M˖[ünchen] den .
Noch immer, liebste Mutter, müßen Sie mit Nachrichten von meiner Hand sich begnügen; ich kann Ihnen wenigstens jetzt nicht übel nehmen, wenn Sie gegen meine Aufrichtigkeit Zweifel hegen, da ich Ihnen das Vorüberseyn aller Gefahr an ebendem versicherte, wo sie am nächsten war. Es war aber gewiß meine und Paulinens aufrichtigste Meynung, wozu die Versicherung ihres Arztes hinzukam. – Für heute kann ich Ihnen nur die letzten Nachrichten wiederholen. Paul˖[ine] befindet sich so gut, als es nur seyn kann. Sie bringt einen Theil des Tags auf dem Sopha zu, hat guten Appetit, sucht durch Wein, Fleisch und Arzney (Aufguß von China) sich zu stärken. Es sind keine bedenkliche Umstände mehr vorhanden; die nächsten Folgen sind alle beseitigt; nur die entfernteren sind noch geblieben, Bläße, Abmagerung und große Müdigkeit, die es nicht räthlich macht, sie auch nur den kleinen Weg vom Bett auf’s Sopha und zurück gehen zu lassen. Wenn Veranlassungen gegeben werden, fällt sie wohl wieder in Traurigkeit und vergießt Thränen über den Verlust ihrer süßen Hoffnung, die so gar echt sind und die ich nicht hemmen oder tadeln mag, so sehr ich übrigens suche, sie aufzuheitern und den eignen Gram vor ihr zu verbergen. – Fischer hat sie und heute noch nicht besucht; auch dieß mag Ihnen Beweis davon seyn, daß sie auf dem besten Weg ist; denn er hat sich seit dem unglücklichen Ereigniß alle Mühe gegeben und sie täglich besucht. Es kann wohl seyn, daß die Aderläße die Katastrophe vollends herbeygeführt hat; so war es wenigstens nach dem äußeren Anschein. Aber das Nämliche hätte man vielleicht von der Unterlassung derselben sagen können; und es scheint wenigstens, daß größerer Blutverlust dadurch verhindert worden. Er soll sehr mäßig gewesen seyn. So versichert man wenigstens mir. Einen andern Trost, den man mir auch zu geben versucht hat, daß Fehlgeburten zum Charakter dieses Jahrs gehören und besonders in dem letzten sehr häufig gewesen, habe ich wenig Glauben beygemessen, bis mir selbst mehrere Fälle der Art, einer in einer mir bekannten Familie aus der nämlichen Zeit bekannt geworden sind.
Im Wiebeking’schen Hause ist jetzt auch großer Jammer. Köhler liegt auf einem litthauischen Dorf krank am Nervenfieber; die gute Frau weiß nichts davon, ihre Eltern verbergen ihr die Wahrheit, ob sie gleich wegen des Ausbleibens der Briefe sehr geängstiget ist; Fanny liegt seit 3 Wochen an einem Fieber, das sie so erschöpft hat, daß sie nicht gehen und kaum einen Augenblick außer dem Bette seyn kann.
Was ich ohnlängst wegen des Pr˖[inzen] schrieb hat sich mir nur noch mehr bestätigt. Er sagte mir, »ich habe immer P˖[auline] besuchen wollen, aber immer hat man mir gesagt, sie sey krank.« Ich versicherte ihn, daß dieß erst seit 14 Tagen der Fall gewesen. Sein Kammerherr, Herr v. H., meinte, wir wären bis vor wenigen Tagen auf dem Lande gewesen. Das alles ist ihnen nur gesagt worden, um Paulinen aus den Gesellschaften wo der Prinz war, fern zu halten. Er war schon mehrmals früherhin bey Schl˖[ichtegroll] und den Hamberger; sie dachten aber an keine Einladung, ehe sie Pauline im Bett wußten. Ich fand den Pr˖[inzen], den ich weder recht für einen Mann noch für eine Frau, sondern am ehesten noch für einen Hermafroditen ansprechen möchte, zwischen den 2 Weibern, der gemahlten Me. Schlichtegroll und der wunderlich coëffirten Hamberger , königlich vergnügt von ihren Gentillessen und geistreichem Gethue; weßhalb ich mich auch gleich zurückzog.
Sehr überrrascht wurde gestern Pauline, als sich Mlle. Benda mit ihrer Mutter bey ihr melden ließ, die hier einige Rollen spielen, vielleicht sich engagiren will. Sie tranken Thee mit ihr, die ersten seit ihrem Übelbefinden.
Nun von Paul˖[ine] noch nebst den herzlichsten Grüßen folg˖[ende] Commissionen. Sie habe das Verzeichniß durchgelesen aber schmerzlich vermißt 1) zwey Paar wollene Strümpfe, indem sie 3 Paar in Gotha gehabt hätte. 2) das Glas von Riemer und den Aerinta vom alten Herrn 3) den 3ten Theil von Ariost, den sie niemand geliehen, und der da seyn müsse; wenigstens habe sie von allen fünfen in Gotha Abschied genommen. 4) Habe sie nicht 2 Bettüberzüge von der Tante mitgenommen, sondern nur einen. Übrigens will sie nicht anders als selbst danken für alles, für alle Güte und Mühe der lieben Mutter.
Von mir herzlichsten Dank wegen des Schreibers; ich wünsche sehr, daß es gut ablaufe. Haben Sie die Güte mir gelegenheitlich das Blatt worauf ich die Bedingungen geschrieben, zurückzuschicken, um mich genau daran zu halten.
Noch schickt P˖[auline] mit größtem Dank die Briefe aus Rügen zurück, dankt auch zärtlichst den Schwestern für die ihrigen, die sie kaum lesen geschweige beantworten konnte.
Leben Sie wohl, liebste beste Mutter; ich muß eilig schließen.
Ihr
geh˖[orsamster] Sohn
S.