München .
Endlich, mein geliebter Freund, weiß ich den Ort, wo ein Brief Sie erreichen kann. Ich hätte Ihnen gern nach Rom geschrieben, aber Sie hatten vergessen mir Ihre Addresse anzugeben und lieber als auf die Gefahr, daß mein Brief in andre Hände geriethe, wollte ich nicht schreiben, und dieß um so mehr, je gewisser ich hoffte, Sie bald wieder hier zu sehen. Auch diese Hoffnung muß ich nun aufgeben. Dr. Töngstroem wollte mich wahrscheinlich trösten, indem er äußerte, es wäre nicht ganz unmöglich, daß Sie noch von Berlin hieher zurückkämen. Ihr Brief aus Wien sagt mir deutlich genug, daß daran nicht zu denken ist, und so will ich mich denn, so schmerzhaft es mir ist, ganz von dem Gedanken losreißen. – Sie haben im mich in einer für mich traurigen Zeit gesehen. Meine Frau gefährlich krank, dann wenigstens kränkelnd, ich selbst in gleichem Zustande! Nach Ihrer Abreise war noch vieles zu bestehen. Meine gute Frau ward auf’s Neue krank und wurde auch nicht wieder gesund bis zu ihrer Entbindung . Im verlor ich meinen Verwandten und Jugend-Genossen Breyer; kaum war meine Frau entbunden, so erhielt ich die Kunde von dem plötzlichen meiner zärtlich geliebten Mutter – diese wiederholten Schläge untergruben endlich auch meine Gesundheit völlig, und nur ein fast dreymonatlicher auf dem Lande am Ende des Sommers konnte mich wiederherstellen; endlich ist nun Friede und Ruhe zu uns zurückgekehrt, meine Frau wurde mit der Entbindung zugleich auch der Krankheit entbunden und genießt nun einer besseren Gesundheit als je. Um so schmerzlicher ist, daß Sie jetzt, wo Sie uns alle gesünder, heiterer, fröhlicher finden konnten, nicht zu uns zurückkehren sollen. Doch es soll nicht seyn, und so sey’n Sie mir wenigstens noch, am Rande Deutschlands, eh’ die fernen Nebel des hohen Nordens Sie verschlingen, – schriftlich begrüßt!
Ihre beyden Briefe, der aus Rom, und der letzte aus Wien, athmen soviel Liebe, Treue und Freundschaft für mich, daß ich wahrlich nicht weiß, wie ich mir dieselbe habe erwerben können. Ich kann diese meinem Herzen theuren Versicherungen mit nichts anderem erwiedern, als dem schwachen Ausdruck meiner ganz aufrichtigen und aus dem Innersten kommenden Empfindungen für Sie. Das weiß ich, daß niemand seyn kann, der inniger mit Ihnen fühlt und so habe auch ich die Gewißheit, daß auf dieser Lebensreise wenige mich berührt haben, die so wie Sie, mich gefühlt und verstanden. Hieraus schöpfe ich die zuversichtliche Überzeugung, daß wir durch jede weitere Entwickelung uns nur näher kommen können, mögen auch noch so große Räume äußerlich uns trennen.
Sie hätten mir nicht schreiben sollen, ohne Ihrem Brief von dem, was Sie in Italien gedichtet, wenigstens das Mittheilbarste beyzulegen. Sie sind überzeugt, daß bey mir alles in treuer Verwahrung liegt und alles, was Sie mir bloß für mich mittheilen, in keine andre Hand noch in fremdes Ohr kommt. Darum bitte ich Sie, mir noch von Berlin alles das zu schicken, wovon Sie recht gut überzeugt seyn können, daß es mir Freude verursacht.
