München .
Womit soll ich mich entschuldigen, daß ich Ihnen, lieber werther Freund, so lange nicht geschrieben. Ich bin leider seit geraumer Zeit sehr wenig Meister meiner Zeit, tausend Kleinigkeiten zerreißen meinen Kopf. Wie oft sehne ich mich aus dem Geräusch und geistzersplitternden Treiben der hiesigen Stadt in die großartige Stille Roms; ja oft wollte ich lieber auf einem Dorf leben als in diesem Gewimmel, wo je der dritte Mensch ein Soldat ist. Zu allem dem kam, daß ich diesen einmal etwas für meine Gesundheit thun mußte und in ein Bad reiste, das mich auch so ziemlich wieder auf die Beine gebracht hat. – Ich freue mich, daß Sie mit meinen Zuthaten zu Ihrer Beschreibung der äginetischen Figuren im Allgemeinen wenigstens zufrieden sind. Man muß Kunstwerke freylich selbst sehen, um mit Sicherheit darüber zu urtheilen. Auch hatte ich die Zeit nicht, Manches, z.B. das Verhältnis zwischen griechischer und ägyptischer Kunst mehr auszuführen. Aus der blosen Ähnlichkeit der Formen und des Styls läßt sich, meines Erachtens, nur der historische Satz herausbringen: Die Griechen haben ihre Kunst von den Ägyptern erhalten. Ich sage mit Mayer: nicht jeder, der jüdisch aussieht, ist darum ein Jude. Freylich kann man damit auch nicht das Gegentheil herausbringen. Diese Frage hängt ab von allgemeinen Untersuchungen über die älteste Geschichte Griechenlands, die Herkunft griechischer Religion, Mythologie und Bildung überhaupt. Da ich nun nothgedrungen aus andern Gründen anerkennen muß, daß in dem griechischen Wesen ursprünglich noch ein ganz andres Princip als das ägyptische gewaltet hat, so muß ich für möglich halten, daß sie auch die ersten Anfänge der Kunst wenn nicht selbst erfunden, doch nicht aus Ägypten erhalten haben. Bilder kommen überall mit der Religion zugleich und sind Götterbilder; daß nun die Griechen ihre Religion nicht zuerst aus Ägypten erhalten haben, des bin ich gewiß. Was soll ich also von der Kunst sagen? – Wenn ich Gelegenheit finde, diesen Brief mit einem Courier fortzubringen, so lege ich eine kleine Abh˖[andlung] bey, die ich schon über die Kabiren geschrieben habe und aus der Sie ohngefähr meine Meynung über diesen letzten Punct (den der Religion) abnehmen können. Es soll mir sehr erwünscht sein, wenn Sie Ihr Versprechen erfüllen und mir Ihre Ansicht über das ganze Gebäude der früheren Kunst im Zusammenhang mittheilen wollen. Es läßt sich noch viel tiefer kommen als bisher, wenn man nur Pausanias recht benutzt. Es ist allerdings ein Übelstand, daß in Ihrem Bericht mehrmals verwiesen wird auf Beweise, die Sie in der Folge führen wollen und die alsdann nicht geführt werden. In der Folge kann aber auch heißen: in einer spätern Schrift. Da Sie nun ohnedieß auch an der materiellen Beschreibung Verschiedenes zu ändern und zu bessern finden, Einiges durchaus nachtragen müssen, wie von den Schuppen an der Bekleidung der Bogenschützen und der Ägis der Minerva (im Vorbeygehn zu sagen: daß diese Notiz ausgeblieben, ist nicht meine Schuld, ich habe sie nicht erhalten ), so ersuche ich Sie recht sehr, Beydes zu verbinden und was Sie sowohl über den ersten Gegenstand (Herkunft und Fortbildung griechischer Kunst), als über das Zweyte noch zu sagen haben, zusammenzuschreiben, ohne daß Sie sich viele Mühe mit der Anordnung und der Schreibart geben, dafür will ich schon sorgen. Dieses wird dann füglich als ein Nachtrag erscheinen können. Doch wäre es vielleicht besser damit zu warten, bis Herr Aloys Hirt mit seinen Noten herausgerückt ist, die er, wie er mir hier sagte, zu Ihrem Bericht und zu meinen Noten zu machen Willens ist. Er hatte bey sich eine von Cockerell gemachte Gruppirung der äginetischen Figuren, wie solche in den Giebelfeldern gestanden haben sollen, und gründet darauf eine ziemlich wahrscheinliche Erklärung der vorgestellten Fabel, welche Erklärung auch Ihnen nicht wird unbekannt geblieben sein. Nur wegen der Zusammenstellung selbst bin ich noch zweifelhaft, ob vielleicht alle Schenkel und Beine untergebracht sind. Die eine weibliche Figur, die er ober dem Gibel setzt, hält er für einen bonus eventus; ich würde, im Fall die Stellung sich bewährte, die beyden Figürchen für homerische Keren erklären. – Wegen der Umrisse Ihrer Zeichnungen zu Schillers Eleusinischem Fest habe ich noch keine Antwort von Cotta, hoffe dieselbe aber jeden Tag zu erhalten. Hoffentlich haben Sie darüber noch nicht disponirt. Ich hätte früher Cotta gefragt, wartete aber immer auf das Exemplar, das Sie mir schicken wollten, um es ihm vorzulegen. Sollte Cotta nicht annehmen, so werde ich einen Versuch bey Artaria machen. Vielleicht lasse ich diesen Brief noch liegen, um Ihnen gleich die Antwort melden zu können. –
