Bericht
Ueber den pasigraphischen Versuch des Profeßor Schmid in Dillingen.Vgl. den Brief von J. M. Schmid an Maximilan I. am 24.08.1811.
Einleitung
Von jeher gab es Personen, welche die leidige Folge des babylonischen Thurmbaus aufzuheben suchten, daß wieder Eine Sprache in der Welt wäre, oder wenigstens Eine allen Völkern verständliche Schrift.
Das letzte sucht auch Herr Profeßor Schmid in Dillingen zu bewerkstelligen.
Des Verfaßers Begriff von Pasigraphie.
Man muß ihm die Gerechtigkeit widerfahren laßen, daß er nicht wie die andern neuern Pasigraphen grade zu darauf losgeht, ein allgemeines Correspondenzmittel zu finden; er stellt diesen Gebrauch in größere Ferne und fängt von der Idee einer nicht zufällig sondern ihrer Natur nach allgemeinen Schrift an.
Herr Schmid erklärt dieß so: Die Schrift oder das Zeichen müße unmittelbarer Abdruk der Vernunft selber seyn, das menschliche Denken nach Inhalt und Form zeichnen.
Wäre dann zu vörderst das natürliche System, die nothwendige Verkettung und Abstuffung unserer Gedanken gefunden, so würde sich, meynt Herr Schmid die Schrift, welche Abdruk dieses Zusammenhangs wäre, von selbst als eine Schrift für alle Menschen und Völker bewähren.
Vergleichung dieses Begriffs mit der Leibnitzischen Idee
Herr Schmid findet zwischen seinem Versuch und der Leibnitzischen Idee einer allgemeinen Charakteristik große Übereinstimmung
, ja er giebt mit klaren Worten zu verstehen, daß durch ihn ausgeführt worden, was Leibnitz gedacht
.
Hieran ist aber aus folgenden Gründen zu zweifeln.
a) Von Leibnitz ist nicht anzunehmen, daß er eine blos logische Genealogie der Gedanken im Auge gehabt, und nur eine willkührliche, nicht eine nothwendige Bezeichnung gewollt. Schon der Ausdruk allgemeine Charakteristik zeigt daß Leibnitz an etwas bezeichnendes in den Dingen selbst, an eine wahre Signatura rerum gedacht hat. Herr Schmid bleibt sich in dieser Beziehung nicht gleich; denn einige seiner Ausdrüke möchte er für Bezeichnungen der Dinge selbst und ihrer Verhältniße geben (wie z.B. seine fünf Potenzen
), außerdem schafft er seine Zeichen nach blossen willkührlichen logischen Subsumtionen.
b) Leibnitz äußert, seine allgemeine Charakteristik würde etwas von der Algebra an sich haben, sie würde eine Art von Kalkul enthalten, so daß das Schließen in dieser Sprache oder Schrift ein Rechnen wäre, und die Fehler des Schließens Fehler des Kalkuls.
Es ist aber einleuchtend, daß ein Kalkul nur mit Zeichen möglich ist, welche zugleich die Sache selber sind. Wäre das a+b oder das dx und dy der Analysis die bloße Erinnerung an einen Gegenstand, nicht der Gegenstand selber so hörte alle Berechnung auf. Herrn Schmids Pasigraphie hat mit der Algebra gar nichts gemein, als etwa den, – vielleicht nicht einmal unmittelbar von ihr entlehnten – Ausdruk Potenz; zum Kalkul kann sie schon darum nicht erhoben werden, weil die Zeichen in ihr nicht Aquivalente der Begriffe selbst, sondern wirklich bloße Zeichen sind.
Anmerkung
Ein wirklicher Versuch mit Herrn Schmids Zeichen zu kalkulieren, führte auf Ungereimtheiten und nöthigte ihn zu dem Geständniß, seine Pasigraphie sey keine Art von Kalkul.
Werth der Ausführung
a) In Betreff des Gedanken Verzeichnißes
Hat Herr Schmid seinen Begriff durch die Vergleichung mit dem Leibnitzischen viel zu hoch gestellt, so scheint er in der Ausführung noch tiefer zu sinken indem das sogenannte Gedanken Verzeichniß, von dem er behauptet, es müße nach den strengsten Foderungen der Wissenschaft
angelegt seyn, weder wissenschaftlich begründet ist, noch innere Nothwendigkeit, noch im einzelnen richtige Begriffe zur Grundlage hat.
