerrissene. Pfuscher und Stümper sind zwar nah verwandt, doch nicht ganz einerlei; statt des erstern wurde das andere ausgedrückt.
Das eben ist das Herrliche der lebendigen Sprache, daß ich hier nicht nothdürftig nur meinen allgemeinen Begriff hinstelle, sondern ihm zugleich die bestimmte Farbe, den Ton und die Schattirung gebe, welche ich will.
Anderweitige Nützlichkeit. a) In Bezug auf Sprachphilosophie. Wenn seine Pasigraphie auch nie zum allgemeinen Communicationsmittel werden könne
, meint Hr. Schmid, so würden doch Unterricht und Uebungen
in derselben, von ihm oder nach seiner Methode
angestellt, das philosophische Sprachstudium emporheben und beleben
.
In diesem Fall müßte Hr. Schmid eine tiefere Ansicht der Sprache im allgemeinen, eine genauere und ausgebreitetere Kenntniß alter und neuer Sprachen und besonders richtigere grammatische Begriffe sich erworben haben, als nach den bisherigen Proben anzunehmen ist.
Um bei der Grammatik stehen zu bleiben, so nimmt Herr Schmid allgemein Pronomina und Präpositionen für eins
, aus dem Grund, weil beide stellvertretende Wörter seyen. Allein dann müßte er doch die Präpositionen nicht Pronomina sondern Proverba nennen, weil sie ebenso Verba vertreten wie die Pronomina Substantiva. In der Lehre von den Casibus, macht er sich die Sache ganz leicht, indem er behauptet, es gebe nur zwei nothwendige Casus, den Nominativ und Accusativ
, wofür er keinen Beweis hat, als Beispiele, die zeigen, daß Dativ und Genitiv sich in jene beiden auflösen lassen. Z.B. ich schickte meinem Freund ein Buch, stehe für die zwei Sätze: ich schickte ein Buch, das mein Freund erhalten sollte; Hr. Schmid bemerkt nicht, daß es ebenso leicht ist, mit Hülfe des Dativ und Ablativ jeden Accusativ zu eliminiren, z.B. in eben diesem Satze: es wurde ein Buch von mir geschickt, das meinem Freunde zukommen sollte. Aus wissenschaftlichen Gründen ließe sich im Gegentheil beweisen, daß Nominativ, Genitiv und Dativ die drei ursprünglichen und nothwendigen Casus, Accusativ, Vocativ und Ablativ ihre ebenso nothwendigen und ursprünglichen (nur objektivirten) Wiederholungen sind. Als Beispiel etymologischen Scharfsinns verdient angeführt zu werden, daß Hr. Schmid in gedruckten Schriften und in seinen Vorlesungen für Belege der mit dem Gleichlaut so oft coexistirenden Verschiedenheit des Sinns auch die Worte Hochmuth und Demuth
zu geben pflegt. Wäre es überhaupt schwer, Hrn. Schmid von der philosophischen Unhaltbarkeit seiner Grundsätze zu überzeugen, indem man hier über den Grad seiner philosophischen Bildung mit ihm rechten müßte, so könnte ihn dagegen das Studium irgend eines neueren sprach-philosophischen Werks überzeugen, daß Gelehrte, die nicht einmal auf Erfindung einer Gedankenschrift ausgegangen, es dennoch mit dem Philosophiren über Sprache bei weitem gründlicher genommen haben.
b) Als Veranlassungsmittel einer besseren Erfindung. In Deutschland mußten eine Zeitlang mittelmäßige, ja schlechte Verse gemacht, vom Publikum mit Freuden aufgenommen und gut gefunden werden, um endlich wahre und vortreffliche Dichter zu erwecken. Vielleicht ist es mit der Pasigraphie ein ähnlicher Fall.
Diese Hoffnung hängt natürlich von der Meinung ab, die man über die Möglichkeit einer allgemeinen Schrift und Sprache hat.
Es gibt viele Dinge, die höchst wünschenswerth sind und lebhaft gewünscht werden, ob sie gleich noch nie zu Stande gekommen. Von dieser Art ist der Wunsch, durch Verwandlung der Metalle Gold zu machen, ein Universalmittel gegen das Heer der Krankheiten, einen Unsterblichkeitstrank zu finden, und noch mehreres Aehnliches.
Vielleicht gehört der Gedanke der Pasigraphie in die nämliche Klasse, und seine Ausführung müßte daher auch durch ähnliche Mittel und Wege gesucht werden.
