Berlin den .
Da ich Ihnen hiemit, mein hochverehrter, ewig geliebter Freund! so viele Verse von diminutivem Format und noch diminutiverem Werth übersende, werden Sie sich vielleicht weniger wundern, daß gegenwärtiges Schreiben noch unbedeutender an Form und Inhalt ist. Ihr herrlicher Brief vom – der mir eine wohl tausendmal wiederholte Freude gegeben, für welche ich Ihnen nie genug würde danken können, wenn ich es mit Feder und Dinte versuchen wollte, traf mich leider ziemlich spät, nähmlich in den und in Breslau, wo ich vom an bis zum stecken blieb – es kommt mir jezt närrisch vor! – durch die Bezauberung von Steffens und noch ein paar andrer Freunde Umgang festgehalten, obwohl ich in jeder Woche den Entschluß faßte, gleich in den ersten Tagen der nächstkommenden wegzureisen. Eben durch dieses Schwanken und Zögern veranlaßt, einige indeßen unter ihrer Adreße fur mich eingelaufene Briefe nicht an mich zu schicken, weil sie täglich meine Ankunft in Berlin erwartete, behielt die Frau von Helwig in ihrer Verwahrung auch den Ihrigen, deßen Verfaßer sie nicht wusste, bis ich ihr endlich schrieb, sie möchte mir doch nach Breslau lieber alles dergleichen senden, weil meine Abreise sich möglicherweise noch einige Wochen verzögern könnte. Eine geheime Ahnung, ich gesteh’ es, flüsterte mir zu, daß unter den Briefen, von deren Ankunft die Freundin mir Nachricht gegeben, wohl auch einer mochte von Ihrer lieben Hand seyn. Sie betrog mich nicht, die schmeichlerische Stimme, und – doch ich brauche Ihnen ja nicht mein Entzücken über die Erfüllung meines Wunsches und meiner schönen Hoffnung zu schildern. Nur so viel kann ich Ihnen sagen, dass der lebhafte Genuss bei Durchlesung Ihres Briefes vielleicht mein Leben gerettet hat, und dies keineswegs poetisch, sondern ganz prosaisch verstanden; ich kam (es war gerade am ) aus der feuchtkalten Elisabeth-Kirche, wo ich auf dem großen Gange der Kanzel gegenüber dünn angekleidet in stark wehender Zugluft stehend eine Predigt angehört hatte, nach Hause mit allen Zeichen (wenigstens kam es mir so vor) einer heftigen Erkältung; aber Ihr freundliches Schreiben und die kraftige Nähe Ihres Geistes, der mich sonst freilich seit Jahren in allen geistigen Richtungen zum Guten belebt, that es diesmal sogar physisch, und durchströmte meinen Körper mit einer so lieblich erregenden Wärme, dass alle die Frostschauer, die schon mit fiebrischer Hitze zu wechseln begannen, mit einmal von mir wichen und ich mich ganz kerngesund befand. Glücklicherweise haben Sie mit dem famosen Höne Wronski nichts gemein; ich könnte sonst nach diesem Experimente befürchten, daß Sie ein Zaubergeist, ein Magnetiseur, oder sonst etwas der Art wären. A propos von Magnetismus: mit Lachen und Grausen zugleich haben ich und Steffens, dem ich zu seiner innigsten Freude Ihren Brief mittheilte, die Nachricht von Baaders beseßener Tochter und seinem Betragen dabei gelesen. Die Philosophie unsrer Tage, wenn Sie mit Ernst, das heisst wie ein reelles persönliches Leben getrieben wird, muss sich entweder in der tüchtig durchgeführten Weltansicht des Christenthums, oder auch in magischen Freveln endigen. Dass Baader jezt, obschon er sich für sehr religiös und christlich gotterleuchtet hält, auf dem dunklen Abgrund heidnischer Zauberei mit vollen Seegeln hinaussteuert, scheint mir deutlich genug. Es thut mir um den Mann weh, der mir