Es ist nicht wißenschaftlich begründet. Für seine fünf Grund-Begriffe, Materie, Pflanze, Thier, Mensch, Geist
, welche er als eben so viele Potenzen
des potenzlosen Dings, oder des Dings überhaupt
ansieht – ein Gedanke der mir noch über dem aus irgend einem rohen Produkt der neueren philosophischen Literatur entlehnt scheint – hat er keine andern Beweise, als die Frage: ob irgend etwas sey, das nicht unter diese 5 Begriffe gebracht werden könne
? (wovon aber gleich der allgemeine Begriff der Form ein Beyspiel ist, der unter die Rubrik der Materie gebracht schon zu sehr beschränkt würde), dann die Versicherung, diese Zusammenstellung leiste auch der Wißenschaft volles Genüge. Aber auch bey der mündlichen Unterredung
Es ist ohne innere Nothwendigkeit. Die Stelle, die ein Begriff in der Reihe erhält, wird bloß darnach bestimmt, ob er unter einen gewißen andern Begriff subsumirt werden kann, nicht aber darnach daß er unter ihn subsumirt werden muß. Hierdurch entstehen ganz zufällige Verbindungen die nicht mehr Grund haben, als die Zusammenstellungen der Ideenassociation. So werden z.B. Schiffe bey dem Waßer
untergebracht, weil sie auf dem Waßer schwimmen, Fische aber die im Waßer leben, erhalten eine ganz andere Stelle.
Es hat keine richtige Begriffe zur Grundlage. Es wird von der Materie
z.B. ohne weiteres angenommen, sie sey das schlechthin Leblose, in ihr gehe alles nur durch Druk und Stoß
zu, obgleich im Gedanken Verzeichniß auch wieder eine Rubrik: Dynamische Kräfte
steht, in allen physikalischen Begriffen zeigt sich weder die hier durchaus erfoderliche Kenntniß noch wißenschaftliche Schärfe.
Man sieht der Verfaßer hat nur Eile gehabt, alle Begriffe so schnell als möglich gleichviel wo unterzubringen, ohne sich viel darum zu bekümmern, wie sie an sich zusammen hangen.
In Bezug auf Entwicklung des natürlichen Zusammenhangs unserer Begriffe kann also dieser Pasigraphie kein Verdienst zugeschriben werden.
Der Verfaßer hat zwar von seinem Unternehmen einen höheren Begriff, als die meisten oder alle neuern Pasigraphen, es zeigt sich aber, daß er ihm in der Ausführung bis jetzt wenigstens nicht gewachsen ist.
b) In Ansehung der Zeichen
In einer wahren Vernunft-Sprache oder Schrift müßten auch die Zeichen nicht zufällig oder willkührlich, sondern nothwendig seyn. Wer eine solche Schrift für möglich hält, muß auch an einen natürlichen Zusammenhang des Zeichens mit dem Bezeichneten glauben, eine Meynung, welche ohnedieß dem Menschen tief eingeprägt scheint. Woher käm' es sonst, daß auf das Wort von jeher so viel gebaut worden, in religiösen, in politischen Cerimonien so sehr, daß bekanntlich das Glük ganze Unternehmungen davon abhängig geglaubt worden; woher der unter allen Völkern verbreitete Glaube an eine Magie, die durch Worte das höhere Wesen der Dinge auf zu schließen, Krankheiten zu heilen, Geister zu zwingen vermöchte, überhaupt aber die Meynung, welche dem Wort physische Wirkungen zuschrieb. Abgesehen von diesen besondern Vorstellungsarten, kann der Philosoph nicht umhin, einen ursprünglichen wenn auch für uns jetzt unergründlichen Zusammenhang zwischen Wort und Sache anzunehmen, weil ohne einen solchen alle menschliche Sprachen als ein Werk entweder des blindesten Zufalls oder der regellosesten Willkühr angesehen werden müßten; Annahmen, welche beyde dem philosophischen Geist gleich sehr widerstreiten. Dieser philosophische Grund würde freylich in den Augen der Meisten durch den aus Erfahrung genommenen besiegt werden; daß nämlich in verschiedenen Sprachen dieselben Begriffe durch die verschiedensten Laute bezeichnet werdengeborne Philosophie
. Wer nicht solche Untersuchungen angestellt hat, müßte es unglaublich finden, welches organische Gedankensystem welche tiefsinnige Verknüpfungen oft in den einzelnen Wörtern dieser Sprache ausgedrükt sind.
Dem Wort am nächsten verwandt ist die Figur – auch äußerlich oder physisch jetzt, durch die bekannten Klangfiguren; aber auch der Figur wurde die Macht des Wortes zugeschrieben, und nicht Schwärmerey allein, die älteste wißenschaftliche Ansicht der Geometrie, wie sie noch in den Commentarien des Proklus und zuletzt in den Werken Keplers gefunden wird, schreibt den Figuren eine wesentliche Bedeutung zu. Ich erinnere an die fünf regulären Körper die von den Pythagoräeern als Figurae mundanae
betrachtet wurden und nach Kepler die Intervalle der Planetenbahnen
bedeuten sollten. Jene gaben der Erde den Kubus, dem Feuer die Pyramide, der Luft das Ikosaëder zu
; unstreitig eine ganz andre Pasigraphie, als die neueste.
