Schelling

Schelling Nachlass-Edition


I)Weisheit ist ein allgemein begehrungswürdiges Gut. Weisheit bedarf der Vater in seinem Haus, der Richter auf seinem Stuhl, der Staatsmann an der Spitze des Gemeinwesens. Aber außer aller dieser den Einzelnen nöthigen Weisheit gibt es eine, die der Mensch rein als Mensch und zwar in dem Maße bedarf, wie er sich als solcher empfindet.

Das Streben nach dieser gemeinmenschlichen Weisheit ist seit dreytausend Jahren Philosophie genannt worden.

In sofern ist es kein so großes Geheimniß was Philosophie sey, als wohl scheinen möchte. Man kann sich über die Mittel irren, über den Zweck selbst, wer nur aufrichtig seyn will nicht.

Wer einer Sache Anfang, Mittel und Ende kennt, der allein ist weise in dieser Sache und allein fähig, auch mit Weisheit in ihr zu handeln. Jede Handlung bezieht sich auf Gegenwart, mittelbar auf Zukunft, aber die Norm des Handelns muß doch meist von der Vergangenheit hergenommen werden. Der Volksführer, will er die Sachen seines Volks mit Weisheit leiten, muß zumindest dessen Herkunft und Vergangenheit wissen und wie es in den gegenwärtigen Stand gekommen; dann seinen jetzigen Stand wohl erkennen und seine zukünftigen Verhältnisse voraussehen, um Glück und Gedeihen schon in der Gegenwart vorzubereiten. Denn das Verständniß und die Unterscheidung der Zeiten, das vor allem ist Weisheit.

Anfang Mittel und Ende nicht irgend einer einzelnen Sache, sondern der Dinge überhaupt kennen, das ist zu jener allgemeinen Weisheit erfoderlich, welcher der Mensch als solcher nachzustreben hat. Denn es ist der Mensch so geartet, daß er seinen Ursprung als solcher nur an den des Weltalls anknüpft, sein Ende nur mit den letzten Schicksalen des Ganzen verstrickt denken kann.

Was er in dieser Hinsicht verlangt ist klar, nämlich Einsicht in den wirklichen Hergang, wodurch vom ersten Beginn alles bis in den gegenwärtigen Stand entwickelt worden und durch den es bis zu seinem letzten Ziel geführt wird, mit einem Wort eine Welt- und Menschengeschichte, die vom Anfang bis zum Ende hinausgeht.

In sofern liegt der Zweck der Philosophie, über den sich die Schulen streiten, eigentlich jedem Menschen ganz nah’ und ist allen verständlich.

Die Systeme, welche den Ursprung der Dinge aus abgezogenen Begriffen oder Vernunftwahrheiten herleiten legen dem natürlichen Verstand ein unerträgliches Joch auf; eine Weile mögen sie ihm wohl Gewalt thun, aber bald wirft er die Last ab. Das Daseyn der Welt als bloßen Folgesatz aus einer allgemeinen Wahrheit ableiten, befriedigt so wenig, als der Erweis, daß wir eine Welt wie diese uns vorstellen müssen, für eine Erklärung ihres Ursprungs gelten kann.

Besser wäre, zu erklären, der Zweck der Philosophie sey überall unerreichbar, als ihr einen geringern oder einen andern zuzuschreiben, als, wie ein morgenländisch Buch sich ausdrückt, das Werk des Herrn zu begreifen von Anfang bis zu Ende.

Was uns zunächst umgibt, weist an unglaublich hohe Vergangenheit zurück. Der Erde muß ein unbestimmbar höheres Alter zugestanden werden, als den Pflanzen und den Thieren; diesen ein höheres als den Menschen. In einer undenklichen Reihe von Zeiten hat je die folgende die vorhergehende zugedeckt, um selbst wieder sammt ihren Hervorbringungen unter den Werken einer neuen begraben zu werden; bis die alle vereinigende Zeit erschien, oder jene einst gewesene Bewegung wie durch einen Zauber angehalten oder in den eignen Netzen gefangen in die Eine Zeit festgebannt wurde, deren Kreis jetzt nichts mehr zu überschreiten vermag. Ja selbst in dem, was sich gleichzeitig entstanden ankündigt, ist doch eines dem andern vorgeordnet, eines eine Staffel zum andern, dieses folgend jenes vorhergehend. Alles ist nur Werk der Zeit; jedes Gebild gleichsam der Zeiger II.eines Tags, einer Stunde, eines Augenblicks in dem großen Uhrwerk der Schöpfung.

