Schelling

Schelling Nachlass-Edition


An

Frau Directorin von Schelling

aus Erlangen

gegenw˖[ärtig]

Im weißen Hirsch.

Carlsbad

Böhmen

fr˖[ey] Gr[änze].

No. 8.

No. 14.

Der Brasilianer muß wirklich etwas von der Empfindung in sich verspürt haben, mit deren Voraussetzung bey ihm Du mir zu schmeicheln denkst; wenigstens hat er sein Fränzchen mit keinem Schritt zu mir gebracht und ist selbst, ob er gleich sich mir eigentlich an den Hals geworfen, nur Einmal bey mir gewesen. Ich habe mich darum auch kurz gefaßt und habe zwar einmal versucht, doch nur weil ich es für Schicklichkeit hielt, dem Fränzchen meine Aufwartung zu machen, da ich sie aber nicht zu Hause fand es dabey bewenden lassen. Ich kann also auch Deine Neugierde über alles Weitere nicht befriedigen. Mir scheint, es ist auch hier alles so still und mit so wenig Umständen als möglich abgethan worden. Frau von St[eng]el hat wahrscheinlich besser gefunden, daß die Tanten die frais einer Reise hieher machen, als umgekehrt ihre Kinder die einer Reise nach Bamberg, und hier endlich hat man die Sache noch weiter dadurch zu vereinfachen gesucht, daß die Zusammenkunft in Streitberg statt haben sollte. Indem ich alle Winkel meines Gedächtnisses durchsuche, Deine Neugierde gründlicher zu befriedigen, will mir doch nichts darüber, als eine Bemerkung über die Extremitäten einfallen, daß nämlich die obern sich zu freyen, gesticulatorischen Bewegungen, die nicht bloß der Tante Amalie, wie Du weißt, sondern den liebenswürdigsten jüngern Frauen gewöhnlich sind, emancipirt haben, die untersten aber in horizontaler Richtung so ziemlich Münchner Maß zu erfüllen scheinen. Er selbst, der Beseligte, der mich außer den lebhaftesten Empfehlungen und Theilnahmen auch mit dem besondern Auftrag beladen hat, Dir zu schreiben, daß er glücklich sey, ist bereits ein exemplarischer vortrefflicher Mensch geworden, der viel von der heroischen Tugendhaftigkeit, Hausväterlichkeit und übrigen Vortrefflichkeit des Finanzministers zu erzählen weiß und mit dem Töchterlein auch schon alle Interessen, Neigungen und Urtheilsweisen der Familie recht eigentlich épousirt zu haben scheint. – Doch genug und schon zuviel davon.

Die Ferien-Woche ist besser und leichter als ich mir vorstellte vorübergegangen. Paul war fleißig mit Liebe und Interesse; selbst der Dicke, wenn auch unter Seufzen, bequemte sich meist bis 11 oft 12 Uhr Vorm˖[ittags] noch aus dem langweiligen Werner zu übersetzen. Auch dießmal konnt’ ich bemerken, daß Pauls Benehmen und besonders seine Lust zum Lernen das umgekehrte Verhältniß seines Schulbesuchs einhält. Deinem Wunsche gemäß bin ich mit Beyden denn noch einmal auf der Kirchweih gewesen, habe jeden mit 2 Bratwürstchen tractirt, sie ihr Glück in der Lotterie versuchen lassen und auch zum Polichinell geführt. Am waren sie mit Schuberts in Frauenaurach (1/2 Stunde hinter Bruck) von wo sie mit Selma und Richard Fleischmann, der grade des Weges kam, statt seiner zurückfahren ließ. Heute haben die Schulen wieder angefangen, aber ist schon wieder, des Kön˖[iglichen] Geburtstages halber, Vacanz, was sich sehr gut trifft, da ich sie dann mit nach Nürnberg nehmen kann, wohin ich morgen auf H[äcker]’s dringende Einladung, da er bis Mittag dort bleibt, noch gehen will. Da Du von der falschen Meynung über den Fundort des Briefes nicht abzubringen bist und einen bessern nicht angibst, so werde ich morgen an Merkel’s die runde Summe von 150 fl. auf Abrechnung einstweilen bezahlen. Unsre Allerh˖[öchsten] Herrschaften, nachdem sie durch die lebensgefährliche Krankheit der (jedoch jetzt außer Gefahr schwebenden) Großherzogin von dem Besuch in Weimar doch nicht, wie man geglaubt hatte, abgehalten worden, sind seit dem in Banz, heute werden sie wohl in Würzburg eintreffen, wo der König sein Geburtsfest feyert; unser kleines Erlangen kommt auf diese Art um die Ehre, den König zu bewillkommen, desto größer sind die Anstalten in Nürnberg, da jedoch die Phantasie und Inventionsgabe der Einwohner sich nicht höher als zu einer sehr kostspieligen Illumination erschwingt und der abgeschmackte Stolz reicher Kaufleute sich in seinem ganzen Lichte zeigen wird, indem der einzige Kaufmann Cramer für 4000 fl. Lanzen zur Erleuchtung seines Hauses gekauft haben soll. Die Vermählung der Prinzessin Josephine hat am in München statt gehabt; der Erzbischof verrichtete die Ceremonie: von der kön˖[iglichen] Familie war nur Prinz Karl anwesend, dem die schöne Braut angetraut wurde, und überhaupt, der Gesundheits-Umstände des Vaters wegen, nur eine kleine Gesellschaft; von allen Ministern und Attachés des Hofes nur 2 Personen, worunter Graf Montgelas, als Zeugen.

