Jena, den .
Ich habe so lange nichts von Ihnen gehört, mein theurer Freund, so lange, daß die Frage allenfalls erlaubt wäre, ob Sie sich meiner noch erinnern. Doch daran will und mag ich nicht zweifeln; obwohl ich mit Freuden eine dargebotene Gelegenheit ergreife, um Ihnen mein Andenken wieder etwas aufzufrischen.
Der Ueberbringer dieser Zeilen ist Karl Meyer aus Gotha, der früher in Breslau, dann hier sich der Philologie befleißigt hat und jetzt auf einer Ferienreise durch Süddeutschland begriffen ist. Ich mag Ihnen zum Lobe dieses Jünglings nicht viel sagen, eben weil ich ihn so sehr lieb habe. Sie werden schon selbst finden, was an ihm ist, wenn es ihm gelingt, die angeborene Schüchternheit zu überwinden. Nur dies will ich andeuten, daß sein ausgezeichnetes dichterisches Talent selbst unsers Goethe Aufmerksamkeit erregt hat. Er ist Naturdichter im wahren und edelsten Sinne des Worts, und Gottlob noch ganz unangesteckt von der wundersamen exotischen Krankheit, die jetzt unter unsern jungen Poeten grassirt.
Zu den widerwärtigsten Begebenheiten meines Lebens gehört, daß ich Sie vor anderthalb Jahren in Erlangen verfehlt habe. Ich hatte im das Bad in Wiesbaden gebraucht, machte dann einen langen Aufenthalt in Heidelberg und einen kürzeren in Stuttgart, und kam auf der Rückreise um nach Erlangen. Wie sehr ich mich auf dieses Wiedersehen gefreut hatte, kann ich Ihnen nicht sagen. Um so größer war mein Schrecken, als ich erfuhr, Sie seyen ganz vor Kurzem mit Frau und Kindern nach Stuttgart gereist. Vermuthlich sind wir an einander vorbeigefahren, wenn nicht gar in Nürnberg (wo ich zwei Tage verweilte) zusammen, vielleicht unter Einem Dache, gewesen. Was mich am meisten ärgert, ist, daß ich von der Anwesenheit Ihres Bruders in Stuttgart nichts wußte; wie leicht hätte ich sonst von ihm das Nähere erfahren können!
Von meinem litterarischen Treiben sage ich Ihnen nur, daß die vierte Auflage des Tasso (abermals sehr verändert) vor Kurzem erschienen ist, und daß ich Ihnen hoffentlich noch im Laufe dieses Sommers den sechsten Theil des Calderon übersenden werde. Die früheren Theile haben Sie doch alle richtig empfangen?
Wünschen Sie von unserm alten Jena etwas zu erfahren, so wird mein junger Abgesandter Ihnen Kunde geben. Viel Erfreuliches wird es nicht seyn. Der lange gehegte Wunsch, diesen ganz verfallenden Ort zu verlassen, reift allmählig zum Entschluß. Wahrscheinlich werde ich meinen künftigen Aufenthalt in Stuttgart nehmen, obwohl über das wann und wie sich noch nichts Bestimmtes angeben läßt. Ich wäre schon fort, wenn ich von dem Einpacken und Transportiren meiner Bücher, die leider schon multorum camelorum onus ausmachen, nicht so gewaltige Scheu trüge.
Ich gebe die Hoffnung nicht auf, mein theurer Freund, Sie recht bald wieder zu sehen; was dann leichter wird geschehen können, wenn der Thüringer Wald nicht mehr zwischen uns liegt. Bis dahin bewahren Sie mir ein freundliches Andenken; und wenn Sie zum Schreiben sich nicht entschließen können, geben Sie mir wenigstens durch Meyer einige Kunde von Ihrem Leben und Weben.
Ihrer lieben Pauline empfehlen Sie mich auf’s angelegentlichste. Ich hoffe, Sie werden ihr den jungen Landsmann vorstellen. Seine Mutter, die früher in Rinteln verheurathet war, lebt seit langen Jahren als Wittwe in Gotha.
Leben Sie wohl, mein theurer Schelling! Was ich am liebsten zu erfahren wünsche, ist, daß Sie und die Ihrigen gesund und heiter sind, und daß Sie mich nicht ganz vergessen haben.
Ihr
JD Gries.