Der Figur zu nächst steht die Zahl; so unergründlich für uns jetzt das Pythagoräische Zahlensystem scheint, so wenig kann der unbefangene Geschichts-Forscher umhin, einen sehr reellen Sinn deßelben vorauszusetzen. Auf jeden Fall aber muß es als etwas weit höheres erscheinen, wenn Pythagoras durch die Einheit den Geist, die Idee, die Form; durch die Zweyheit (den Binarius) die Anderheit, die Materie, durch den Ternarius den Körper, als zusammengesetzt aus Materie und Form repräsentirt glaubte; wenn er allgemein die von der Eins herkommenden Zahlen ihrer Untheilbarkeit wegen den geistigen, die von der Zwey abstammenden, der Theilbarkeit wegen, den materiälen Gegenständen anwies; es ist dieß, sage ich, etwas ganz anders, als die Materie durch C1, die Pflanze durch C2, den Geist durch C5
auszudrüken. Die Behauptung, »;selbst die Wissenschaft könne nichts gründlicheres aufstellen
« tritt durch solche Betrachtungen von selbst an ihren gehörigen Platz.
H. Schmids Zeichen sind ihm nach seiner eigenen Erklärung bloß Mittel, es hört aller natürliche Bezug auf das bezeichnete auf; oder vielmehr auch hier bleibt sich der Verfaßer nicht gleich, indem er dasselbe Zeichen bald als ein nothwendiges behauptet, bald nur als ein willkührliches
will gelten laßen. So ist ihm der Geist, nicht bloß dem Zeichen nach, sondern wirklich die fünfte Potenz des Dings uberhaupt; unter den Metallen erhält das Gold ebenfalls die fünfte Potanz, aber es soll damit nicht behauptet werden, daß es sich zu den andern Metallen verhalte, wie sich der Geist zum Thier oder zur Pflanze verhält. Das philosophische erstrekt sich nur auf die Ordnung und Reihung der allgemeinsten Gedanken; es ist daher ein wahrer Mißbrauch des Worts, die Schrift philosophisch zu nennen. An ihr hat Philosophie so wenig Antheil als an irgend einer andern willkührlichen Erfindung, z.B. an einer Chiffernschrift. Ueberhaupt ist das philosophische nur ein der Sache vorn herein umgeworfnes Gewand, hinten nach in der Ausführung sinkt der Versuch zu den gewöhnlichen Kunstgriffen den bloß conventionellen Zeichen gemeiner Pasigraphen herab.
Praktische Anwendbarkeit
Obwohl Herr Schmid im Eingang den praktischen Gebrauch seiner Schrift, als einen sehr entfernten Zwek vorstellt, gleich als wäre es hier um die reinste Wißenschaft zu thun: so sehr bemüht er sich in der Folge, den Freunden des praktisch brauchbaren den Vortheil an's Herz zu legen, mit dieser Schrift allen alles zu werden, den Franzosen als ein Franzos, den Engländer als ein Engländer, dem Spanier als ein Spanier. Doch fühlt er sich zum Geständniß gedrungen, der Gebrauch dieser Schrift könne nie für das Volk nur für die Gebildeten seyn. Es fragt sich, was Herr Schmid unter dem Volk und was er unter dem Gebildeten versteht?
Die Schwierigkeit der Anwendung; auch für manche die unter die Gebildeten gerechnet werden, läßt sich an einem einzigen Beyspiel klar machen. Herr Schmid will den Begriff ausdrüken, Etwas aus dem Gesichte verlieren
. Hiebey muß er so zu Werke gehen. Weil das Auge und das Sehen auch dem Thiere zu kommt, so wird erstens das Grundzeichen der thierischen Natur genommen. Durch eine Modifikation deßelben wird angedeutet, daß nicht das ganze Thier sondern der Theil von einem Thiere gemeynt sey. Eine zweyte Modifikation zeigt, daß bestimmt vom Auge die Rede sey. Je nach dem es Herrn Schmid gefällt, das Sehen als ein Leiden oder als ein Thun des Auges anzunehmen, drükt er durch eine weitere Modifikation aus, daß ein Thun oder Leiden des Auges gemeynt sey. Weil nun die natürlichste Funktion des Auges das Sehen ist, so wird hieraus errathen, es sey vom Sehen die Rede. Ein neuer Zusatz, welcher das Verbum anfangen ausdrükt, und der selbst schon wieder ein componirtes Zeichen ist, bringt endlich die Chiffre so weit, daß sie nun heißt: anfangen zu sehen
. Weil also aus dem Gesicht verlieren so viel ist als aufhören zu sehen
, und aufhören zu sehen das Gegentheil ist vom anfangen zu sehen: so erhält die Chiffre noch einen Zusatz, der das Zeichen des Gegentheils oder wie Herr Schmid sagt des Contraers
ist, – so ist, obgleich mit noch mancher Zweydeutigkeit, die jeden von selbst in die Augen leuchten muß, durch viele Arbeit endlich das Verlangte ausgedrükt.
