Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Herrn

D J.G. Cotta

Wohlgebohrn

Stuttgart

frey

Verzeihen Sie, werthester Freund, daß ich Ihnen erst heute auf Ihre beyden letzten Briefe antworte. Das Geschäfft, von dem Sie wissen, hat fast meine ganze Zeit ausgefüllt. Ich gestehe Ihnen, die Nachricht, die ich durch Ihren vorletzten Brief und zu gleicher Zeit von meinem Bruder erhielt, hat mich in eine gewisse unruhige Bewegung gesetzt, besonders durch ihr Zusammentreffen mit dem Jacobi’schen Angriff. Es war in mir ein solcher Zwiespalt, daß wenn das Loos zu wählen in meiner Freyheit gestanden hätte, mein Verstand zur Bestimmung nicht hingereicht hätte. In dem einen Fall war unsäglich viel zu überwinden; herausgerissen aus den Ideen und Arbeiten, die mich jetzt beschäfftigen, hätte ich nicht ohne Wehmuth meine Ruhe vielleicht für eine unbestimmbar lange Zeit gestört erblickt, auch wußte ich nicht wie nach der jetzigen Weite und Unbeschränktheit meiner Lage die Enge eines Tübinger Professors mir behagt hätte. Von der andern Seite die neugefaßte Liebe zu dem Vaterland, zu den Menschen dort, die wirkliche Neigung, wieder als Lehrer zu wirken! Genug es war da so viel wider und gegen einander, daß mein sterblicher Verstand darüber ganz verworren wurde. In solchen Fällen ist es tröstlich zu denken, daß über uns ein Andrer ist, der entscheidet. Zum Glück verzog es nicht lange, und ich darf erst jetzt sagen, was ich ohne einen Schein von Undankbarkeit gegen die wackern Freunde, die sich so sehr für die Sache bemühten, gewissermaßen nicht sagen durfte: Überlege ich alles genau, so war dieses Ende der Sache das beste. Mein Weg ist ein eigner Weg; den muß ich gehen. Hiedurch kann meine Dankbarkeit für die gute Absicht meiner Freunde nicht gemindert werden; ich weiß Ihre Gesinnung vollkommen zu schätzen, auch Herr von W˖[angenheim] wird nicht daran zweifeln.

Ich habe seit Jahren wie Sie wissen den Krieg gemieden; aber es hilft nichts, noch Einmal noch eine Weile muß gekämpft seyn, die Sache fodert es, eher werde ich keine Ruhe erlangen.

An der Erklärung über J˖[acobi] habe ich dann tapfer fortgearbeitet und Ende dieser Woche geht sie zum Druck an den nämlichen Buchdrucker ab, der die Weltalter druckt. Haben Sie die Güte eine Liste für die Versendungen zu überschicken. Es wird aber nun doch über einen, vielleicht 3 Bogen. Sollte dieß eine Veränderung in Ihrem Entschluß bewirken können, so lassen Sie es mich doch freundschaftlich wissen. Ich lege einen Werth darauf, daß Sie es verlegen; inzwischen würden bey einem inländischen Verleger wieder einige Bequemlichkeiten für mich seyn. Der Buchdrucker liefert alles Fr[an]co Nürnberg. Daß die Erklärung im M˖[orgen]blatt zugleich mit abgedruckt werde ist nun nicht gut möglich, auch nicht nöthig. Um das Eine bitte ich Sie, daß dieß Blatt nicht ein Vehikel für die Jacobischen Verläumdungen werde; unstreitig wird er’s versuchen. Eine kurze Notiz, nach Erscheinung der Schrift wünsche ich; nur nicht von J-r. am liebsten von einem Mann von Urtheil und Scharfsinn, der übrigens bloß dem Bonsens folgt, ohne Philosoph von Profession zu seyn – am liebsten von Ihnen selbst.

Leben Sie recht wohl, und seyn Sie der herzlichsten Freundschaft versichert
Ihres

S.

N.S.

Noch ein Wort über das Geklatsch, das mir auch durch meinen Bruder zu Ohren gekommen. – Ein verheyratheter Bedienter, der mit mir in Stuttgart war, hatte sich Hoffnung gemacht, ich würde seine Frau und Kind in’s Haus nehmen. In keinem Fall würde ich das gethan haben, noch weniger da ich fand, daß sie während meiner Abwesenheit mit dem ihr Anvertrauten nicht treu umgegangen war. Betten, Wäsche u.s.w. alles war verdorben; in München kann ein Mann, der eine öffentliche Stelle, wie die meinige, begleitet, bey den vielen Parteyungen, nicht gut am Table d’hôte speisen, was sich mit ruhigem Studiren ohne dieß nicht wohl verträgt. Ich bedurfte einer redlichen Person, zur Besorgung meiner Haushaltung; ich nahm eine mir empfolene. Hierüber wurde das Weib des Bedienten toll; der Bediente wurde unwillig im Dienst, und war auch überhaupt nicht in die Länge zu brauchen; daher ich ihn entließ. Hierauf setzte er, oder vielmehr sein Weib in Umlauf: die Person habe gesagt ich wolle sie heyrathen, lediglich in der Hoffnung, ich würde, ununtersucht, auf der Stelle zufahren und sie wegschicken, sodann ihn wieder nehmen. Da es aber eine durchaus redliche, rechtschaffene Person ist und ich mich überzeugt hielt und überzeugte, daß sie das nicht gesagt habe, ja es nicht zu sagen fähig sey, so behielt ich sie bis jetzt; das Geschwäz lief ein Paar Tage durch die Stadt, von denen selber nicht geglaubt, die es verbreiteten, und so mag es denn allmälig auch nach Stuttg˖[art] gekommen seyn. Es ist traurig, von dergl˖[eichen] nur reden zu müssen.