noch in seiner Art lieb ist; aber, wie er sich selbst äußert in Bezug auf Goethes Faust, in einem Brief den ich vor einiger Zeit von ihm bekam (mit beigefügtem Exemplar seines Schriftleins sur la Notion du Tems ), dass »auch in einem Gedichte mit dem Teufel nicht zu spaßen ist«, so hat er wahrhaftig selber, in Ernst und Scherz, mit Dichten und Beschwären, so lange an den fürchterlichen Mauern des Dämonenreichs herumgetastet und gepocht, dass es kein Wunder ist, wenn endlich die munter gewordnen Teufel Wer da? rufen und nun ihrerseits mit ihm zu spaßen anfangen. Und so ist er allerdings von den höllischen Mächten geneckt und geplagt, wenn auch nicht in der Weise wie er sie zu vernehmen glaubt, doch in einer andern viel unheilbareren. Die arme Tochter wird wohl einmal aufhören (und hat es hoffentlich schon?) inspirirte Zoten zu reißen, aber schwerlich wird der Vater jemals den Faden finden, der ihn aus dem wunderbaren Labyrinth von abwechselnden Begeistertwerden und Selbsttäuschen, von göttlichen Gedankenblitzen und leichtfertigen Einfallsspielereyen, zum einfachen Tageslicht eines ächt in Gott aufgegangnen Lebens hinauswindet. Die Schrift sur la Notion etc. hab’ ich noch nicht gelesen, weil ich mir zum Gesetz gemacht, kein philosophisches oder theosophisches Buch anzurühren, bevor ich mit der Redaction meiner verschiedenartigen halb poetischen, halb prosaischen Reisepapiere fertig bin. Um damit so schnell wie möglich fertig zu werden, bleib’ ich wohl in Berlin, trotz dem Unangenehmen des Sommerlebens in einer so dürren, naturlosen und von Gott verlaßnen Hauptstadt, bis gegen ’s; denn sobald ich nach Schweden komme, wird die von allen Seiten auf mich hereinstürmende Gegenwart der dortigen Verhältnisse mir alle Hände voll von andern Geschäften zu thun geben. Die einzige Ausnahme von meinem oben erwähnten Gesetz hab’ ich mit einem Buch von Solger gemacht, weil er ein Freund von Steffens ist, und von Tieck (der eine Zeitlang hier in Berlin gewesen und erst wieder nach seinem Ziebingen zurückgekehrt) ausdrücklich als der erste Philosoph unter allen jeztlebenden verehrt und erklärt, mit dem endlich in der Wißenschaft die Erfüllung desjenigen begonnen, was die alten Meister aller Zeiten in ihrer Sehnsucht gewünscht und mehr oder weniger dunkel geahndet haben. Es war wohl also verzeihlich, dass ich die Philosophischen Gespräche von Solger mit vieler Neugierde las; über den positiv wißenschaftlichen Werth des Buchs und des Verfaßers wird wahrscheinlich der zweite Theil, zu dem der erste nur als Einleitung zu dienen bestimmt ist, entscheiden: unterdeßen, obwohl jener noch nicht erschienen, scheint mir die Vermuthung zuverlässig, dass der gute Solger sich mit einem geringeren Platz in der Wißenschaft und derselben Geschichte wird begnügen müßen. Kennen Sie das genannte Buch? Die Schreibart, hübsch, niedlich, wie der Mann auch selbst im geselligen Verkehr angenehm ist, lässt sich leicht lesen, und manches Einzelne drin ist recht gut; so gefällt mir besonders seine Polemik gegen die an allen Ideen leeren praktischen Volksthümler und Staatendrechsler der heutigen Jugend, die dabei immer das Maul voll von Idee, lebendiger Anschauung, Eigenthümlichkeit u. dgl. führen. Ob aber diese Episoden und der nicht ungeschickte dialektische Gang der einleitendenden Gespräche zu einem wirklich grossartigen Ganzen sich zusammenschlingen