Hier ergiebt sich nun die ganz natürliche Alternative.
Wer die pasigraphische Schrift liest, liest sie entweder mit Verstand d.h. er findet jedesmal durch Analysis der zusammengesetzten Zeichen ihre Bedeutung, oder er behält zu letzt die Zeichen im Gedächtniß und liest die Schrift ebenso mechanisch und Gedankenlos als wie die Buchstabenschrift. Wird das erste verlangt, so möchte die Pasigraphie, die hierdurch in die schwerste, nämlich in eine philosophische Dechifferirkunst übergeht, höchstens für eigentliche Gelehrte seyn; denn daß Kaufmannsdiener und Comtoristen, die sich doch ebenfalls zu den gebildeten rechnen, so viel logische Fertigkeit und Geduld haben um mit solche Chiffern fertig zu werden, ist billig zu bezweifeln. Im andern Fall da es doch auf etwas mechanisches hinaus läuft, wäre es weit einfacher, pasigraphische Wörterbücher in allen Sprachen zu schreiben, nicht nur Worte sondern ganze Redensarten ja ganze Geschäftsbriefe zu beziffern, bey denen nur etwa die Zahlen supplirt werden dürften.
Für gelehrte Zweke, die einzig noch übrig bleibende, ist aber vollends keine Nothwendigkeit einzusehen. Wer eine fremde Sprache lernt, hat etwas lebendiges gelernt, wodurch er sich selber belebt fühlt; wer die pasigraphischen Zeichen lernt, schleppt etwas todes mit sich herum, das keinen Werth an sich hat, bloßes Mittel ist. Wollte man aber auch die Gelehrten im allgemeinen von aller Kenntniß fremder Idiome frey sprechen, so wird doch immer eine Anzahl seyn müßen, die Sprachenstudien sich zum Zwecke setzt, die also alte und neue Werke durch Uebersetzungen verständlich macht, welche nicht blos den allgemeinen Sinn, sondern auch das Wort, die Wendung, den individuellen Geist wieder geben. Niemand wird auf diesen Verzicht thun, nicht ein mal in Werken, welche am meisten durch die Sache intereßieren, als wer etwa, wie Herr Schmid, auch die Wortsprache für ein bloßes Mittel ansieht. Von Werken der Beredsamkeit und Dichtkunst, wo die Sprache wesentlich wird, gar nicht zu reden.
Prüfung derselben durch Versuche
Herr Schmid beruft sich auf den Erfolg der Versuche, die er gewöhnlich mit einem von ihm gebildeten pasigraphischen Zögling anstellt, und welche für Personen, die nicht tiefer die Sache untersuchen viel Überzeugungskraft haben müßen. Hiebey ist jedoch zu bemerken, 1) daß solche Versuche wenigstens für die Leichtigkeit der Sache nichts beweisen; durch die Jahr und Tag angestellten Versuche bildet sich zwischen Lehrer und Zögling ein stillschweigendes Verständniß, vermöge deßen der letzte auch unvollkommne Zeichen leicht auslegt. Das wahre Experimentum Crucis – wäre, daß ein scharfsinniger Kopf, dem nur die allgemeinen Grundsätze der Methode, die Grundzeichen und der dazu gehörige Schlüßel mitgetheilt wären, einen pasigraphisch geschriebenen Aufsatz entziffern müßte. Unter diesen Voraussetzungen würde sicher kein Versuch gelingen, ob er gleich gelingen müßte, wenn die Schrift eine würklich philosophische und die Bezeichnung nicht großentheil willkührlich wäre. 2) Die feineren Nuancen der Worte gehen selbst bey jenen Versuchen oft verloren, da die Zeichen in der Regel nur das allgemeine, nicht das besondere, das im Worte noch außerdem enthalten ist, ausdrüken können. So wurde statt dynamisch (im Gegensatz von atomistisch) nur physisch ausgedrükt; statt ausgezackter Blumenblätter zerrißene. Pfuscher und Stümper sind zwar nah verwandt, doch nicht ganz einerley; statt des erstern war das andere ausgedrükt worden. Das eben ist das herrliche der lebendigen Sprache, daß ich hier nicht nothdürftig nur meinen allgemeinen Begriff hinstelle, sondern ihm zugleich die bestimmte Farbe, den Ton und die Schattierung gebe, welche ich will. Die Unterhaltung durch Pasigraphie würde der mit
Anderweitige Nützlichkeit
a) in Bezug auf Sprach-Philosophie
Wenn seine Pasigraphie auch nie zum allgemeinen Communicationsmittel werden könne
, meynt Herr Schmid, so würden doch Unterricht und Übungen
in der selben, von ihm oder nach seiner Methode
angestellt, das philosophische Sprachstudium emporheben und beleben
.
