Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Leider muß ich den Brief, wie immer, mit der Selbstanklage anfangen, beste Pauline! Es ist wieder über einen Monat, daß ich Ihren lieben Brief erhalten habe. Freylich ging die Zeit hin im Hin- und Herüberlegen, wie es wohl anzustellen wäre, die lieben Freunde zu sehen, und immer hoffte ich, darüber etwas gewisses schreiben zu können. Aber es ist jetzt alles so erschwert mit dem Reisen, besonders angestellter Leuten; und über die Gränzen unsrer kleinen Staaten zu kommen kostet bald soviel Mühe, als in’s große chinesische Reich hineinzukommen. Wollte ich Ihr freundliches Erbieten, das mich im Herzen gefreut, einen Theil des Wegs entgegenzukommen, auch annehmen, was ich doch fast nicht verantworten könnte: so wäre mein äußerster Punkt ohne die Gränze zu überschreiten Cronach an der Spitze des Bamberger Landes; wie könnte ich aber Ihnen zumuthen, den ganzen Thüringer Wald um meinetwillen zurückzulegen! – Ich habe mich nun so eingerichtet. Schon seit habe ich mich auf das Land in fast völlige Wald-Einsamkeit begeben, wo ich ungestört arbeite und einmal wieder die alte angeborene Wald-Lust recht befriedigen kann. Hier geht es denn auch mit dem Arbeiten viel besser von Statten, und bleibt es bey dem schönen Wetter, das jetzt wieder aufs Neue angefangen, so denke ich bis hier zu bleiben. Vielleicht gibt der Himmel Gnade, daß ich in dieser Zeit soviel beendige, als vor durchaus beendigt seyn muß, und daß mir im noch Raum zu einem kleinen Ausflug wird, den ich, wenn es nur immer möglich ist, nach keiner andern Richtung als der der Magnetnadel nehmen werde. Aber davon seyn Sie nur überzeugt, bestes Kind, wenn auch dieser mir nicht zu wandern erlaubt, der nächste bringt mich eines Tags in den Thüringer Wald und wenn nicht nach Gotha, doch in solche Nähe, daß wir uns ohne zu große Beschwerde von Ihrer Seite sehen und nach Lust sprechen können.

Ich muß Ihnen doch auch eine kleine Beschreibung von dem Ort meines Aufenthalts machen. Es ist ein Punkt an dem hohen Ufer der Isar, die hier aus Schluchten und Wäldern hervorströmt, um sich dann in die weite Ebene von München zu ergießen. Der Anblick eines durch den grünen Wald strömenden reißenden Wassers, der gewiß zu den reizenden gehört, ist hier ganz vorzüglich schön. Nach allen Richtungen, auf mehrere Stunden in die Weite, ist der schönste Laubwald voll reger Thiere, Hirsche, Rehe und Vögel. Etwas wild sieht es freylich aus, aber in der Art wie es gefällt. Es ist ein Punkt, der Ihnen gefallen würde, der auch zu den Lieblingsplätzen der Münchner Welt gehört, die eine Viertelstunde von dem Bauernhof, den ich bewohne, ihren sonntäglichen Belustigungsort hat.

Sind Sie denn auch noch auf dem Lande, oder umfängt Sie schon wieder die Stadt? Wo Sie seyn mögen, meine Gedanken sind recht oft bey Ihnen, ja ich muß sie mit Gewalt zügeln und halten, da ich sie zu meinen jetzigen Arbeiten so sehr als möglich in der Nähe haben muß. Ich weiß nicht, liebe Pauline, ob Sie von dem jetzigen GelehrtenLeben einen Begriff haben; es hat mit dem Leben des Kriegers noch die meiste Ähnlichkeit. Der Künstler stellt sein Werk als etwas von ihm selbst unabhängiges hin, das unmerklich die Gemüther, auch die nichtwollenden, an sich zieht und allmählig sich verähnlicht. Der Gelehrte, der eine Überzeugung ausspricht und sie geltend machen muß, setzt zugleich seine Persönlichkeit daran, und wir Philosophen vollends sind die eigentlichen Krieger im Reiche der Intelligenz. Bei einer Bewegung und Unruhe, wie sie in die Köpfe gekommen ist, läßt sich an keinen Frieden denken, und auch hier liegt alles daran, sich immer thätig, rüstig und wehrhaft zu halten. Dieß ist nun freylich je nachdem man’s nimmt wieder das schönste Leben, aber die fröhlichen Gedanken an ein friedliches, stillgenießendes Leben, mit denen andre Menschen sich weiden, gedeihen nicht dabey, und fast müßte man ihre Verwirklichung von einem künftigen Leben fodern, wie die Seele des Ulysses, nach einer Erzählung bey Plato, sich dort nichts andres ausgewählt, als das stille Leben eines Privatmanns, fern von Krieg und von Staat. – Lassen Sie mich doch immer wissen, liebe Pauline, was in Ihrer Nähe im Reich des Geistes vorgeht. Es entzündet uns, wenn wir andre um und neben uns in Thätigkeit wissen, und hier herum ist fast nichts zu gewahren, als der behaglichste Mittags- und Abendschlaf der Wissenschaft und besonders der Poesie. Nur der Musik und bildenden Künsten scheint dieser Himmel noch hold. In der ersten ward mir kürzlich ein großer Genuß durch den Gesang der Madame Milder von Wien, die hier auch in Glucks Iphigenia auftrat. Ihre Stimme hat wohl nicht ihres Gleichen in Deutschland; was aber die Aufführung betrifft, die auf unserm Königlichen Theater mit dem großen, unvergleichlichen Orchester gegeben wurde, so habe ich mich theils mit Freude theils mit Verdruß an jene bescheidnen Weimarischen Aufführungen erinnert, die ich Goethe’n zu danken hatte, als er einst, in einer trüben Zeit, mich über die bey sich hatte; ich habe auch da wieder geseh’n, auf welchen stillen, fast unmerklichen Eindrücken und leisen Zusammenstimmungen die Wirkung eines Kunstwerks beruht. – Es geht doch nichts in der Musik über diese göttliche Iphigenia, die mich jedesmal neu erquickt.

Leben Sie wohl beste Pauline! Herzliche Grüße an alle die Ihrigen; wie oft denke ich an Sie alle! Gedenken Sie auch meiner, doch nicht bloß in Gedanken auch in Werken, worunter ich hier, bestehen sie gleich aus Worten, Briefe meyne, die von Ihnen zu bekommen, immer ein Fest ist

Schelling -

(Addressiren Sie trotz dessen immer nach München, wenn Sie mir bald schreiben sollten)