Schelling

Schelling Nachlass-Edition


An

Frau Directorin von Schelling

aus Erlangen

Carlsbad

im weißen Hirsch auf dem Markt.

Böhmen

Frey Gr[än]ze.

No. 9.

No. 15.

Als ich Abend zu Hause kam, glaubte ich nicht noch einen Verweis zu finden, darüber daß ich einmal am geschrieben , auch hätte ich nicht erwartet, als Grund, warum es an Stoff mir nicht fehlen müßte, meine höchst allgemeine Eigenschaft als homme de lettres, die ich mit jedem Zeitungsschreiber gemein habe (dem es an Stoff allerdings weniger gebrechen möchte) citirt zu sehen. Hätt’ es Dir denn wohl zu Deiner Cur etwas nützen können, wenn ich Dir von Berzelius (nicht Perzelius) Analyse des Sprudels geschrieben hätte oder konnten die großentheils Dir kaum dem Namen nach bekannten Bestandtheile Dich auch nur interessiren? Die besten Versuche, die Du mit dem Sprudel machen kannst, sind die Du an Dir selbst anstellst und da die Stoffe, an denen ich als homme de lettres etwa Überfluß habe, mit denen des Wassers nicht wohl sich vertragen und den eingeleiteten Proceß eher stören als fördern könnten: so ist es ja wohl natürlich, wenn ich von diesen keinen Gebrauch mache, Dich zu unterhalten.

Unsre Partie nach N[ürn]berg war kein kleines Fest für die Knaben, die einmal dort wieder Militärmusik, Kirchenparaden, Kanonenschüsse etc. wegen des königlichen in reichlichem Maße zu genießen hatten. Den Vormitt[a]g übergab ich sie der Köchin, die sie mit großer Geduld überall herumführte: ich trieb mich inzwischen mit Freund H˖[äcker] um, der mir sehr viel Schönes an Dich auftrug und mir unter andern noch erzählte, daß die Somnambule des Dr. O. auf die erste Frage gleich geantwortet: Dein Übel sey nicht gefährlich, es werde vergehen wie es gekommen sey. Die Table d’hôte war ein zweytes Fest für die Knaben. Paul benahm sich dabey sehr vernünftig und mäßig, Friz ließ es sich aber nicht nehmen, so viel als nur möglich zu essen. Der Unterschied zwischen Nürnberg und hier war recht fühlbar, das herumgegebne Gemüse bestand in Bohnen, wovon hier noch keine Spur zu finden – Gurken versteht sich im Überfluß. Die Spargeln sind dieß Jahr fast in keinem Preis, so viele hat es dort gegeben. Nach Tische reiste H˖[äcker] mit dem hiesigen Landrichter ab und ich begab mich blos mit Dittmar, dem H˖[äcker] auch seinen 2ten, inzwischen eben nicht viel weiter gekommnen, Sohn übergeben hatte, zu Raumers, die mich zum Essen gebeten hatten, die ganze Anstalt, Haus und Garten, haben mir ungemein wohl gefallen und ich habe mich mit R˖[aumer] und den übrigen Lehrern, besonders dem hübschen jungen Thüringer, den Du hier gesehn hast, so gut unterhalten, daß ich bis gegen 7 Uhr blieb, und erst ohngefähr 1/2 8 Uhr wieder abreiste. Ich läugne nicht; wenn wir die Mittel dazu hätten, und ich sicher wäre, daß der philologische Unterricht für Paul (dessen Talent doch entschieden auf Sprachen geht) hinlänglich wäre, die Versuchung nicht gering seyn würde, die beyden Jungen dahin zu thun; für Friz, dessen Richtung mehr practisch und reell ist, wäre die Anstalt ganz gemacht. R˖[aumer]’s Einfluß ist gewiß unschätzbar, wegen seiner allseitigen Bildung, indem er einerseits die Weihen der Naturwissenschaften besitzt andrerseits auch, wie ich mich zu überzeugen Gelegenheit hatte, in Sprachen und Litteratur nichts weniger als Fremdling, und besonders auch in Lebenserfahrung nicht arm ist. Das Verhältniß der Kinder zu den Lehrern ist so schön und herzlich, daß man es nicht besser sich denken kann, auch gedeihen sie herrlich, wie ich unter andern an dem kleinen Ludwig Kerstorf geseh’n, der aus einem schwächlichen Jungen ein kräftiger, mit starken, ausgesprochnen Gesichtszügen, geworden ist und sich kaum mehr ähnlich sieht. Frau von R˖[aumer] macht wirklich die Mutter der Kinder, sie essen mit dieser zusammen an 2 großen Tafeln in einem schönen Saal, durch dessen Fenster sich von allen Seiten die Äste dichtbelaubter Bäume hereinstrecken. Ich müßte mich sehr irren, oder beyde sind in ihrer Lage sehr glücklich und vergnügt. Die Frau hat mir besonders viel Schönes für Dich aufgetragen und versichert, daß Du ihr ganzes Herz gewonnen habest. Unsere Knaben waren etwas verduzt, sich auf einmal unter so viel Cameraden versetzt zu sehn, inzwischen hat es ihnen so wohl da gefallen, daß sie gleich fragten, ob in Nürtingen auch ein solcher Garten sey und ich fürchte, die dortige Enge wird ihnen gegen diese Weite weniger behagen.