Wie es nämlich beim Goldmachen nicht sowohl darauf ankommt, das Gold selber, als vielmehr das Gold des Goldes, oder das zu finden, was das Gold zu Gold macht
Wenn es erlaubt ist, eine Schrift für möglich zu halten, die nicht zufällig oder conventionell, sondern ihrer Natur nach allgemein verständlich wäre: so muß es noch vielmehr erlaubt seyn, eine Sprache dieser Art für möglich zu halten, und weit natürlicher wäre, auch hier wie anderwärts von der Sprache zu der Schrift als umgekehrt wie Hr. Schmid von der Schrift zu der Sprache gelangen zu wollen.
Es ist ein Gedanke, der zu verschiedenen Zeiten schon dagewesen, daß es eine Natursprache gebe, durch welche jeder, der sie träfe und wirklich redete, jedem andern unmittelbar, nämlich durch Aufschließung des inneren Grundes aller Sprachen, verständlich würde und ihm daher in seiner Sprache zu reden schiene. Dieß wäre also in Ansehung der Sprache, was die Pasigraphen durch ihre Schrift leisten wollen, die der Franzos französisch, der Italiener italienisch, der Türke türkisch lesen soll.
Wie viele haben schon den Ausdruck gebraucht, die Natur rede eine stumme Sprache, oder es sey etwas Redendes und Sprechendes in jeder Gestalt, jeder Farbe, jedem Tone der Natur, ohne daran zu denken, daß sie hiemit sagen, jedes Ding in der Natur sey nur ein unterdrücktes Wort, das sich nicht selbst aussprechen könne, und der Mensch sey nur der Mund, die Zunge, das aussprechende Organ des schon vorhandenen Worts, wenn er den Dingen Namen gebe. Und sehr verbreitet, ja fast gemein ist jetzt schon der Ausdruck, jedes Geschöpf sey der Ausdruck, d.h. doch das Wort, das Ausgesprochene einer bestimmten Idee.
Hier wäre also die Objektivität der Sprache oder ihr erster Grund im Wesen der Dinge selber deutlich anerkannt.
Die gewöhnliche Ansicht der Sprache ist, daß sie etwas Subjektives, im Grunde Willkührliches, und darum auch nur äußerlich Angelerntes sey, da sie vielmehr einen nothwendigen, innern Grund hat, und dem Menschen so wenig als irgend eine Wissenschaft oder Kunst von außen kommt, sondern den Tiefen seines eignen Wesens entquillt. Ist wohl die Poesie etwas anderes als nur eine höhere Sprache, und woher kommt sie wenn nicht aus dem Innersten der Seele? Man weiß eine Menge von Fällen, da Menschen im Zustand des Somnambulismus Gedichte verfertigten, die sie im wachenden Zustande nimmermehr hervorzubringen im Stande waren. Sonderbare Beobachtungen ähnlicher Art sind über menschliches Sprachvermögen zu allen Zeiten gemacht worden, die auf einen natürlichen Grund aller Sprache hindeuten, und von denen ich mir einige anzuführen erlaube. Der berühmte Arzt Joh. Fernelius erwähnt in seinem Buch de abditis rerum causis Lib. II, p. 223 eines an Convulsionen daniederliegenden Kranken, der in diesem Zustand, übrigens völlig besonnen, nicht nur lateinische, sondern auch griechische Reden geführt, ob er gleich diese Sprache nie gelernt. Carpentarius, den Borellus anführt, in den Obss. medico-physicis rarioribus p. 153, erzählt dasselbe von einem Bischof, der, was nicht unglaublich ist, ebenfalls kein griechisch verstanden, und es doch, was schwerer zu glauben, während einer Krankheit geredet habe. Der bekannte Aristoteliker Petrus Pomponatius versichert in seinem Buche de incantationibus, er habe in Mantua die Frau eines Schusters gesehen, die in ihrer Krankheit verschiedene Idiome geredet, die sie vorher nie verstanden, und die sie auch wieder vergessen, nachdem sie von einem Arzt, den er namhaft macht, geheilt worden
. Ebenderselbe beruft sich auf ähnliche Bemerkungen des Aristoteles und des Avicenna, die ich jedoch nicht nachzuweisen im Stande bin. Ein französischer Arzt, den der nämliche Borellus anführt, versichert von einem Bedienten Heinrichs IV., daß er im Fieber griechisch geredet habe, wobei freilich die Frage ist, wie viel der Arzt selber griechisch verstanden, denn sonst möchte griechisch hier nur so viel heißen als bei uns spanisch oder böhmisch. Bedeutender ist das Zeugniß des bekannten Lamothe Levayer, der in seinen Werken Tom II, p. 657 einen eignen Brief hat, der überschrieben ist: d’un homme, qui répondit étant endormi en toutes langues, où on l’interrogeoit, quoiqu’il ne les scut pas
. Dieser Mensch befand sich zu Rouen und hieß Le fevre
. In den Actis Naturae Curiosorum steht die Geschichte einer Frau, die im Zustand der Schwangerschaft in Ekstasen gerieth, in welchen sie unbekannte Lieder sang und in fremden Zungen redete, und der schon angeführte Borellus endlich versichert, eine Frau behandelt zu haben, die während des ganzen Verlaufs einer Krankheit vollkommen spanisch geredet habe, ob sie gleich dieser Sprache vor und nachher unkundig gewesen. Eine ähnliche Geschichte endlich aus ganz neuen Zeiten ist mehreren Aerzten, Psychologen und andern glaubhaften Personen in Stuttgart bekannt, und findet sich in der mit Recht allgemein geschätzten Schrift: Ueber die Entwicklungskrankheiten von Hopfengärtner beschrieben.