Ich halte mich nun an Ihren Brief aus Wien, um ihn Punct für Punct zu beantworten. Sie fragen, was die Weltalter machen? Nach dem, was ich Ihnen oben erzählt, können Sie leicht denken, daß ich eben keine große Neigung haben konnte, an diesem Werk, im , zu arbeiten. Auch meinen ländlichen Aufenthalt mußte ich mehr zu Herstellung meiner Gesundheit anwenden. Wenn ich übrigens bisher gezögert und mich selbst nicht überwinden können, auch nur die letzte Hand anzulegen, so war es hauptsächlich, weil ich noch immer fühlte, das Ganze nicht so ganz und völlig nach meinem Sinne ausführen zu können, als ich wollte. Wenn ich von dieser eigensinnigen Forderung abgieng, konnte ich das Werk längst in die Welt schicken. Aber es war doch billig, einmal auch bloß auf die eigne Genugthuung zu sehen, und was kann man am Ende für ein höheres Glück begehren, als nur Sich ganz auszusprechen? Niemand geht so rein durch seine Zeit, daß sich ihm nicht vieles anhängt, was seinem eigentlichen Wesen gar nicht angehört. Diese Schlacken wegzuläutern, sich von allem Fremden, Hemmenden loszumachen und so in völlige Freyheit zu setzen, ist eigentlich das Schwere und indes das Positive meines Werks mit Leichtigkeit und gleichsam im seligsten Genuße schnell und fertig sich bildete, hat jenes negative Geschäft mich Jahre gekostet, und nicht wenig Mühe. Denn immer blieb noch etwas Störendes zurück, das meinem Ideal, eines durchaus unbefangenen, in Stoff und Form lautern, und, daß ich so sage, allgemein menschlichen Werks entgegen war, und es kostete Arbeit, dieß zu entdecken. Nun aber ist auch dieß überwunden, ich stehe auf dem Punkt, wo ich stehen wollte, und es gehören nur noch wenige von Zerstreuung und andrem Geschäft freye Stunden dazu, um das ganze völlig zu meiner eignen Genugthuung zu beenden. Ob darum, auch zur Genugthuung des befangnen Theils meiner Zeitgenossen, ist eine andre Frage. Allein nach dieser habe ich niemals gestrebt und lasse übrigens gern jedem die Freude, sich mit seinen Fesseln zu brüsten und die Freyheit, mit den Ketten zu klirren. Ich stehe jetzt auf dem Punct, nach dem ich immer gestrebt, der Himmel gebe mir die Kraft, auf ihm mich zu behaupten und alles auszuführen, was von ihm aus möglich ist. Bey dem mir gegebnen Wort, das Werk gleich in die Nordische Heldensprache zu übersetzen, halte ich Sie fest; nur Sie können es; ich weiß mit völliger Gewißheit, daß Sie mich ganz darinn empfinden, daß Sie mein Werk wie Ihr eignes fühlen werden. Auf Geister und Gemüther, wie die Ihrigen, zähle ich dabey mit voller Zuversicht; alle diese (ich weiß es), die noch nicht meine Freunde sind, werden es durch dieß Buch werden.
Unsres Freundes Steffens Caricaturen habe ich so eben auch mit großem Vergnügen gelesen. Ich will zwar nicht behaupten, daß ich überall den wissenschaftlichen Zusammenhang eingesehen, aber darauf kommt es hier nicht an, und ganz würdig seiner ritterlichen Gesinnung ist dieser kecke Angriff, dieß freye Wort über das Seelen- und Geistlose Treiben einer aufgeregten Menge, welche den leeren Verstand, die herzensarme Seichtigkeit, die sie in der Wissenschaft nicht durchsetzen konnte, nun im Gebiet des öffentlichen Lebens und des Staates verwirklichen will. Es war hohe Zeit, daß einer dagegen auftrat. Steffens hat in ein Wespennest gestochen, aber die Wespen werden ihm nicht viel anhaben, mehr hat er unstreitig von denen zu fürchten, die hinterlistig dem Unfug zusehen und um das Ansehn von Häuptern nicht zu verlieren in einer wahrhaft niederträchtigen Gleichgültigkeit sich vor dem Für und dem Wider gleich klüglich hüten.
Wie Sie mir Fr. S[chlege]l schildern, habe ich ihn genau bey seiner Durchreise durch München gefunden, und fast der bloße Anblick reichte hin, die entschiedne Abstoßung hervorzurufen. Eine solche entsetzliche Veränderung habe ich nie gesehn; was er auch unternehmen möge, von diesem Menschen kann nie mehr, ohne Wunder, etwas Reines kommen. – Unsern Freund Fr. B˖[aader] sehe ich seit einiger Zeit sehr wenig, und bin damit ganz wohl zufrieden. Das Letzte, was ich von ihm hören mußte, war, daß der Teufel nun wirklich Zeichen gebe, und ihn (B˖[aader]) in seinem Hause aufsuche und verfolge. Unter andern sey seine Tochter, (die ich als ein reines liebliches Kind kannte) jetzt in Ekstase verfallen, in welcher der böse Geist ihr gottlose und unzüchtige Reden abdringe. Er sprach davon wie von einem erfreulichen Phänomen (so groß ist die Liebhaberey) und schien sich nicht wenig darauf zu gute zu thun, daß der Teufel nun endlich Notiz von seinen Angriffen genommen. Das Schriftlein sur la notion du tems ist erschienen, soviel ich davon gelesen, berührt es meine Notion durchaus nicht. – Im