Ich habe inzwischen bey Schubert den Brief von Planck gesehn, worinn dieser denn wirklich ankündigt, daß da er auf den einige seiner Kostgänger verliere, unsern Kindern sein Haus mit Freuden offen stehe. Ich bekenne, daß dieser Gang mir in sofern nicht ganz gefällt, als es, wahrscheinlich nach dem überflüssigen Gerede von Bucher, doch immer das Ansehn hat, als ob uns eine außerordentliche Gefälligkeit erzeigt würde, daß ich wegen der Schlafstätte der Kinder und einiger andern Puncte gern noch einige Bedingungen gemacht hätte. Überhaupt kann ich auch in andrer Hinsicht, bey den andern Lasten die auf uns liegen und durch den Zustand meiner Gesundheit, für die ich wenigstens niemals sicher seyn kann, vermehrt werden, nicht so ruhig dabey seyn, als ich wohl wünschte. Bey meinem so vielfach in seiner Gleichförmigkeit unterbrochnen und zerstückten Leben ist es wohl natürlich, wenn ich mich vor allen Zwischenfällen fürchte.

An Merkel’s habe ich nun die runde Summe von 150 fl. auf Abrechnung bezahlt, und eine Bestellung wegen Wein gemacht.

Neues kann ich Dir von hier, weiter nichts melden, als etwa von einem Aufzug von Baireuther Studenten, mit 6 blasenden Postillionen als Vorreitern und ohngefähr 15 Wagen, worinn je nur 2 sich befanden, eben so geistlos, faul und in ihrer Dummheit sich gleichsam würgend, daß es ein unerträglicher Anblick war; manche so ruppig aussehend und so schlecht gekleidet, daß man sie eher für Bettler als Studenten angesehen hätte. Eine solche Abgeschmacktheit des Vergnügens und Großthuns ist mir doch noch nirgends vorgekommen.

Auf heute Abend bin ich von Schubertszu dem gewöhnlichen Ulrich, den eben auch die neu Vermählten mit ihrer Gegenwart verherrlichen werden, eingeladen. Ich sehe daraus, daß sie noch hier sind. Hättest Du mir also das Schreiben am Freytag nicht so sehr verpönt, so könnte ich Dir morgen gleich Bericht erstatten.

Der König trifft heute Nachm˖[ittag] in Nürnberg ein. Eine Deputation der Univ˖[ersität] und des Stadt-Magistrats wird sich auch dahin verfügen. Ich hätte wohl leicht auch zu einer Audienz gelangen können, da der König überall sehr zugänglich und affabel ist, und Drechsel dort als General-Commissär die Honneurs macht. Aber ich fühle gar keinen Drang, durch die Menge mich durchzudrängen.

Ich wünsche nur, immer die gleichen guten Nachrichten von Dir und unsern Kindern zu erhalten, die ich Dich bitte, herzlich von mir zu grüßen und zu küssen. Eine weitere Veränderung oder Abnahme hast Du in den 4 Wochen wohl noch nicht wahrgenommen? Beobachtest Du nicht die Excretionen, ob sie sich wieder eingestellt haben? Leb’ recht wohl und grüße auch Julchen von mir.