Wenn die vor uns liegende Welt durch so viele Mittelzeiten gegangen ist, bis sie in die gegenwärtige Verfassung gekommen, wie vermöchte jemand, auch das Geringste vom Gegenwärtigen zu erkennen ohne Wissenschaft der Vergangenheit. Die Eigenheiten einer ausgezeichneten Individualität sind uns oft unbegreiflich, bevor wir die besondern Umstände erfahren, unter denen sie geworden ist und sich gebildet hat. Und der Natur sollte man so leicht auf ihre Gründe kommen? Ein hohes Werk des Alterthums steht als ein unfaßliches Ganzes vor uns bis wir der Art seines Wachsthums und seiner allmäligen Ausbildung auf die Spur gekommen. Wie vielmehr muß dieß bey einem so vielfach zusammengesetzten Ganzen als schon die Erde ist der Fall seyn! Welche ganz andre Verwicklungen müssen hier stattfinden! In einem Ganzen, darinn Alles und Jedes den Abdruck rhythmisch folgender Zeiten zeigt kann nichts einzeln nichts für sich genommen werden. Auch das Kleinste bis zum Sandkorn herab muß Bestimmungen an sich tragen, hinter die es unmöglich ist zu kommen, ohne den ganzen Lauf der schaffenden Natur bis zu ihm zurückgelegt zu haben. Alles ist Werk der Zeit und nur die Zeit zu der jedes gehört ertheilt ihm seine Eigenthümlichkeit und Bedeutung.

Sollte es nun mit dem Weltall anders seyn und wie möchte der Mensch auch nur sein Verhältniß (wie er doch soll und muß) zur Welt begreifen, ohne eine vollständige Genealogie des gegenwärtigen Zustandes der Dinge.

Groß und mächtig sind allerdings die Zweifel, die sich dem Glauben an die Möglichkeit einer solchen allgemeinen von Anfang bis zu Ende hinausgehenden Wissenschaft entgegenstellen.

Zuerst das gerechte Mißtrauen in die menschlichen Kräfte; inwiefern nämlich angenommen wird, daß der Mensch diese Wissenschaft bloß aus sich selbst, aus eignen Gedanken oder Gedankenentwicklungen schöpfen soll, ohne alle äußere Hülfe. Durch diese Vorstellung wird zwar jenes Streben, die Philosophie sehr hoch aber auch in eine Gegend hinaufgerückt, wo ihr der feste Boden und die Luft völlig ausgeht. Der Mensch ist auf die Erde gesetzt, wie die Pflanze aber um aus ihr diese Kraft und Nahrung seines geistigen Wachsthums zu ziehen. Der Baum der seine Wurzeln am tiefsten in die Erde schlägt kann den blüthenbehängten Wipfel wohl noch bis zum Himmel treiben; aber die Gedanken derer, die alles innerlich abmachen wollen, die äußere Hülfe verschmähen, sind die geistreichsten selbst wurzellose Pflanzen, jenen zarten Fäden vergleichbar, die zur Zeit des Spätsommers in der Luft schwimmen, gleich unfähig, den Himmel zu berühren und durch ihr eignes Gewicht zur Erde zu gelangen. An der Leiter der Creatur soll der Mensch aufsteigen, die übersinnlichen Gedanken erst wie einen durchs Feuer bereiteten Geist aus der Erde und aus allen Elementen ziehen lernen.

In einer so hochwichtigen Sache darf keine Quelle der Erkenntniß ausgeschloßen werden. Hier heißt’s: Helf’ was helfen mag. Was die sinnliche Erfahrung, was eine besondre Offenbarung, was die innerste Gedankenerzeugende Kraft darbietet alles muß zusammengenommen werden.

So im Forschen, im Suchen; womit nicht geläugnet wird, daß nach vollendetem Forschen die Urformel gefunden werden könne, aus der alles in einem stetigen ununterbrochnen Strom, nach innrer Nothwendigkeit ausfließe. Aber diese wird schwerlich einer überhaupt oder ganz verstehen, der nicht erst jenen Weg der Untersuchung gewandelt und allmälig vom Besondern zum Allgemeinen, vom beziehungsweise Allgemeinen zum schlechthin Allgemeinen aufgestiegen.

