Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Hochzuverehrender Herr Professor!

Da ich doch vergeblich eine passende Einleitung zu diesen Zeiten suchen würde, so erlauben Sie mir, Verehrtester, sie, ohne irgend eine, anzufangen und schenken Sie mir ein gütiges Gehör.

Ich bin ein Schwede, 38 Jahr alt, Vater von neun Kindern, Prediger der evang˖[elischen] Gemeinden in der Umgegend von Moskau, Lehrer der lat˖[einischen] Sprache bei der hiesigen Med˖[icinisch] Chir˖[urgischen] Akademie u.s.w. Ich habe in Åbo studirt und neuerdings von der Königsberger Universität für eine Dissertation, de philosophia cum religione christiana connectenda das Diplom eines Doktors der Philosophie erhalten. – Die Philosophie war von der Universität an mein Hauptstudium, allein mein theurer, würdiger Lehrer starb und ich fühlte ohnehin bald dass ich nur durch die Bekanntschaft mit der Deutschen Litteratur im Forschen nach Wahrheit vorwärts kommen könnte. Ich ging daher nach Wiburg, wo, wie ich wusste, Deutsche mit deutscher Liebe zur Wissenschaft dem dortigen Gymnasium vorstanden und lernte dort in meinem 21sten Jahre die deutsche Sprache. Nachdem ich ein Jahr lang bei der Schule gedient hatte, machte ich mich auf den Weg nach Deutschland um dort, wo möglich dem Studium ganz zu leben. Schon in Petersburg wurde ich aber, weil ich gar nichts hatte wovon zu leben, davon abgerathen und überredet eine Pfarre in Südrussland anzunehmen. Seit bin ich hier. Diese 15 Jahre hindurch hab’ ich mich bei spärlicher Musse meist durch Selbstdenken fortzubilden gesucht. Seit etwa 8 Jahren begann ein gewaltiger Konflikt zwischen meiner Vernunft und meinem Glauben. Der Rationalismus hörte auf mir zu genügen und doch konnte ich nicht glauben was die rechtgläubige evang˖[elische] Kirche glaubt. Ich suchte nun das Verständniss der Hauptlehren derselben, und das ist mir, Gott sei ewig gedankt, gelungen; so dass ich, für meine Person wenigstens, und das ohne alle Künstelei, die Wahrheit und Nothwendigkeit dieser Lehren hell einsehe. Sie werden aber leicht denken dass ich mir diese feste und freudige Überzeugung nicht hätte eigen machen können, wäre es mir nicht gelungen die Wahrheit als Eine zu erforschen und so meine religiöse Überzeugung mit meiner philosophischen zu vereinigen. Und seitdem mir diese Sonne der Einen Wahrheit aufgegangen ist, ist es der einzige Zweck meines Dichtens und Trachtens geworden sie darzustellen im Leben. Welche segenreiche Folgen aber dieser Friede, wäre er zu stiften, bringen würde, brauche ich Ihnen nicht erst zu sagen. Zwar darf ich, Ihnen gegenüber, nicht ohne Erröthen von Philosophie reden, allein dennoch muss ich die innigste Überzeugung aussprechen: wir werden die Wahrheit nicht eher haben, als wir sie als Eine haben, noch die wahre Philosophie, d.h. das wahre Verständniss Gottes und seiner Manifestation in der geistigen Welt, eher als sie aufgeht in die Religion und die Religion in die Philosophie. Auch scheints an der Zeit zu sein, wo die Wissenschaft von der Wahrheit als Einer, die Religionsphilosophie, sich ein selbständiges Dasein vindiciren werde. Was ich aber bis jetzt dieses Namens gelesen, scheinen mir nur schwache Versuche zu sein. Gelänge aber diese Wissenschaft einst, welches freudige religiöse Leben liesse sich dann nicht hoffen und wie würde nicht dann die dermalen fast erstorbene evangelische Kirche, von der, wie die Sachen jetzt stehen, das Heil der Menschheit ausgehen muss, zu einem neuen herrlichen Leben erwachen. Es ist also sehr natürlich, dass ich diesem hohen Zwecke Leben und Liebe weihe. Ich kann nicht anders. Ich halte es daher für meine heiligste Pflicht dafür zu sorgen, dass ich die Ideen, die ein gütiges Geschick mich finden liess, und die, wie ich wohl weiss, meinem Zeitalter noch fremd sind, möglichst ausbilde und darstelle. Um aber das zu können, muss ich nach Deutschland. Deutschland nur, nicht einmal das theure Vaterland, ist das Land, wo ichs so weit bringen kann, als es mir möglich ist, und der Punkt von Deutschland, wo Schelling lebt, ist der Brennpunkt aller Strahlen meiner Sehnsucht. Gott, der mein Herz sieht und mein Dichten und Trachten kennt, weiss dass ich sie verehre wie keinen Menschen mehr hienieden. Sie stehen mir als der Hohepriester der Menschheit da und an Ihr geistiges Wirken hat Gott sie verwiesen. O könnte doch mein Geist in den Strahlen dieser Sonne reifen, vielleicht würde dann einst auch mein Leben nicht ganz ohne Bedeutung sein für die Menschheit und für meine Kirche! –

Wie sonderbar! Grade in diesen Tagen, wo ich ohnehin jeden Augenblick an Sie denke, führt mir die Ankunft meiner Landsleute bei der schwedischen Gesandschaft Kernells nach seinem herausgegebenen Reisebemerkungen in die Hände, die Ihr theures Bild meinem geistigen Auge noch näher gerückt haben. Ich habe Sie in Ihrem Hause gesehen, in Ihren Vorlesungen gehört, ich bin Zeuge von der Liebe gewesen, mit der Sie den glücklichen Jüngling aufgenommen haben. Vielleicht hätte ich ohne dieses herzliche Zeugniss von Ihrer Humanität doch nicht gewagt mich mit meinen Wünschen an Sie zu wenden.

