Mein innig geschätzter Freund!
Wie sehr mich Ihre Nachricht von der Erfüllung eines Ihrer angelegentlichsten Wünsche, und insbesondere die mit dieser Nachricht verbundene Aeußerung Ihres Freundes-Herzens erfreut und erquickt hat - kann ich Ihnen nicht sagen. Ich danke mit Ihnen unserer Regierung, daß sie in der Ihnen ertheilten vielseitigen Bewilligung einen neuen Beweis giebt, daß sie den vorzüglichen Mann auch vorzüglich und nach seinem eigenthümlichen Wesen zu ehren weist, und ich faße hierin die zuversichtliche Hofnung, daß die Regierung nun auch noch weiter gehen, und alle die Einrichtungen und Mittel zu finden wißen werde; Sie seiner Zeit wieder zu der geeigneten und vollgiebigen Wirksamkeit in dem universellern Residenz-Leben zurückzuführen. Daß Sie Erlangen, wofür ich aus früherer Zeit noch immer einige Vorliebe im Herzen trage, zu Ihrem einstweiligen Wohnsitze und Wirkungs-Punct gewählt haben, und daß man Sie dort – wie öffentliche Blätter bemerkten – mit Entthusiasmus empfangen hat – hat mich nicht minder erfreut; ich zweifle nicht: daß Sie dort den rechten Platz für Ihre gänzliche Wiedergenesung gefunden haben, und jene ausgezeichnete Aufnahme läßt uns erkennen: daß auch die Stürme der letzten in Deutschland das einmal angeregte Bedürfnis nach klarem Licht der Wißenschaft nicht ganz erdrücken konnten.
Mögen Sie, verehrter Freund, nun dieses Licht und seine Kraft in Geist und Herz recht vieler gutgearteter Jünglinge ausbreiten, möge es Ihnen gelingen recht tüchtige Denker, wohlgepanzerte Forscher und Thatkräftige Männer hervorzurufen, die da weiter zu fördern und zu erheben vermögen, was Ihre Kraft verfloßenen Jahr-Tausenden für Wißenschaft und Leben abgewonnen hat.
Aber eine Bitte müßen Sie auch geduldig von mir aufnehmen; wir haben die Sache einmal auf einem Spaziergang mündlich zu besprechen angefangen; sind aber durch die Kürze des Wegs unterbrochen worden. Nehmlich, daß Sie mit der Philosophie nicht in das Feld und das Leben des Christenthums übergreifen möchten. Die Philosophie gehört dem irdischen Leben in seiner höhern und weitern Bedeutung an; sie hat auf der einen Seite die Natur und auf der andern die Geschichte zum Object; zwischen beyden aber den menschlichen Geist, sofern er eine Natur ist, zum Subject, welches der christliche Philosoph nach den Gesetzen der Natur und der Geschichte zu einem dem Geist und den Lehren des Christenthums
Verzeihen Sie, Freund, wenn ich in dieser Aeußerung auch Ihre Ansicht verletzen sollte; wie wohl ich dafür halte: daß sie von Steffens seiner noch bedeutend abweicht. Aber ich bin nun einmal in dem Glauben festgewurzelt: daß im Christen ein durchaus neues Leben, ein neuer Geist beginnt; ein Leben, was zwar durch den Menschen abwärts mit der Natur und Geschichte verbunden bleibt, aber aufwärts als Christen-Leben so wenig wie Gott eine Natur ist oder eine Natur hat, sondern über alle Natur erhaben ist. Ein Leben, in welchem das Antlitz und das Angesicht Gottes auf uns ruht, in welchem er durch seinen Sohn rein, wie der Vater mit seinem Kinde spricht, und unter welchem alle Natur-Gabe, sie liege in oder außer uns, schlechthin als sein Gnaden-Geschenk besteht, das wir allein nach seinem Gefallen und zu seinem Preis verwenden sollen. Darum ist mir schmerzlich, wenn man im Christenthum von einer angebohrnen Individualität, und einer absoluten Entwicklung dieser Individualität sprechen will; es giebt im Christenthum keine Individualität, sondern alles was im Christen individuell ist, ergiebt sich in jedem Augenblick aus dem Gottes Ruf seiner Pflicht für seinen Nächsten; oder wenn man die bürgerliche Freyheit mit der christlichen Freyheit analogisiren will; letztere ist allein die Freyheit von der Sünde gegen Gott, die der Glaube an Christo zeugt, die Liebe, die da allem eigenen Willen, folglich aller Selbstheit verzichtet, um die ganze Kraft Gott und dem Nächsten zu opfern; wohingegen die bürgerliche Freyheit höchstens in einem Leben nach dem Gesetz bestehen kann. Darum muß auch der christliche Staat ganz anders geformt werden als der heydnische, und es ist vielleicht eine der wichtigsten Tendenzen unsers Zeit-Alters, daß es die noch aus dem Heydenthum übergegangenen, oder aus einem spätern Rückfall ins Heydenthum wieder aufgenommenen heydnischen Formen und Institute der christlichen Staaten unserer Zeit vollends zerbrechen will. Doch kann dieses Zerbrechen nur dann zum Guten führen, wenn die Gesinnung derer, die da neues beßeres aufbauen wollen, wahrhaft christlich ist.
