Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Herr Direktor!

Wenn Sie mein langes Stillschweigen etwa meiner Vergeßlichkeit zuschreiben, so thun Sie mir sehr Unrecht. Denn es kann sonst Niemand in Ihrer Nähe seyn, ohne daß dadurch tiefe Einschnitte in seinem Gedächtnisse entstünden; vielweniger aber vermöchte ich Ihr Andenken in meinem Gemüthe zu verwischen. Schon meine Art, die Menschen zu sehen und sie zu fühlen würde es mir unmöglich gemacht haben: was denn erst das innigere Verhältniß, dessen Sie mich gewürdigt haben? Nein, die Natur hat mir ein viel zu warmes Herz gegeben als daß es für diejenigen, die ich einmahl verehren und lieben gelernt habe, erkühlen könnte. Seit unserer für mich so schmerzlichen Trennung ist mein Geist oft bey Ihnen gewesen, und wenngleich mein Beruf 120 Meilen zwischen uns gesetzt hat, so trägt mich doch die Einbildungskraft in lebensvollen Träumen zu Ihnen zurück, in Ihr Haus, unter Ihre muntern Kinder, in Ihre Gesellschaft, in die Wälder von Erlangen und zu den geliebten Schuberts und Pfaffs . Warum ich aber eine so geraume Zeit habe verstreichen lassen, ohne zu schreiben, daran ist die immerwährende Ungewißheit meiner Lage Schuld. Ich wollte Ihnen nähmlich, weil Sie nun einmahl so gütig sind, an meinem Schicksale Theil zu nehmen, darüber etwas Bestimmtes und in letzter Instanz Entschiedenes berichten und wartete immer darauf, um nicht noch einmahl schreiben zu müssen, was wohl für mich ein Vergnügen wäre, wenn ich nur nicht eingesehen hätte, daß man Ihnen oft mit Briefen nicht beschwerlich fallen dürfe. Selbst jetzt ist noch nicht Alles darüber ins Reine gebracht, was aus mir werden soll; dennoch unterbreche ich mein Stillschweigen. Denn auf der einen Seite hat mich der Umstand, daß ich unter den zur letzten Michaelis-Messe herausgekommenen Büchern Ihre Vorlesungen über Mythologie nicht aufgeführt sah, in die allergrößte Unruhe versetzt, ob Sie nicht vielleicht durch einen traurigen Zufall an der Beendigung verhindert worden sind. Ferner wissen Sie wohl, wie sehr das Uibel, an dem Ihre liebenswürdige und in ihrer Art einzige Frau Gemahlinn leidet, an meiner Zufriedenheit nagt; ebenso wie sehnsuchtsvoll ich den Erfolg der Karlsbader Kur abwartete, worüber ich nun nicht das Mindeste weiß. Und aus diesem Grunde möchte ich Sie gerne veranlassen, mir in der möglichstkürzesten Zeit Nachrichten von Sich zu geben. Auf der andern Seite, wenn über den philosophischen Lehrstuhl zu Wilna endlich zu meinen Gunsten entschieden werden sollte, so ist es möglich, daß ich auf eine so schnelle Weise von hier weggerafft würde – und es könnte dieß vielleicht nächster Tage geschehen – daß, wollte ich Ihnen erst dann schreiben, ich Ihre Antwort kaum abwarten könnte und sie in jenem Lande weiß Gott wann? und ob? erhalten möchte.

Nachdem ich Erlangen verlassen hatte, setzte ich meine Reise über Koburg, Jena, Naumburg, Merseburg, Leipzig, Oschatz, Großenhayn, Bautzen u.s.w. so schnell als möglich fort, labte mich ungefähr anderthalb Tage an dem vortrefflichen Steffens zu Breslau und betrat zu Krakau den heimischen Boden wieder. Von da aus nahm meine Reise eine so herumschweifende Richtung, daß ich wohl an hundert Meilen gemacht haben mag, bevor ich und zwar erst am v˖[origen] J˖[ahres] in Warschau ankam. Sonst pflegt die Rückkehr ins Vaterland für Jeden ein Fest zu seyn; mich aber hat sie in die allertiefste Trauer versetzt. Der Verlust eines geliebten Bruders wäre schon dazu hinreichend gewesen; nebenbey aber habe ich so viel Herbes und Bitteres gefunden – auch abgesehen von der bloß persönlichen Beziehung – daß das Maas vollends gefüllt wurde. –– Da mich der Weg durch Pulawy, die prachtvolle Villa des Fürsten Czartoryski führte, und er sich zufälligerweise daselbst befand, so besuchte ich ihn ohne weiters und erfuhr zugleich von ihm bey dieser Gelegenheit, welch eine mißliche Wendung meine Angelegenheit in Petersburg genommen hat. Meine Abhandlung nähmlich, obgleich einstimmig von der Universität zu Wilna gekrönt, wurde wie bekannt noch einmahl nach Petersburg vor den Richterstuhl geladen, und da sie in einer fremden Sprache geschrieben war, zum Uibersetzer übergeben. Unglücklicherweise fiel dieses Geschäft in die Hände eines unwissenden und übelwollenden Menschen, der sich nur auf einen kurzen Auszug einließ, dafür aber seine Meinung darüber weit und breit auseinander setzte. Hier wurde nun meine Abhandlung sehr übel mitgenommen, zerrissen, verfälscht und auf eine unwürdige Weise verdreht, kurz es wurde ihr auf eine versteckte Weise beynahe Alles, was in gegenwärtigen Umständen den Regierungen verhaßt ist Schuld gegeben, so daß ich, wie himmelschreyend auch übrigens diese Ungerechtigkeit seyn mag, doch ganz bestimmt verloren war, wenn nicht der Fürst Czartoryski als Kurator der Universität auf eine überaus würdevolle Art meine Vertheidigung in einem besondern von ihm eigenhändig aufgesetzten Mémoire unternommen hätte, und eben war er im Begriffe es nach Petersburg abzusenden, als ich bey ihm eintraf. Auf diese Weise ist der sinkenden Sache wieder aufgeholfen worden, und eben vernehme ich, daß die Gegenvorstellung des Fürsten im Ministerialrath bereits glücklich durchgegangen wäre, so daß nichts weiter als die Entscheidung des Ministers für sich genommen fehlte. In Berlin, wie mir geschrieben wird, will man sogar wissen, die Bestättigung wäre schon wirklich erfolgt; ich aber bin in dieser Sache so ein Thomas geworden, daß ich ganz und gar daran zweifle und mir nicht das mindeste Gute davon verspreche. – Meine projektirte Reise nach Petersburg mußte ich ganz und gar aufgeben. Doch habe ich das Schreiben, das mir unser Freund Schubert an B[a]r˖[on] Aderkaas mitgab, befördert, weiß aber nicht, ob er ihm wirklich zugekommen ist. Pfaff’s Auftrag nach Dorpat konnte ich auch noch nicht besorgen.

