Seiner Hochwohlgebohren
Herrn Director von Schelling
in
Stuttg˖[art] den
Mein theurer geliebter Bruder!
Recht innigst freute ich mich über die Gute Nachricht von Deinem und Deiner lieben Familie Befinden – (Br˖[uder] Carl glaubt, daß es bei Dir jezt mehr Einbildung, als wirkliche Unbäslichkeiten über die noch zu klagen wären) Wann wir jezt nur auch bald recht warme Witterung bekämen, daß Du bald, Dich, mit den lieben Deinigen auf die Reiße Dich begeben könntest, ich vermag Dir nicht zu sagen wie unaussprechlich wir uns freuen – laß Dich ja nichts anfechten, als ob Du in Br˖[uder] Carls Hausse zu grose Unruhe machtest – die Schwägerin ist Seelen gut. Ausser hie und da läuft, das Töpfchen über – ich bath sie schon mehr mals mir Deine Magd und Kinderchen zu über lassen – sie sagt mir immer um keinen Preiß in der Welt liese sie sich das nehmen – einen so lieben Schwager mit seiner Theuren Familie zu beherbergen nach 6 langen Jahren, würde sie noch 1000mal mehr Unruhe sich gefallen lassen! Unsre Familie hat jezt an Br˖[uder] Carl einen 2ten Onkel Prelat – Er ist so gut und liebevoll gegen die Seinige gesinnt, daß wir in ihm eine wahre Stütze für unsre Kinder besizen. Mir ist dann wirklich das Glük zu Theil worden dem lieben Seligen Onkel die lezte Jahre seines Lebens zu erleichtern und ihm die 3 lezte Tage seines einsamen Lebens beizustehen – es gereicht mir zur grosen Beruhigung, daß ich oefters Gelegenheit hatte ihm Beweise meiner Dankbarkeit an den Tag zu legen – seit der lieben Seligen Mutter hatte er alles Vertrauen zu mir, ich erhielt beinahe alle Wochen 1–2 Briefe und besorgte alles aufs Beste, was er mir auftrug. Der gute Mann hatte immer den Wunsch ganz schnell zu sterben und zwar in der Kirche – daher er auch als krank noch die Gottesdienste versahe – und täglich 60 Kinder in der Relig˖[ion] untherrichtete – bei diesem Untherricht verliesen ihn die Kräften so, daß er unmächtig in sein Bethe getragen wurde wo er von 5 Uhr bis nachst 1 Uhr betäubt dagelegen nach dem er erwachte verlangte Er von einem frommen vertrauten Manne, daß man nur mir mündlich sagen solle ich solte zu ihm kommen mit D˖[oktor] Cleß weil Br˖[uder] Carl selbst nicht wol wäre –. Mit der grösten Freudigkeit und beinahe immer bethend sahe er freudig sein Ende heran nahen – behielt bis die Sprache versagte – das Bewustsein. Den 2ten Nachmitag bei meinem Aufenthalt kamen inigfrome Männer um Abschied zu nehmen, diese fragten ob Er nichts mehr zu verordnen hätten – ja sagte Er die Magd solle die 2 Capt. Briefe von Münster dem Schulmeister geben, damit sie mir zu geschrieben werden – und dictirte es mit so viel Besonnenheit dem Schulmeister in die Feder, und weil ich Schwachheit halber sie nimmer untherschreiben kann so sollen die 3 andern Männer als Zeugen es untherschreiben, (da zeigte sich die gröste Vorsicht) die 2 Briefe betragen 1600 fl. ohne dieses Geschenk wäre ich gegen mein Vermuthen nicht sehr bedacht –, da hab ich neuerdings wieder Beweise wie die Göttliche Vorsehung über mir wacht, wäre Onkel nach seinem Wunsche schnell gestorben, so wäre das für mich verloren gewesen – oder wann ich selbst krank gewesen wäre und hätte ihn nicht besuchen können. Nach dem Testament hofft Onkel von der Rechtschaffenheit des Tribunal Assessors Cleß (der zum Universal Erben ernannt ist) dieser werde, wenn verhaltnismäsigt für diesen, die Erbschaft zu gros ausfallen solte, den 4 oben erwähnten Erben noch was abgeben solte – das wäre Tante Bardili Prof. Hillerin unsre Mutter und ich – aber da wird es eben heisen nehmen ist seeliger – als geben –. Br˖[uder] Carl wird Dir geschrieben haben, daß Du und Aug˖[ust] jeder mit 1000 fl. im Testam˖[ent] stehen – dem Cleß fallen aber gegen 18,0000 fl. zu, ich bin begierig wie es um seine Rechtschaffenheit steht – er stekte sich schon bei seinem lezten Besuche den ich erhielt hinter seinen Bruder D˖[oktor] Cleß, der eine Frau hat die 100,0000 fl. bekommt, daß er es mit diesem theilen müsse, weil er sich nicht wegen dieser Erbsch˖[aft] mit seinem Bruder verfeinden wolle. Da könne Er dann freilich nicht viel abgeben. Die Köstlinische und Bardilische Familie – sind sehr böse – die gute Hofr[ä]tin Breyer gibt sich gedultig darein, daß sie nichts – als järlich 30 fl. aus einer Stiftung bekommt – welche auch mir zu theil werden. Sehr undankbar ist es vom Seligen Onkel, daß Er des guten Dokters auch nicht ein mal ein Andenken zurük lies – da sie sehr vieles mit ihm bei seinem Aufenthalt bei ihnen zu ertragen hatten. Warscheinlich weil sie k˖[eine] Kinder haben, oder hätte Herr Minister von V˖[ellnagel] noch mehr für ihn thun sollen nach seiner Meinung. Da sie aber gar nicht – Erblustig sind, nehmen sie es auch nicht übel – bei unsrer Theilung haben sie mir die Hälfte ihres Antheils überlassen – Bruder Carl hat ein sehr groses Einkommen und kann jedes Jahr gegen
Mein Sohn Louis empfihlt sich gehorsamst und dankt für Dein gütiges Schreiben – Lebe recht wol mein Theurer Bruder! bis uns das Glük zu theil wird Dir persöhnlich zu beweisen wie sehr Dich liebt Deine Schw˖[ester]
B. G.
1000 Grüße Deiner lieben Frau und Kinder.