Dadurch aber, daß jene in der Philosophie gesuchte Wissenschaft als Geschichte gedacht wird, wie Wissenschaft schon der Wortbedeutung nach Historie (ἱστορία) ist, dadurch wird jenes Streben auf das Maß einer leidlichen, billigen, allmälig fortschreitenden Untersuchung zurückgebracht, an der jeder theilnehmen kann, der nur sonst gehörig unterrichtet ist, und dem nicht falsche Wissenschaft, irdisches Treiben oder andres Unheil allen höheren Gedankenschwung gelähmt; die auch jeder in seinem Theil erweitern und immer fortbilden kann, wenn nur erst der Weg gefunden und bezeichnet ist. Aber über den Weg eben herrschte bis jetzt die Uneinigkeit; wie ließ sich da an gemeinschaftliches Forschen und Aufbauen denken?

III)Ein zweyter Zweifel entsteht aus der Größe des Gegenstands. Wer wagt es, kann man sagen, die unermeßliche Bahn von der tiefsten Nacht der Vergangenheit bis in die Gegenwart und in die letzte Zukunft zu verfolgen? wer die unabsehbare Folge von Zeiten und Zuständen, durch die alles vom Urbeginn bis zur Gegenwart fortgeschritten ist geschichtlich zu ordnen? Unerschöpflich und unaussprechlich ist freylich schon ein einzelnes Leben; wer wollte alle Stufen oder Übergänge desselben angeben. Aber die großen Zeitabschnitte leuchten in seinen Thaten und Werken deutlich genug hervor. Also ist es auch in jener allgemeinen Wissenschaft nur um das Gesetz der Bewegung, um die Folge der Zeiten, gleichsam um die Zahlen der ewigen Progreßion zu thun. Gleichwie nämlich (um an ein Bekanntes zu erinnern) in der Geschichte der Erde und deren Erforschung schon dadurch kein geringes Licht aufgegangen, daß man angefangen verschiedne Zeiten in ihr zu unterscheiden und jeder besondern Bildung die ihrigen anzuweisen ohne daß darum schon die Entstehung jedes Einzelnen erklärt wäre: so läßt sich annehmen, daß der Stoff der allgemeinsten Wissenschaft, der in einzelnen Ahndungen, Offenbarungen und Erkenntnissen längst vorhanden, aber weil ungeordnet ungenießbar und unverständlich war, daß auch dieser Stoff geschichtlich und nach Zeiten geordnet zur wissenschaftlichen Form erhoben endlich jene allgemeine Anerkennung erhalten werde, die ihr bis jetzt trotz so vieler Versuche, sie für irgend eine Ansicht zu erhalten, noch immer gefehlt hat.

Und hier zeigt sich eine neue Seite, von welcher sich diese Behandlungsart als nothwendig erweist. Die Zeit des Kampfes der Systeme ist vorüber. Die Welt verlangt eine Wahrheit, in der sie Beruhigung und den Grund eines friedlichen Seyns und Fortschritts findet. Man kann sicher annehmen, daß seit Anbeginn der Philosophie nichts namhaftes behauptet worden, das nicht wahr und unbestreitbar gewesen an seiner Stelle, aber auch nichts, das nicht hinweggerückt von seiner Stelle und unbedingt behauptet falsch und der ungereimtesten und gehäßigsten Folgen überweislich. Müßte oder wollte man daher schlechthin auf jener Methode unbedingter Behauptungen, schlechthin und in jeder Beziehung aufgestellter Sätze beharren: so müßte der Verständige wenigstens längst auf jene alte Meynung zurückgekommen seyn, daß sich eben gar nichts behaupten lasse, weil jedes so Behauptete nothwendig wahr und falsch zugleich ist. Das ist der Ursprung der streitenden Systeme und aller Secten, daß jeder ein Stück hat vom Ganzen, und dieses Stück für das Ganze will geltend machen. Dem Schwächeren gereicht dieser Streit zur gänzlichen Verwirrung; dem Verständigen ist er ein unleidliches Schauspiel, weil er das gleiche Recht und Unrecht in allem sieht. Wäre alles nur gradezu falsch und schlechthin verwerflich, so wäre leicht fertig zu werden; aber grade daß es wahr ist, nämlich mit der gehörigen Einschränkung an seinem bestimmten Ort und gleichsam zu seiner Zeit, aber zum Irrthum gemacht durch ein unbeschränktes Hinstellen, dieß ist das Widerwärtige. Die so oft gewünschte Ausgleichung und damit zugleich eine vernünftige Beurtheilung der widerstreitenden Systeme wäre längst bewerkstelligt, wenn nur einer erkannt hätte, daß der Gegenstand der Philosophie kein stillstehender sondern lebendiger und in einem unaufhörlichen Werden ist und dann die verschiednen Momente dieses Werdens, nachdem er ihre gesetzliche Folge erkannt, mit den verschiednen philosophischen Systemen verglichen hätte.