Ich habe noch einen gar wichtigen Lebenszweck zu erreichen. Ich liebe meine evangelische Kirche unbeschreiblich, und ihr tiefer Verfall und die ungeheure Gleichgültigkeit ihrer Glieder gegen sie, sind mir eine sehr dringende Aufforderung gewesen, ernstlich nachzudenken wie ihr geholfen werden könnte. Nach jahrelangem Sinnen ist auch dieses mir, glaub’ ich, gelungen. Ich sehe Licht. Zwar habe ich in einer bereits ganz fertigen Schrift, die ich die Kirche, eine Erzählung aus dem letzten Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts nenne, und für die ich eben einen Verleger in Deutschland suche, Alle meine Ansichten und pia Desideria niedergelegt, allein dies sind nur Winke und Fingerzeige, denen die tiefere Begründung fehlt. Da ich mir bewusst bin meiner Kirche von ganzer Seele zugethan zu sein, so würde vielleicht diese Liebe etwas dazu beitragen können irgendwo ein neues frisches Leben für sie anzuregen, die ihr wenigstens sehr noth thut.

Eigentlich müsste ich nach Deutschland nur um zu lernen, nur um der Saaten zu pflegen deren Keim mir anvertraut ward. Allein ich muss dabei mir und den Meinigen das nöthige Brot erarbeiten. Und da ich hier mein ziemlich gutes Auskommen habe, so wäre es eine Versündigung an meiner Familie, wenn ich diese ökonomische Lage gegen eine weniger vortheilhafte vertauschte, die ich mir auf keine Weise zur Schuld kommen lassen darf. Zwar kostet mir mein jetziges Auskommen beinahe meine ganze Kraft und Zeit, zwar kann ich also meinem höhern Lebenszwecke nur Brocken derselben widmen, und zwar weiss ich dass ich mein Lebenlang mich sehr unglücklich fühlen und einst in Verzweifelung sterben werde, – da helfen alle Beruhigungsgründe nichts, und sollen nichts helfen, – wenn es, was mir unter diesen Umständen ganz unmöglich scheint, mir nicht gelingt dafür etwas Bedeutendes zu thun; allein bei alle dem darf ich diese Lage nicht anders aufgeben als wenn ich in Deutschland eine eben so ökonomisch vortheilhafte finden kann, d.h. eine wovon ich bei guter Wirthschaft und einfachem Leben, mit Frau und 9 Kindern bestehen kann. Ich muss also eine Anstellung suchen, und diese könnte nur entweder eine einträgliche Pfarre oder, was mir noch lieber wäre, eine Professur der Dogmatik oder der – Religionsphilosophie sein. Denn in den übrigen Fächern der Theologie bin ich nicht so sattelfest dass ich es wagen dürfte mich um einen Lehrstuhl zu bewerben; und wie dürfte ich es vollends wagen, an einem Ort, wo Schelling lebt, sonst eine philosophische Disciplin lehren zu wollen. Ich habe daher die einzige Gelegenheit benutzt welche die unsers Monarchen darbietet, und mich mit meinen Wünschen an den Bayerschen Gesandten, den Baron von Giese gewandt. An eine Pfarre sei, meint er, bei der grossen Konkurrenz gar nicht zu denken. Ich habe ihm eine Art von Promemoria zugestellt, die er zu befördern versprochen, in der ich den König von Bayern bitte, eine Lehrstelle zu geben, bei der ich für jene höhern Zwecke meines Lebens wirken könnte. Da ich aber keine genügende Specimina zu produciren habe, so hab’ ich mir die Freiheit genommen mich auf Ihr Urtheil zu berufen, und bin desshalb so frei diesem Briefe ein Blatt beizufügen, das Fragmente zum Gerüste meines Lehrgebäudes enthält, und woraus Sie leicht ersehen werden, ob ich zu einer Lehrstelle, wie ich sie mir wünsche, brauchbar bin oder nicht. Vergeben Sie mir, Verehrtester, dass ich es gewagt mich auf Sie zu berufen, vergeben sie es, wenn auch nicht um meinetwillen, so um der guten Sache willen. Und wenn Sie mir diesen Schritt nicht verübeln so antworten Sie mir auf jeden Fall. Meine Adresse ist: Moskau, abzugeben beim Kaufmann W. Rosenstrauch auf der Schmiedebrücke. Dann werde ich auf alle Fälle gewinnen, wenigstens das, mit Ihnen, wenn auch in der Ferne in Berührung gekommen zu sein. Denn, die Wahrheit zu sagen, ich wage gar nicht zu hoffen dass jener sehnliche Wunsch, in Ihre Nähe zu kommen, je erfüllt werde. Ihr Monarch müsste denn grade gelaunt sein den Versuch zu wagen zu sehen was dabei heraus käme wenn er diese sonderbare Bitte erfüllen würde; doch dazu bin ich ihm zu unbedeutend; sondern ich thue diesen Schritt, um mir nicht vorzuwerfen zu haben, dass ich diese Möglichkeit nicht versucht habe. Möchte ich also wenigstens das gewinnen Sie für mein Wirken zu interessiren. Viellicht nehmen Sie sich meiner Religionsphilosophie an, zu der ich gegenwärtig nur die Einleitung (9 geschriebene Bogen) fertig habe. Denn die werde ich, die Verhältnisse mögen noch so ungünstig sein, nie aufgeben. Wie glücklich wäre ich nicht, wenn Sie mir diejenigen Winke und Ansichten mittheilen wollten, wozu schon beigefügte Skitze Sie veranlassen werden; etwas was ich freilich mehr zu wünschen als Sie darum zu bitten wage. Tibi nunc, hortanti lumine / excutienda domus praecordia; quantaque nostrae / pars Tuus sit, cornutes animae, Tibi ––– / ostendisse juvat. –– Me Tibi supposus. Teneras Tu suscipe vires / socratico, Cornutes sinu!

Gott erhalte Ihr theures Leben und wende mir Ihre Gewogenheit und Theilnahme zu, der ich mit der tiefsten Verehrung bin
Ihr
ergebenster

Dr. Sederholm

N.S.

Folgende ist meine an den Herrn Baron von Giese eingereichte Promemoria, die ich für zweckdienlich halte Ihnen in extenso mitzutheilen. Die Form dieser P˖[ro]m˖[emoria] ist später abgeändert worden.