werden? Es kommt im lezten Gespräch des ersten Theils und auch sonst hin und wieder Einiges vor, was mich befürchten läßt, dass in dem zweiten, der alle Räthsel lösen soll, die ganze Sache wohl ein bischen wird über die leichte Schulter genommen. Die zweite Ausnahme von jenem Interims-Gesetz, nichts Philosophisches zu lesen, könnte (und freilich aus triftigern Gründen!) statt finden, wenn Ihre Weltalter mir plötzlich aus der Luft auf dem Schreibtische hereingeschleudert würden; denn ohne irgend ein sonderbares Abentheuer von Sturm, Gewitter, Somnambulischer Vision, oder so etwas, bekomm’ ich diese langerwartete und heissersehnte Amazonentochter Ihres Geistes gewiß nie in meine Hände. Aber gegen diese Zerstreuung, die mich allerdings für lange Zeit alle Italiänische Erinnerungen und Grübeleien vergeßen machen würde, sichert mich das Schicksal mit mehr Sorgfalt, als mir lieb ist. Es mag löblich seyn, daß Sie den alten Zeus darin nachahmen, Ihr Kind erst vollerwachsen und vollgeharnischt an das Tageslicht zu fördern; aber in der That, mein verehrter Meister, bereiten Sie sich diesmal zu Ihrer hoffentlich äußerst glücklichen Entbindung so besorglich und zögernd, als wenn Ihr Kopf noch Jungfrau wäre, was er doch, Gott sei Dank! keineswegs mehr ist, wie wir alle und sogar die Franzosen wissen, da sie, wie ich aus Ihrem Brief ersehe, jezt sogar bis zum Subject-Object gekommen sind. (Ich möchte gern hören, wie so ein Wort sich in Französischer Aussprache gebäret.) Bei meinem Versprechen, die zu erwartende Schöne gleich nach ihrem Auftreten diesseits des Baltischen Meers in Schwedischer Tracht meinen lieben Landsleuten zu präsentiren, steh’ ich allerdings fest: wäre sie nur da! In jedem Brief von Upsala fragt man mich über das Buch, bittet mich Exemplare davon augenblicklich über’s Meer zu schicken u.s.w. Natürlich ermahne ich die Leute in meinen Antworten zur Hoffnung und Geduld. Wenn ich hier bis zum verweile, ist es dann nicht möglich, dass ich jene Herzensdame meiner philosophischen Minne ritterlich nach Hause mitbringen kann? – Mit der vollsten Theilnahme meiner Seele hab’ ich den Ihrer vortrefflichen Mutter erfahren, dieser einfach gemüthvollen Frau, über deren schönen Character ich theils von Ihnen, noch mehr aber von Ihrer holden Pauline so viel liebes und herrliches hörte. Auch ich weiss, was das heisst, eine Mutter zu verlieren; weil auch die Meinige eine von den liebenswürdigsten Wesen ihres Geschlechts war: und wenn noch hin und wieder aus dem dunkeln verworrnen Gewebe meines Daseyns einige Lichtfaden hervorschimmern, so hab’ ich es einzig und allein meinem geistigen und physischen Entstehen aus jener himmlischen Natur voll Unschuld und frommer Holdseligkeit zu verdanken. Es sind bald , seitdem sie in’s Reich der übrigen Engel und Heiligen entschwand, und wo jezt freilich nur in Träumen mein Auge sie erblicket. Ich liebte sie mit der ganzen ungetheilten Gluth meines Daseyns; sie war mir in ihrer lautern Frömmigkeit und Demuth, in ihrer unermüdet heitern und thätigen Freundlichkeit gegen Alle, in ihrer Liebe zu meinem guten Vater, der sie nicht weniger als ich wie eine Gottheit verehrte, und nach deßen es ihr erst bemerklich ward, durch den ungeheuren Schmerz der nach zwei Jahren ihr verwittwetes Blumenleben brach, daß ihr Ich eben ein Ich, d.h. etwas Abgetrenntes und in sich Geschlossnes war, – in ihrer zarten