Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Sr. Hochwohlgeb[oren] dem

Herrn Director Dr. FWJ von Schelling

in Erlangen

frei

Mein verehrtester Herr und geliebter Freund.

Bald sehr hinter’s Arbeiten gekommen, hab’ ich bis jezt fast niemandem geschrieben. Bei Saalfeld ging ich an dem preussischen Denkmal für Prinz Louis vorüber. Es ist etwa 16 Fuss hoch. Wie einfältig liegt hiergegen der 2 Fuss hohe ungeformte Stein mit seinem ärmlichen G˖[ustav] A˖[dolf] bei Lützen! Und doch fiel ich sonst bei diesem, wenn ich die Strasse zog, auf die Knie und that einen traurig-heitern Seufzer zu Himmel. An dem vornehmen Ding wird Keiner so leicht gerührt niederknien. – Das Rudolstädter Schloss hat eine Verschönerung erhalten: die paradierenden Abtritte Ihrer Durchlauchten und Durchlaugten parodiren es nicht mehr. Die constituzionellen Repraesentanten haben sich wahrscheinlich dreingelegt. – Mein in Jena war Gablers Todestag. An fünf hundert Studenten folgten, befackelt, seiner Leiche. – Die gelehrten Herren hier, Marezoll und Schott, sind auch nicht fähig, Einen mit ihren Predigten zu ergreifen. Marezoll predigt noch in den 90er Jahren des 18ten Saeculi. – Fries ist als Professor der Fysik wieder angestellt, las aber (im Vertrauen gesagt) das Winterhalbjahr heimlichst Logik. Oken trozt fort. Schad säuft Branntwein, wie ein gemeiner Russe, und gibt Mädchen Geld, sie sollen ihn den Abend besuchen; die nehmen’s; den andern Tag hat er’s vergessen. Und dieser Benedictiner verschmäht es jezt fromm, Etwas anderes anzukündigen als Religionsfilosofie! die aber niemand bei ihm hört. Scheidler, ein jünger Filosofielehrer, ist völlig taub. Reinhold, als ord[entlicher] Professor derselben angestellt, » macht nicht viel Eindruk« sind Marezoll’s Worte. Bachmann ist kränklich und immer noch unverehlicht. Der alte Wesselhöft hat mir sehr gefallen. Soll ich nun auch meine Filosofie loslassen? So stehen die Adspecten.

Was ich Ihnen schon verdanke, will ich hier nicht aufzählen. Aber jezt könnten Sie Sich noch ein mir unvergessliches Verdienst um meine Wenigkeit erwerben, wenn ich Ihnen meine Dissertationem de historia et encyclopaedia philosophiae zur liebevollen Durchsicht in sachlicher und, wenn Sie wollten, sprachlicher Beziehung zusenden dürfte. Einige Stunden etlicher Nachmittage oder Apriltage reichten hin, sie durchzugehen und, wenn Sie die Freundschaft für mich haben wollten, auf ein Blatt Papier § für § (es sind ihrer 15 nebst Curriculo vitae) streng recensentenmässig Etwas dazu zu bemerken. Sie würden mich ausserordentlich erfreuen, wenn Sie ja schrieben. Ich bitte Sie um eine baldige Antwort! Seyn Sie meiner dankbaren Gesinnung auf immer gewis! Der wird Sie ohnehin abhalten, etwa schon zu verreisen. –

Jena gefällt mir. Man hat wol hundert verschiedne Spaziergänge und liebliche An- und Aussichten. Ich wohne beim Schuhmacher Knefler: aber das geringste Docterchen bedarf hier keines Adress-Angebens. - -

Grüssen Sie mir Ihre Frau Gemalin, Fraülein Gotter, und Lina. Ich hoffe und wünsche, dass Alles im einfachen biedern Hause wohl ist. – In inniger Liebe und Verehrung stets
Ihr
dankbarster Schüler

JKA Müglich