Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Herrn

MedizinalRath Dr. Schelling

in

Stuttgart.

fr[an]co

Liebster Bruder!

Wir sind glücklich hier angekommen, seit Ellwangen auch von der Witterung begünstigt; nur über den Kutscher hatten wir uns zu beklagen, der ohnerachtet der häufigen Vorspannen am dritten Tag uns nur bis Kl˖[oster] Heilsbronn brachte. Indeß ließen wir uns dieß nicht anfechten, da wir wohl, und die Kinder vergnügt waren. Noch lange, nachdem wir uns getrennt hatten, wiederholte Klärchen klagend ihr Ta, Ta, und den ganzen Tag hindurch brach noch oft unversehens dieser Laut hervor; fragte man sie wo die Tante wäre, so sah’ sie zum Wagen hinaus nach der Seite, wohin die Tante sich entfernt hatte. Auch Paul fing von Zeit zu Zeit wieder an, recht von Herzen zu weinen, und versprach alles mögliche Gute, um in der Folge wieder zu dem Onkel kommen zu dürfen. Friz blieb in seinem Gleichmuth, nur begegnet ihm noch täglich, wenn er von der Mutter heftig etwas begehrt, liebe Tante! zu rufen. Klärchen aber wird keinen Abend ausgekleidet, ohne ihre Ärmchen, mit Weh, Weh! O, O! zu zeigen. Jeden Abend ist sie neuglücklich, in einem andern Bette zu schlafen und ist vor Vergnügen kaum zur Ruhe zu bringen. Als wir Vormittag hier ankamen, ließen wir für die Kinder auf dem Zimmer decken; da kam der Kellner mit noch 3 andern Couverts und kündigte Gäste an, es waren die Erlanger Enkelchen der Frau von Niethammer, die mit den ihrigen zufällig eben auch hier war; bei Tisch fand sich auch noch Herder (der Exschwiegersohn von Mme Huber) dazu, so daß wir unter lauter Bekannten an table d’hôte speisten. Gestern Nachm˖[ittag] brachten wir bey Roth auf dem Garten seines Schwiegervaters zu, die Mädchen giengen mit Lisette, Friz mit einem weiland Stubenmädchen meiner Frau spazieren, die sich auch zufällig auf der Straße zu uns gefunden hatte. Von den Erlangern wurden wir beredet, bis dorthin noch gemeinschaftlich zu fahren, weil der Weg von da nach Baireuth schöner, besser, auch die Erlanger Kutscher wohlfeiler wie die hiesigen sey’n. Wir ließen uns dieß gern gefallen, unter anderm auch darum, weil wir uns einen Tag Ruhe gönnen wollten, zumal mir die letzte Nacht in Heilsbronn, (wo ich übrigens noch die Zeit wahrnahm, die schöne Klosterkirche, mit mehreren merkwürdigen Bildern Michael Wohlgemuths, Albr˖[echt] Dürer’s und anderer, die älter als irgend eins der Boissereéschen Sammlung tief bis in’s zurückgehen, und dem prächtigen Grabmonumente ehmaliger Markgrafen von Ansbach (worunter eins von dem berühmten Erzgießer Peter Vischer, Dürers Zeitgenossen) in Begleitung des sehr gesprächigen Herrn Pfarrers zu beschaun) – – – eine lange Parenthese – – – schlecht und fast schlaflos vergangen war; denn in dem schlechten und ekelhaften Wirthshaus zu Ellwangen mochte ich etwas gegessen haben, gegen das mein Magen sich empörte, eine heftige Krisis nach oben stellte mich her, ließ mich aber ziemlich entkräftet zurück. – So werden wir denn heute nach Tisch Erlangen zufahren, wo wir morgen früh uns trennen, Frau und Kinder mit dem Stuttgarter Kutscher Bamberg, ich Baireuth zu. Wir haben den Stuttgarter behalten, weil er einmal bekannt ist, und weil er nun, da nicht mehr tageweis’ mit ihm accordirt ist, wahrscheinlich besser fahren wird. Soweit unsre Reisebeschreibung bis hieher; ich glaubte, Dir und Deiner lieben Frau werde es nicht zuwider seyn, wenn ich ausführlicher schriebe, wie es uns bisher ergangen.

Nun wünschte ich noch im Stande zu seyn, Dir und der liebsten Schwägerin zu danken für die große Liebe und Güte, die Ihr beyde während unsres langen Aufenthalts uns erzeigt hat. Allein ich fühle mich ganz unfähig dazu, und gleichwie ich in Stuttgart selbst mich so vieler und alles Maß überschreitender Liebe nicht erwehren und nur mit stummem, ohnmächtigem Gefühl alles das Gute hinnehmen konnte, das für mich geschah, so fühle ich auch jetzt, nur mit Schweigen, nicht mit Worten, danken zu können. Möge der Himmel Dir und Deiner lieben Frau mit dem Höchsten menschlichen Glücks lohnen! Dieß ist alles, was wir sagen können! Die großen Kinder küssen dem Onkel und der Tante die Hand; wir wiederholen der Tante und Dir, was wir noch beym Abschied erklärt haben, daß Klärchen Dir jederzeit zu Gebot steht; besser, als in so liebevollen Händen, können wir sie niemals wissen. Meine Frau wird von Gotha, ich von Carlsbad aus Nachricht geben.

Allen theuren und verehrten Freunden und Verwandten empfiel uns auf’s Herzlichste, wiederhole insbesondre in der Akademie, bey Herrn von Hallers und Wächters, wie lebhaft wir die Güte empfunden, mit der wir und die Kinder auch von ihnen aufgenommen wurden. Die herzlichsten Grüße an Beate, an Bruder August und seine Frau. Leb’ wohl, liebster Karl, leben auch Sie wohl, theuerste Schwägerin, unsrer bleibenden Dankbarkeit und innigsten Liebe versichert!
Dein
tr[euer] Br[uder]

Fr.