Empfänglichkeit jeder Begeisterung, wie sie mir denn auch alle die beßern meiner frühesten Gedichte selbst eingegeben und bei deren Vorlesen mitgefühlt als wenn sie ihre eigenen gewesen wären, – in ihrer schlanken, weissen, jungfräulich zierlichen Gestalt, wo die fast blendend durchsichtige, in ihrem Todesjahr noch kindlich blühende Farbenhülle ihres Antlitzes und der unbeschreiblich wehmüthige, dabei aber immer ungetrübte Strahl ihrer himmelklaren Augen deutlich genug den nur als Gast uns besuchenden ätherischen Lichtgeist verriethen, – kurz, in ihrer ganzen Erscheinung war sie mir die persönliche Gegenwart der Religion, der Poesie, aller ewigen Liebe und Sehnsucht; und obwohl ich in der Welt und dem Menschengewimmel in der That nur dieses einzige Wesen lieb hatte, und über sie gewissermassen alle Menschen, ja Gott selbst vergass, so war ich doch damals in jeder Beziehung besser als jezt, nähmlich gegen jede schöne Einwirkung der Natur und des geselligen Lebens unendlich offener, gegen das Menschengeschlecht unendlich wärmer, ja gegen meine persönlichen Freunde unendlich inniger. Hatte ich den göttlichen Lebensfunken, den ich von einer solchen Mutter empfieng, rein bewahren und nach ihrem Sinn harmonisch zur ächten Flamme des Gesangs, des Glaubens und des gottgefälligen Wandelns ausbilden können, dann wäre ich vielleicht, mein großer, edler Lehrer, jenes Zutrauens, jener liebevollen Güte und anfeuernden Ermunterung würdig, die Sie jezt unverdienterweise aus einer für mich freilich sehr glücklichen Täuschung an einen jungen Mann verschwenden, dem die erregende und schaffende Lebensfreude so ausgestorben ist, dass er höchst wahrscheinlich im Dichten wie im Wissen immer nur erbärmliche Dilettantismen zum Vorschein bringen wird. Schmählicher Ersatz, wenn die Sonne der Liebe schön längst in’s Meer des Todes gesunken, alles gelehrte Bemühen und Künstlerische Reisen, alles Anschauen und Auffaßen des bunten äußerlichen Daseyns, wodurch die sinnliche Phantasie von allerlei Stoff bis zum Bersten vollgestopft wird, indeßen die einmal erloschene Frühlingsbegeisterung ruhig in der farblosen Wüste der Innenwelt vermodert! Ich weiss wohl wo die Rettung und die höchste Begeisterung zu suchen ist, und ich arbeite redlich dran, in dieser Bahn recht tüchtig vorwärts zu schreiten; aber noch ist es mir nicht gelungen, zu meiner Schmach sey’s gesagt, Gott unmittelbar die bleibende, allbelebende und alldurchstrahlende Stätte in meinem Herzen einzuräumen, die er vormals dort durch die Vermittlung meiner Mutter besaß. Ich hoffe unterdeßen, dass der Heiland nicht zürnen kann, so lang ich treu mich befleissige, die für ihm bestimmte Wohnung nach meinem besten Wißen zu reinigen. Übrigens rauscht ja bald das Schattenspiel dieses Erdewallens mit seinem Wolkenhimmel vorüber, und der künftige Sonnenaufgang wird uns allen, auch mir, um so herrlicher leuchten, je frostiger hier die Pilgernacht auf einsamen Pfaden und in ruchlosen Kneipen war. Möge Gott mich nur gegen zwei Übeln beschützen, die mir drohend in der Nähe stehn, kränkelndes Hinwelken und kalte Verzweiflung; und möge er mir dagegen nur drei Bitten gewähren, körperliche Rüstigkeit, geistige Ausdauer und heitres, liebewarmes Resigniren; oder, wenn er mir die zwei ersten auch versagen will, wenigstens diese letzte! Dann hoff’ ich noch mit dem Leben in Ehren fertig zu werden.
Den .
