Schelling

Schelling Nachlass-Edition


An

Frau Directorin von Schelling

aus Erlangen

gegenw˖[ärtig] in

Im weißen Hirsch auf dem Markt.

Carlsbad

Böhmen

fr˖[ey] Gr[än]ze.

Heute will ich Dir einmal am Donnerstag es auf einem ganzen Bogen schreiben und hoffe so, alle Deine Wünsche zu erfüllen. – war ein lästiger Tag, ich glaube, daß kaum jemals so viele Fremde hier waren. Bis von Ansbach her kamen die Leute und noch weiter. Die Kinder waren mit Pfaffs schon um 1 Uhr hingegangen, gegen 3 Uhr fing es an zu donnern, ohne daß man sich sonderlich in Essen und Trinken stören ließ; nach Pauls sehr belustigender Erzählung wurden sie erst durch das Gepratzel der vielen Brotwurstpfannen am Berge, in welche die dichten Tropfen fielen, gewahr, daß es stark zu regnen anfing – Pfaff, der wie Du weißt nicht von den Muthigsten ist, commandirte nun: Macht daß ihr fort kommt, jezt kann ich nicht weiter auf Euch Acht geben – zu gleicher Zeit setzte sich aber die ganze ungeheure Masse in Bewegung – schon war es Platzregen – und drängte sich überall in die herumstehenden Häuser und Häuserchen, die aber bald zum Erdrücken angefüllt waren, selbst in Wels Garten, wo soviel Unterkommen ist mußte die Hälfte der Leute im Freyen aushalten – so zogen dann mit der wogenden Menge auch unsre Jüngelchen völlig unbeschadet fort – erst bis zum Baireuther Thor, wo sie eine Zeitlang Schutz fanden, dann aber drängte sich die Menge auch dort so sehr, daß Paul in Erwägung, wie schrecklich es seyn würde, wenn ein Wagen käme und weil, wie er sagte, ein neben ihm stehender Herr den Regenschirm offen gehalten hätte, in welchem nach seiner Meynung leicht der Bliz hätte schlagen können, mit seinem Bruder sich in die nah’liegende fahrende Post flüchtete, wo sie denn das Ende des Regens erwarteten und zu guter Zeit wohlbehalten nach Hause kamen – zu meiner großen Verwunderung ohne Spur von Nässe oder auch nur einzelnen Regentropfen auf den Kleidern, obwohl sie schon im Plazregen vom Schießhaus bis zum Baireuther Thor gehen mußten – Paulchen erklärte es ganz einfach daraus, daß sie so klein sey’n und sie immer in der Mitte von ganz großen Herrn mit fortgegangen, welche allen Regen vorweg genommen, daß er nicht bis zu ihnen habe gelangen können. Den Anblick der nach allen Richtungen sich fortdrängenden, schreyenden Menge, besonders der vielen bedrängten Frauenzimmer, von denen, wie Paul versicherte, viele keinen Unterrock, – die so was rothes unter dem Rock hatten, dessen sie sich als Schirm bedienten, konnten die Kinder nicht lustig genug beschreiben, denen dieses kleine Abenteuer großen Spaß gemacht hatte. Friz allein war in dem Durchgang der Post so an einem Wagen gedrängt worden, daß er an seine Nanquin-Hosen einen großen Wagenschmier-Fleck auch nach Hause brachte. Ich befahl ihm also gleich sich auszukleiden und zu Hause zu bleiben, indeß ich mit Paul, da schon wieder das schönste Wetter war, mich nun auch und zwar durch die Hauptstraße auf den merkwürdigen Schauplatz begab. In dieser wimmelte nun alles von den seltsamsten Gruppen – – besonders eine Menge fremder Frauenzimmer in weißen aber völlig durchnäßten bis oben auf beschmuzten Kleidern – aber zu meiner Verwunderung fand ich auf dem Schießplatz noch ein solches furchtbares Gedränge, daß man wahrlich die Verminderung nicht hätte vermuthen können, welche die Masse schon erlitten habe. Inzwischen war unsre Köchin auch nach Hause gekommen, die im Schießhaus selbst in eine Ecke gedrängt den Regen überstanden hatte, und mit dieser ging Friz troz meines ausdrücklichen Untersagens nochmals aus – und als wir zu Hause kamen war es völlig leer, kein Mensch öffnete, endlich hörte uns oben auf seinem Dachzimmer Herr Lang und schloß uns auf – Nun fanden wir Frizens Kappe zu Hause, ihn selbst aber nirgends, indem wir ihn überall vergebens suchten – Endlich erklärte es sich. – In dieser Art geht es mir diese ganze Woche fort, noch täglich sieht man eine große Zahl Fremder, das Gedränge bleibt sich gleich, sogar in Rathsberg findet man im Wirthshaus keine Seele zu Hause, kurz die Leute sind dieß Jahr wie toll, wahrscheinlich des langen und des jetzt unglaublich schönen Wetters wegen. Die Hitze ist außerordentlich und wird doch ### durch Regengüsse in der Nacht wieder gemäßigt, alles steht herrlich und geht es so fort, wird es noch ein gutes Wein- und Obstjahr werden. Wie der Winter dießmal nicht so characterlos, wie früher, war, so scheint auch der recht verschieden werden zu wollen. Eine ungeheure Menge von Maykäfern, Goldkäfern, die Lust der Kinder, in einer Zahl, wie ich sie seit den Kinderjahren nicht wieder gesehen, die Kirschen schon ganz groß und den Kindern, wenn auch noch grün, entgegenlachend, vor den Schwalben kann man sich nicht retten, sie kommen Mittags bey Tisch durch unser Fenster, fliegen bey den Kindern, wann sie schreiben, aus und ein, in dem großen Zimmer mußte ich die Meubles bedecken lassen, weil gewöhnlich eine Schwalbe drinn übernachtet; diese Nacht setzte sie sich gar auf den Klingelzug über Deinem Bett, und weckte mich diesen Morgen gar heiter schon um 4 Uhr durch ihr Gezwitscher über mir – doch nicht unerwünscht, da ich bey der großen Hitze, die später eintritt, mein Wasser jetzt so früh trinken muß. Dieses scheint mir, nachdem ich heute den 12ten Krug getrunken, immer besser zu bekommen, nur viel arbeiten lässt es mich nicht; ich werde nur einige Tage aussetzen um dann wieder anzufangen. Es wäre freylich wohl besser gewesen, gleich mit nach C˖[arls]bad zu gehn, der Urlaub hätte gar keine Schwierigkeiten gemacht, aber Deine Maßregeln waren schon so bestimmt genommen, daß ich ungern die ganze Einrichtung – vielleicht J˖[ulchen] nicht erwünscht – hätte mögen rückgängig machen. Hätte ich auch jetzt ernstlich darauf denken können, nachzukommen, so war dieß nur unter der Bedingung, daß Julchen mit dem Wagen zurückgereist wäre – auf die Art aber, wie Du es mir vorschlägst, ist es unmöglich. Herr Götz ist Krankheitshalber von hier entfernt, der neue Lehrer ist ein geschickter junger Student, aber zu diesem Zweck nicht zu haben, da er äußerst fleißig ist und weil er ein gutes Stipendium hat keinen Privatunterricht gibt. Unter dem andern latschigern Gesellen aber einen zu suchen will mir nicht ein. Gib Dich aber nur zufrieden deßhalb, denn ich glaube wirklich, C˖[arlsbad] dieß Jahr entbehren zu können, und möchte gerne durch den Gebrauch eines andern Wassers mich einmal in eine andere Stimmung überzusetzen suchen. Für die Kinder ist es dann doch auch besser; ich muß ihnen das Zeugniß geben, daß sie diese Woche ganz fleißig sind, inwiefern sie wenigstens alle Morgen bis 11 Uhr arbeiten, mitunter auch Nachm˖[ittag], Friz freylich kann das Schwärmen und die Fehler nicht loswerden, Paul gibt sich mehr Mühe, aber es ist eben noch keine Festigkeit in ihm. Seine Fassungskraft ist ungewöhnlich, stünde die Behaltungskraft im Verhältniß mit dieser, er wäre ein Wunderkind. Aber in der Anwendung fehlt es, was freylich auch kein Wunder ist, da in der Schule für die Übung, die Seele alles Unterrichts, so wenig gesorgt wird.