Durch diese Betrachtungen verliert der dritte Zweifel, der von der bisherigen Erfahrung, von dem beständigen Mislingen jedes Versuchs einer allgemeinen Wissenschaft hergenomm[en] werden kann, schon einen Theil seines Gewichts. Wir wollen ihn daher statt in jener allgemeinen Gestalt, nach einer besondern Wendung in die Augen fassen, derer er fähig ist.

Unmöglich ist, kann man sagen, die erste Herkunft der Dinge, wie doch gefodert wird zu begreifen ohne bis in die Tiefen der Gottheit selbst zu forschen. Aber noch nie, so oft es auch von den ältesten Zeiten versucht worden, gelang es, das Endliche aus dem Unendlichen (wie doch geschehen müßte) abzuleiten, oder eine stetige Folge und Verkettung zu finden von Gott aus bis zum Einzelnen Geschöpf. Immer und nothwendig, kann man sagen ging bey jedem Versuch der Art entweder der wahre Begriff von Gott oder die besondre Natur des Geschöpfs unter.

IV)Wir wollen die Thatsache nicht in Abrede ziehen nur die Frage aufwerfen ob nicht vielleicht allen diesen Versuchen eine gemeinschaftliche falsche Voraussetzung zu Grunde lag? Durch die Untersuchung dieser Frage treten wir zugleich dem Gegenstand unsrer Forschung näher.

Nach der Lehre der Theologen ist Gott reiner Geist ja die lauterste Geistigkeit selbst. Denn sie bemerken ausdrücklich, daß durch das Wort Geist Gott nicht in eine besondre Categorie von Wesen eingeschlossen werden solle; daß er etwa ein Geist genannt würde im Gegensatz mit Naturdingen, sondern er ist nach ihnen der allergeistigste Geist, gleichsam aller Geister Geist, eine gänzliche Einfachheit des Wesens, die nicht einmal einen wahren Unterschied des Subjects und des Prädicats zuläßt. Nichts kann Gott auf eine von seinem Wesen unterschiedene Weise zugeschrieben werden. Gott ist nicht gut, dadurch daß etwas andres zu seinem Wesen hinzugefügt wird, sondern durch sich selbst, d.i. seinem Wesen nach, und ist darum nicht sowohl gut als die Güte selbst. Gott ist nicht ewig, so daß diese Ewigkeit etwas von seinem Wesen unterscheidbares wäre; sondern er ist selbst seine Ewigkeit. Ja auch das Seyn ist in Gott nicht von dem Wesen unterschieden, sondern das Wesen ist in ihm das Seyn und das Seyn das Wesen. Er hat nicht ein Seyn, sondern er ist selbst sein eignes Seyn (est ipse suum esse).

Wir bleiben bey diesem Ausdruck stehen, weil er der höchste ist, von dem auch sonst alle Metaphysik ausgegangen; aber der Gebrauch, der von dieser Einheit des Wesens und des Seyns in dem sogenannten ontologischen Beweis gemacht worden, hebt sie offenbar selbst wieder auf. Wenn die Gottheit Seyn in Wesen verschlungen ist, so folgt daraus nicht, daß sie ein nothwendig seyendes Wesen ist; denn der Begriff des Seyenden schließt einen Unterschied von dem Seyn in sich der eben in Ansehung des Wesens der Gottheit verneint wird; es folgt vielmehr jener schon im höchsten Alterthum bekannte, aber den Unkundigen befremdliche Satz, daß von der Gottheit eigentlich nicht zu sagen ist, weder daß sie sey noch daß sie nichtsey. Sie ist nicht, nämlich so daß ihr das Seyn auf eine von ihrem Wesen verschiedne Art beygelegt werden könnte, und doch kann man ihr auch nicht das Seyn schlechthin absprechen, weil eben ihr Wesen selbst das Seyn ist.

