Herrn
Direktor Schelling
in
frei Hamburg.
Wie unendlich lange ist es, mein theuerster Herr Schwager, daß wir nichts von einander hören! Ich ergreife auf die erste Nachricht, daß wieder Briefe nach Deutschland hinein befördert werden, die Feder, um Ihnen erstlich zu sagen, daß wir alle so wohl sind, als man es unter dem mannigfachen Drucke jetziger Zeit seyn kann. Auch von Ihnen hoffen wir das und daß Sie wenigstens jetzt fern vom Kriegsschauplatze und in einem an innern Quellen reichen Lande ungestört und zufrieden leben. Wie gern möchten wir Sie in Ihrem lieblichen Landsitze an der Isar besuchen! denn dahin sind Sie doch auch wohl dieses gezogen. Wer nur könnte wie er wollte; aber wie unendlich wenigen Menschen ist solche Freiheit jetzt vergönnt! Mich reisst jetzt von traurigen Empfindungen über allgemeines und besonderes Unglück fast nichts los als das unschuldige Treiben meiner jüngsten Kinder, die den ganzen Tag im Garten umherkriechen und wühlen und von alle den Schrecknissen der Zeit nichts ahnden und dann eifrige Beschäfftigung mit der Zoologie, wozu ich auch durch die Lust, die unser ältester Neffe dafür zeigt noch mehr aufgefodert werde. Fast alle seine Nebenstunden sind diesem Studium in Wald und Feld geweihet. Wie oft erinnre ich mich dabei der schönen Tage in München, wo wir mit Freund Spix – den ich recht herzlich zu grüßen bitte – um München schwärmten. Selbst mein Benvenuto ist auf alles Geschmeiss und Gewürm erpicht jeder Käfer den er laufen sieht presst ihm ein Freudengeschrei aus: Keffe sieh Keffe! Die Regenwürmer sah er samt der älteren Zoe, seine unzertrennliche Gefährtin, für Vegetabilien an und beide waren eifrig bemühet, sie zu pflanzen. Die nicht viel über 3/4 Jahr alte Theone läuft schon am Gängelbande, ja fast nur an einer Hand gehalten mit und ist das süßeste Bild der Gesundheit. Wäre es möglich solche Kinder und Ihre Mutter zu verlassen, ich suchte längst mein Glück auf milderem Boden. Die arme Schwester Michaelis ist die ganze schreckenvolle Zeit über in Harburg gesessen, auf alle Weise bedrängt und noch jetzt in der größten Noth Kränklichkeit, Angst, Erpressungen aller Art! es ist ein rechter Jammer. Knoop der Mann ihrer Schwester in Harburg hat sich schon vorigen Herbst erschossen und der älteste Sohn erfror in Russland. Ich habe sie mit etwas Geld unterstützt aber das sind Tropfen auf einem heissen Stein. Tausend Thaler die ich hier für die Schwägerin untergebracht hatte, werden durch unsre am erschienene neue Geldordnung fast zu nichts, können nicht einmal eher als 4 Jahr nach dem Frieden (und es ist nicht bestimmt von welchem Kriege die Rede sey!) gekündiget werden; die Interessen werden wenn der Debitor will in Zetteln bezahlt die nun schon bis auf 1/5 des Werths im Curse gesunken sind, so daß ich es für Pflicht halte diese 1000 Thaler selbst zu übernehmen und der Schwägerin auf irgend andre Art Ersatz zu schaffen. Ich bitte Sie lieber Herr Schwager das für uns noch in Ihren Händen befindliche Kapital auf jeden möglichen Fall recht hieher zu stellen, damit ihr am Ende wenigstens damit einmal mag geholfen werden. Darf ich Sie wohl ersuchen 30 Gulden in meinem Namen an Herrn Jakob Sturm in der obern Thalgasse N° 1047 in Nürnberg, so bald es Ihnen möglich ist zu senden und nur dabei zu bemerken; daß Herr Sturm wenn es noch nicht geschehen sey recht bald von mir hören werde. Sie verbinden mich durch diese Gefälligkeit sehr und es ist zugleich eine bequeme Gelegenheit die für uns fällige Zeichen, die ich dann der Schwägerin nach Harburg zahlen werde, zu berichtigen. Was uns sonst noch etwa von Ihnen bestimmt ist haben Sie die Güte auf irgend einem sichren Wege und in sichre Hände nach Harburg oder Hamburg gelangen zu lassen, damit es der Schwägerin ohne Weitläuftigkeit zufliesse, die wenn das Geld erst hieher nach Kiele und von hier erst wieder zurück soll theils zu lange darauf warten müsste und theils nur viele Unkosten haben würde. Das Postgeld ist hier überall sehr theuer.
Bitte lassen Sie uns recht bald von sich hören. Luise grüßt herzlich. Emma ist seit 14 Tagen bei einer Freundin in einer herrlichen Gegend auf dem Lande, sonst würden Sie auch von ihr gewiss einen freundlichen Gruß erhalten.
Ihr
herzlichstergebner Schwager
CRW Wiedemann
Kiel .