Die Gedichte über Rom, Sorrento u.s.w. die Sie von mir zu sehen wünschen, sind leider alle Schwedisch; damit Sie jedoch etwas Neues von mir bekommen, schicke ich hiebei einige Strophen, die ich im schönen Kärnthen dichtete, durch die Beschaffenheit der dortigen Natur lebhaft an meine Kindheit und mein Vaterland erinnert, und ein Gedichtchen was ich unserm Steffens vorlas an seinem , der auf dem Lande einige Meilen von Breslau recht hübsch gefeiert ward. Bei einem Dorfe Hochkirchen, auf einer gewaltigen in weissblühenden Obstbaumhainen eingehüllten Anhöhe, zu unsern Füßen die große Ebene von Breslau mit den Thürmen der fernen Stadt und den hinter ihnen aufdämmernden Riesengebürgen, sass um einen heitern Tisch im schönsten Maiwetter die kleine auserwählte Gesellschaft; dort las ich dem liebenswürdigen Helden des Tags meine sehr eilig, aber wohlgemeint geschriebene Verse vor. Die Nacht brachten wir im zierlichen Städtchen Trebnitz zu, das in einem niedlichen Thal am Abhang einer Höhe liegt, von deren Gipfel wir im Abendroth weit hinaus in die unermesslichen ebenen Gefilde von Polen blickten; auf der andern Seite des Städtchens, in mässiger Entfernung, ladet ein hoher schattiger Buchenwald ein zur Ruhe und sinnendem Genuß. Dort trieben Steffens und ich uns umher schön von halb Vier Uhr an am , und dort hat er mir bei Vollgesang unzähliger Nachtigallen seine Theorie der Sinne, seinen Begriff der wahren Methode in der Naturphilosophie und den ganzen Entwurf zur Einleitung des zweiten Theils der Caricaturen vorgetragen, mit einer Begeisterung, die ich Ihnen nicht zu schildern brauche, da Sie die rührende Beweglichkeit und Entzündbarkeit seiner ewigen Seelenjugend kennen. Er gehört zu den wenigen, die mit den grössten und glänzendsten Geistesgaben bis an ihr Grab unschuldig wie Kinder sind, und die eben ihrer kindlichen Unbefangenheit und Arglosigkeit wegen von der ganzen dominirenden Raçe der Altklugen, der Tückischen und der Philisterirenden als eitel und närrisch gescholten werden. Bei unsrer Wiederkunft zum Gasthofe waren eben erst die Damen und die übrigen Reisegefährten aufgestanden; und so verlebten wir noch diesen Tag in reizenden Gegenden, auf die anmuthigste Weise theils zu Fuß, theils in Wagen spazierend. So hab’ ich denn auch den Geburtstag des dritten Deutschen Philosophen mitgefeiert; Sie erinnern sich, dass ich in München zum Mitgenuss von und des seel˖[igen] Jacobi eingeladen ward. Übrigens hat Steffens jetzt wieder seine vorige Heiterkeit errungen, welche durch die famosen Turnstreitigkeiten und Berlinischen Zänkereien sehr gelitten hatte. Er arbeitet rüstig am zweiten Theil seiner Caricaturen. Seine anmuthvolle Gattin, die ich sehr schätze, ist auch von einer gefährlichen Krankheit jetzt wieder hergestellt. – Eine neue Abschrift von den Sonetten über die Mutter Gottes hab’ ich auch beigelegt, weil Sie sich ehemals so freundlich über ihren Werth erklärten, und weil ich glaube sie jezo in mehrern Hinsichten beträchtlich verbeßert zu haben. – Der wackre Hegel ist hier, und hält haarscharfe dialektische und spintisirende Vorlesungen; ich habe ihn einmal besucht, und glaube dass er ein kernbraver Mann ist, aber sein trocknes, herbes und durchaus polemisches Wesen war mir persönlich nicht anziehend. Nach Ihrem Befinden und dem Befinden Ihrer Weltalter erkundigte er sich mit Achtung und Wärme. In seiner Art ist dieser Philosoph mir sehr