In diesem Fall müßte Herr Schmid eine tiefere Ansicht der Sprache im allgemeinen, eine genauere und ausgebreitetere Kenntniß alter und neuer Sprachen und besonders richtigere gramatische Begriffe sich erworben haben, als nach dem bisherigen Proben anzunehmen ist.
Um bey der Grammatik stehen zu bleiben, so nimmt Herr Schmid allgemein Pronomina und Praepositionen für Eins
, aus dem Grund, weil beyde stellvertretende Wörter seyn. Allein dann müßte er doch die Präpositionen nicht Pronomina sondern Proverba nennen, weil sie ebenso Verba vertreten, wie die Pronomina Substantiva. In der Lehre von den Casibus, macht er sich die Sache ganz leicht, indem er behauptet es gebe nur 2 nothwendige Casus den Nominativ und Accusativ
, wofür er keinen Beweis hat, als Beyspiele, die zeigen, daß Dativ und Genitiv sich in jene beyden auflösen laßen. Z.B. ich schikte meinem Freund ein Buch stehe für die zwey Sätze: ich schikte ein Buch, das mein Freund erhalten sollte; Hr. Schmid bemerkt nicht daß es ebenso leicht ist, mit Hilfe des Dativ und Ablativ jeden Akusativ zu eliminiren, zum Be. in eben diesem Satze: Es wurde ein Buch von mir geschikt, das meinem Freunde zu kommen sollte. Aus wißenschaftlichen Gründen ließe sich im Gegentheil beweisen, daß Nominativ Genitiv und Dativ die drey ursprünglichen und nothwendigen Casus, Accusativ Vokativ und Ablativ ihre eben so nothwendigen und ursprünglichen (nur objektivirten) Wiederholungen sind. Als Beyspiel etymologischen Scharfsinns verdient angeführt zu werden, daß Herr Schmid in gedrukten Schriften und in seinen Vorlesungen für Belege der mit dem Gleichlaut so oft coexistirenden Verschiedenheit des Sinns auch die Worte Hochmuth und Demuth
zu geben pflegt. Wäre es überhaupt schwer, Herrn Schmid von der philosophischen Unhaltbarkeit seiner Grundsätze zu überzeugen; indem man hier über den Grad seiner philosophischen Bildung mit ihm rechten müßte, so könnte ihn dagegen das Studium irgend eines neuern Sprach-philosophischen Werks überzeugen, daß Gelehrte, die nicht einmal auf Erfindung einer Gedanken Schrift ausgegangen, es dennoch mit dem Philosophiren über Sprache bey weitem gründlicher genommen haben.
b) Als Veranlaßungsmittel einer beßern Erfindung
In Deutschland mußten eine Zeit lang mittelmäßige ja schlechte Verse gemacht, vom Publikum mit Freuden aufgenommen, und gut gefunden werden, um endlich wahre und vortreffliche Dichter zu erweken. Vielleicht ist es mit der Pasigraphie ein ähnlicher Fall.
Diese Hoffnung hängt natürlich von der Meynung ab, die man über die Möglichkeit einer allgemeinen Schrift und Sprache hat.
Es giebt viele Dinge die höchst wünschenswerth sind, und lebhaft gewünscht werden, ob sie gleich noch nie zu Stande gekommen. Von dieser Art ist der Wunsch, durch Verwandlung der Metalle Gold zu machen, ein Universal Mittel gegen das Heer der Krankheiten, einen Unsterblichkeitstrank zu finden und noch mehreres ähnliches.
Vielleicht gehört der Gedanke der Pasigraphie in die nämliche Claße und seine Ausführung müßte daher auch durch ähnliche Mittel und Wege gesucht werden.
Wie es nämlich beym Gold machen nicht so wohl darauf ankommt, das Gold selber als vielmehr das Gold des Goldes
Der Anfang des Originals fehlt.
Wenn es erlaubt ist, eine Schrift für möglich zu halten, die nicht zufällig oder conventionell, sondern ihrer Natur nach allgemeinverständlich wäre: so muß es noch vielmehr erlaubt seyn, eine Sprache dieser Art für möglich zu halten und weit natürlicher wäre, auch hier wie anderwärts von der Sprache zu der Schrift als umgekehrt wie Hr. Schmid von der Schrift zu der Sprache gelangen zu wollen.