Der König wird, wie man nun erfährt, doch nicht hieherkommen, sondern sich von Banz nach Würzburg, wo Er Seinen feyert unmittelbar nach Nürnberg begeben. Die Allerh˖[öchsten] Herrschaften scheinen nicht sehr empressirt, nach M˖[ünchen] zurückzukommen: ich fürchte, es wird beyden nicht mehr recht gefallen. Außerordentlich wird in Zeitungen die große Freygebigkeit unsres Königs gegen die Hofdienerschaft etc. bis zu den Aufsehern der Kunstsammlungen gerühmt. Harz hat den kön˖[iglichen] sächsischen Orden erhalten. In München hat sich, veranlaßt durch ein auf jeden Fall naseweises und französisch-unverschämtes Epigramm, das aus der Nähe des Leuchtenbergischen Hofs kam und in der Flora erschien, ein heftiger Streit zwischen den Ärzten über die Krankheit des Prinzen erhoben. Es hieß: der Prinz wäre zur Ehre der Facultät beynah’ gestorben – da wäre der gute Haberle (der alte) dazwischen getreten pp. Fuchs und Ringseis rückten nun diesem zu Leib und er gab eine Erklärung, welche diese dann drucken ließen, um damit zu beweisen, daß Haberle keineswegs ihre Behandlungsart umgestoßen. Nun tritt aber dieser in einer eigenen ausführlichen Erklärung auf, und beschuldigt die andern, sie hätten mit Aderlassen etc. und auf organische Fehler curirt, während er, wie schon vorher D. Wiedmann darauf gedrungen Baldrian anzuwenden, worauf denn (also nach Anwendung einer entgegengesetzten Methode) erst die Besserung angefangen. Dieß ist also ein gewaltiger Angriff auf das System der Aderlaßmänner. Grossi hat zwar erklärt, daß er in wissenschaftlicher Hinsicht seinen Collegen ganz beygestimmt habe und noch beystimme, aber des erlauchten Gegenstandes wegen finde er die Sache zu keinem Streit geeignet.

Hast Du denn gehört, daß das arme Städtchen Weißenstadt, wo Du über Mittag reiste gleich darauf bey heftigem Sturmwind völlig abgebrannt ist, bis auf einige Häuser außer den Mauren? – Deine Erzählungen von unsren lieben Kleinen machen mir großes Vergnügen.

Gott erhalte Dich mit den lieben Kinder gesund und gebe für Dich noch immer besseres Gedeihen beym Gebrauch des Sprudels – bis jezt schienst Du Dich wenigstens ganz wohl dabey zu befinden und nach den großen Spaziergängen zu schließen, nicht einer Kraftlosigkeit zu leiden. Grüße Julchen aufs Beste. Dießmal habe ich Dir nun doch wohl viel geschrieben, gehe hin und thue deßgleichen, und lebe recht wohl und vergnügt.