Promemoria. Unterzeichneter (Schwede von Geburt etc. ut supra) ersucht unterthänigst Bayerns hochverehrten Herscher um die Erlaubniss, Ihm den höchsten Wunsch seines Lebens vortragen zu dürfen.| Er glaubt so glücklich zu sein, durch langes treues Forschen in Besitz von Ideen gekommen zu sein, deren Entwickelung und Verbreitung für das Ganze nicht ohne heilsamen Erfolg sein dürfte.| Er hält es daher für seine heiligste Pflicht, der Entwickelung dieser Ideen sein Leben zu widmen, so wie für das höchste Glück desselben, es diesem Berufe ganz weihen zu dürfen.| Er hat sein hinlängliches Auskommen, allein er muss es mit einer Anstrengung erkaufen, die ihm wenig Musse und Kraft übrig lässt, um die grosse Aufgabe zu lösen, die er gelöst haben muss, wenn er soll hoffen können, einst ruhig zu sterben.| Das Gebäude aber, das so hehr vor seinem Geiste steht, ist so gross und erfordert einen so festen Grund, dass die ungetheilte Kraft eines ganzen Lebens dazu gehört, um es darzustellen in der Wirklichkeit. Und es will mit aller Künstlertreue dargestellt sein, wenn der guten Sache dadurch wirklicher Nutzen erwachsen soll.| Die Vernunft- und religiöse Wahrheit als Eine zu suchen und darzustellen; die hohe Bedeutung aller Hauptdogmen des Christenthums der Vernunft einleuchtend zu machen, und auf diese Weise das Seine, zur Wiederherstellung des schmerzlich vermissten Friedens zwischen Vernunft und Glauben, beizutragen; den Beweis zu führen, dass die Idee eines Reiches Gottes auf Erden mehr als eine leere Redensart oder als eine sanguinische Hoffnung Unerfahrner sei, und die Bedingungen nachzuweisen, unter denen es erscheinen wird, – und namentlich die Christliche Religion als das noch immer unverstandene Entwickelungsprincip der Menschheit und die christliche Kirche, in ihrer wohl noch nicht gehörig gewürdigten Bestimmung, darzustellen, als die Führerinn der Menschheit zu Gott, – dies ist, in wenigen Worten, die Aufgabe, die ihm geworden und die er, sobald nur die äussern Bedingungen gegeben sind, mit Gottes Hülfe der Lösung näher zu bringen hofft.| Da er nun aber auf herkömmliche Weise, und namentlich hier zu Lande, eine solche Subsistenz wohl nicht finden kann, die nothwendige Bedingung ist, dass er dieses Ziel erreiche, so bleibt ihm nichts übrig als der allerdings kühne Versuch, einen Fürsten, einen Deutschen Fürsten um die Gewährung dieser Bedingung anzusprechen.| Da die Persönlichkeit des erhabenen Beherschers von Bayern dem Bittsteller hoffen lässt, dass seine kühne Bitte am ehesten bei Ihm Eingang finden möchte, und da er in keinem deutschen Lande lieber leben möchte als in dem glücklichen, das Karl Ludwig August regiert, so erkühnt er sich Ihm seine unterthänigsten Dienste anzubieten und um eine Stelle zu bitten, von der er, ohne anderweitigen Broterwerb, der grossen Aufgabe seines Lebens leben könne.| Eine Pfarre, – er muss leider, da er eine sehr starke Familie hat, hinzufügen: eine einträgliche, – oder noch lieber eine Professur, – Dogmatik und Religionsphilosophie wären seine Hauptfächer, – wären Stellen denen er vorzustehen sich getraut und um derer eine er Seine Majestät zu bitten sich erkühnt.| Da sein Studium bis jetzt mehr vorbereitend gewesen ist, so ist er annoch nicht im Stande, auf gedruckte Specimina, die seine Kompetenz zu einer solchen Stelle dokumentiren könnten, hinzuweisen. Allenfalls könnte sein, in Handschrift bereits ganz fertiges und jeden Augenblick producirbares Werk, die Kirche betitelt, als ein solches gelten: Dass er aber, obgleich kein Deutscher, wenigstens dieser Sprache mächtig sei, möchte vielleicht aus seiner Übersetzung des Liedes vom Heereszuge Igors, von welcher er sich die Ehre gibt ein Exemplar beizufügen, hervorgehen.| Er nimmt sich indessen die Freiheit sich, rücksichtlich seiner Fähigkeit zu einer Lehrstelle, auf das Urtheil des Professors Schelling in Erlangen zu berufen, dem er eine Übersicht seines zu entwickelnden Systems mitgetheilt hat. Ein Denker wie Er wird schon aus diesem Bauriss ersehen können, ob von diesem Systeme einiger Gewinn für die gute Sache der Wahrheit zu erwarten sei, oder nicht.| Sein Hauptwerk aber ist seine Religionsphilosophie, in der er die Ideen ausführlich entwickelt, die er in seiner Dissertation: de Philosophia cum religione Christiana connectenda, einer Arbeit der er die philosophische Doktorwürde verdankt, niedergelegt hat. Mit dem Niederschreiben jenes Werkes dürfte er aber, bei seiner spärlichen Musse, erst in Einem Jahre so weit vorgerückt sein, dass sich daraus erweisen liesse, was er allenfalls zu leisten im Stande wäre.| Indem der Bittsteller diesen Schritt thut, legt er die heiligste Angelegenheit seines Lebens, in die Hände des Fürsten, an den er die kühne Bitte richtet. Vielleicht wagt Dieser, für einen möglichen Gewinn für die gute Sache, den fürstlichen Vensuch; zumal da es immer in seiner Macht stehen würde, ihm die ganze Schwere seines Unwillens fühlen zu lassen, wann Er Sein edles Vertrauen gemissbraucht sähe.| Um aber einer möglichen Gefährdung seiner bürgerlichen Lage in diesem Lande zuvorzukommen, wagt der Bittsteller die unterthänigste Bitte, dass, wenn auf sie Rücksicht genommen, aber zugleich für nöthig erachtet werden würde, Erkundigungen über ihn einzuziehen, solches ohne Erwähnung seines Bewerbens um eine Anstellung geschehen möchte.| Was dem begeisterten Künstler Italien ist, das ist dem Schreiber dieses Deutschland. Indem er das einzige Mittel ergreift, um sich in den Stand zu setzen dem Rufe in seinem Innern zu genügen, versucht er den einzigen, ihm zu Gebote stehenden Weg, um sich einzubürgern unter das Volk Gottes der neuern Menschheit. Sollen die Ideen, zu deren Entwickelung er sich berufen fühlt, einst Eingang finden, so müssen sie erst von deutscher Kritik gewürdigt werden, und, bestehen sie diese Feuerprobe, aufgehen ins deutsche Gemüth. Nur was auf diesem Wege zur Gesinnung andrer Völker wird, fördert das Reich Gottes auf Erden, während der Versuch, ihm anderswo zuerst Eingang zu verschaffen, eben so geschichtswidrig als vergeblich sein dürfte. — Er betet, indem er dieses niederschreibt, zum ewigen Lenker der Dinge, dass, wenn es Sein Ruf war, der an ihn erging, Er diesen Schritt zu gesegneter Stunde möchte geschehen sein lassen!

