Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Um den ganzen Thüringerwald, bester Schelling! bin ich Ihnen näher gerückt, und seit einigen Tagen hier in Schleusingen auf dem alten Schloß Henneberg, eine kranke Freundinn, die es lebhaft wünschte, durch meine Gegenwart ein wenig zu erheitern. Mein freyer Wille war freylich nicht bey der Sache, und so fällt denn auch die kleine Verdienstlichkeit weg, die allenfalls noch drinne läge. Höchst ungern, nur durch Zureden meiner Mutter und Schwestern konnte ich mich zu dieser Reise verstehn; nicht als hätte ich die kleinen Beschwerlichkeiten gescheut den Wald um diese Jahrszeit zu passiren; aber es schien mir so schwer, ja ich möchte sagen, beynah’ unmöglich, wenn auch nur auf kurze Zeit, mich wieder von denen zu trennen die meinem Herzen immer die Nächsten bleiben werden. Wer weiß in dieser Welt voll Zufälligkeiten, wie lange man sich eines harmlosen Beysammenseyns erfreut? – Hier hat mich auch zum ersten mal in meinem Leben, eine wahre Sehnsucht und das Gefühl des Alleinseins ergriffen; denn so freundschaftlich ich äußerlich mit diesen Menschen lebe, so sind wir doch innerlich zu himmelweit verschieden, als daß ich je in ein eigentliches Verhältniß zu Ihnen kommen könnte. So viel wie möglich laße ich dieß Gefühl nicht aufkommen, da ein heitrer Sinn hier doppelt noth thut, wo ich mehr Seelen- als körperlich-Kranke gefunden; auch geben mir 6 liebe, muntere Kinder eine große Erquickung, die mich nur zu gern in ihre kleine Welt ziehn, und ich begreife oft nicht, wie einer Mutter nicht schon bey ihrem Anblick jedes Misbehagen verschwindet.

Ihre beyden lieben Briefe, bester Schelling! haben wir zu unserem großen Vergnügen erhalten; jedes Wort was von Ihnen herfließt, ist uns unaussprechlich werth, und ich wüßte nicht, was irgend auf der Welt uns mehr Freude, mehr Genuß gewährte. Nur eins hat uns in etwas betrübt – daß wir Sie so bald nicht sehn sollen; wir hatten wohl selbst die Hofnung schon aufgegeben, aber wie dem auch sey, im Augenblick, wo man die Gewißheit so entschieden vor sich sieht, fällt es ein doch noch oft aufs Herz und man fühlt, man konnte sich nicht ganz von einem Plan los sagen, mit dem man sich lange mit Lust beschäftigte.

Auch für jedes Wort, was Sie uns von unsrer Caroline sagen, bester Schelling, möchte ich Ihnen noch danken; o glauben Sie nur, ihr Andenken ist auch bey uns stets warm und lebendig, unauslöschlich ist die Liebe und Dankbarkeit für sie in unsren Herzen, und wenn sie in ihrem verklärten Zustand ein Bewußtseyn von uns hat, so muß sie sich der treuen Seelen freuen, die hier an ihr hängen. Die Worte von Joh˖[annes] Müller haben uns herzlich gerührt, man könnte fast wünschen, sie wären noch bis zu ihr gedrungen. Auf meiner Reise brachte ich einen Tag bey einer Familie Hanstein zu, mit denen Caroline bey ihrem Marburger Aufenthalte täglich umgegangen, und die mir noch viel von ihr erzählten, viel von der kleinen liebenswürdigen Therese, bey deren Tod sie ihr damals beygestanden. Sie sprachen mit wahrer Begeisterung von Carolinen und ich hätten ihnen jedes Wort von den Lippen wegnehmen mögen, ja ich fühlte auf das lebhafteste, wie der Zauber ihres Geistes nach langen Jahren noch so fortwirkte, wie er dem Unbedeutensten noch Bedeutsamkeit verlieh. Diese Menschen waren mir nie lieber, nie interessanter erschienen. Philipp hatten sie auch gut gekannt, und waren sehr von seinem Tode betroffen. Werden Sie noch den einen Knaben erhalten? Daß der Marburger M˖[ichaelis] eine Tochter zu sich nimmt, glaube ich Ihnen geschrieben zu haben.

Die Nachricht daß sich Wilhelm Schlegel vielleicht von der Stael losmacht, war uns recht interessant; es wäre wohl zu wünschen, sie hat sich auch in Weimar vor nicht eben mit viel Freundlichkeit über ihn geäußert, und gar sehr seine Abhängigkeit von ihr ans Licht gestellt. Von Fr˖[iedrich] Schlegel’s geschichtlichen Vorlesungen sprach Goethe diesen mit unendlich viel Interesse.

G˖[oethes] Leben ist nun wohl endlich in ihren Händen? Die Herausgabe hatte sich verzögert, weil es Frommann beym letzten Bogen an Pappier fehlte; so kam es nicht mit auf die Messe. Meine Mutter und Schwestern sind jetzt dabey und behaupten steif und fest, der Brief des Freundes in der Vorrede, sey aus Goethes Feder gefloßen, und die einzige Dichtung im ganzen Buch; was ich aber nicht zugebe, nicht einsehend, wo zu es dieser Einleitung als bloser Erfindung bedürfe. Gern hätte ich mich hier noch einmal daran erquickt; aber in dieser Geistes-Einöde ist es nirgends zu erhalten. G˖[oethe] ist sehr fleißig an dem Folgenden, er möchte gern den Herzog von W˖[eimar] bewegen, mit manchen Gedichten und interessanten Notizen aus ihrem früheren Zusammenleben, die dieser sorgfältiger gesammelt hat als Goethe, heraus zu rücken, aber er verweigert es bis jetzt noch standhaft.

Nun hätte ich Ihnen noch die herzlichsten Empfehlungen an Frau von Martini von uns Allen aufzutragen, es war uns recht leid sie nur so flüchtig gesehn zu haben. Mein Nichtwohlseyn mag sie vielleicht mit Cäcilien verwechselt haben, die an bösen Augen litt, oder aus meinem Aussehn geschlossen, wie ich denn nur selten lebhafte Farben habe; meine Gesundheit ist auch im Ganzen nicht die festeste, und ich darf ihr nicht viel zu muthen, will ich sie immer hübsch im Gleichgewicht erhalten. Der alte Herr scherzte wohl manchmal darüber, und meinte, »ich schiene ihm ein Pflänzchen, was nicht auf diesem Boden einheimisch wäre«; aber im Grund ist mehr Ernst wie Scherz bei der Sache.

Der böse Winter behauptet hier mit Schnee und Eis schon völlig seine Rechte, und der Wind stürmt so allgewaltig um die unzählichen Thürmchen und Spitzen der alten Burg, daß alle Fenster und Thüren klappern. Es ist ein Abend wie im 24sten Februar, und man möchte sich auch umsehn, ob sich nicht eine Eule am Fenster anklammert. Ja es könnte mir grausen und schaudern, aber ich schreibe dem lieben Freund, und bey seinem Andenken kann mich nichts unholdes anwehen; so ist es in mir recht friedlich und gemüthlich, während es um mich herum braußt und tobt.

Leben Sie wohl, lieber, bester Schelling! Lassen Sie sich den rauhen recht segensreich und angenehm verstreichen. Möchten Sie immer freye Muße finden, dem innern Genius nach Lust zu folgen, und auch unsrer bisweilen zu gedenken als gewiß recht treuer, guter Freunde.

Pauline.