Hiernach folgt also, daß die lautere Gottheit, auf den Begriff Seyn bezogen, als das an sich weder Seyende noch Nichtseyende erkannt werden muß. Es ist nur Ein Laut in allen höheren und besseren Lehren, daß das Höchste über allem Seyn ist. Alles Seyn, das nicht in Wesen verschlungen, alles Seyn, das vom Wesen unterscheidbares, wirkliches Seyn ist, verwickelt mit der Nothwendigkeit. Ein tiefes Gefühl belehrt uns nur über dem Seyn wohne die wahre die ewige Freyheit. Freyheit ist der bejahende Begriff des an sich weder Seyenden noch Nichtseyenden; und umgekehrt, was weder ist noch nichtist kann nur die Freyheit seyn gegen das Seyn, nicht das Freye, denn da wäre es schon ein Seyendes, sondern die lautere Freyheit selbst.

Den Meisten weil sie jene Freyheit nie empfunden scheint es das Höchste ein Seyendes oder Subject zu seyn, (obwohl es in diesem Worte schon liegt, daß alles, in wiefern ein Seyendes, eben damit ein Untergeordnetes ist). Daher wenn sie von Etwas hören, das weder Seyendes ist noch Nichtseyendes fragen sie sich selbst, was denn über dem Seyn gedacht werden könne? und antworten sich selbst das Nichts oder dem ähnliches.

Ja wohl ist es ein Nichts, aber wie die lautre Freyheit ein Nichts ist; wie der Wille, der nichts will, der keiner Sache begehrt,

Es folgt ein handschriftlicher Text, der nicht zum Kontext passt. Stattdessen war wohl folgender Text eingeklebt:

dem alle Dinge gleich sind und der darum von keinem bewegt wird. Ein solcher Wille ist Nichts und ist Alles. Er ist Nichts, inwiefern er weder selbst wirkend zu werden begehrt noch nach irgend einer Wirklichkeit verlangt. Er ist Alles, weil doch von ihm als der ewigen Freyheit allein alle Kraft kommt, weil er alle Dinge unter sich hat, alles beherrscht und von keinem beherrscht wird.

Die Bedeutung der Verneinung ist allgemein eine sehr verschiedene, je nachdem sie auf das Innere oder Aeußere bezogen wird. Denn die höchste Verneinung im letzten Sinn muß Eins seyn mit der höchsten Bejahung im ersten. Was alles in sich ist, kann eben darum nichts äußerlich haben, Ein jedes Ding hat Eigenschaften, woran es erkannt und gefaßt wird; und je mehr es Eigenschaften hat, desto faßlicher ist es. Das Größte ist rund, ist eigenschaftslos. Am Erhabenen findet der Geschmack, d.i. die Unterscheidungsgabe, nichts zu schmecken, so wenig als am Wasser, das aus der Quelle geschöpft ist. König, sagt ein Alter, ist, der nichts hofft, und der nichts fürchtet. So wird in dem sinnreichen Spiel eines älteren deutschen V)Schriftstellers voll Innigkeit derjenigen Wille arm genannt der weil er sich selbst genug ist nichts hat, das er wollen kann.

