Schelling

Schelling Nachlass-Edition


An

Fräulein Julie Gotter

bey Frau Baronin von Schnurbein

zu Meitingen

bey Augsburg

fr[ey].

Länger, liebstes, bestes Tantchen, kann ich es nicht mit anseh’n, daß Sie so lang’ ohne Nachrichten von uns seyn sollen, und ergreife statt meiner saumseligen Frau die Feder, um Ihnen zu melden, daß Hermännchen bald nach Ihrer Abreise seinen alten Humor wieder zeigte und in wenigen Tagen vollends zu seinem gewöhnlichen guten Befinden zurückkehrte. Von Nürtingen wurden wir bald darauf mit der freudigen Nachricht überrascht, daß beyde Knaben die Masern glücklich überstanden haben. Von Friz wissen Sie, daß er sehr gefährlich krank war, zu den Masern hatte sich der Friesel gesellt, mein Bruder war von Stuttgart gekommen, und eine ganze Nacht bey ihm geblieben. Paul hatte an mit Herrn Rector eine Reise nach Urach gemacht, 3 1/2 Stunde in heftigem Regen zu Fuß zurückgelegt; dort zeigten sich am folgenden Tag die ersten Symptome mit heftigem Erbrechen u.s.w. Doch fuhr Herr Rector noch auf einer (ich weiß nicht einmal ob bedeckten?) Droschke mit ihm zurück; allein am andern Morgen hatte sich, ohne alle weitere Zufälle, der Ausschlag bereits völlig gebildet, nach zwey Tagen war die Krankheit ohne alle bedenkliche Zufälle überstanden und seitdem haben wir schon wieder einen Brief von Paul, zwey Blätter stark mit der Erzählung mehr seiner Reiseabentheuer als seiner Krankheit, erhalten. Friz mußte natürlich länger das Bett hüten, ist aber jetzt auch davon, so wie von der Arzney, frey gesprochen.

Eine andre Nachricht, die Sie interessiren wird, ist daß wir die Wohnung in der Fürstenfelder Gasse, nach einer davon erhaltnen detaillirten Zeichnung, wirklich genommen haben. Noch sind wir nun wegen des Weiteren unschlüssig. Pauline ist nicht übelgeneigt, für ihre Person nach München zu reisen, um die nöthigen Einrichtungen zu besorgen, und bey unsrer Freundin Pfaff würde es nicht viel Zusprechens bedürfen, auch dahin, wie nach Weißenburg, mitzugehen.

Seit einigen Tagen aber hat sich ein Laut von dorther vernehmen lassen, dessen Bedeutung ich zwar nicht ganz verstehe; fast aber scheint die Meynung zu seyn, ich solle das Amt gleich antreten. Das wäre denn freylich ein arger Strich durch meine Rechnung; daher wollen wir noch das Beste hoffen! – Sie werden die Entschlossenheit Ihrer lieben Schwester bewundern, wenn ich Ihnen sage, daß sie bereits angefangen hat, mehrere unsrer Habseligkeiten, unter andern das rothe Sofa nebst Stühlen, nach dem Erlangischen Ausdruck zu verkeilen, wobey dann die edle Frau Lumpenbein auch wieder eine Rolle spielt Aber – als sollten wir fortgetrieben werden und unsres Bleibens hier durchaus nicht mehr seyn – erschienen, wie vom Himmel gefallen, eh’ ich noch Zeit hatte, mit dem Hainlein’schen Rücksprache zu nehmen, zwey Herren (aus Aschaffenburg), die, unter Versicherung, unser Wegzug sey ganz gewiß unsre Wohnung, für einen Bankbeamten in Aschaffenburg, der quiescirt zu werden hofft, und mit seinen Söhnen (Studirende) hierherziehen will, für nächsten mietheten, auch sogleich einen schriftlichen Contract deßhalb abschlossen. Da ist uns also alles weitere Bedenken erspart.

Rückert ist seit seiner Rückkunft von Coburg zweymal bey uns gewesen, in der Absicht, wie wir durch die dritte Hand erfahren, Pauline zu Gevatter zu bitten, ohne das Wort vorbringen zu können. Pauline hat ihn also heute nebst Kopp zu Tische geladen, um ihm Mittel und Gelegenheit zu geben. Die Verbindung des Herrn Irmischer mit Fr[äu]l˖[ein] Mehmel ist jetzt declarirt.

Leben Sie nun wohl, liebste Schwägerin, genießen Sie recht – das schöne Wetter kann ich nicht sagen aber doch – die Annehmlichkeiten eines schönen ländlichen Aufenthalts, ohne uns allzu lang auf Ihre Wiederkehr warten zu lassen.
Pauline ist eben nicht zu Hause; dieß verhindert mich nicht, die herzlichsten Grüße an Sie, so die an Frau von Schnurbein, beyzufügen.
Auch die Kinder grüßen Sie zärtlichst.
Wie immer
Ihr
treuergebenster Schwager

Schelling.