Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Geehrtester Herr von Schelling!

Vor Fülle der Gegenstände weiß ich nicht, wo ich vorerst anheben soll. Über viele Dinge möchte ich Sie um Ihre Meinung fragen; Über so manches mit Ihnen sprechen, allein wir sind leider zu weit auseinander. Und mit dem Schreiben ist auch nicht viel geschen; es ist eine viel zu langweilige Art sich mitzutheilen, besonders wenn die Gegenstände der Unterhaltung zu reichhaltig sind. – Erstlich möchte ich über meine eigene Lage mich mit Ihnen berathen: Immer weiß ich noch nicht, was aus mir werden soll, ob man mich hier lassen will, oder auf irgend eine Art in Deutschland anzustellen gedenkt: Ich bin zu beiden gleich bereit; beides hat seine vortheilhafte Seite, nur muß es auf eine annehmbare, schikliche Weise geschehen. Ich habe schon oft S˖[eine] K˖[önigliche] H˖[oheit] dem Kronprinzen gebethen, mir hierüber einige Aufschlüsse für die Zukunft zu geben, damit ich mich gewissermasen in meinen Verhältnissen darnach richten könne: Aber immer weiß er mich mit schönen Worten hinzuhalten. Ich habe neuerdings, und zwar bestimmt darum angesucht, und stehe nun in Erwartung was erfolgen wird. – Ich würde gerne in Rom bleiben, denn dieses hat viel Gutes, und unerschöpflich Schönes für den Kunstliebenden. Deutschland hat wieder in anderer Hinsicht seine Reitze: Beide sind unvereinbahr, desswegen ist es mir nun fast vollkommen gleich, ob man mich hier lassen will, oder ob man mir im Vaterlande eine Stelle geben will. Die Vortheile und Nachtheile beider Örter heben sich fast gleichmäsig gegen einander auf. Doch möchte ich fast als Künstler Rom den Vorzug geben. Alles zu vereinbahren ist uns nicht vergönnt, etwas müßen wir immer missen. Des wegen lasse ich den Himmel walten. Ich habe einen grosen Glauben an die Nemesis = der weisen, unerforschlichen Gerichte Gottes = was diese thut ist immer wohl gethan. – Sollte Ihnen unterdessen in München etwas zu Ohren kommen, so bitte ich Sie um Nachricht, und zugleich um ihren freundschaftlichen Rath, wie ich mich in der Sache zu verhalten habe, und um Verschwiegenheit des Ihnen mitgetheilten. –