Es ist ein Gedanke, der zu verschiednen Zeiten schon dagewesen, daß es eine Natursprache gebe, durch welche jeder, der sie träfe und wirklich redete jedem andern unmittelbar, nämlich durch Aufschließung des inneren Grundes aller Sprache verständlich würde und ihm daher in seiner Sprache zu reden schiene. Dieß wäre also in Ansehung der Sprache, was die Pasigraphen durch ihre Schrift leisten wollen, die der Franzos französisch, der Italiäner italiänisch, der Türke türkisch lesen soll.
Wie viele haben schon den Ausdruck gebraucht, die Natur rede eine stumme Sprache, oder es sey etwas Redendes und Sprechendes in jeder Gestalt, jeder Farbe, jedem Tone der Natur, ohne daran zu denken, daß sie hiemit sagen, jedes Ding in der Natur sey nur ein unterdrücktes Wort, das sich nicht selbst aussprechen könne, und der Mensch sey nur der Mund, die Zunge, das aussprechende Organ des schon vorhandnen Worts, wenn er den Dingen Namen gebe. Und sehr verbreitet ja fast gemein ist jetzt schon der Ausdruck, jedes Geschöpf sey der Ausdruck; d.h. doch das Wort das Ausgesprochne einer bestimmten Idee.
Hier wäre also die Objektivität der Sprache, oder ihr erster Grund im Wesen der Dinge selber deutlich anerkannt.
Die gewöhnliche Ansicht der Sprache ist, daß sie etwas Subjektives, im Grunde Willkührliches, und darum auch nur äußerlich angelerntes sey, da sie vielmehr einen nothwendigen, inneren Grund hat, und dem Menschen so wenig, als irgend eine Wißenschaft oder Kunst von außen kommt, sondern den Tiefen seines eignen Wesens entquillt. Ist wohl die Poësie etwas anderes, als nur eine höhere Sprache und woher kommt sie, wenn nicht aus dem Innersten der Seele. Man weiß eine Menge von Fällen, da Menschen im Zustand des Somnambulismus Gedichte verfertigten, die sie im wachenden Zustande nimmermehr hervorzubringen im Stande waren. Sonderbare Beobachtungen ähnlicher Art sind über menschliches Sprachvermögen zu allen Zeiten gemacht worden, die auf einen natürlichen Grund aller Sprache hindeuten, und von denen ich mir einige anzuführen erlaube. Der berühmte Arzt, Joh. Fernelius, erwähnt in seinem Buch de abditis rerum causis L. II. p. 223 eines an Convulsionen danieder liegenden Kranken, der in diesem Zustand, übrigens völlig besonnen, nicht nur lateinische sondern auch griechische Reden geführt, ob er gleich diese Sprache nie gelernt. Carpentarius, den Borellus anführt, in den Obss. medico-physicis rarioribus p. 153 erzählt dasselbe von einem Bischoff, der, was nicht unglaublich ist, ebenfalls kein griechisch verstanden, und es doch, was schwerer zu glauben, während einer Krankheit geredet habe. Der bekannte Aristoteliker Petrus Pomponatius versichert in seinem Buch de incantationibus, er habe in Mantua die Frau eines Schusters gesehen, die in ihrer Krankheit verschiedne Idiome geredet, die sie vorher nie verstanden und die sie auch wieder vergessen, nachdem sie von einem Arzt, den er namhaft macht, geheilt worden
. Ebenderselbe beruft sich auf ähnliche Bemerkungen des Aristoteles und des Avicenna, die ich jedoch nicht nachzuweisen im Stande bin. Ein französischer Arzt, den der nämliche Borellus anführt, versichert von einem Bedienten Heinrichs IV., daß er im Fieber griechisch geredet habe, wobey freylich die Frage ist, wie viel der Arzt selber griechisch verstanden; denn sonst möchte griechisch hier nur soviel heißen, als bey uns spanisch oder böhmisch. Bedeutender ist das Zeugniß des bekannten Lamothe Levayer, der in seinen Werken Tom. II. p. 657 einen eignen Brief hat, der überschrieben ist: d’un homme, qui répondoit, étant endormi, en toutes langues, ou on l’interrogeoit, quoiqu’il ne les scut pas
. Dieser Mensch befand sich zu Rouen und hieß Le fevre.
In den Actis naturae curiosorum steht die Geschichte einer Frau, die im Zustand der Schwangerschaft in Ekstasen gerieth, in welchen sie unbekannte Lieder sang und in fremden Zungen redete, und der schon angeführte Borellus endlich versichert, eine Frau behandelt zu haben, die während des ganzen Verlaufs einer Krankheit vollkommen spanisch geredet habe, ob sie gleich dieser Sprache vor und nachher unkundig gewesen. Eine ähnliche Geschichte endlich aus ganz neuen Zeiten ist mehreren Ärzten, Psychologen und andern glaubhaften Personen in Stuttgart bekannt und findet sich in der mit Recht allgemein geschätzten Schrift: Über die Entwicklungskrankheiten von Hopfengärtner beschrieben.