D. S.


Die Wahrheit ist bei Gott: uns blieb das Forschen. J. v. Müller.


Grundriss der Religionsphilosophie. Begründung

Dem Menschen kann nur durch die Wahrheit geholfen werden. Sie ist Übereinstimmung und bringt den Menschen in Übereinstimmung mit dem Ganzen. Er kann aber nur in sofern die Wahrheit haben, als er sie als Eine, als eine lebendige, organische Totalität und als eine absolute erfasst, und dann in sofern er, als selbst Einer, sie sucht, also eine für seinen ganzen Geist. – Sobald der Trieb nach Wahrheit bei dem Menschen erwacht, muss er sich elend und zerrissen fühlen, bis er sie gefunden, und zwar als Eine. Bis dahin ist auch keine wahre Überzeugung möglich, denn Glauben heisst nur für wahr halten wollen, was der Mensch nicht mehr kann, sobald die erwachte Reflexion auf Widerspruch stösst. Auch muss die Wahrheit, in sofern sie sich in eine der Vernunft und der Offenbarung getrennt hat, als Eine erfasst werden. Der Mensch kommt nothwendig auf einen Widerspruch zwischen beiden. Auch hier ist ihm der Glaube ferner unmöglich, und nur im Verständniss wie in der Einheit der Wahrheit beider Heil. — Gelingt es ihm aber die Wahrheit in ihrer Einheit zu erfassen, so hört der nothwendige Zwiespalt zwischen Vernunft und Gefühl, V˖[ernunft] und Glauben, V˖[ernunft] und Offenbarung auf, das früher oder später nothwendige Verständniss der Religion wird herbeigeführt und der Mensch gelangt zu einer durch nichts ferner zu erschütternden Überzeugung. – Die Wissenschaft, in welcher der Mensch die Wahrheit als Eine hat, ist die Religionsphilosophie. Sie erhebt sich also dahin, wo die Wahrheit noch Eine ist, die sich, aus einem andern Gesichtspunkte, in zwei verschieden gefärbte Strahlen, Philosophie und Religion spaltet. Sie gibt die Wahrheit als Eine, nur in sofern sie dem Menschen im mittlern Durchschnitt, nicht dem Denker von Profession, zur Begründung seiner Weltansicht Bedürfniss ist. Was nur für die Vernunft Interesse hat, gehört der eigentlichen Philosophie an. Die Philosophie ist die Religion der Vernunft, die Religion die Philosophie des Herzens. Die Religion ist das Beziehen des menschlichen Seins auf das göttliche, ein Anknüpfen, und da der Mensch, zum wahren Bewusstsein seines Seins gelangt, sich abgekommen fühlt von Gott, ein Wiederanknüpfen an ihn, religatio. Die Intensivität dieses Beziehens und Strebens ist der Glaube, in Christi Sinn. Alle Philosophie war ursprünglich Religio und muss es einst wieder werden. Jene ist unendliches Nähern, diese setzt den Menschen gleich ins Ziel, in Gott. — Die Religionsphilosophie ist, der ursprünglichen Entzweiung im Menschen ungeachtet, möglich, weil weder in Gott ein Widerspruch möglich ist, noch zwischen Gott und dem was Gottes ist, in sofern es Gottes ist, und endlich weil das Gemüth der lebendige Brennpunkt und das Centrum der verschiedenen Kräfte, des menschlichen Geistes ist. Nur muss, damit Philosophie und Religion sich durchdringen können, nichts in der Religion (wie bis jetzt so oft,) fleischlich genommen werden. Sie geht nur auf Geistiges. Nur die fleischliche Ansicht, die wieder mit der Gemeinen zusammenfällt, hat sie in Opposition mit der Vernunft gebracht. Und dann muss das poetische Element der Religion besonders gewürdigt und als solches behandelt werden, wobei jedoch nicht die in der Vernunft gegründeten Lehren derselben als Poesie genommen werden dürfen. Das Formalprincip der Religionsphilosophie ist die Einheit, mit welcher sie nothwendig die Wahrheit hat. Das Realprincip, welches jenes bedingt, ist Gott als die Ureinheit. Ihr Standpunkt ist nicht der der individuellen Vernunft, sondern das Bewusstsein Gottes, in welchem alle Differenzen verschwinden. Es ist dem Menschen möglich sich zu diesem Gesichtspunkte hinaufzuschwingen, weil Gott wahrhaft Geist ist, weil die Idee das Vermittelnde, wie überhaupt, so auch hier zwischen Geist und Geist ist. Nur muss sich der Mensch über die Schranken der Individualität erheben, und sich als durchaus Einen ganz versetzen in den Einen, in Gott. Er muss sich durch die höchste Concentration seines Sinns, durch das Aufgeben des Irdischen, durch höchste Liebe, Reinheit und Heiligung in das Bewusstsein Gottes hineinleben. – Das Organ der Religionsphilosophie ist die Vernunft. Das Gemüth, als Sitz und Brennpunkt des geistigen Lebens, muss die Eine Wahrheit suchen, und nur durch die Vernunft kann sie sie finden. Indessen kann nicht die individuelle Vernunft, sondern die Vernunft in ihrer höchsten