Sr. Hochwohlgebohren
Herrn Direktor von Schelling
in
gantz frei
Liebster Bruder!
Ich hatte mir vorgenommen, Dir von Göppingen aus, wohin ich in den ersten Tagen des abgegangen bin, zu schreiben, wurde aber durch verschiedene Umstände immer wieder verhindert, es zu thun, und als ich hieher zurückkam, traf ich eine solche Menge von Geschäften an, daß ich bis diesen Augenblick ebenfalls nicht dazu kommen konnte. Wir sind in Göppingen 10 Tage lang gewesen, und giengen von da nach Neustadt, um den August und seine Frau einmal an ihrem neuen Wohnorte zu besuchen, und zugleich der Taufhandlung des neugebohrnen Sohnes beizuwohnen. Leider war aber das Kind den Abend zuvor, als wir ankamen, beerdigt worden, indem es in Folge einer mehrere Tage zuvor eingetretenen konvulsivischen Kranckheit gestorben war. Wir blieben unter diesen traurigen Umständen nur über Nacht, und kehrten, da ohnehin meine Urlaubszeit verfloßen war, den andern Morgen hieher zurück. Ich muß auch gestehen, daß es mir und meiner Frau wie es auch Euch ergangen zu seyn scheint, in Neustadt nicht sonderlich gefallen hat. Es ist nur gut, daß es dem August nicht so geht, im Gegentheil scheint er mit seiner Lage gantz zufrieden zu seyn, und vielleicht würde es unter andern Umständen, als diejenige, unter denen wir da waren, uns auch einen bessern Eindruck hinterlaßen haben. August’s älterer Sohn ist, wie Du wißen wirst, seit 4 Monaten in Würzburg, und sein Fuß soll sich bereits so gebessert haben, daß er fast auf der Ferse aufstehen und den Fuß wieder gantz frei auswärts setzen kann. – Deine beide Knaben sind in der Vakanz munter und wohl bei uns gewesen. Durch eine sehr gefährliche Kranckheit der Frau Rektorin Planck wurde ihr Aufenthalt hier um 8 Tage verlängert, ich habe jedoch dafür gesorgt, daß sie besonders in den lezten 8 Tagen täglich gegen 3 Stunden zu arbeiten, und etwas aus dem lateinischen ins Deutsche, und aus dem Deutschen in das Lateinische übersetzen hatten. Beide scheinen mir seit wieder merckliche Fortschritte gemacht zu haben, und arbeiten schnell und leicht, Fritz mit etwas weniger Lust zur Sache, als Paul, was mir bei seinem Alter sehr natürlich zu seyn scheint, indem ihm die Kinder- und Knabenspiele noch gar zu wohl gefallen.
Bei der gegenwärtigen warmen Witterung reifen die Trauben, welche früher ein wenig zurückgeblieben waren, schnell heran, und wenn die Witterung günstig fortbleibt, könnte der Herbst schon Anfangs statthaben. Wir rechnen gantz sicher auf einen Besuch von Euch beiden und hoffen, daß ihr auch die Kinder mitbringen werdet. Mit dem
Nun muß ich abbrechen, und bitte Dich nur noch, uns bald mit der Nachricht Eurer baldigen Hieherkunft zu erfreuen. Leb recht wohl und gesund, und empfiehl uns Deiner lieben Frau bestens!
Dein
tr˖[euer] Bruder
K.
St˖[uttgart] den .