Soviel nun zur Erklärung der höchsten Idee. Was aber für unsern Zweck zunächst daraus folgt, ist daß die Gottheit an sich selbst nur lauterer Wille ist, nicht ein Wille zu etwas, z.B. Wille sich zu offenbaren, sondern das reine Wollen selbst, ohne Sucht oder Begehren, ein Wille der nichts will sondern rein in sich bleibt, oder, wie es auch wohl ausgedrückt werden könnte, reine Gleichgültigkeit (Indifferenz) ist. Ebenso offenbar ist aber, daß diese höchste Einfachheit und Lauterkeit des Wesens zwar die Gottheit in Gott ist, aber nicht den ganzen Begriff dessen erfüllt, was wir den wirklichen lebendigen Gott nennen. Denn unter Gott denken wir uns einen entschiednen, bestimmten Willen. Wir begnügen uns in der That nicht mit der Idee einer Gottheit, in der das Seyn ins Wesen verschlungen ist; wir erkennen jenes an sich weder Seyende noch Nichtseyende als das höchste, aber wir wollen daß es eben als dieses sey, daß es auch ein Seyn habe, und noch auf eine von seinem Wesen unterschiedne Weise da sey. Nach der höchsten Idee ist die Gottheit das Leben selbst; aber wir wollen daß sie noch außer dem, als die die das Leben selbst ist, lebendig, wirklich sey. Nach derselben Idee ist das Thun Gottes mit seinem Wesen Eins, oder vielmehr das Wesen der Gottheit ist selbst nichts als das lauterste Wirken (actus purissimus); aber dieß genügt nicht; wir verlangen einen Gott, der noch auf eine von seinem Wesen unterscheidbare Weise wirkt und vermögen ihn nur in sofern als lebendigen Gott zu denken.

Hieraus erhellt denn wohl zur Genüge, daß jener rein ontologische Begriff von Gott nicht zureicht, auch nur die Lebendigkeit, das außer sich Wirken Gottes zu erklären. Und wie läßt sich ein Übergang denken, von jenem ganz in sich verschlungenen Wesen, das zu rein ist, als daß ihm auch nur ein Seyn zugeschrieben werden könnte, zu dem das wirklich da ist und sich offenbart. Bekannt sind die Ausdrücke von einem ursprünglichen Herausgehen der Gottheit aus sich selbst und ähnliche; aber es ist ebenso bekannt, daß mit diesen Ausdrücken noch nie ein verständlicher Sinn verbunden worden.

Wenden wir aber vollends unser Auge auf das was außer Gott in der That da ist, auf das so ganz Verschiedne und Andere das der Welt und dem Geschöpf zu Grunde liegt, wie hängt dieses mit jener Lauterkeit zusammen, oder wie ist es aus ihr zu erklären?

Der älteste Versuch, die Annahme daß der Urstoff der Welt aus Gott ausgeflossen ist, hat wenigstens dieß für sich, daß er die Gottheit in jener Lauterkeit und Unbeweglichkeit bestehen läßt, die als ihr reines Wesen gedacht werden muß. Übrigens erklärt er gar nichts; denn es bleibt unerklärt, wie Etwas in Gott anfangen könne von ihm sich zu entfernen; und wenn es nur ausgeflossen, warum es nicht eben das bleibt, das es zuvor war, nämlich ein Stück oder Theil aus dem lauteren Wesen der Gottheit; ob es durch die bloße Entfernung als solches ein innerlich anderes wird, sich trübt, sich verfinstert? Man kann die Emanationslehre wirklich nur als die erste falsche Richtung ansehen, die die Forschung über diese Gegenstände genommen; obwohl vielleicht manches unter den Begriff der Emanation aufgenommen worden, was an sich einen ganz andern Sinn hatte.

Die Meynung daß Gott vor dem Beginn der Dinge etwas aus sich selbst herausgesetzt habe, das die Anlage zur künftigen Schöpfung enthalte, ist ein unglücklich Mittelding zwischen der Emanationslehre und der gewöhnlichen. War dem also, so war jene höchste Geistigkeit gleich uranfänglich und von Ewigkeit gleichsam belastet mit der Welt. Nach einigen soll noch abentheuerlicher Gott gar sich selbst aus Sich herausgesetzt und damit den Grund der Welt gelegt haben. Nach einigen ist in jener lautersten Einheit der Gegensatz verborgen; dieser springt, wie und auf welche Art ist nicht zu sagen? – gleichsam schlechthin oder von selbst auf, und so ist nun Leben und Bewegung; aber wo bleibt dann die Einheit, wo jene ursprüngliche Freyheit und Stille des göttlichen Wesens, die schlechthin nicht aufgegeben werden darf?

VI)Die reinste Vorstellung bleibt immer noch die der öffentlich geltenden Theologie. Die erhält die Gottheit in jener lautern Geistigkeit; und läßt sie das Andere, außer ihr Befindliche, durch ihren bloßen Willen setzen, ohne eigentliche äußere Handlung und Bewegung, so daß auf diese Art die Gottheit wenigstens im lauteren Wollen bleibt, wenn auch nicht im ruhenden Wollen.