Steigerung, – in der Kirche – dieses Organ sein. Vernunft und Offenbarung bedingen einander gegenseitig. Diese ist das Entwickelungsprincip der Vernunft in der Menschheit (Göttliche Erziehung des M[en]schengeschlechts) und ihr spiritus rector. Würdigung der Offenbarung ist Würdigung der geschichtlichen Entwickelung der Menschheit. Die Vernunft wieder ist das Medium, durch welches allein die Offenbarung subjektive Wahrheit für das Individuum wird und wahre Überzeugung hervorbringt. – Die Methode der Religionsphilosophie, wie sie sein sollte, müsste darin bestehen, dass sie, für jede dem Gemüthe wichtige Lehre der Philosophie, die korrespondirende der Religion, und umgekehrt, aufsuchte, diese in jene und jene in diese übersetzte und jeder derselben den korrespondirenden Ausdruck derselben Wahrheit so lange entgegenhielte, bis dass sie den Punkt findet, worin beide eins sind. Diese Einheit beider müsste dann, mit steter Rücksicht auf den korrespondirenden Ausdruck durchgeführt werden. — 1 Buch. Das Ur und seine Manifestationen, oder »aus Gott« Das höchste Schema nämlich für die Manifestation Gottes ist: aus Gott – durchs Leben – in Gott zurück. Das Princip dieser Reihe ist Entzweiung, nicht ursprüngliche Einheit. Diese differenciirt sich, damit die Manifestation dadurch möglich werde, und diese ist mit ihrer Entzweiung da, damit aus ihr eine höhere Einheit hervorgehe. – Die Religionsphilosophie deducirt nicht das Dasein Gottes, sondern setzt es voraus, indem sie erst dadurch möglich wird. Ihre Aufgabe ist: wenn das Ur und seine Manifestation gegeben sind, zu erklären wie diese aus ihm möglich und was der Zweck derselben sei. Hat sie dieses gegeben, so kann sie freilich nachweisen, wie die Erscheinung das Dasein eines Urgrundes desselben = Gott voraussetzt und beweist. Es scheint zwar ein Zirkel zu sein zu sagen, wenn Gott ist, so ist eine Religionsphilosophie möglich, und sobald eine Religionsphilosophie möglich ist, so beweist sie das Dasein Gottes. Allein was heisst dieses anders als: erst wenn Gott ist, ist eine Kenntniss Gottes möglich, und sobald Gott ist, ist auch diese möglich. Ist keine Lösung des Räthsels des Daseins möglich, so hilft uns auch das Dasein eines Gottes zu nichts, haben wir aber einen, so können wir es lösen. Dadurch aber dass wir eine Kenntniss Gottes haben können, erweist er sich als daseiend. Wir erkennen ihn, weil er ist. Wie ist nun aber, wenn Gott gegeben ist, Erkenntniss überhaupt und Erkenntniss Gottes insbesondre möglich? Ich verstehe darauf keine andre Antwort zu geben als diese: Gott kann nicht sein ohne da zu sein. Dieses Dasein ist, was es auch sonst sein mag, Gegen-Stand des Bewusstseins. So weit aber der Gegenstand gewusst wird, ist er, vermöge der durchaus neutralen, lediglich abspiegelnden Natur des Bewusstseins, in ihm was er in sich selbst ist. Das Bewusstsein aber ist seine eigne Kontrolle. Es ist nur in sofern es, dadurch dass sich ihm ein erster Gegenstand darbietet, ins Dasein gerufen wird. Dieses erste Objekt setzt aber ein Urobjekt, = Gott, voraus, dessen wir uns bewusst werden, sobald wir uns unser wahrhaft bewusst werden. Das Dasein unsers Bewusstseins beweist uns also das eines Gottes. Er ist aber auch in uns da, in sofern wir wahrhaft da sind. Dieses Daseins Gottes in uns werden wir aber nur in sofern wahrhaft inne, als auch wir in ihm sind, als wir das sind, was wir vor ihm sein sollen, also in sofern wir rein, heilig, unverschroben sind und unsre Bildung geschichtlich ist. Dann ist er in unserm Bewusstsein, wie er an sich selbst ist. Das Ur. Manifestation desselben. Was wir aber Gott nennen, ist Geist aus unserm Geiste, ist etwas Gesetztes, das in der Materie seinen Gegensatz hat. Die Eine absolute Wahrheit suchend, steigen wir über diesen Gegensatz hinauf, bis dahin wo wir das, was als Gesetztes Gott genannt wird, in seiner Einheit, als das Ur, erfassen. Das Ur ist also das Seiende, das einzige Seiende, und nichts ist, als in sofern es in ihm ist. Ein todtes Sein ist aber keins, und ein starres wäre ein todtes. Das Ur muss daher, als das Erste und Höchste, eine Kraft und zwar eine selbstthätige sein. Diese kann es aber nicht sein, ohne sich zu äussern. Das Ur denkt sich, und durch diese erste, nothwendige und ewigherige Äusserung seiner Thätigkeit, theilt sich das Sein in Geist und Materie, in Gott und Universum. Das im Universum gleichsam zurückgebliebene Göttliche (freilich ein sehr unschicklicher Ausdruck) ist der Quell des Lebens in den Natur.

