Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Herrn

MedicinalRath Dr. Schelling

in

Stuttgart.

g[an]z frey.

Liebster Bruder!

Ich wollte Dir am schreiben, um zu dem ersten Geburtstag Deines kleinen Karl, meines theuren Pathchens, mit meinen Glückwünschen nicht zu fehlen, ich wurde aber grade an diesem Tag vom Morgen bis in den Abend dermaßen mit Besuchen behelligt, daß ich nicht dazu kommen konnte. Du und Deine liebe Frau werden indeß unsre herzlichen wenn auch verspäteten Wünsche darum nicht weniger freundlich aufnehmen.

Gottlob! seit ist die Begleiterin der Knaben zurück und hat durch ihre Erzählungen wenigstens in Etwas die Betrübniß meiner Frau gemindert, die übrigens nicht etwa bloß meinen Ansichten nachgegeben, sondern den Entschluß von freyen Stücken heroischer gefaßt, als nachher ertragen hat. Es ist freylich eine große Leere bey uns eingetreten, und wenn ich den traurigen Eindruck dieser, in dem schlechten Boden unsrer Schulen wenig gedeihenden Pflänzchen nicht überwinden konnte, gereicht von der andern Seite der gesunde, für jede Pflege dankbare Verstand der beyden Knaben mir immer zu großer Erquickung. Sie selbst gingen mit dem frohesten Herzen ihrer neuen Lage entgegen; Friz mit solcher Blindheit, daß er in den Wagen ohne Abschied steigen wollte und auf die Frage einer Umstehenden, ob er denn schon der Mutter Lebewohl gesagt? mit einem Ja so! wieder umkehrte. Auch unterwegs, und dort bey der Ankunft und dem letzten Abschied betrugen sie sich gleich vernünftig und heiter; beyde hatten so gute Vorsätze, daß ich nach allen Umständen und unter dem Einfluß eines gleichmäßigen, streng fortschreitenden Unterrichts in Verbindung mit einer nicht weniger folgerechten Erziehung alles Gute mir verspreche.

In dem Anerbieten, den Kindern zuweilen etwas Erquickliches zu schicken erkennen wir das gütige Herz Deiner lieben Frau; indeß wird es bey den strengen, sehr zu billigenden Grundsätzen über die Diät der Knaben, der Frau Rectorin, in wiefern sie ihr Gesundheit sicherndes Regime dadurch gefährdet sehen könnte, wahrscheinlich lieber seyn, wenn die Kinder ausschließlich bey ihrer – nicht ausgesuchten aber wie ich allgemein versichert werde – reichlichen und zulänglichen – Hausmannskost bleiben müssen. Es ist überhaupt gut, wenn sie von allen zufälligen Beneficien, die sie bis jetzt nur allzugern sich zu Nutz machten, ab- und an das immer sich gleich bleibende, Nothwendige auch in dieser Hinsicht gewöhnt werden. Ich höre zwar, daß sie auf die Frage des Herrn Rectors, ob sie ihren Herrn Onkel in St˖[uttgart] auch besuchen dürfen? rüstig geantwortet: Ja, auf ! Dieß ist aber gar nicht unsre Meynung, einige Tage auf , wenn Du es erlaubst, sind vollkommen hinlänglich. Das Opfer einmal gebracht soll nun auch streng vollzogen werden; wir selbst werden sie nicht eher, als frühestens nächsten wieder hieherkommen lassen. Es würde sie freylich sehr freuen, Dich und Clärchen zu sehen, da aber der Winter mit so schnellen Schritten herannaht und die Entfernung für einen Tag doch zu groß ist, wird es wohl bis auf den anstehen müssen. –

Das Herzog-Christofs-Bild ist nun in Planks Händen, den ich, jede Gefahr von Beschädigung zu vermeiden, gebeten habe, solches nur durch Gelegenheit, nicht mit der Post nach St˖[uttgart] zu schicken. Bey der weiten Reise, die das Bild zu machen hatte mußte der alte schlechte und wurmstichige Rahmen aufgeopfert werden. Hoffentlich werden die Herrn Archivare diesen nicht ebenfalls für eine erhaltungswürdige Antiquität angesehen haben. Übrigens habe ich Herrn Rector Plank beauftragt, die Auslage für einen neuen von gleicher Einfachheit den Herrn auf meine Rechnung zu erstatten. Sollten sie, wie ich nicht hoffen will aus Vergeßlichkeit über einige Löcher in dem Bild klagen, so bitte ich Dich, ihnen in’s Gedächtniß zurückzurufen, daß diese Löcher schon vorher drinn waren; denn übrigens ist das Bild bey all seiner Gebrechlichkeit von der weiten Reise sehr wohl erhalten zurückgekommen.

