Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Rousseau hatte die unglückliche Gewohnheit, so oft er auch Briefe an seine Freunde schreiben wollte, die Ausführung des guten Vorsatzes von einem Posttag zum andern so lange aufzuschieben, bis er endlich aus Verlegenheit und Angst, wie er’s nur anfangen sollte um sein wunderliches Benehmen zu entschuldigen, gar nicht zum Schreiben kam, sondern auf immer schwieg — während er in seinem Gewissen sich drüber immerfort die bittersten Vorwürfe machte. So ist es, leider! mir auch in Hinsicht einiger sehr lieben Freunde gegangen; und fast wäre mir für immer, durch meine eigne unverzeihliche Schuld, das schöne Glück entschwunden, Ihnen, mein ewig hochverehrter und hochgeliebter Meister, noch durch das einzige — obwohl dürftige! — Mittel der schriftlichen Mittheilung mein Leben und Treiben bisweilen näher zu bringen. Glauben Sie mir indessen auf mein Wort, dass mein Gemüth Ihnen noch mit derselben innigen Treue und Dankbarkeit zugewandt ist, wie in der unvergesslichen , wo wir mit einander unmittelbar persönlich lebten — und dass ich noch keinen Mann habe kennen gelernt, dem ich von dem Orte meines Herzens, wo Ihr Bild wie ein Heiligthum lebt, auch nur das kleinste Winkelchen einräumen möchte.

Wahrlich! wenn jenes Übermaass von Güte, das Sie mir sonst so erregend und ermunternd zeigten, mich diesmal nicht entsühnen will: so bin ich nicht zu entsühnen. Wenn Sie mich auch künftig mit keiner Zeile Ihrer theuren Hand beehren, so hab’ ich alles Recht verloren, mich beklagen zu dürfen. Aber, dass ich Sie unaussprechlich lieb halte, und hoch über Alle schätze, die mir sonst im Leben auf irgend einer bedeutenden Weise entgegengekommen sind — das will ich Ihnen dennoch, in dieser Sphäre des Daseyns wie in jeder zukünftigen, unverhohlen und uneigennützig zeigen. Strafen Sie mich, wie ich’s verdiene, so ruf ich aus, wie’s in jenem deutschen Volksliede heisst:
»Wenn ich Dich liebe, was geht’s Dich an?«
und die Treue meiner Anhänglichkeit kann durch nichts verändert werden.

Freilich hab’ ich durch meinen liebenswürdigen Verwandten Kernell erfahren, dass Sie noch immer gütig meiner gedenken. Was er mir von Ihnen erzählt, und der Gruss, den er mir von Ihnen gesendet, hat meinen Muth angefacht, die unnütze Schaam über mein langes Stillschweigen endlich zu besiegen. Dazu kommt, dass ich in der Unruhe, in der alle Kernells hiesigen Freunde über den Ausgang seiner (uns vor einiger Zeit verkündigten) gefährlichen Krankheit schweben, von Niemanden eine zuverlässigere Nachricht über sein Befinden erwarten kann, als von Ihnen, der Sie ihm — dem wahrhaft trefflichen Jüngling! — so viel Wohlwollen und Theilnahme bezeigt, und seine Umstände so genau kennen. Wenn er noch lebt — so werden ihn wohl die beigefügten Zeilen von mir und noch ein paar freundlichen Wesen erfreuen. Ich ersuche Sie um die Gefälligkeit, dass Sie ihm unsre Briefchen einhändigen. Er wird aus ihnen ersehen, wie treu und glühend ihm vaterländische Freundschaft Leben, Gesundheit und glückliche Wiederkehr zuwünscht. Wäre das (für uns) Schreckliche , dass er schon von der Erde abgeschieden ist, — oder geschieht es vielleicht in diesen Tagen, — so wird er in sehr vielen Herzen eine Lücke zurücklassen, die durch nichts in diesem Daseyn wieder erfüllt werden känn. Er freilich verliert nichts bei dem Umtausch. Einem Engel ähnlich an Gemüth, wie an Antlitz und Betragen, war er immer; und so wird er dort nur die Flügel freier und schöner entfalten. Uns ist er auch nicht verloren, die wir wissen, was wir glauben. Die Kürze, ja Nichtigkeit der irdischen, der bloss apparenten Zeit ist das einzige, was bei dergleichen schmerzlichen Vorfällen trösten känn, wo einem fast die Brust zerspringen möchte. Das Loos seiner Mutter und Geschwister ist aber bei alledem sehr zu bedauern; und leicht könnte besonders bei seiner jüngern Schwester, einem von Gott und Natur herrlich ausgestatteten Mädchen, sein Tod über ihr ganzes Erdendaseyn einen Schatten werfen, der ihre schöne Seele — obwohl nichts destoweniger an die Lichtkraft und Milde der Sonne glaubend — in langer Sonnenfinsterniss versetzte. Wunderbare Verkettung der Dinge! wenn so weit von vaterländischer Erde, in Erlangen, die Gebeine ruhen müssen des guten Jünglings, der hauptsächlich dahin zog, um Ihre Bekanntschaft zu machen und Ihre Vorlesungen zu hören! wenn der redliche, fromme Jünger der Weisheit, gerade zu des Lehrers Füssen sitzend, die letzte Weihe der höchsten Geheimnisse so früh erhalten sollte; und damit früher, als dieser, die Stufe der himmlischen Meisterschaft gewinnen! —

