Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Frau

Directorin Schelling

in

München

d[urc]h Güte

No. 3.

Liebstes Herz!

Es gereicht mir zur großen Freude, daß heute eine Gelegenheit sich ergibt Dir zu schreiben. Du bist so gut gegen mich, Dich herzlich zu freuen über einen Brief von mir und ich bin so wenig im Stande, Dir Freude zu machen; lasse Dich also diese Paar Zeilen vergnügen! Die letzten Tage waren hier sehr schön, die Gegend nimmt sich noch viel besser aus, wenn die helle Sonne darauf scheint, ich war recht betrübt, daß Du es nicht besser getroffen und nicht wenigstens Einen der schönen Tage ganz und in Ruhe hier verlebt hast. Mit meiner Gesundheit geht es vortrefflich, ich meyne in langer Zeit mich nicht so wohl befunden zu haben, alles nimmt wieder einen regelmäßigen Gang an und eine weniger genaue Diät schafft mir eher Vortheil als Nachtheil. Ich habe mich aber nun auch fest entschlossen, so es Gott will vor nicht in die Stadt zurückzukehren. Auch über den Fortgang meiner Arbeit kann ich Dir die beruhigendsten Nachrichten geben; läßt mich der Himmmel diese schöne Zeit der Muße noch länger und eben so vollkommen wie bisher genießen, so hoffe ich ein gut Stück Arbeit vor mich zu bringen. Die Einsamkeit, trotz meiner herzlichen Sehnsucht nach Dir und unsern Kindern, thut mir in der innersten Seele wohl. Man findet sich erst wieder in solcher Stille, man ist mehr bey sich als im Geräusch der Welt, und lernt sich selbst auch wieder liebgewinnen, was die wohlthätigste Empfindung für den ist, der beynah’ ein Selbsthasser geworden. Könnte man sich doch diese Stimmung überall und unter allen Umständen erhalten! Es wird mir hier so leicht zu Muth, daß selbst der Gedanke an das Leid, was ich über Dich bringe, der sonst für mich der drückendste, hier nie ohne Trost und Hoffnung in mein Herz kommt, ja ohne Gewißheit, daß es besser werden, daß alles Leid sich noch in Freude verwandeln wird. Versprich mir nur, auch Muth zu fassen, nicht zu erliegen, es wird gewiß anders mit uns werden, was in meiner Gewalt steht, soll dazu geschehen, es ist mein fester Vorsatz und Wille; erhalte Dich in der bösen Zeit und überwinde das äußere Böse durch Dein inneres Gutes, damit Du auch die gute Zeit mit genießest und bleibe immer so innerlich zugethan, als ich Dich bisher stets erfunden. Das Übrige wird sich finden, wenn wir nur uns selbst retten. Mit meiner Gesundheit kehrt auch wieder Muth und Unternehmungsgeist zurück: es gibt noch mancherley Auswege für uns, die sich freylich auch nur in der Einsamkeit und Ruhe darstellen; wenn man so an seinem gewöhnlichen Joch fortzieht, meynt man oft, es sey nun gar nichts mehr übrig, als eben zu tragen und zu leiden, sich immer unempfindlicher zu machen und mehr und mehr abzustumpfen.