Durch Baron von Steinlein werden Sie nun hoffentlich jene Blätter erhalten haben, die Solcher Ihnen zu überbringen die Güte hatte. Es ist meistens dolles Zeug, wie Sie wohl am besten einsehen werden, deswegen will ich auch nicht, daß Gebrauch davon gemacht werde, doch wünsche ich von Ihnen ihr Urtheil darüber zu hören. Freilich läst sich wenig darüber sagen, da der Aufsaz grade da abgebrochen worden, wo die eigentliche Entwiklung der Sache beginnen sollte. Ich werde Ihnen aber auch das andere schiken, da ich mir nun einmal vorgenohmen habe, die Entwiklung der frühern Kunst in Griechenland nach meinen Ansichten im Zusammenhang aufzustellen. Was Herr Hofrath Hirt von dem Aeginetischen Stil, im Gegensatz zum Attischen sagt, ist meiner Meinung nach, lächerliches Zeug. Seiner Meinung zufolge würde nun alles was man bis irrig Hetrurisch genannt hat, auf einem male alles wieder Aeginetische, und worin der älteste Attische Stil bestanden, wüsten wir sodann eben sowenig, als wir vorher den Aeginetischen Stil kannten. Dieß hiese eine Wiedersinnigkeit mit der andern vertauschen. – Unser gröster Irrthum liegt meiner Meinung nach darin, daß wir den Unterschied zwischen dem ältesten Attischen, dem Aeginetischen und Hetrurischen oder Tuskischen Stil zu hervorspringend, zu in die Augen fallend glauben. Diese verschieden benannten Stile können nur sich nur durch wenig auffallende Nüanzen unterschieden gewesen sein. Denn jenen Conventionellen Stil, den wir an den Aeginetischen Werken auch erbliken, finden wir gleichfalls, an den sogenannten Hetrurischen, und überhaupt an allen früheren Werken Griechischer Kunst durchgängig. Es war der damals allgemein gangbare Stil der Kunst, dem ich deswegen, seiner Allgemeinheit wegen, den Altgriechischen benennen möchte, und von dem der ältere Attische, der Aeginetische, und Tuskische Stil sich blos durch geringe Abweichungen unterschieden haben möchten, welche genau bezeichnen zu wollen, uns bey der Unzulänglichkeit der Dokumente sehr schwer fallen wird, und immer noch vieles zu wünschen übrig lassen wird. – Die Beschreibung die Herr Hirt von den Aeginetischen Werken im Einzelnen gibt, ist ganz und gar unrichtig, und hat ihn zu vielen Irrthümern verleitet. So hat er z.B. einen weiblichen Kopf, den ich in meinem Berichte auf Pagina 36 beschrieben, dreimal verschieden genohmen, daß ist, er hat denselben Kopf, drei verschiedenen Figuren zugleich zugetheilt. Was er ferner als Erklärung des Gegenstandes selbst beybringt, hat nun vollends gar keinen Halt: überhaupt ist alles, was er über diesen Punkt sagt völlig aus der Luft gegriffen. Auch bin ich noch gar nicht überzeugt, daß dieser Tempel, in dessen Ruinen diese Figuren gefunden worden, wirklich der Tempel des Jupiters Panhellenios sey. Wenigstens haben wir nicht das geringste, welches uns über diesen Punkt einige Gewißheit gäbe. Ich bin daher vielmehr der Meinung, daß es ein Tempel der Minerva gewesen. Denn daß in beiden Giebeln eine Minerva als Hauptfigur steht, scheint mir allzuwichtig zu sein. Denn wenn dieser Tempel der des Jupiters gewesen, so müste doch irgendwo Innen oder in den Giebeln die Figur des Jupiters oder etwas vorkommen, was auf ihn einigen Bezug hätte. – Das übrigens ein berühmter, der Minerva geheiligter Tempel auf Aegina war, sagt uns Herodot ausdrüklich (3. Buch 59. Cap.) Wo es heist, die Aegineten hätten die Samier zur See geschlagen, und solche samt den Kretern unter ihre Bothmäsigkeit gebracht; Ihren Schiffen hätten sie die Schnäbel abgeschlagen, und solche zu Aegina in dem Tempel der Minerva aufgehangen.« Dieß müße also ein sehr berühmter Tempel auf dieser Insel gewesen sein, weil man vorzugsweise daselbst diese Trophäen aufgehangen hat. Vielleicht (doch nur Vielleicht) daß sogar in unsern Figuren das Gefecht dargestellt war daß die Aegineter gegen die Samier und Kreter gehalten. Doch dieses möchte ebenso schwer zu beweisen sein. – So viel scheint gewiß zu sein, daß der Künstler, nicht ein besonderes, auf gewisse Personen sich beziehendes Factum habe vorstellen wollen, sondern ein bestimmtes Gefecht, doch nur im Allgemeinen ohne besondere Beziehung auf die dabey handelnden Personen. Wenigstens geben uns die Figuren gar nichts welches uns berechtigen könnte sie für diese oder jene Mythische oder heroische Personen zu halten. Herr von Bronstädt zerbrach sich schon lange den Kopf darüber, was eigentlich die Vorstellung dieser Figuren sey: Allein bis jezt waren alle seine Bemühungen vergebens. Auch er ist mit mir einverstanden, daß es eine grose Anmasung sey, diese Figuren, wie Herr Hirt gethan, alle mit ihren Nahmen zu taufen, Und mit jener läppischen Selbstzufriedenheit auszurufen, Und siehe da, das Räthsel ist gelöst. = Ich hatte Ihnen schon früher in meinem Schreiben vom datirt über manches und vieles geschrieben, was dahin einschlägt, und mir recht sehr ein Gutachten von Ihnen hierüber gewünscht. Sollte ich denn immer bey Ihnen, Geehrtester Herr von Schelling, dessen Briefwechsel mir so wichtig ist, grade das Unglük haben; daß mir die Briefe verlohren gehen. Sollte es wirklich der Fall sein, daß Ihre Briefe unterschlagen werden, so geschieht solches in München, nicht aber in Rom. Richten Sie gütigst, wenn Sie hinführo durch die Post schreiben, meine Adresse folgendermasen ein. G.M. Wagner. Pittore Tedesco = al Vicolo del Colleggio Capranica. Nro 4. al quarto Piano, preso Sig[no]re Concioli Architetto. Auf diese Weise werde ich vielleicht Ihre Briefe sicherer erhalten.

Dieses Schreiben wird Ihnen Chev˖[alier] von Thorwaldson, oder Maler Lund, dessen Reisegefährte selbst überbringen, Welche von hier über München, Wien, Warschau, Berlin nach Copenhagen abreisen werden. Er wird sich nur wenige Tage in München aufhalten. Ihm besonders empfehlen zu wollen, wäre meiner Seits eine lächerliche Sache; Ein Mann der bekannt ist, wie dieser empfiehlt sich ja schon von selbst zur Genüge. Desswegen verliehre ich hiemit weiter keine Worte. Schreiben Sie mir gütigst doch auch etwas von München = von unseren Landesständlern, und dem Resultate ihrer Sitzungen = von dem Baue der Glyptothek, und der bereits begonnenen Ausstellung der Antiken. Ferner etwas von dem Wesen und Treiben der Akademischen Mitglieder, und was sonst Neues sich im Fache der Künste und Wissenschaften ergeben hat. Was hat man neues von unserm abentheuerlichen Spix, und Socius Ringseisen, dem Reformator. Vorzüglich aber wünsche ich etwas von Ihnen selbst zu erfahren. Ich freue mich recht sehr, mich einmal mündlich wieder mit Ihnen unterhalten zu können. Warum machen Sie nicht einmal eine Reise, auch nur auf 3 oder 4 Monathe nach Rom, So daß ihr ganzes Ausbleiben sich etwa auf 6 Monathe beliefe. Es würde gewiß für Sie von groser Wichtigkeit sein. – Unterdessen vergessen Sie nicht mich bald mit einigen Zeilen zu erfreuen: Sie können nicht glauben, wie sehr ich darnach lechze, einmal wieder ein paar Worte des Glaubens von Ihnen zu hören.

Empfehlen Sie mich gütigst allen Freunde und Bekannten, und vergessen Sie Ihres treu ergebensten J. M Wagner nicht.
Leben Sie recht vergnügt und wohl.