Während dem es nun mit meiner Angelegenheit in Wilna nicht von der Stelle will, geht die Sache hier auch nicht besser. Nicht, als ob man mir hier entgegen wäre; denn darüber kann ich mich keineswegs beklagen. Das Ministerium wünscht vielmehr aufrichtig und einstimmig meine Dienste in Anspruch zu nehmen und mich gut zu versorgen: leider nur hat es kein Geld und mir ist mit dem bloßen Wunsche nicht geholfen. Doch erhielt ich gerade dieser Tage auf den Betrieb des Staatsraths Szaniawski einen speciellen Auftrag vom Ministerium, über alle Bücher, welche dem öffentlichen Unterrichte zu Grunde liegen, ob sie ihrem Zwecke entsprechen? und wie sie zu vervollkommnen wären? u.s.w. einen wissenschaftlichen Bericht abzustatten. Der Gehalt ist freylich nur 500 Thaler. Es wird aber auch nicht bey dieser Summe und nicht bey dieser Stelle bleiben, wenn nur dem Ministerium größere Fonds bewilligt werden. – Meine letzte Schrift soll, wie mir eben gesagt wird, in Oesterreich verbothen seyn. Das möchte ich doch gerne wissen, warum? Auch muß man später erst daran Anstoß gefunden haben, denn früher war sie ja frey. Die deutschen Blätter, die sich darüber haben vernehmen lassen und die mir zu Gesichte kamen, sind ziemlich gnädig damit umgegangen, nahmentlich: die Leipziger Lit˖[eratur]Zeitung (was viel ist) die Jenaische Lit[eratur]z˖[eitung] und das Liter˖[arische] Konversationsblatt. Mehr habe ich nicht gefunden.

Ich bitte Sie innigst, mir so bald als möglich und so viel als möglich zu schreiben, und mich aus der peinigenden Unruhe, in welcher ich wegen Ihrem und Ihres Hauses Wohlbefinden bin, herauszureißen. Auch liegt nicht nur mir sondern vielen andern daran zu wissen, ob Sie gegenwärtig Vorlesungen halten, und nach halten werden; ebenso wo Sie sich im befinden werden. Denn, sollte es mir nur einigermaßen möglich seyn, so dürfte ich kaum der Sehnsucht widerstehen, mich wieder in Ihrer Nähe, wenn auch nur einige Tage, zu befinden; gleichwohl kann ich darüber nichts Bestimmtes aussagen, außer daß es nur im und lauf[endes] J˖[ahres] geschehen könnte. Gegenwärtiges Schreiben erhalten Sie durch eine Mittelperson in Berlin, die Antwort aber könnte auf direktem Wege über Breslau gehen.

Der Winter trat hier bey uns, nachdem es bis zur v˖[origen] J˖[ahres] geschienen hatte, daß er gar nicht kommen würde, um dieselbe Zeit ein und hält immerwährend mit einer furchtbaren Strenge an. Die größte Kälte hatten wir den , wo sie auf –22°, –23°, –24° R. war. Wie viel größer muß sie da nun erst in Erlangen gewesen seyn? – Die Mondesfinsterniß war bey uns herrlich zu sehen. Seit der Zeit nimmt die Kälte ab; gleichwohl ist sie gegenwärtig auf –16° R.

Nun ist es wohl hohe Zeit, diesen Brief zu schließen. Ich empfehle mich Ihrer werthen Frau Gemahlinn, und küsse Ihre muntern Knaben, und das gute Linnchen, und das verständige Julchen. Wie befinden sie sich alle? – Eben so Ihre Geisterkinder, die mythologischen Vorlesungen, und die Weltalter? Wir sehen Ihnen mit Sehnsucht entgegen. Meine alten und hochgeschätzten Freunde, die Schubert’schen und Pfaff ’schen Völker, grüße ich herzlich; so auch den Gr˖[afen] Platen.

Ich bitte Sie nochmahls, Herr Direktor, sich ja meiner zu erinnern und die Versicherung meiner Verehrung und Freundschaft anzunehmen
Ihr ergebenster

J Goluchowski ##

Der Staatsrath Szaniawski empfiehlt sich Ihnen, ich wohne in seinem Hause (auf der neuen Welt No. 1283) wohin Sie auch zu adressiren belieben, wenn Sie mich mit einem Schreiben beehren werden. – Dieser Brief geht von hier den ab.