Dein Brief vom ist mir zu meiner großen Freude richtig beliefert worden. Er enthält mir nur zu wenig von Dir und zu viel von mir. Ahme mir nach, dessen ganzer Brief fast nur von mir selbst handelt. Schreibe mir, ob Du zufrieden und leidlich vergnügt bist. Ich hoffe doch, daß wir uns auf dem lieben Lande noch eher wieder sehen sollen, als in der Stadt. Welche Anstalten hast Du schon wegen Schlehdorf’s getroffen? Ich bleibe bey meinem Vorsatze und wünsche ihn recht bald ausführen zu können. Nicht daß es mir hier nicht recht wohlgienge; nicht daß mir die Gegend, je mehr ich sie kennen lerne, nicht besser gefiele; aber je mehr man Aufmerksamkeiten für mich hat, desto natürlicher ist das Gefühl, daß man dergleichen nicht misbrauchen und über ein gewisses Maß annehmen solle. Außerdem hat Schlehdorf das Beruhigende für mich, gewiß zu seyn, daß keine Art von Rücksicht, daß nur etwa die einbrechende Jahrszeit mich vertreiben kann. Unter den Sachen, die Du mir nach Schlehdorf schickst, müssen nebst der gehörigen Anzahl Schnupf- und Waschtücher, auch Messern und Gabeln, Stiefelhacken etc. kurz noch alle die Kleinigkeiten seyn, die ich hier füglich, dort aber nicht leicht entbehren kann. Vergiß nicht mir auch einige Paar Socken und meine warmen Beinkleider beyzufügen. Hier erhältst Du den Schlüssel zum nußbaumenen Schreibtisch, nehme die Papier und Federn heraus, sollten von letztern keine frisch geschnittnen mehr übrig seyn, so gib die alten dem Hänlein, der Dir daraus noch ganz treffliche schneiden kann. Zugleich schick’ auch mir etwas Postpapier nach Schlehdorf, denn wie ich sehe habe ich nur 2 Bogen bey mir. In der oberen Schublade linker Hand liegen Papiere, zur linken Hand zusammengeheftete, zur rechten einzelne Bogen, von denen vielleicht ein Theil in die Queere liegt. Von diesen einzelnen Bogen nimm die oberste Lage, etwa 10–20, was ich wünsche wird schon darunter seyn und schicke sie mir auch nach Schledorf. Den Schlüssel verwahre wohl, weil in dem Schreibtisch auch alle andern Schlüssel sind. Es ist mir nichts weniger als angenehm, daß noch ein solcher Franzos’ angestiegen kommt, ich habe dafür jetzt keine Zeit, am wenigsten wünschte ich, daß ihn Kersdorfs mit hinaus brächten. Ist ihm wirklich soviel an mir gelegen, so kann er ja schon einen Morgen dran rücken und hier in dem (ganz guten) Wirthshaus logiren. Solltest Du ihn noch einmal sehen und finden, daß er den Gedanken nicht überall aufgegeben, so gib ihm doch dieses Mittel an, zu seinem Zweck zu kommen. Hast Du denn nichts von Cousin gehört, wie lang’ er sich noch in München aufgehalten und wie es ihm auf dem Rückweg ergangen? Ich hoffte auf einen zweyten Brief von Dir, denn Kerstorf’s wurden bestimmt erwartet. Nun sie bis heute Nachm˖[ittag] nicht gekommen sind, fürchte ich, sie kommen auch heute nicht. Da wird es etwas schlimm ausseh’n puncto der Schnupftücher etc. daher bitte ich Dich, im äußersten Fall etwa die Gelegenheit durch welche dieser Brief Dir zukommt, zu benutzen.

Doch nun auch nichts mehr von solchen Dingen. Der Rest des Papiers soll bloß unsern lieben Kindern und Dir gewidmet seyn. Wie haben sich denn die guten Lämmer wieder in das Stadtleben gefunden? Die wenigen Tage haben mir gezeigt, daß die Buben wie der Vater sind, inwiefern auch ihnen die Stadt nicht zuschlägt. Wie blühend war Paul in wenigen Tagen geworden – bey’m Abschied war er ordentlich glühend, daß ich einigermaßen besorgt für ihn wurde. Ich hoffe, Du wirst Dir und den Kindern so viel Vergnügen, Genuß der frischen Luft pp verstatten, als die Witterung und die Umstände nur immer zulassen. Hast Du Deine Bäder angefangen? Versäume dieß ja nicht! Welche Freude wenn wir uns in Schlehdorf noch vereinigen könnten, wär’ es auch nur im und auf einige Wochen; gewiß werden diese Monate noch sehr schön. Gewähre mir wenigstens die Beruhigung, daß Du einmal bey schönem Wetter noch nach Andechs gehst. Es liegt nun alles an Deiner Gesundheit und an Deinem Frohsinn! Könnte ich Dich doch recht fröhlich und heiter machen! das würde auch auf mich vortheilhaft zurückwirken. Ich Thor! statt dessen bringe ich nichts wie Leiden über Dich. Nun Du hast mich gewollt und mußt es nun haben und Gott wird es gewiß besser machen, besonders wenn Du Dein Herz nicht verstockst, heiter und guter Dinge bleibst. Ihm befehle ich Dich, sammt unsre lieben Kinder, die ich sammt und sonders herzlich küsse.

Lebe wohl schreibe mir recht bald wieder, recht viel von Dir, und behalte mich lieb
Dein
treuer Freund

Sch.

Kersdorf’s kommen heut’ Abend wirklich nicht mehr. Ich muß Dich also bitten, Liebe, wenn sie nicht etwa kommen, gleich die Gelegenheit, durch die Du diesen Brief erhältst, zu benutzen, um die nöthige Wäsche zu schicken. Das Mädchen (die Babetta) geht übermorgen ( früh) wieder heraus.