Sie denkt diesen Willen natürlich nicht als einen bewußtlosen, blinden sondern als einen freyen, bewußten Willen. Aber eben hier geräth sie in den Fall, diesen Willen entweder als entstanden in der ewigen Gottheit oder als selbst ewig anzunehmen. Ein Mittleres ist nicht denkbar. Ist der Wille ewig, so ist also die Gottheit nicht jenes lautere Wollen, sondern schon von Ewigkeit ein bestimmter Wille; es ging jenem Wollen, daß eine Welt seyn sollte, keine Indifferenz vorher, welches doch so erst zu einem freyen Willen erfodert wird; nun läßt sich auch kein Entschluß bey diesem Willen denken (wie doch angenommen wird) denn sonst müßte Überlegung vorhergehen eine Wahl stattfinden zwischen den zwey streitenden Gedanken, daß eine Welt seyn sollte und daß keine seyn sollte. Doch gesetzt diese Schwierigkeit ließe sich beseitigen durch eine Unterscheidung zwischen ewig im strengsten Sinn (dem schlechthin nichts vorhergeht) und ewig im weiteren Sinn (dem keine Zeit vorangeht) und man könnte den Hergang etwa so vorstellen: Von Ewigkeit war in jenem lautern Geist die Vorstellung einer durch seinen bloßen Willen möglichen Welt, mit dieser Vorstellung ohne Zwischenzeit auch der Entschluß, d.h. der wirkliche Wille, daß diese Welt seyn sollte – dieß alles also zugegeben entsteht ein neues Dilemm. Bey dieser Erklärung ist jener Wille (nun auch durch Vorstellung vermittelt) doch in der That gleichewig mit dem göttlichen Wesen; entweder war nun der Effect dieses Willens auch ewig, oder nicht. Im ersten Fall ist die Substanz der Welt Welt wenn auch dem Begriff nach eine Folge von Gott, doch der That nach gleich ewig mit ihm; wo bleibt dann aber die Lehre von der Zeitlichkeit der Welt. Oder der Effect war nicht gleichewig mit dem Willen, was konnte, da nach der Voraussetzung nichts außer Gott ist, zwischen Willen und seinem Erfolg treten (Gott gebeut und es steht da).

Der letzte Fall scheint der zu seyn, den die älteren Theologen wirklich angenommen, die neueren gehen über diese Schwierigkeiten ohne sie zu berühren leichten Fußes hinweg. Und doch sind es eben diese Fragen, die schon die Kindheit aufwirft, welche unbeantwortet einen unabläßigen Stachel des Zweifels zurücklassen.

Nach dieser Annahme also hatte Gott von Ewigkeit den Willen die Welt zu schaffen, aber der Erfolg dieses Willens konnte nicht gleich ewig mit ihm selbst seyn. Schon daß diese Annahme vorgezogen worden ist Beweis genug, daß die Theologen jenen andern Fall, wo nämlich der Wille zur Welt als ein in der lauteren Gottheit entstandener gedacht würde, als einen ganz unannehmlichen erkannten. Wäre jener Wille entstanden so wäre in der ewigen Gottheit ein Übergang von Nichtwollen zu wollen, es wäre etwas Zeitliches in sie selbst gesetzt. Abgesehen davon, daß ein Wille, der in der zuvor gleichgültigen Gottheit ohne alle veranlassende Ursache gleichsam von selbst entstände, gerade so unbegreiflich und ungereimt wäre, als eine in der zuvor gleichgültigen Materie von selbst entstehende Bewegung.

Da aber auch jene Annahme (von der Ewigkeit des Willens und der Zeitlichkeit des Effects) wenigstens aus den sonst bekannten Lehrsätzen der Theologie nicht zu erklären ist, ja einigen zu widersprechen scheint: so ist wohl klar genug, daß die HauptLehre dadurch wenigstens nicht begründet ist.

