Heute am lieblichen Feste komme ich dazu, Ihnen liebliche Pauline, zu schreiben. Was könnte ich Lieberes, Angenehmeres thun? Ich habe mich unzähligemal selbst gescholten, daß ich Ihnen nicht früher antwortete auf den freundlichen Brief, den der reizende Scherz von Goethe begleitete. Ich gestehe Ihnen, so oft ich die Feder ansetze, zu schreiben, fühle ich so lebhaft das Ungenügende davon, daß ich vom Tische hinwegeilen möchte, Sie aufzusuchen und von Angesicht zu Angesicht mit Ihnen zu reden. Denken Sie nicht, daß wenn ich Ihnen lange nicht geschrieben, ich darum nicht viel mit Ihnen umgegangen bin. Es ist sonderbar, aber den ganzen Tag, eh’ Ihr letztes Briefchen kam, war es mir im Kopfe herumgegangen: Wenn morgen ein Brief von Pauline käme! und doch konnte ich nicht an die Möglichkeit glauben, mir wohlbewußt, daß ich keinen Brief verdient habe. Den innern Jubel, da ich Ihre Hand erblickte, können Sie sich vorstellen. Nun möge alle Lust des Himmels und der Erden Ihnen lohnen, daß Sie den unartigen Freund nicht vergaßen, daß Sie sich seiner noch erinnern wollten, eh Sie auf’s Land giengen.
Was ich zu herauszugeben gedachte, hat sich unter der Hand so ausgedehnt, daß ich wohl noch den ganzen damit zubringen werde. Die Zeit thut mir nicht leid; es ist ein Lieblingskind, an dem ich pflege; nur Eines macht mich ungeduldig. Der Himmel weiß, wo ich ohne diese Arbeit wäre. Reden Sie mir nicht zu viel davon, liebe Pauline; Sie können unmöglich wissen, wie reizend für mich der Gedanke ist, mich einmal nordwärts zu wenden; mir ist als würde mir ganz wohl werden, wenn ich Sie und die lieben Ihrigen nur Einmal wieder sehen könnte. Hier muß ich in einer wahren Einöde leben, unter Menschen, mit denen es gleich fatal scheint umzugehen und nicht umzugehen. Hätte mir die Natur nicht eine ziemliche Kraft zur Einsamkeit, zum In-mir-selbst-Seyn gegeben, so würde ich es weniger leicht ertragen. So kann mich nur oft der Gedanke ungeduldig machen, daß es so wenige Tage brauchte, um bey den treuesten besten Freunden zu seyn. Warum können wir nicht fliegen? will ich gar nicht einmal fragen, obgleich es der Mensch immer wieder und wieder fragen muß.
Wär’ es denn, frage ich oft, so ganz und gar unmöglich, daß Pauline einen Ausflug nach München machte? Hat sie doch Böhmer besuchen können! Leben wir denn hier so ganz in Böotien, daß kein Mensch uns zu besuchen kommt, niemand, den Pauline begleitete? An Heilquellen fehlt es unserem Gebirge nicht; nur leider sind sie nicht berühmt. Aber Pauline hat doch so manche Bekannte hier; unter andern spricht Mme. Niethammer nicht anders als mit Lust und Liebe von ihr, und ich glaube sehr aufrichtig; wenn Pauline recht wollte, meyne ich immer, es ließe sich eine Möglichkeit aus denken. Wenn Sie nun auch schreiben, daß es eine ganz undenkbare Sache ist, so will ich mich doch einstweilen an der Möglichkeit weiden.
Ja wohl ist es ein herrlicher Frühling. Nicht nur Sie, ich glaube die ganze lebende Welt erinnert sich keines solchen. Man kann sich nicht satt laben, und möchte vergehen im Übermaß des Lebens, das sich von allen Seiten hervor- und herzudrängt. Lassen Sie sich nicht von Jakobs etwa sagen, daß die Gegend um München eine Wüste ist; von der einen Seite so sehr als irgend ein Ort in Deutschland, aber nach der andern findet sich in geringer Entfernung so viel Schönes als nur immer Gebirgsgegenden darbieten können. Sie inzwischen werden in den Krümmen auf den Wiesen und den Hügeln des Saalthals herumwandeln. Ich möchte mich gern zu Ihnen hindenken; aber zu viele schmerzliche Erinnerungen sind an diese Orte geknüpft. Es ist kein Platz in der Gegend, den Sie betreten, wo ich nicht einmal mit Augusten und Carolinen gestanden. Ein Lieblingsplatz war das freundliche Burgau, und ein Ort hinter dem Dorf Maue, gegenüber der Felsenwand, an der Saale.
Abend waren es, dem Fest nach, , daß Caroline hier her kam, wo ich über einen Monat allein gewesen war. Die Trennung hatte uns beyden unerträglich geschienen, wir gaben uns das Wort, uns in keinem Fall wieder zu trennen. Jenen ganzen führten wir die Rede im Mund, mit der Sie Ihren Brief angefangen: Pfingsten, das liebliche Fest war gekommen – »und mit ihm die Freundin« setzte ich hinzu. Heute bin ich nun allein, aber ich habe meine Einsamkeit erheitert, indem ich Ihnen schrieb. Erfreuen Sie mich bald wieder mit einer Zeile von Ihrer Hand. Mich dünkt, Sie müßten fühlen, wie oft und viel ich mit Ihnen umgehe; habe ich doch geahndet, daß Sie mir geschrieben! gehen Ihre Empfindungen ebenso in die Ferne, so hätten Sie die letzten Tage des gewiß recht oft ganz unwillkürlich an mich denken müssen.
Leben Sie wohl, bestes Kind, grüßen Sie die liebe Mutter und die Schwestern bestens von mir.
Schelling.