Was macht die liebe, Herzens-liebe Frau Gevatterin? gefällt sie sich im stillen Erlangen? – Einige Spazier-Gänge sind allerdings anmuthig, und Sie werden von dieser Seite gegen München nichts entbehren, als den englischen Garten, und das hohe Isar-Ufer. Aber dagegen vermißt man in der Entfernung von München doch manches, manches andere. Indeß Ihre liebe Frau lebt vorzüglich in Ihnen und in ihren frischen Kindern, und darum hat sie doch den Haupt-Theil ihrer Welt bey sich; wenn nur Sie und die Kinder gesund sind.
Ihren Herrn Bruder und Schwägerin in Stuttgard habe ich ein paar mal, aber leider nur Augenblicke gesehen; auch Ihr kleines Mädchen, das gesund aussieht, und an der mitgebrachten Winter-Kleidung sich höchlich ergötzen konnte. Ihren Herrn Bruder hätte ich gar gern noch näher kennen lernen mögen, aber die Zeit war zu kurz. Er erschien mir als eine kräftige, aber stille sanfte Natur.
In Stuttgard habe ich mich ganz innig über Boißerés Bilder von Van Eyk und Hemmlink erfreut. Welch köstlicher Schmelz, welch wundervolle Kraft der Farben. Der H˖[erzog] Christoph, kaum ein paar Spannen hoch, wie steht er einem Riesen gleich mit seiner heiligen Last zwischen den Felsen, ausströmend den Licht-Glanz seiner Glaubens-Kraft. Und die heilige Feyer des Todes der Maria von Schorel; der glühende überirdische Farben-Ton lößt hier den Tod auf; er ist die Morgen-röthe eines neuen Lebens, die aus dem Innersten Marias aufstrahlt, und aus allem umstehenden wiederscheint. Wie körperlich, unklar sind in unserer Zeit die Farben, wie geistig, durchsichtig, idealisch waren sie damals.
Ueber den hiesigen Aufenthalt kann ich Ihnen nichts erfreuendes sagen. Speyer ist ein altes leeres Nest. Das Häuser-Werk wie gefärbte Bienen-Zellen zwischen grosartigen Ruinen. Die nahe Umgebung ist durch Menschen-Fleiß wohl bestellt, aber von Natur dürftig; und man überläßt dieser auch nichts als ihr Eigenthum; wo nur ein Pflänzchen haften kann, das etliche Kreutzer einbringt, da wird es sicher eingesteckt. Fast alles Leben wird von Eßen, Trincken, sogenannter Industrie und Schachern verschlungen; sie haben äußerlich wenig auffallende Armuth, aber innerlich einen entschiedenen Mangel an Reichthum. Gesetzlichkeit ist der Aushäng-Schild; Prellerey und Prahlerey die Tages-Ordnung. Es kann beßer werden, aber wohl erst nach Untergang zweyer Menschen-Alter; und wenn man von oben herab das Gute und Rechte ernstlich handhabt.
Nun à Dieu, theuerer Freund; ich gebe die Hofnung nicht auf: daß wir vielleicht nach wenigen Jahren wieder an einem Ort zusammen wohnen. Herzlichen Gruß an Frau Gevatterin und guten Kinder. Mit ganzer Seele
Ihr
Freund
ALv. Seutter
N.S.
Gestern habe ich von Dr. Wagen die Abhandlung über die Mumien mit einem Brief erhalten. Erstere noch nicht gelesen; aber aus letzterer zu meinem Bedauren ersehen: daß sich seine Aussichten zu einer Anstellung in München wieder mehr und mehr verliehren. Das thut mir ungemein leid. Könnten nicht Sie den Kronprinzen, welcher dieser Tage von seiner Reise in München eintreffen wird, auf Wagen aufmerksam machen laßen. Seine oekonomischen Verhältniße gestatten dem guten Mann kein längeres Abwarten.