In den frühern Zeiten gab man sich viele Mühe, diese Erscheinungen zu erklären. Sie dienten zum Theil als Beweise des dämonischen Ursprungs mancher Krankheiten; in dieser Beziehung spottet Erasmus in seiner Declamatio de laude medicinae p. 542 über diese Geschichten. Als man davon zurückkam, wurde der Grund in einer natürlichen Allwissenheit der Seele gesucht; pythagoreisch Gesinnte führten sie als Beweise der Metempsychose und des Wiederkommens an, indem sie alles von einem frühern Dagewesenseyn herleiteten
. Möge man diese Erscheinungen deuten oder auch an ihnen wegerklären was man wolle, sie dienen wenigstens, etwas Innerlicheres in der Sprache ahnden zu lassen; denn schränkt man sie auch auf das ein, was nach Prüfung der vorliegenden Zeugnisse am wenigsten wegzubringen seyn möchte – so bleibt noch genug übrig, zum Beweis, daß ein Quellpunkt der Sprache im Menschen liegt, der, wie so vieles andere in ihm verborgen, unter gewissen Umständen freier hervortritt, und sich zu einem höhern, allgemeinen Sprachsinn entwickelt, wie es im Somnambulismus nicht der specielle Gesichtssinn, sondern ein höherer, allgemeinerer ist, wodurch die Gegenwart anderer Dinge empfunden wird.
Gibt es aber einen innern Grund der Sprache, so muß, weil dieser Grund in allen Menschen der nämliche seyn muß, auch die Möglichkeit einer ihrer Natur nach allgemeinen Sprache zugegeben werden, die jeder von selbst reden würde, wenn er in diesen innern Grund, das Centrum aller Sprache, versetzt wäre, und jeder verstehen, wenn dieser innere Grund in ihm angeregt oder lebendig würde.
Das Problem des ersten Ursprungs der Sprache haben sich wohl wenige in der ganzen Schärfe gedacht, indem sie sonst schwerlich mit den gewöhnlichen Erklärungen sich begnügt hätten. Denn wenn man auch annehmen wollte, daß die Menschen den Dingen willkührlich Namen gegeben, wodurch kamen verschiedene überein, dasselbe durch dasselbe zu bezeichnen? Wodurch thaten sie sich diese Absicht kund? Durch Wort und Sprache, die ja eben erst erklärt werden sollen? Also hier wenigstens muß etwas Unmittelbares und – daß ich es nur gerade heraus sage – Magisches angenommen werden, das aber am Ende doch nur ein bisher verkanntes Physisches seyn möchte.