In den früheren Zeiten gab man sich viele Mühe, diese Erscheinungen zu erklären. Sie dienten zum Theil als Beweise des dämonischen Ursprungs mancher Krankheiten; in dieser Beziehung spottet Erasmus in seiner Declamatio de laude medicinae über diese Geschichten. Als man davon zurückkam, wurde der Grund in einer natürlichen Allwissenheit der Seele gesucht; pythagoreisch gesinnte führten sie als Beweise der Metempsychose und des Wiederkommens an, indem sie alles von einem früheren Dagewesenseyn herleiteten
. Möge man diese Erscheinungen deuten oder auch an ihnen wegerklären, was man wolle, sie dienen wenigstens, etwas Innerlicheres in der Sprache ahnden zu lassen; denn schränkt man sie auch auf das ein, was nach Prüfung der vorliegenden Zeugnisse am wenigsten wegzubringen seyn möchte – so bleibt noch genug übrig, zum Beweis, daß ein Quellpunkt der Sprache im Menschen liegt, der, wie so vieles andre in ihm verborgen, unter gewissen Umständen freyer hervortritt, und sich zu einem höheren, allgemeinen Sprachsinn entwickelt, wie es im Somnambulismus nicht der gewöhliche specielle Gesichtssinn, sondern ein höherer, allgemeinerer ist, wodurch die Gegenwart andrer Dinge empfunden wird.
Gibt es aber einen innern Grund der Sprache, so muß, weil dieser Grund in allen Menschen der nämliche seyn muß, auch die Möglichkeit einer unmittelbar oder ihrer Natur nach allgemeinen Sprache zugegeben werden, die jeder von selbst reden würde, wenn er in diesen innern Grund, das Centrum aller Sprache, versetzt wäre, und jeder verstehen, wenn dieser innere Grund in ihm angeregt oder lebendig würde.
Das Problem des ersten Ursprungs der Sprache haben sich wohl wenige in der ganzen Schärfe gedacht, indem sie sonst schwerlich mit den gewöhnlichen Erklärungen sich begnügt hätten. Denn wenn man auch annehmen wollte, daß die Menschen den Dingen willkührlich Namen gegeben, wodurch kamen verschiedne überein, dasselbe durch dasselbe zu bezeichnen? Wodurch thaten sie sich diese Absicht kund? Durch Wort und Sprache, die ja eben erst erklärt werden sollen? Also hier wenigstens muß etwas unmittelbares und – daß ich es nur grad heraus sage – magisches angenommen werden, das aber am Ende doch nur ein bisher verkanntes Physisches seyn möchte.
Konnte die erste Sprache der Menschen nur eine Natursprache, ein eben erklärter Sinn seyn; so folgt von selbst, daß diese nur so lange allgemein verständlich seyn und geredet werden konnte, als noch alle in gleichem Grad innerlich waren; je mehr sie aber aus der Innigkeit des ersten Daseyns und Bewußtseyns in's äußere Leben heraus traten, sich mit der Natur und unter sich selbst entzweyten, desto mehr mußte auch die Natursprache verdunkelt werden und endlich, jedoch nicht zufällig, sondern nach bestimmten Gesetzen, in Ab- und Ausartungen übergehen, die sich zu der Ursprache ohngefähr ebenso verhielten, wie sich die romanischen Sprachen zu der Sprache Roms, dieser zweyten nicht mehr ursprünglichen und natürlichen, sondern erzwungenen Weltsprache verhalten, aus der sie durch eine neue jener babylonischen ähnliche Völkerwanderung und Völkerzertrennung hervorgingen.