Gott ist wahrhaft und an sich Geist und Person. Die Welt ist ewig wie Gott, alles einzelne aber in ihr entsteht und vergeht. Die Körperwelt ist zwar, unabhängig von unserm Denken da, allein dennoch hat sie nur ein bedingtes Dasein, einmal weil sie nicht für sich sondern nur für die Geisterwelt einen Zweck hat, und dann in sofern Gott sie zu denken fortfährt, in sofern er ihnen seine ewige göttliche Kraft, die Trägerinn derselben, nicht entzieht, die sie im Dasein erhält. (Wäre Fichte länger leben geblieben, er wäre, scheint es, auf dem Wege, worauf er fort schritt, seitdem ihm das Verständniss des Christenthums aufgegangen war, dahin gekommen, das Ich der Wissenschaftslehre, dessen Denken das Dasein der Dinge bedingt, = Gott zu setzen und Leibgeber hätte Unrecht. Dadurch wäre er mit der Lehre des Christenthums theoretisch zusammengekommen, so wie er es in seiner Religionslehre praktisch war, dadurch dass er, wie jenes, seinem in die Aussendinge versunkenen Zeitalter zurief, der Mensch müsse sich koncentriren in sich selbst, und sich weniger um die Dinge selbst, als um eine richtige, kräftige Auffassung derselben bekümmern.) – Manifestation Gottes. Gott ist als Geist, alles Ernstes gesagt, die Liebe, denn diese ist das innerste Princip des Lebens und der Thätigkeit des Geistes, wo und welcherlei einer sei. Die Liebe Gottes kann aber nicht sein, ohne sich zu manifestiren. Gott kann aber nur Gott lieben, was Geist aus seinem Geiste ist. Gott gibt sich diesen Gegenstand seiner Liebe, indem er sich von ewig her sich selbst als Geist entgegensetzt, sich als die Liebe denkt, den geliebten, eingebornen Sohn zeugt. (Übrigens liegen diese zwei Manifestationen nur in unserm Denken ausser einander.) Der Sohn Gottes ist das ewige Wort oder Idee, das bei Gott war, und zwar die vorzugsweise so zu nennende Idee. Ohnehin ist die Idee die Erstgeborne Gottes. Gott konnte sich aber nicht setzen als liebend und geliebt, ohne dadurch einem Abglanz dieses Liebens und Geliebtwerdens, dem Universum der Intelligenzen, das Dasein zu geben. Der Prototypus desselben ist die Uridee, der Sohn und die Bestimmung derselben zu sein im Leben (in der Erscheinung) was sie in dieser Idee, d.h. vor Gott sind. – Der Mensch ist also, in sofern er ein Gegenstand der Liebe Gottes ist und er sich in der Gemeinschaft Gottes zu erhalten strebt. Alles was er wahrhaft ist, ist er nur in, mit und durch Gott und ohne ihn und ausser ihm ist er nichts. Das Vermittelnde zwischen Gott und Mensch ist die Idee. 2. Buch, oder »durchs Leben«. Das Princip dieser Reihe ist die Schwerkraft im Menschen im Konflikt mit der Anziehungskraft Gottes. (Gleiche Kräfte bedingen im Universum die Bewegung in demselben.) – Das Leben. Das erscheinende Leben ist nur durch eine ursprüngliche, nothwendige, doch schuldlose Differenziirung mit Gott, = Abfall, möglich, deren Gesetz dieses ist: aus Gott, und in Gott zurück und doch selbst. Denn damit »sich aus seiner Thätigkeit entwickele, was zur Totalität der Offenbarung Gottes fehlt« musste der Mensch Selbst also in sich selbst Centrum sein. Da er aber nur das wirklich ist, was er in Gott ist, so musste eine Kraft da sein, die ihn zurück zöge zu Gott. Diese ist, von Seiten Gottes aus, die Gnade, die Anziehungskraft, wodurch diese Sonne im Universum der Intelligenzen dasselbe belebt erwärmt, in seine Nähe und im Leben erhält. Von Seiten des Menschen aus ist diese Kraft der Glaube, das Heimweh, die im Menschen zurückgebliebene Sehnsucht zurück zu kehren in Gott. Diese drei, die Schwerkraft, die Gnade und der Glaube machen die drei Faktoren des Lebens oder der Geschichte aus. — Fall. Trotz dieser Differenziirung war es doch dem Menschen ursprünglich möglich Gott zu leben. Die Schwerkraft wäre immer geringer geworden, in dem Grade als der Mensch in das Perihelium Gottes gekommen wäre und endlich nichts geworden. Der Mensch aber, der nur bedingter Weise Selbst geworden war, denn niemand ist absolut selbst denn Gott, wollte es auch gleich ihm sein. Die Natur wurde gewissermassen seine Verführerinn, denn sie überhäufte seine Sinne mit Genüssen, denen er um so eher sich hingab, da er sah, wie in der Körperwelt jedes höhere Sein sich auf Kosten eines niedrern entwickelte, indem es dieses in sein Selbst verwandelte. In dem Grade als der Mensch sinnlicher wurde, fiel er von Gott ab, zog er sich in sich selbst zurück und erlosch das Licht des Göttlichen in ihm, bis er endlich so verkehrt wurde, dass er, Gott vergessend, sich selbst als das Erste und Höchste, um dessentwillen alles da wäre, setzte. Die erste und einzige Sünde ist die Selbstsucht. Abgetrennt von dem Leben in Gott, wurde nun sein Leben zu einem nichtigen unseligen Traum. Sobald dieser Riss nun einmal geschehen war, war dadurch die ganze nachfolgende Menschheit abgelöst vom Leben in Gott, bis auf das Minimum vom zurückgebliebenem Göttlichen in der Menschheit, das sie noch nothdürftig im Dasein erhielt. – Offenbarung Mit dem Aufhören des Lebens in Gott hatte der Mensch die Kunde von seinem Sein in Gott, dass er nur in sofern wahrhaft lebt, als er Gott lebt, verloren. Sollte dieses Leben ihm je wieder möglich werden, so musste ihm dieses sein Sein in Gott von Neuem geoffenbart werden. Die Offenbarung ist überhaupt die Fleischwerdung des Worts, das Niedersteigen der Idee in die Erscheinung. Diese vorübergehende Offenbarung wurde, damit die Kunde derselben den Menschen nicht mehr verloren gehen könnte, fixirt in heiliger Schrift. Diese Offenbarung konnte nicht von dem gefallenen, von Gott abgetrennten Menschen, als solchem aufgefasst und dargestellt werden, sondern dies konnte ihm nur in sofern gelingen als ihm das Göttliche aufging. Inspiration. Ein jeder dem die Idee aufgegangen ist mehr oder weniger inspirirt. Ohnehin fühlen wir wie das Beste und Schönste was uns aufgeht, mehr gedacht wird in uns, als dass wir es selbst denken. Der Punkt in unserm Innern, in welchem wir mit der Gottheit