Mit dem größten Vergnügen würde ich Ihnen die gewünschten Werke aus Deutschland besorgen; auch wär’ es meine Schuldigkeit, aber ich bitte Sie aufrichtig, mich davon zu dispensiren. Ich bin ein sehr schlechter Commissionär und noch schlechterer Rechner. Da ich nun ohnedieß in Ihrer Schuld bin, so würde dieß nur Confusion geben, anstatt daß ich jetzt die runde Summe leichter behalte. Ich denke beständig daran, was ich Ihnen zu ersetzen habe; allein mancherley Unglücksfälle haben in den letzten Jahren mich so weit zurückgesetzt, daß ich nicht daran denken konnte. Vertrauen Sie mir nur soviel, daß es nicht vergessen wird, und daß ich alles anwende, meine Schuldigkeit abzutragen. Vielleicht will mir das Glück einmal noch so wohl, Ihnen diese lang daurende Nachsicht auf die eine oder andre Art vergelten zu können. Wegen der Bücher will ich Ihnen noch einen Vorschlag machen. Cotta sollte und wollte Ihnen das Honorar für die Ägin˖[etischen] Figuren schicken und schrieb mir, es wäre bey den Herrn Heyder et Com˖[pagnie] in Augsburg angewiesen. Vielleicht hätte ich Ihnen dieses melden sollen, damit Sie auf dieses Haus ziehen konnten. Da Sie nichts davon erwähnen, so muß ich schließen, daß Sie nichts erhalten haben. Vielleicht kann ich es so einrichten, daß Cotta durch Gelegenheit, die es auch immer von Stuttgart aus gibt, Ihnen statt Geldes Bücher schickt. Wenn Cotta dieß eingeht, so werde ich so viel Bücher für Sie bestellen, als das Honorar ohngefähr beträgt, nur vom Nonn˖[us] Dionys˖[iaka] existirt bis jetzt keine Übersetzung, obgleich eine angekündigt ist. Ebenso von Aristophanes. –
Seine K˖[önigliche] Hoh˖[eit] der Kronprinz sind so schnell von hier abgereist, daß ich durch diese Gelegenheit zu meinem Bedauren nicht schreiben konnte. Melden Sie mir doch etwas über Seiner Kön˖[iglichen] H˖[oheit] Aufenthalt in Rom und inwiefern Sie sich mit Ihm über die Glyptothek etc. etc. näher erklärt haben.
Nun will ich vor der Hand schließen; geht in einigen Tagen ein Courier, so erhalten Sie den Brief durch diesen und dann auch die Antwort von Cotta. Wo nicht, so will ich dieß Schreiben nicht aufhalten, und schicke diese Antwort mit andrer Gelegenheit.
Leben Sie recht wohl, bester Giovanni, zählen Sie immer auf meine innigste Freundschaft und bleiben Sie auch mir, wie sonst, gut und freundlich.
Ihr
treuerg[e]b[en]st[e]r
Schg.
Den .
Auch dieser Brief ist nun wieder fast einen Monat liegen geblieben. Die Ursache war, daß Herr von Cotta (er ist kürzlich geadelt worden und Preußischer Geheimerrath) mir schrieb, er wolle die Antwort selbst bringen, indem er hier durch nach Italien reise. Allein seine Ankunft verzögerte sich bis . Er kommt nun also selbst nach Rom; ich werde ihm zwar nicht diesen Brief an Sie mitgeben, weil Herr von Cotta vor nicht in Rom eintrifft, aber einen andern, damit Sie sogleich seine Bekanntschaft machen. Ich hoffe gewiß, er soll Ihr Werk übernehmen, wenigstens eher als auf meine Empfehlung, da er fest zum Grundsatz sich gemacht, nicht nach Empfehlungen zu handeln. Er kann Ihnen nun auch das Kleine Honorar für die Ägin˖[etischen] Figuren selbst auszahlen, ich habe ihn darum ersucht. Auch können Sie wegen Bücherlieferungen mit ihm sprechen, ich bin überzeugt, er wird sich gern dazu verstehen. Suchen Sie mit diesem Man recht gut bekannt zu werden, er ist der Freundschaft empfänglich und durch seine Verhältnisse, im Stande
Daß der Aufsatz über die affectirt alt-deutsch-religiöse Kunst unter den Künstlern nicht wenig Bewegung machen würde, war zu erwarten. An Besserung ist freilich bei diesen Leuten nicht zu denken. Der Aufsatz ist übrigens nicht von Goethe selbst, sondern von Meyer. Das Schlimmste ist, daß über diesen Bestrebungen die Kunst selbst vernachlässigt wird und auch die Bessern misleidig werden. Nehmen Sie mirs nicht übel, lieber Giovanni, aber Sie konnten und könnten noch jetzt, wenn Sie wollten, der Kunst eine andre und bessere Richtung geben. Es ist Sünde und Schande, daß Sie nicht Mehreres und Größeres schneller ausführen. Ich weiß wohl, daß die Geschichte für den Kronprinzen Ihnen viel Zeit geraubt, aber ganz können Sie sich damit nicht entschuldigen. Sie wären der Mann, sich jenem Unsinn kräftig und werkthätig entgegen zu stellen. –
Diesen hatten wir Kunstausstellung, die viele Kritiken veranlaßt hat. Besonders sind die beyden Langer hart angegriffen worden; der jüngere hat sich jetzt in die Manier von Correggio geworfen, aber wie mir scheint, sehr unglücklich. Sein früheres Bild (ein Altarblatt für eine hiesige Kirche) war unvergleichlich besser als die letzten Gemälde. Nun Gott befohlen, und lassen Sie mich bald wieder von sich hören.