Der lieben Mutter.
München .
Liebste, theureste Mutter!
Wie viel trauriges ist bey Ihnen schon vorgefallen, seit der kurzen Zeit, daß wir Sie in Stuttgart verlassen! Wie großen Dank sind wir aber der Vorsehung schuldig, daß unsere beste Mutter, trotz des gefährlichen Anfalls erhalten und sobald hergestellt worden! Lassen Sie sich doch den traurigen Fall, dessen Zeuge Sie seyn mußten, nicht zu sehr zu Herzen gehen! Die arme Frau haben auch wir sehr beklagt, noch mehr aber deren höchstbedaurenswerthen Vater, dessen Haus seit so vielen Jahren bestimmt scheint ein Haus des Jammers zu seyn. Bezeugen Sie doch auch von unsrer Seite besonders dem Herrn Special (aber auch dem Wittwer ) unsern schmerzlichen Antheil. Ich habe schon in Stuttgart nicht viel Gutes von der Niederkunft geweissagt; die Frau sah gar zu verzerrt und wie aufgelöst aus. Es ist schmerzlich, ein so schönes Verhältniß zerrissen zu denken, dessen Stifterin Sie gewesen. Machen Sie Sich doch nicht etwa auch darum Vorwürfe! Es war ja der innigste Wunsch des Vaters und wohl auch der Tochter, daß sie glücklich verheyrathet seyn möchte. Daran hat es ja nicht gefehlt; das Übrige ist göttliche Schickung, die kein Mensch vorhersehen sollte und darum auch nicht konnte.
Ach, liebste Mutter, wir vermissen Sie eben noch täglich, ja stündlich. Es ist gar nicht mehr so heiter bei uns, seit die freundliche, liebreiche Mama uns verlassen. Könnten Sie doch nur auch zuweilen wie zu Karl auf ein Stündchen zu uns kommen. Alles was wir Sie nun bitten, liebste Mutter, ist, daß Sie doch Alles anwenden sich recht gesund zu erhalten. Es ist das größte Glück, eine solche liebe gute Mutter noch zu besitzen. Ich hätte fast nicht mehr leben mögen, wenn wir Sie auch verloren hätten. Sey’n Sie noch viele Jahre unter Ihren Kindern; Sie sind aller Trost und höchste Freude. Wenn ich Sie auch nicht sehe, thut es mir doch wohl an Sie zu denken, und mir vorzustellen, wie Sie unter meinen andern Geschwistern sind. Bis jetzt sind Sie in Stuttg˖[art] fast gar nicht zum Ausruhen gekommen. Von der Reise angegriffen, waren Sie die Tage unsres Aufenthalts in beständiger Bewegung, dieß und die Veränderung des Klimas und der Lebensart hat Sie wohl am ehesten krank gemacht. Gott sey ewig Dank, daß Ihnen hier nichts der Art zugestoßen, wo wir Ihnen einen Arzt wie Karl zu verschaffen vergeblich gesucht hätten. Jetzt ruhen Sie doch recht aus von allen Ihren Anstrengungen, sammeln Sie neue Kräfte, um auch den gesund durchzubringen.
Unser kleiner Liebling gedeiht immer noch so fort, wie sonst, nur giebt es Tage, wo er stark zahnt und dann etwas unleidig wird. Alle die gewöhnlichen und immer vorkommenden Sachen versteht er schon; man darf nichts von Spazierengehen sagen, denn da will er gleich fort, wenn es auch regnet. Leider findet sich auch der Eigensinn schon ein, der in diesem Alter schwer zu bezähmen ist. Ich glaube, wenn Sie jetzt wieder kämen, würde er Sie noch erkennen. Hat Ihnen meine Frau geschrieben, daß wir jetzt auch die Rose verlieren, was uns sehr leid thut, weil sie seitdem sich sehr gebessert hatte und alles mit großem Fleiß und Ordnung verrichtete. Aber sie hat durch Fürsprache eine lebenslängliche Stelle bey Hof erhalten, und so können wir sie nicht zurückhalten. Noch hat meine Frau kein anderes Mädchen gemiethet. Frau von Koehler ist noch immer nicht wieder zu uns gekommen, obgleich der Gustav das Scharlachfieber auf sehr gelinde Art hatte. – Vor einigen Tagen war wieder großes Wasser hier, und beynahe wären wieder die beyden Brücken, die alte steinerne und die höltzerne eingestürzt, doch war man dießmal vorsichtiger und ließ niemand hinüber. Dieß ist alles Neue, was ich Ihnen von hier aus schreiben kann. Alle Ihre hiesige Bekannte fragen immer nach Ihnen und tragen mir jedesmal die zärtlichsten Grüße auf.
Meine Frau Schwiegermutter mit ihrer Tochter wird uns nun auch bald verlassen und so wird es denn ganz einsam bey uns seyn.
Wegen der Summe von 1000 fl. kann ich Ihnen nun ganz bestimmt schreiben, liebste Mutter, daß ich sie nicht brauche. Die 5 (oder jetzt vielmehr 400) fl. will ich aber, von Ihrer Liebe, jedoch auf die schon bemerkte Bedingung dankbarlichst annehmen. – Sie hatten wohl nicht Zeit, August wegen Castelli Lexicon zu fragen? – Es thut mir doch auch leid, ihn und den Herrn Onkel Prälat nicht gesehen zu haben! Aber wie hätte ich noch mehr Unruhe in Stuttgart machen sollen.
Meine Frau grüßt und küßt die liebste Mama auf’s zärtlichste; sie kann sich oft gar nicht drein finden, daß Sie nicht mehr hier sind, und wird Ihnen nächster Tage antworten. So bitte ich Sie denn auch, alle die lieben Unsrigen, Schwester und Schwager, den liebsten Karl und seine liebe Frau aufs herzlichste von uns zu grüßen. Ich bin jetzt auf meinem neuen Zimmer sehr fleißig und befinde mich viel besser. –
Julchen wird Ihnen auch nächstens schreiben; sie und ihre Mutter tragen mir 1000 Empf˖[ehlungen] an Sie und an alle die Unsrigen auf. Gott erhalte Sie, liebste Mutter; ich bin und bleibe immer
Ihr
treugeh˖[orsamster] Sohn
Fr.
Auch der von Vellnagelschen Familie, so weit ich sie kennen zu lernen, die Freude gehabt, meine herzlichsten Empfeh˖[lungen], innige Theilnahme und die besten Wünsche!