zusammenhängen, ist in einem heiligen Dunkel gehüllt. So wie es Tugenden gibt (z.B. die Bescheidenheit), die der Mensch sich nicht erwerben kann, sondern die ein gütiges Geschick in seinem Innersten aufblühen lässt, ja, die so zart sind, dass sie verschwinden, sobald er ihrer bewusst wird, so geht uns das Göttliche auch ohne unser Verdienst, und beinahe ohne unser Zuthun auf. Wir haben nichts zu thun als aus den Aussendingen heimzukehren in uns, und uns mit ganzer Liebe dem Göttlichen zu ergeben, so geht uns dieses von selbst auf. Die Inspiration war aber nur in Christo absolut, in jedem andern, selbst in den Verfassern der h˖[eiligen] Schriften mehr oder weniger getrübt, indem diese nur getrübte Manifestationen des Göttlichen waren. Auch ist nur das was in der h˖[eiligen] Schrift Gottes Wort, d.h. Gottes Rathschluss zu unsrer Seligkeit, θεοπνευστως geschrieben. — Diese Offenbarung eines Gottmenschen war nothwendig, schon als Mittler überhaupt, indem nur durch ihn, als die Idee, die ungeheure Kluft zwischen Gott und Mensch ausgefüllt werden konnte. Er musste ausserdem, als Prophet, die Menschheit von ihrem Sein in Gott, sollte es den Gefallenen aufgehen, belehren; als der Hohepriester der Menschheit, durch das reine Opfer seiner Selbst, das Gefühl der Schuld tilgen, das, wie die überall aufgekommenen blutigen Opfer bewiesen, die Menschheit quälte, und dem Menschen durch sein Vorbild zeigen, er könne nur in sofern dem göttlichen leben als er das Sinnliche aufgibt und ihm zum Opfer bringt; als König endlich im Reiche Gottes, es gründen auf Erden, und einen Zustand auf Erden nothwendig machen, wo der Mensch das ist in der Erscheinung was er in der Idee ist. – Der Sohn Gottes, als das Wort, ward Fleisch in Jesus von Nazareth. In den menschlichen Körper desselben stieg die Idee nieder, oder stellte sich die Idee schlechtweg, die Idee der Menschheit, der Gegenstand der Liebe Gottes, die, als von Gott gedacht, ein eigenes Sein hatte, in der Erscheinung dar. Sollte eine Rückkehr der Menschheit zu Gott möglich sein, so musste sich die Gottheit in irgendeinem Punkt vereinigen mit der Menschheit (eine umgekehrte religio), und dass Jesus v˖[on] N˖[azareth] dieser Punkt war, bewies er faktisch durch seine Lehre und durch die neue Geschichte, die er gründete. So wie überhaupt die ganze Erlösung als eine Umkehrung des Faktums des Falles gedacht werden muss, so ist insbesondre dieses Übergreifen des Göttlichen ins Menschliche, durch die Offenbarung des Sohnes Gottes in Jesu, als die Umkehrung des Faktums, wodurch sich die Menschheit einst ausschied aus dem Leben in Gott, zu denken. – 3 Buch, das in Gott zurückstrebende Leben oder »in Gott zurück«. Das Princip dieser Reihe ist religatio, die Wiederanknüpfung des menschlichen Seins ans Göttliche. 1. Der Mensch Gott entgegenstrebend = Religion. Der nothwendige Durchgangspunkt dieses Strebens ist Sittlichkeit. Diese ist durchgängige Konsequenz, ist Harmonie des Menschen mit – sich selbst. Dazu ist weder Religion noch Gott nöthig. Auf dieser niedern Stufe seines geistigen Lebens ist der Mensch ohne alle Beziehung auf Gott, daher er weder seiner Überzeugung immer folgen noch selig sein kann. Seligkeit ist nur in Gott. Auch gibt die Sittlichkeit keinen Anspruch auf künftige Seligkeit, denn was der bloss Sittliche thut, das thut er sich selber. Die Religion hingegen ist Harmonie mit Gott, oder, weil das Ziel unendlich ist, Streben darnach, Leben in Gott. Was der Mensch Gott und der Idee lebt, das nur lebt er wirklich, und in wiefern er diesem nicht lebt, ist sein Leben ein wesenloser Traum. Die Energie dieses Strebens ist der Glaube. Sein eigentlicher Gegenstand ist Gott (Glaube schlechtweg), er kann aber auch auf andre Gegenstände gerichtet werden, und namentlich auf die Idee, wo er als Leben der Wissenschaft und der Kunst, Künstlerliebe und Treue erscheint, oder auch auf die Aussenwelt, wo diese Energie, auf den Mikrokosmos gerichtet, sich als Magnetismus, auf den Makrokosmos als Magie (Christus mit dem Feigenbaume) offenbart. Gewiss wird einst die Zeit wiederkommen, wo der Mensch, durch die blosse Energie seines Wollens und Seins, Wirkungen auf die Aussenwelt hervorbringen wird. Das Geistige ist ohnehin das Primäre, das Materielle das Sekundäre. Also wirkte Christus seine Wunder. Er war der Magus, die Natur die Somnambüle** Hony soit qui mal y pense. Und er verhiess den Seinen die Fähigkeit noch grössere Wunder zu thun. – Die Bedingung dieses Strebens ist das (heitre, freiwillige) Aufgeben des Irdischen. Der Stoicismus und Cynismus erhalten in dem Christenthume eine höhere Bedeutung. Jener, durch das Leben in der Idee, erzeugte Gleichgültigkeit gegen irdische Lust und Entbehrung. In dem Grade als dem Menschen die Idee aufgeht, wird ihm das Irdische Nebensache. Dieser die heitre Reduktion der irdischen Bedürfnisse auf ihr Minimum, um desto freier zu werden, um der Idee desto ungestörter leben zu können. Selbstentäusserung. »Das höchste Ziel und der höchste Beruf des Lebens ist, dass das Einzelne sich selber und sein ganzes Streben dem allgemeinen heiligen Werke des Guten und Schönen zum Opfer bringe.« Schubert. »Alle Künstler sind Decier, und ein Künstler werden heisst nichts anders als sich den unterirdischen Gottheiten weihen.« Schlegel. »Das ist einmal das Gesetz der Geisterwelt: alles was zum Gefühl des Daseins gekommen, falle zum Opfer dem ins Unendliche fortzusteigernden Sein.« Fichte. 