Wie die Verschiedenheit der Sprachen, welche schon das früheste Weltalter so wunderbar fand, daß das älteste Buch der Welt eine eigne Erklärung davon zu geben nöthig hielt: ebenso sind die unläugbaren Aehnlichkeiten, welche zwischen sehr entfernten Sprachen, wie zwischen der deutschen, der altindischen und persischen auf der einen und der griechischen Sprache auf der andern Seite vorlängst wahrgenommen worden, ein noch lange nicht gehörig gelöstes Problem. Man kann freilich aus Abstammung oder geschichtlicher Wechselwirkung viel erklären; aber gibt es nicht auch hier ganz unvermittelte Beziehungen, wie sie nur in einem organischen Ganzen stattfinden können? Ich erinnere an die Aehnlichkeit, die neuerdings zwischen mehreren amerikanischen Dialekten und den slavischen Sprachen gefunden worden, doppelt wunderbar und bedeutend, da die amerikanischen Urstämme, nach Humboldts Bemerkungen zu schließen, auch in Charakter, Gemüthsart und geistigen Eigenschaften die nächste Aehnlichkeit mit den slavischen Völkern zeigen. Soll man daraus auf einen ehemaligen Zusammenhang beider schließen? Wie es vielmehr ein gleich ursprünglicher Granit ist, den die Natur am Fuß der europäischen Hochalpen und in den Thälern der amerikanischen Andes-Kette, wenn auch mit einiger Variation der Gemengtheile, producirt hat, so möchte man fragen, ob es nicht ganze Völker und homologe Sprachformationen gebe, wie es Gebirgsformationen gibt, die sich in ganz verschiedenen Weltgegenden unabhängig voneinander wiederholen können. Solche Fakta dienen zum Beweis, daß selbst in den einzelnen Sprachen nichts zufällig sey, daß in ihrem ersten Ursprung selbst die größte Gesetzmäßigkeit geherrscht. Wenn man erst den Wunderbaum der Sprachen, in welchem ein jeder Zweig für sich, dem andern undurchdringlich, steht, indeß dem Inhalt oder der Materie der Begriffe nach alle sich mehr oder weniger gleich sind, wenn man erst diesen tausendästigen Baum mit allgemeineren Ideen ansehen, wenn man das Physische in der Sprache erkennen, und die völker- und sprachgeschichtlichen Thatsachen in Verbindung oder wenigstens nach Analogie mit den geognostischen verfolgen und ordnen wird, welche bewundernswürdige, jetzt unglaubliche Regel- und Gesetzmäßigkeit wird sich da vor unsern Augen aufthun! –
Doch es ist Zeit von diesen Abschweifungen zurückzukehren. Die Absicht dieses ganzen Aufsatzes war, zu zeigen, daß Pasigraphie, wenn sie wirklich ihren Begriff erfüllen soll, einen natürlichen Zusammenhang zwischen Wort und Sache voraussetzen muß. Dieser natürliche Zusammenhang führte auf den Begriff einer objektiven oder Natursprache, welche die einzige wahre Original-, Ur- und Universalsprache seyn würde. Es wurde erwähnt, was für die Realität dieser Natursprache von verschiedenen Seiten anzuführen seyn möchte.
Nachdem also gezeigt ist, daß das Bestreben der Pasigraphen entweder einen ziemlich gemeinen und doch nicht einmal gehörig zu erreichenden Zweck habe, oder bei höherer Absicht auf einen Begriff führe, den man nicht anstehen wird für mysteriös und mystisch zu halten: so kann ich es füglich der Akademie überlassen, ob sie die jetzigen pasigraphischen Bemühungen in der einen oder andern Hinsicht der Beförderung werth halten möge.
c) als Verstandes-Uebung. Man muß Hrn. Schmid zugestehen, daß er von solchen weit aussehenden Ideen weit entfernt ist, und da er in keinerlei Art von der allgemein anempfohlenen logisch-psychologischen Methode abweicht, so glaube ich schließlich, seine pasigraphischen Uebungen als Variationen der ehemaligen sogenannten Verstandesübungen, wenn sie unter irgend einem Titel in unsern Schulen noch stattfinden sollten, vorschlagen zu können, da eine gewisse Abwechslung in diesen ohnehin wünschenswerth seyn möchte.
Uebrigens bitte ich, die vielleicht ungewöhnliche Form meines Berichts zugutzuhalten. Es ist eine schöne Sache um die Leichtigkeit der Gedanken, nur muß man sich nicht an Gegenstände wagen, die uns in die Abgründe der menschlichen Natur zurücktreiben, wie die Sprache, cet art léger, volage, démoniacle
nach Montaignes schönem Ausdruck, für welche der Schlüssel noch bei weitem nicht gefunden ist. Die hier berührte Frage über einen natürlichen Zusammenhang zwischen Wort und Gegenstand macht den Inhalt des Platonischen Kratylos aus, noch in den spätern Zeiten beschäftigten sich nach Aulus Gellius (Noct. Att. X, 4) römische Philosophen mit der Frage, ob die Namen der Dinge ϕúσει, vi et ratione naturae
, oder ϑέσει, positu fortuito
seyen. Schon diese scheinen nur noch den mimischen Zusammenhang der Worte mit der Natur zu kennen, den einzigen auch unsern neuern Philosophen bekannten. Die Pasigraphie hätte Verdienst genug, wenn sie zu neuen Untersuchungen über die Sprache Anlaß gäbe, die, was das Geheimnißvolle ihres Ursprungs und Daseyns, die Wunder ihrer inneren Struktur, organischen Vollkommenheit und fast unabsehlichen Verzweigungen betrifft, keinem Gegenstand an Größe weicht.
München, den .