VII)Ich ziehe nun den Schluß, daß nämlich aus jener höchsten Geistigkeit für sich so wenig eine eigentliche Lebendigkeit Gottes als das Daseyn der Welt begriffen werden kann. Die mislungenen Versuche aller bisherigen Theorien sollten wenigstens dazu dienen zu beweisen, daß in jener lautern Wesentlichkeit für sich noch kein Anfang, noch Grund zu einem Anfang liegen kann; daß also außer jener höchsten Gottheit noch andere Kräfte angenommen werden müssen, die die Veranlassung und den Grund der Schöpfung enthalten, und die dann freylich nicht in jenem hohen Sinn geistig seyn können.

Aber was vermag denn außer dieser höchsten Gottheit zu seyn das nicht von ihr ist? Alles das wahrhaft ist kann nur in Gott oder von Gott seyn. Zugestanden; aber es folgt nicht, daß das was nicht wahrhaft oder im höchsten Sinne ist darum in keinem Betracht und auf keine Weise sey.

Die Theologen (wir halten uns in diesen einleitenden Betrachtungen an sie, da an die bisherigen Lehren der Philosophen ohnehin niemand glaubt), die Theologen also sagen Gott habe die Welt aus Nichts geschaffen. Sie haben für diesen Ausdruck nur zwey Stellen der Schrift anzuführen; obgleich über diese Materie ganz andre Äußerungen da sind. Die erste aus einem nicht von allen Parteyen gleich geachteten (2. Macc. 7,28), die inzwischen doch als historisches Zeugniß für die rechtgläubige Ansicht jener Zeit gilt, wo es heißt, daß Gott Himmel und Erde und was darinn ist aus dem das nicht ist (ἐξ οὐκ ὄντων) geschaffen haben. Eine andre des Neuen Testaments (Rom. 4,17) Gott ruft das nicht Seyende als Seyendes (τὰ μὴ οντα ὡς ὄντα). Wenn sie nun unter diesem nicht Seyenden das überall und auf jede Weise Nichtseyende mit einem Wort das völlige Nichts verstehen: so theilen sie dieß Verständniß freylich mit manchen andern, die das nicht Seyende (οὐκ ὄν) wie es bey griechischen Philosophen oder auch in der Wirklichkeit selbst vorkommt, ebenso für das baare Nichts ansehen.

Von diesem bloß grammatischen Mißverstand konnte sie indeß die wenn auch sonst nirgendsher doch wenigstens aus Plutarch zu lernende Unterscheidung befreyen, zwischen dem Nicht-seyn (μὴ εἶναι) und zwischen dem nicht das Seyende seyn (μὴ ὄν εἶναι).

Aber das nicht Seyende selbst, das in so vielen Gestalten uns überall begegnet und in andrer Beziehung sich wieder als ein Seyendes aufdringt hat von jeher als ein wahrer Proteus die Betrachter geirrt und vielfach in Verwirrung geführt. Denn wie Etwas ist, das über dem Seyenden ist und das darum auch schon vor Alters ein Überseyendes (ὑπερόν) genannt worden, so gibt es ein anderes, das unter dem Seyenden, in sofern kein Seyendes ist und doch ist. Von dieser Art sind alle Naturdinge ja die Natur selbst, inwiefern in ihnen kein eigentliches Seyendes (oder Subject) ist, sondern inwiefern sie ein bloß objectives Leben haben. Daraus also daß die Natur kein eigentlich Seyendes (ὄν) ist, sondern mehr von der Art des Seyns an sich hat, hat von jeher eine Art der Sophistik den Schluß ziehen wollen, sie sey ein völliges Nichts Etwas das auf keine Weise ist. So könnte man auch darthun, daß alles was sich als Seyn darstellt, nichts sey. Denn das was Seyn ist kann schon des Gegensatzes wegen nicht einerley mit dem Seyenden seyn, sondern ist nothwendig das nicht Seyende. Aber darum doch nicht das Nichts. Denn wie sollte das das Nichts seyn, das das Seyn selber ist. Das Seyn muß eben auch wieder seyn. Es gibt kein bloßes Seyn, oder wie man sonst sagt kein reines lautres Objectives, in dem gar nichts Subjectives wäre. Was als das nicht Seyende erscheint, (wie die Natur) ist nur nicht ein subjectiv Seyendes, wohl aber ist es ein nichtsubjectiv Seyendes. Es ist nur gegen jenes als das vorzugsweise Seyende ein nicht Seyendes, auf sich selbst bezogen aber wohl ein Seyendes. Alles Seyende einer geringern Art verhält sich gegen das