ehrwürdig, und wird es immer bleiben, weil er unter allen Formalisten der Wissenschaft der vollendetste ist und also auch derjenige, der als solcher noch am meisten von reeller Fülle der Weltbetrachtung durchdrungen ist, obgleich er selbst von dieser Fülle nur die starre Begriffsseite erfaßen kann. Die Logik hat durch ihn wissenschaftliche Würde errungen, und einen Character von rüstigem, lebendig gegliedertem Daseyn, da sie vorher, in spätern Zeiten wenigstens, nie etwas anders als ein abgeschmacktes Steckenpferd aller Schwätzer und Unphilosophen war. – Schleiermacher ist im Umgang viel unterhaltender und heitrer, behauptet aber fortwährend, im Leben wie in seinen Schriften, die negativ-kritisch geheimnissvolle Verborgenheit seiner esoterischen Ansichten. – Sind Sie mit der Baierschen Stände-Versammlung zufrieden? Dergleichen Einrichtungen in Deutschland nehmen sich noch immer etwas kümmerlich aus, wie seichte halb Anglisirende, halb Französirende Nachahmungen. – Für Schweden ist jezt wieder, wie es scheint, eine drohende politische Crise glücklich vorübergegangen. Am Ende ist Carl XIV schlauer und muthiger, als die Ausländer von ihm sich vorgestellt haben. – Der neue über Stralsund eingerichtete Postgang (Sie schreiben: »Upsala in Schweden, über Stralsund«) ist vollkommen gut und sicher. Auch der alte über Hamburg . Wenn Sie bei Gelegenheit mir etwas Größeres, z.B. ein Buch, schicken wollen; so wird das allerdings von der hiesigen Schwedischen Gesandtschaft, wenn es bei ihr oder bei meinen Freunden dem General von Helwig und seiner Frau deponirt wird, so schnell wie möglich nach Schweden hinüber besorgt. Der Nahme des hiesigen Schwedischen Gesandten ist Baron Taube, Envoyé und Kammerherr m. m. Sein Legazions Secretair heisst von Maule . Vielleicht bin ich so glücklich, noch vor meiner Abreise von Berlin einige Zeilen von Ihnen zu erhalten. Mögen diese dann eben so erfreuliche Nachrichten über Ihre persönliche Lage und dem Befinden Ihrer trefflichen Gemahlin, Ihrer lieblichen Kinder enthalten. Und feierlich versprech’ ich Ihnen, dann meine Antwort nicht so unverzeihlich lange aufzuschieben, wie diesmal, da Zerstreuungen von hundert Arten mich Monate lang beinahe in beständiger Verwirrung umgedreht haben. Große Freude würd’ es mir machen zu erfahren, dass die Transmigration der Landshuter Universität nach München zu Stande käme, und dass Sie in dem alten schönen Verhältniss zur wahren lebendigen Wurzel der Menschheit, zur lieben empfänglichen Jugend zurückgetreten wären. Gott erhalte Sie kräftig auf dem hohen Standpunct, den Sie durch seine Gnade erschwungen, und schütte allen himmlischen Frühlingssegen über die schöne Hälfte Ihres Daseyns, über den aufblühenden Kreis Ihrer zarten Sprösslinge aus! Dass ich Ihnen treu bin, im Leben und im Tod, in Zeit und in Ewigkeit, das wißen Sie ohne mein ferneres Versichern. Aber was hab’ ich Ihnen nicht auch zu verdanken! Das ist es ja eben, was mir möglich macht, die Bürde meiner irdischen Existenz zu ertragen, das süße Bewusstsein, dass solche herrliche Naturen, wie Sie, in mir etwas noch nicht völlig Verworfenes, Schwächliches und zu Grunde gegangnes erblicken, und dass nicht alle Saiten in meinem Innern zersprungen sind, die Gott bei meiner Geburt zum Wiederhallen göttlicher Melodieen bestimmte. –
Und so empfehle ich Sie und Ihr ganzes Haus unserm gemeinsamen himmlischen Vater in meinen glühendsten Bitten.