verflossenen erlebte ich ein merkwürdiges literarisches Phänomen, zwei Nationalfranzosen, der eine Professor in Paris, der andre in Straßburg, die hieher kamen, von mir Aufklärungen über mein System zu erhalten, beyde zu meiner Verwunderung weit vorgerückt in der Kenntniß des deutschen Wesens. Den ersten halte ich für fähig, die philosophische Revolution in Frankreich wirklich einzuleiten und vielleicht zu Stande zu bringen, da er mit dem seiner Nation eignen Scharfsinn viele Energie des Charakters und die bestimmteste Einsicht in die Schlechtigkeit und ganz unhaltbare Seichtigkeit alles dessen verbindet, was seit Pascal und Mallebranche in Frankreich für Philosophie gegolten hat. Er hat zugleich die Klugheit, es mit den Liberalen zu halten, die ihm, dieser Verdienste wegen, nachsehen und zu gut halten, was ihnen nach Aberglauben, Mysticismus u.s.w. schmeckt und was mit den notions abstraites et arides, in denen es Benj˖[amin] Constant am weitesten gebracht zu haben scheint, sich nicht verträgt. Merkwürdig wird es seyn, wenn durch die Beyden die deutschen Ideen französisch zubereitet hervortreten, und nicht ohne Nutzen für die Wissenschaft. Denn beyde, besonders der Erste, hat mich wenigstens, soviel ich urtheilen konnte, wohl verstanden, jedoch versteht sich, daß dieß alles mit der französischen Form sich vertragen muß, obwohl sie, zu meiner Verwunderung, die barbarischen Ausdrücke, von denen wir uns in Deutschland so ziemlich losgemacht, nachdem wir sie nicht mehr bedürfen, z.B. subject-object und sogar subject-objectives ganz geläufig brauchen. –
Sie werden es diesem Brief wohl ansehen, daß er mit vielen Unterbrechungen geschrieben worden, wie ich denn nicht weiß, ob ich ihn auch nur heute () beenden werde. Doch, soviel ich verstehe, bleiben Sie den ganzen in Berlin, und so wird er Sie auf jeden Fall noch treffen. Wir leben gegenwärtig hier in großer, aber erfreulicher, Bewegung. Seit sind zum erstenmale die Deputirten einer Baier’schen Stände-Versammlung hier eingetroffen, war der Tag der Eröffnung. Eine feyerliche, schöne ja rührende Handlung! Wenn nicht alle Vorzeichen trügen, so wird die Einführung dieser Verfassung und vielleicht schon die erste Stände-Versammlung Epoche für uns machen. Auch in geistiger Hinsicht. Das System des öffentlichen Unterrichts wird und muß Verändrungen erfahren. Unabhängig davon ist man damit beschäftigt, die fast ganz zusammengesunkne Universität Landshut durch ihre Verpflanzung nach München wieder zu erheben und zu erfrischen. So wenig ich sonst Verlegung der Universitäten in die Hauptstädte wünschenswerth finde, so glaube ich, daß in dem besondern Fall, in welchem sich Baiern befindet, diese Verpflanzung von den heilsamsten Folgen für das Ganze seyn würde. Mir soll es auch darum erwünscht seyn, weil diese Versetzung mir Gelegenheit zu nützlicherem Wirken, auch als Lehrer, wieder geben würde, ohne mich zu Aufhebung meiner übrigen, in so manchem andren Betracht vortheilhaften und angenehmen, Verhältnisse zu nöthigen.
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Nun muß ich doch schließen, wenn ich nicht auch den heutigen Post-Tag wieder versäumen will. Ich ersuche Sie, liebster Freund, mir doch noch von Berlin aus zu schreiben, und den deutschen Boden nicht zu verlassen, ohne mir bestimmte Mittel und Wege anzugeben, deren ich mich bedienen kann, Ihnen nach Schweden zu schreiben. Am besten wäre, mir irgend eine Gesandtschaft anzugeben, an die ich die Briefe schicken könnte. Die Ihrigen dagegen können ohne alle Zwischenhand füglich auf dem gewöhnlichen Weg an mich abgeh’n. Von Berlin werden Sie mir recht viel Interessantes mitzutheilen haben; ich bitte Sie also, mir recht ausführlich zu schreiben, die Canzone zu Ehren der Cäcilia, das Gedicht über Rom und Sorrento nicht zu vergessen. – Nun noch von allen Ihren Freunden und Freundinnen die herzlichsten Grüße! Alle Ihre hiesigen Bekannten beklagen gar sehr, daß Sie nicht wiederkommen, besonders meine Frau, die sich von Ihrer Hieherkunft so vielen Genuß für sich und mich versprochen hatte. Meine Kinder gedeihen immer gleich, Paul liest nun ganz richtig und fängt an, auch Verstand und Gefühl für das Gelesene zu zeigen. Ich weiß, daß Sie uns nicht vergessen. Sey’n Sie von Ihrer Seite überzeugt, daß Ihr Bild in unsrem Herzen lebt, daß Sie uns immer theuer seyn werden. In allen Verhältnissen und was Ihnen auch begegnen mag (doch, was sollte Ihnen anders als Glückliches und Wünschenswerthes widerfahren?), denken Sie immer, daß Sie an uns Freunde finden, die Sie verstehen, fühlen und an allem was Sie betrifft den innigsten Theil nehmen.
Friede und Heil sey mit Ihnen!
Ihr
treuerg[e]b[en]st[e]r
Schelling.