Die Insel der Glückseligkeit, von der ja Kernell Ihnen einiges erzählt, wird bald im Druck erscheinen. An der ersten Abtheilung — denn das Ganze wird in zwei Abtheilungen herausgegeben — arbeiten fortwährend Setzer und Drückerpresse. Bis wird sie ausgedruckt seyn; die zweite wird im erscheinen. Die ganze Composition ist so weitläufig (Gott gebe, nicht weitschweifig), dass jeder Theil wohl aus 18 Bogen — jedoch freilich sehr spatiös gedruckt — bestehen wird. Das von mir dramatisirte (oder dramatisch-dialogisch erzählte) Mährchen ist ursprünglich einheimischer Herkunft, aber nicht alt. Es scheint erst in der ersten Hälfte des letztverflossnen Jahrhunderts entstanden zu seyn. Es hat eine tief tragische Bedeutung, welche freilich durch einige Veränderungen und Zusätze, die ich mir mit dem Stoff erlaubt habe, noch bestimmter und schneidender hervorspringt. Es ist das Trauerspiel der Phantasie. Sobald der erste Theil fertig gedruckt ist, send’ ich ihn meiner Freundinn Frau von Helwig zu, welche die Schwedische Sprache, Diction u.s.w. vollkommen versteht, und gerade jetzt mit der Herausgabe eines Werks über Schweden beschäftigt ist. Wenn sie nach Durchlesung meines Gedichts noch mit Ihnen in dem für mich überaus schmeichelhaften Wunsch übereinstimmt, dass ich es verdeutschen sollte — so wär’ es wohl möglich, dass ich (in dieser Hinsicht) in Öhlenschlägers Fussstapfen zu treten mich erkühnte, und zugleich oder nachher eine verdeutschte Auswahl meiner Gedichte versuchte. Ich habe übrigens mehrere dichterischen Projecte grösseren Umfangs theils durchgedacht, theils stückweise auf’s Papier ausgeführt, die ich jetzt, nachdem mir Gott das Kreutz vieljähriger Kränklichkeit abgenommen oder wenigstens viel leichter gemacht, allmählich vollenden werde. Glauben Sie auch, wie die gute von Helwig, dass ich — ein im Grunde unbekannter Fremdling — Verleger zu etwas dergleichen in Deutschland finden könnte?