Buchers sind schon vor einigen Tagen von Wirtem˖[berg] zurückgekommen, ganz entzückt von der Schönheit des Landes, selbst die kleine Frau ist in Extase und freut sich, daß ihr Sohn seine Kindheit in einem solchen Paradiese zubringen dürfe. Sie waren auch bey Karl, der sich sehr verwundert zu haben scheint, durch sie zu erfahren, daß Du schon wieder in C˖[arlsbad] wärest – die Schwägerin scheint ihnen einen heitrern Eindruck als Karl gemacht zu haben; aber wie ich höre, waren sie auch kurz zuvor für das Leben des kleinen Karl in Sorgen, der sich jedoch jetzt vollkommen wohlbefindet. Clärchen, die nicht zu Hause war, aber nachher zu ihnen in den Gasthof geschickt wurde, hat beyden sehr wohl gefallen, aber auch dießmal ihr gewöhnliches Sprüchelchen wiederholt, sie wolle nicht nach Erlangen, sondern bey dem Onkel bleiben. Bucher, nach seiner Art, hat freywillig wieder mit Plank wegen Aufnahme unsrer Knaben gesprochen, der zwar seine größte Bereitwilligkeit dazu aber zugleich die Unmöglichkeit bezeugte. Um so mehr wunderte ich mich als Pfaff von Schuberts herüberkam und mir aus einem Brief, den Plank an diesen, zum Dank für die überschickte Naturgeschichte für Kinder geschrieben, hinterbrachte, daß Pl˖[ank] den Schubert darinn beauftrage, mir zu sagen, daß er nächsten unsre Kinder unfehlbar aufnehmen werde. Bucher hatte mir nämlich gesagt, daß Plank von seinen Kostgängern keinen verliere; ob nun doch einige abgehen, oder ob unsre Kinder die 13–14ten seyn sollen, weiß ich nicht. Hoffentlich aber werde ich durch Pfaffs bald das Nähere erfahren. In Stuttg˖[art] war die Erkundigung nach Dir sehr angelegen; auch Leibmedicus Jaeger intressirte sich sehr darum. Noch muß ich melden, daß, wie M˖[artius] erzählte, die Tante Amalie ihrer Nichte vorgeschrieben hatte, in jedem Brief aus Erlangen Nachricht von Dir zu geben.

Nun ist so ziemlich alles erschöpft, was ich Dir zu schreiben weiß; leb’ also recht wohl und vergnügt, und gib mir immer recht ausführliche und erfreuliche Nachrichten von Dir und den Kindern . Grüße Julchen.

Westen
(Ich habe nur 3 weiße Westen gefunden. Wo sind denn die übrigen?
Paul schickt Dir ein Vergißmeinnicht. Bey der Kirchweih’ sah’ man ganze Körbe mit Mayblumen; auch habe ich alle Zimmer davon voll. Eben schickt mir Martius zum erstenmal einen Theil seines Brasilianischen Atlas. Ich wünschte Du könntest ihn sehen, nicht wegen der gräßlichen Figuren der dortigen Wilden, wohl aber der herrlichen Landschaften, Pflanzen und Bäumen wegen, welche die kühnste Phantasie nicht wunderbarer sich erdenken könnte. Leb recht wohl. Du Liebe!