In meinen äußern Verhältnissen hat sich seitdem eine erwünschte Veränderung insofern zugetragen, als ich Gelegenheit fand, die Stelle bey der Akad˖[emie] der Künste, welche früher oder später Veranlassung geben konnte, mich nach München zurückzunöthigen, auf gute Art – nämlich so daß man mich noch darum ersuchte - und mit Beybehaltung meines vollen Gehalts von derselben und der sich darauf beziehenden Pensions-Ansprüche meiner Frau und Kinder, ferner meines Rangs mit dem (bey uns höheren) Titel eines geheimen Hofraths abgeben zu können. Auf diese Art stehe ich nun völlig frey da und das erste Mal nach langer Zeit wieder auf rein litterarischem Boden. Die Veranlassung gab der Wunsch des Kronprinzen, durch jene Stelle einen tüchtigen Künstler, meinen Freund Wagner (V[er]f˖[asser] des aeginetischen Berichts) nach Baiern zu ziehen. Vielleicht hätte ich in einer Beziehung noch ausgezeichneteren Vortheil aus diesem Umstand ziehen können; allein so etwas ist ganz gegen meine Gesinnung und den Charakter den ich immer zu behaupten gesucht habe. Ich war nur froh auf so gute Art loszukommen und in meiner gegenwärtigen mir bey Weitem mehr als jede andre zusagenden Lage gesichert zu werden. Ich schreibe Dir die Umstände, weil man wegen des zufälligen Zusammentreffens in den Zeitungen diesen Vorgang mit des bekannten Weiller’s Ernennung zum Gen˖[eral]Secr˖[etär] der Akad˖[emie] der Wissensch˖[aften] in unrechte Verbindung bringen könnte. Wenn ein Zusammenhang stattfindet, so ist es der umgekehrte, daß dieser, der in seiner Unwissenheit und plumpen Unverschämtheit sich immer als Rival von mir betrachten zu können glaubte, und auf diese Art – immer mir nach – aus einem Schul-Rector erst Mitglied der Akad˖[emie], dann Ordens-Ritter und Director geworden war, als ich den höheren Titel erhielt, ihn auch für sich forderte und da es lächerlich war, dengleichen einem Schullehrer zu ertheilen, bey dieser Gelegenheit zugleich General-Secr˖[etär] der Akad˖[emie] wurde. Da übrigens, wie hieraus erhellt, die Ausländer in M˖[ünchen] immer mehr bey Seit geschoben werden, und es möglich war, daß ein solcher im Kopf vernagelter, jeder klassischen Bildung ermangelnder Mensch Männern wie Roth, Thiersch u.a. vorgezogen wurde, so habe ich mir um so mehr Glück zu wünschen, mich bey Zeiten fortgemacht zu haben. Diese Ernennung gehört ausschließlich dem Grafen von Thürheim, die Verhandlung wegen meiner Sache, die schon vor Jahr und Tag angefangen hatte, wurde noch von Herrn von Zentner (jetzt Justizminister) geführt und zu Ende gebracht.

Ich weiß jetzt, daß Pfaff schon vor geraumer Zeit seinen Schwager gebeten hatte, alle Bemühungen einzustellen, so sehr er, theils seiner Kinder wegen theils weil ihm hier Manches zuwidergeschehen eine Verpflanzung nach W˖[ürzburg] wünschte. Jaeger hat ihm hierauf die Stelle in Hohenheim angetragen; wahrscheinlich wird er aber dazu noch weniger Lust empfinden. – Immer habe ich vergessen, Dich zu bitten, Schnurrer’n für sein mir sehr interessant gewesenes Buch (wenn Du ihn siehst) zu danken, mit der Bemerkung, daß ich mir vorgesetzt, ihm deßhalb selbst zu schreiben.

Lebe recht wohl; empfiel uns auf’s Herzlichste Deiner lieben Frau, küsse mein kleines Pathchen und Clärchen, die wir Gott sey Dank in guten Händen wissen, wenn sie unser weibliches Kleeblättchen diesen Winter nicht vollmacht, dessen jüngstes Blatt mit Lina’s Sanftheit und Clärchens Grazie die Raschheit und den Geist eines Knaben vereinigt.
Nochmals Adjeu!