2. Gott dem Menschen entgegenstrebend und an sich ziehend = Gnade. In sofern Gott den menschlichen Geist, erhebend und heiligend, durchdringt, so dass dieser, nur Heiliges wollend, anfängt zurückzustreben zu Gott, erscheint Gott als der heilige Geist. Im Vater als Liebe, im Sohn als das Geliebte, im heiligen Geist als Einswerden des Geliebten mit dem Liebenden. Denn hier wird das Abbild, die Menschheit, eins mit ihrem Vorbilde, dem Sohn. Der Rathschluss des Vaters, der möglich wurde durch den Sohn, wird wirklich durch den heiligen Geist. Diese drei sind aber eins, gleichwie im menschlichen Geist Wissen, Handeln und Fühlen das Leben des Einen Geistes konstituiren. – Nur insofern der Mensch in der Gnade steht, sich im Bereich der Anziehungskraft der Sonne der Geisterwelt befindet, ist er wahrhaft frei, frei nämlich von allem, was ihn hindert zu sein, was er soll. Wahre Freiheit ist Freiheit von, und eins mit der Nothwendigkeit. So wie nur in der Gnade Freiheit ist, so ist auch nur in ihr Seligkeit, denn diese gibt nur das Leben in Gott, das ausserhalb des Bereiches der Gnade undenkbar ist. — 3. Gott und Mensch dieses Leben gemeinschaftlich fördernd, oder Darstellung desselben. Zwei Aufgaben hat der Rathschluss Gottes den Menschen gesetzt, eine Lage zu gründen, in der sie als Sinnenwesen und eine, in der sie als Intelligenzen im Leben das sein können was sie in der Idee sind.++ Was darin, wegen menschlicher Beschränktheit, unvollkommen bleibt supplirt Gott, sobald nur der Mensch all sein Mögliches thut, durch seinen Segen. Das Resultat jene Lage zu gründen heisst Staat, diese Kirche. Letztere ist die Menschheit selbst als zurückstrebend zu Gott und ihr geistiges Heil zum Gegenstande ihres Strebens machend. Dadurch zerfällt sie unvermeidlich in Lehrer und Hörer, Erzieher und zu Erziehende, die eigentlich so zu nennende Kirche und Gemeinde. Die Universitas Litterarum et Artium liegt zwischen beiden. Eigentlich sollte jedes von diesen drei gleich nothwendigen Instituten selbständig und unabhängig von einander sein. Wenigstens müsste die evangelische Kirche von der Vormundschaft des nur Irdisches wollenden Staates, dessen Princip immer der Eigennutz bleiben wird, freigesprochen werden, die Fürsten das summus episcopatus aufgeben und der Kirche völlige Unabhängigkeit innerhalb ihrer Gränzen, mit solider Konstitution und repräsentativer Verfassung geben. (ausgeführt in meiner Novelle: die Kirche.) Die Staaten müssten, schon wegen ihres eigenen Nutzens dieses thun, denn nur die Kirche verbürgt ihnen die loyale Gesinnung der Bürger, indem sie etwas Höheres, als was sie im Staate finden können, zum Hauptziel des Strebens derselben macht. Aber damit die Kirche dieses verbürgen könne muss sie frei sein, eine Verfassung und ein gemeinschaftliches Centrum ihrer Thätigkeit, in einer obersten Behörde, haben, kurz Einheit und durchgängigen Organismus. Dann würde das zurückgedrängte religöse Element im Menschen sich wieder entwickeln und emporblühen. Mit dem Verständniss des Christenthums, das für das Ganze nur also zu gewinnen ist, würde eine freudige Zuversicht in das kalte, matte, sieche Leben der Gegenwart kommen, ein geistigeres Streben würde anfangen in der evangelischen Menschheit und sie einen grossen Schritt vorwärts ihrem Ziele entgegen thun. – Die Synthese und Wechselwirkung zwischen dem Staat und der Kirche würde dann erscheinen in dem aufblühenden Leben der christlichen Republik, und das Resultat dieser Wechselwirkung wäre dann die immer vollkommnere Darstellung des Reiches Gottes auf Erden, in welchem der Wille Gottes hier auf Erden einst so vollkommen geschehen würde als er im Himmel geschieht. – Das Reich Gottes, in welches der Mensch aufgenommen wird durch die Taufe, in welchem er sich erhält durch das Gebet, und in welches er, wenn er ins Irdische zurücksinkt, wiederaufgenommen wird durch das Abendmal, bildet den Gegensatz zu dem in den Aussendingen zerflossenen, irdischen ungöttlichen Leben, die Welt genannt. Bis auf Christus herrschte diese auf Erden, und vom Reiche Gottes war nur ein Minimum vorhanden. Durch die neue Geschichte aber, die er gründete, wird das göttliche Princip, der heilige Geist immer mächtiger auf Erden und strebt, das Reich der Welt vernichtend, das Reich Gottes immer vollkommner einzubilden ins Leben. So wie im A˖[lten] T˖[estament] die Erscheinung des Messias der Gegenstand der Sehnsucht Eines Volkes war, so ist, seitdem er erschienen, das Reich Gottes der Gegenstand der Sehnsucht der ganzen wiedergebornen Menschheit. Dieses Reich Gottes kann aber nur durch die Kirche, ausserhalb welcher kein Heil, zu uns kommen, und zwar durch die evangelische, die freilich erst ausgebaut werden muss, indem nur in ihr Leben und Freiheit ist. Nur wo die christliche Kirche herscht, ist eine dem Plane der Vorsehung gemässe Entwickelung der Menschheit möglich; sie wird aber sich immer weiter verbreiten auf Erden und sich immer vollkommner darstellen als die Führerinn der Menschheit zu Gott. – Was aber das Reich Gottes für das Geschlecht ist, das ist die Unsterblichkeit für das Individuum. Sie bedarf keines Beweises, denn hat man es einmal hienieden wirklich zum Leben gebracht, so hat man das Leben und ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen. Das Leben ist eins und der Tod ist etwas so unbedeutendes and hat so gar keinen Bezug auf das Leben, dass es sich kaum verlohnt, darüber zu reden. So gleichgültig es aber ist, auf welchen Punkt unsrer Entwickelung jener Einschnitt Sterben genannt, fällt, so wichtig ist es daraufzusehen, dass man es hier zum wirklichen Leben bringt, denn haben wir es uns nicht hier eigen gemacht, so wird es uns das Sterben wenigstens nicht geben. — Das Ur, welches sich schlechthin denkend, sein Sein in Geist und Welt theilt, gibt, sich als die Liebe denkend, dieser einen Gegenstand, der im Universum der Intelligenzen seinen Reflex hat. Diesem gab Gott ein gewissermassen eignes Dasein, damit er es wiederaufnehmen könne in sich und beseligen durch diese Wiederaufnahme. Und so strebt denn das Universum der Intelligenzen immer mehr und mehr in seinen Urquell zurück, aus welchem es einst hervorging, um einst in demselben ganz aufgenommen zu werden. »Die grosse Absicht des Universums und seiner Geschichte ist keine andre als die vollendete Versöhnung und Wiederauflösung in die Absolutheit«, — damit – unser Zirkel ist geschlossen, – »Gott sei alles in allem«.