Wie die Verschiedenheit der Sprachen, welche schon das früheste Weltalter so wunderbar fand, daß das älteste Buch der Welt eine eigne Erklärung davon zu geben nöthig fand; ebenso sind die unläugbaren Aehnlichkeiten, welche zwischen sehr entfernten Sprachen, wie zwischen der deutschen, der altindischen und persischen auf der einen und der griechischen Sprache auf der andern Seite vorlängst wahrgenommen worden, ein noch lange nicht gehörig gelöstes Problem. Man kann freylich aus Abstammung oder geschichtlicher Wechselwirkung viel erklären; aber gibt es nicht auch hier ganz unvermittelte Beziehungen, wie sie nur in einem organischen Ganzen stattfinden können? Ich erinnre an die Aehnlichkeit, die neuerdings zwischen mehreren amerikanischen Dialekten und den slavischen Sprachen gefunden worden, doppelt wunderbar und bedeutend da die amerikanischen Urstämme, nach Humboldts Bemerkungen zu schließen, auch in Charakter, Gemüthsart, und geistigen Eigenschaften die nächste Aehnlichkeit mit den slavischen Völkern zeigen. Soll man daraus auf einen ehemaligen Zusammenhang beyder schließen? Wie es vielmehr ein gleich ursprünglicher Granit ist, den die Natur am Fuß der Europäischen Hochalpen und in den Thälern der amerikanischen Andeskette, wenn auch mit einiger Variation der Gemengtheile producirt hat, so möchte man fragen, ob es nicht ganze Völker und homologe Sprachformationen gebe, wie es Gebirgsformationen gibt, die sich in ganz verschiednen Weltgegenden unabhängig von einander wiederholen können. Solche Fakta dienen zum Beweis, daß selbst in den einzelnen Sprachen nichts zufällig sey, daß in ihrem ersten Ursprung selbst die größte Gesetzmäßigkeit geherrscht habe. Wenn man den Wunderbaum der Sprachen, in welchem ein jeder Zweig für sich, dem andern undurchdringlich, steht, indeß dem Inhalt oder der Materie der Begriffe nach, alle sich mehr oder weniger gleich sind, wenn man erst diesen tausendästigen Baum mit allgemeineren Ideen ansehen, wenn man das Physische in der Sprache erkennen, und die Völker- und sprachgeschichtlichen Thatsachen oder wenigstens nach Analogie der geognostischen ansehen verfolgen und ordnen wird, welche bewundernswürdige, jetzt unglaubliche Regel- und Gesetzmäßigkeit wird sich da vor unsern Augen aufthun! –
Doch es ist Zeit von diesen Abschweifungen zurückzukehren. Die Absicht dieses ganzen Aufsatzes war, zu zeigen, daß Pasigraphie, wenn sie wirklich ihren Begriff erfüllen soll, einen natürlichen Zusammenhang zwischen Wort und Sache voraussetzen muß. Dieser natürliche Zusammenhang führte auf den Begriff einer objectiven oder Natursprache, welche die einzige wahre Original- Ur- und Universal-Sprache seyn würde. Die Realität dieser Natursprache wurde von verschiednen Seiten her zu erweisen gesucht.
Nachdem also gezeigt ist, daß das Bestreben der Pasigraphen entweder einen ziemlich gemeinen und doch nicht einmal gehörig zu erreichenden Zweck habe, oder bey höherer Absicht auf einen Begriff führe, den man nicht anstehen wird, für mysteriös und mystisch zu halten , und dessen Verwirklichung auf jeden Fall nicht die Sache der gegenwärtigen Zeit, oder einzelner von den gemeinen, platten Begriffen über Sprache aus gehenden Bemühungen seyn kann : so kann ich es füglich der Akademie überlassen, ob sie die jetzigen pasigraphischen Bemühungen in der einen oder andern Hinsicht der Beförderung werth halten möge.
c) als Verstandes-Übung.
Man muß Herrn Schmid zugestehen, daß er von solchen weit aussehenden Ideen weit entfernt ist, und da er in keinerley Art von der allgemein anempfolnen logisch-psychologischen Methode abweicht, so glaube ich schließlich, seine pasigraphischen Übungen als Variationen der ehemaligen sogenannten Verstandesübungen, wenn sie unter irgend einem Titel in unsern Schulen noch stattfinden sollten, vorschlagen zu können, da eine gewiße Abwechslung in diesen ohnehin wünschenswerth seyn möchte.
Schluß.
Übrigens bitte ich, die vielleicht ungewöhnliche Form meines Berichts zugutzuhalten. Es ist eine schöne Sache um die Leichtigkeit der Gedanken, nur muß man sich nicht an Gegenstände wagen, die uns in die Abgründe der menschlichen Natur zurücktreiben, wie die Sprache, cet art léger, volage, démoniacle
, nach Montaigne's schönem Ausdruck, für welche der Schlüssel noch bey weitem nicht gefunden ist. Die hier berührte Frage über einen natürlichen Zusammenhang zwischen Wort und Gegenstand macht den Inhalt des Platonischen Kratylos aus, noch in den späteren Zeiten beschäftigten sich nach Aulus Gellius (Noct. Att. X. 4) römische Philosophen mit der Frage, ob die Namen der Dinge ϕúσει, vi et ratione naturae
, oder ϑέσει, positu fortuito
seyn. Schon diese scheinen nur noch den mimischen Zusammenhang der Worte mit der Natur zu kennen, den einzigen auch unsern neueren Philosophen bekannten. Die Pasigraphie hätte Verdienst genug, wenn sie zu neuen Untersuchungen über die Sprache Anlaß gäbe, die, was das Geheimnißvolle ihres Ursprungs und Daseyns, die Wunder ihrer inneren Struktur, organischen Vollkommenheit und fast unabsehlichen Verzweigungen betrifft, keinem Gegenstand an Größe weicht.
München den .