Ewig der Ihrige
D.A. Atterbom.
P.S.
Tausend herzliche Grüße an alle Freunde und Freundinnen in der mir unvergesslichen Bairischen Hauptstadt! – Ich habe, wie ich sehe, in meinem Schreiben ganz vergeßen zu erzählen, daß ich hier im Hause des General-Gouverneurs Gneisenau wohne und lebe, deßen freundliches Anerbieten der Art ich aus mehrern Gründen nicht ausschlagen dürfte. Physisch ernährt werd’ ich also hier mit der grössten Bequemlichkeit. Aber ach! die einsame Sandwüste hier und die sehnsüchtige Nähe meines Vaterlandes, wo die harrenden Geschwister und JugendFreunde sich über mein langes Zögern beklagen!!! –
Den .
Durch Versäumniß eines Bedienten ist mein Brief hier im Hause über den lezten Posttag liegen geblieben; heute will ich in mit meinen eignen Händen den Post-Beamten übergeben. – Was werden Sie wohl überhaupt von mir denken, da ich so länge gezaudert habe, Ihr liebes Schreiben vom zu beantworten? Ich bin wirklich ein bischen darüber in Angst. Möchten doch diese Zeilen Sie überzeugen können, dass ich nicht undankbar, nicht in meiner Gesinnung erkaltet bin! –
Ich trage vielerlei dichterische Entwürfe in petto mit mir herum, aber ich muß erst die Beschreibung meiner Reise vollenden, welche (die Beschreibung nähmlich) mir selber im Grunde mehr Langeweile macht, als sie den Lesern jemals Vergnügen geben wird. Aber meine Freunde fordern sie dringend von mir, und haben gewißermaßen auch deswegen ein Recht dazu, weil in Schwedischer Sprache nichts Ordentliches über Italien geschrieben ist, wenn man einige genialische, aber äußerst fragmentarische Aphorismen von einem Admiral Ehrensvärd ausnimmt, der in Frankreich und Italien umherreiste. Steffens, dem ich seine kleine Schrift gegeben und der ganz in ihm entzückt ist, versprach mir, bei Gelegenheit diesen außerordentlichen Mann, über deßen tiefe Naturanschauung und ästhetisches Hellsehen man erstaunen muß (besonders wenn man sich an seine Zeitgenoßen erinnert), dem Deutschen Publico bekannt zu machen.
Haben Sie von einem hiesigen Professor Neander zwei treffliche Bücher gelesen, Kaiser Julian und den heiligen Bernhard? Mir ist noch nie etwas Kirchengeschichtliches vorgekommen, was mir einen solchen Genuß gewährt hat. Der Verfasser ist gewis nicht nur einer der gemüthlichsten, sondern auch einer der wahrhaft wissenschaftlichsten Theologen unsrer Zeit. – Ein trauriges Unglück hat der gute und fromme Neander in diesen Tagen gehabt, dass nähmlich, wie man erzählt, seine Schwester durch die jezt hier herrschende (und in der That kaum erträgliche) Hitze toll geworden ist. Man muß den Bruder um so mehr beklagen, da er sehr kränklich ist und um so schrecklicher von dieser Begebenheit leiden wird. Erhalte uns doch der gütige Gott, wenn wir auch sonst allerlei im Leben erdulden müssen, bei unserm Portiönchen Verstande! – Die hiesige Charité, behauptet man, ist ganz voll von Menschen, die wahnsinnig geworden sind durch die zerrüttende Gluth der jetzigen Luft-Temperatur.
Nochmahls empfehl’ ich mich Ihrem gütigen Andenken, und verharre
Ihr wärmster Freund und Diener
Atterbom.
P. S.
Man fängt jezt hier an, Studenten zu verhaften und sich ihrer Papiere zu bemächtigen. Der Buchhändler Reimer soll auch verhaftet geworden seyn, sagt man. Schleiermacher ist unter den Linden mit einem bedenklichen Gesichte gesehen.