Mein Aufenthalt in Stockholm und am Hofe in den Jahren und waren weder für meine Auctorschaft, noch für meine Gesundheit und Lebensfreude besonders erspriesslich. Im , nachdem ich ein Halbjahr hindurch öffentliche Vorlesungen über die Kreuzzüge (nach einer Einleitung über den Sinn für Geschichte und besonders für Geschichte des Mittelalters) gehalten hatte, mit grosser Anstrengung, nahm die kränkliche Stimmung meines Körpers so sehr zu, dass ich in völliger Unthätigkeit gefesselt nur die Auflösung meines irdischen Daseyns erwartete. Im folgenden konnte ich wieder ein bischen den verlassenen Faden meines Märchen-Dramas aufnehmen und fortspinnen. Indessen war ich doch fortwährend kränklich und hypochondrisch, bis sich unvermutheterweise mir eine Arzenei darbot (gegen das ), die heilsamer als alle vorher versuchten auf mich eingewirkt, und mir die Morgenröthe einer glücklicheren Zeit verkündigt. Wahrscheinlich hat Kernell Ihnen schon davon erzählt, aus Nachrichten von seiner Mutter und einer (freilich sehr kurzen) von mir, dass ich während meines lezten Sommer-Anfenthalts in Ostgothland (meinem Geburtslande) die Bekanntschaft eines hübschen und herzensguten Mädchens gemacht habe; und was aus dieser Bekanntschaft erfolgt ist. Ich habe mich zum erstenmal in meinem Leben ordentlich verliebt, und also mich (billigerweise) auch ordentlich als Bräutigam versprochen. Meine Braut ist ein Fräulein Ebba von Ekenstam, liebevoll, verständig, treu und fromm; dabei gesund und kräftig wie die Natur, deren Schönheit sie mir in der einfachsten Anmuth zurückstrahlt. Sobald nur meine Insel flott geworden ist, eil’ ich auf’s Land, wo ich die Monate in ihrer holden Gesellschaft, zum Theil am Ostsee in dem Waldgebirge Kolmården, in einer der schönsten Gegenden Schwedens, zubringen werde. Meine Adresse während des Sommers ist Linköping und Solla; bis zum verbleib’ ich aber hier. Vielleicht wird es mir möglich, im künftigen das Band der Ehe zu knüpfen; die Besoldung, die ich als sogenannter Adjunct der Theoretischen und Practischen Philosophie geniesse, ist aber äusserst gering, so dass meine oeconomische Lage sehr viel zu wünschen übrig lässt — um so mehr, weil meine Braut eben so arm ist, wie ich selber.

Im nächsten Herbst werd’ ich auch philosophische Vorlesungen halten. — Nun, wann bekommen wir denn Ihre Weltalter? oder wenigstens Ihre Vorlesungen über Mythologie? — Wir erwarten beide, mit der heissesten Ungeduld. — Mein Freund Geijer, der jetzt seine Geschichte Schwedens drucken lässt, bittet mich Ihnen seinen Gruss inniger Verehrung darzubringen. — Mein Freund und vormaliger Reisegefährte Hjort hat mir sein Buch Erigena u.s.w. zugeschickt. Ich habe bis jetzt nur Zeit zum Blättern darin gehabt — werd’ es aber mit mir auf’s Land nehmen. Es scheint gründlich und interessant zu seyn. Im künftigen erscheint vielleicht auch von mir ein Versuch, die ethische und religiöse Seite der sogenannten Naturphilosophie darzustellen.

Übrigens hat der litterarische Kampf bei uns sich fast ganz zu einem politischen verwandelt. Die liberale (in Amerikanischem und Französischem Sinn) Parthei residirt in Stockholm, und herrscht in den dortigen Tagblättern. Weil wir hier in Upsala ihre Ansichten seicht, ja fast durchaus leer und absurd finden, haben sie die Upsalische Universität für das Haupt der Schwedischen Ultraisten oder Royalisten erklärt, und haben Geijer, Biberg, mir u.a.m. mitsammt der hiesigen Litteratur-Zeitung und allem was von hier ausgeht, einen grimmigen Hass geschworen.

Leben Sie gesund und glücklich, grüssen Sie Ihre holde Pauline, deren Gedächtniss noch in meinem Innern gleich blühend sich erhält und ewig erhalten wird — Ihrer ganzen Familie, den liebenswürdigen Schubert, und andre Ihrer Freunde von Ihrem ewig treu ergebenen

D.A. Atterbom.

Wie geht’s der guten Louise Seidler?