Sr. Wohlgebohren
Herrn Direktor von Schelling
Ritter des Königlichen Bayrischen Civilverdienstordens
zu
franco
Warschau den .
Sonntag Vormittags
Herr Direktor!
Ich hoffe, daß Sie mein letztes Schreiben vom bereits erhalten haben. Daraus werden Sie ersehen haben, daß alle Wahrscheinlichkeit da ist, daß meine so sehr in die Länge gezogene Angelegenheit doch zu meinen Gunsten entschieden werden dürfte. Was dazumahl nur Hoffnung war, ist nun Gewißheit geworden, und ich beeile mich Ihnen zu berichten, daß ich endlich, nachdem man mir zwey volle Jahre Schwierigkeiten gemacht hatte, doch zum ordentlichen Professor der Philosophie an der Universität zu Wilna mit dem jährlichen Gehalt von ungefähr 3000 Gulden rheinisch, freyer Wohnung und dem Rechte nach 25 Dienstjahren den ganzen Gehalt in was immer für einem Lande zu beziehen, ernannt worden bin. Ich habe zwar das Patent noch nicht in Händen; da mir aber der Fürst Czartoryski als Kurator der Universität in einem Briefe, den ich vor einigen Tagen erhielt, diese Nachricht, die ihm übrigens auf offiziellem Wege zugekommen ist, mittheilt, und zugleich auch zu wissen macht, daß er bereits an die Universität den Befehl hat ergehen lassen, mir davon die officielle Anzeige zu machen: so kann ich wohl darüber keinen Zweifel mehr haben. Nachdem ich aber erfahren, was man für Hindernisse dieser Sache in den Weg gelegt hatte, so kann ich mich nicht genug verwundern, daß sie noch so abgelaufen ist. Freylich muß man dieses allein der außerordentlichen Verwendung des Fürsten Czartoryski zuschreiben, der sich deßhalb sogar in einen hartnäckigen Krieg eingelassen hat.
Was meine Abreise anbetrifft, so gedenke ich noch hier Nachrichten von Ihnen abzuwarten, denen ich mit der größten Ungeduld entgegensehe, und erst nach nach Wilna aufzubrechen, nicht um meine Vorlesungen anzufangen, denn dieß werde ich auf alle Weise bis auf’s künftige zu verschieben trachten, sondern allein um das Terrain beyzeiten zu rekognosciren. Sie können sich aber nicht vorstellen, wie gefährlich dieses ist, und ich muß mir zu diesem Unternehmen jetzt mehr als sonst Ihren Segen ausbitten. Das lange Warten hier ist mir gut zu Statten gekommen. Ich habe mich in dieser Zeit mit vollem Eifer in die Naturwissenschaften geworfen, wovon mir einige ganz neu, andere eine nützliche Wiederhohlung waren. Diese Studien bothen eine wahre Labung für das Gemüth, und je mehr auf einer Seite die Kontraktion und die Pression vorherrscht, desto mehr freut sich der Geist in dem Gebiethe der Wissenschaften seine Glieder in’s Unbegränzte auszustrecken und wieder frische Luft zu schöpfen. Die Mineralogie, die Botanik, die Zoologie, die Chemie u.s.w. indem sie vor meinen Augen die Gebilde der Natur vorbeyführten haben mich meine Umgebung vergessen gemacht und in ein wahres Entzücken versetzt. Vorzüglich beschäftigt mich die Anatomie, die für mich ganz und gar neu ist, die ich aber auch mit ununterbrochenem Eifer treibe. Sie ist es auch, die mich hier am meisten zurückhält und ich werde trachten meine Abreise bis zu ihrer Beendigung zu verschieben.
Ich bitte Sie noch einmahl, theuerster Herr Direktor, mir von Ihrem, Ihrer würdigen Frau Gemahlin, Ihrer Kinder und Geistes-Kinder Wohlbefinden Nachricht zu geben, und meiner peinigenden Ungewißheit darüber ein Ende zu machen. Auch liegt mir sehr daran zu wissen, wo Sie sich im und aufhalten werden, denn da ich um diese Zeit in irgend ein Bad einen Ausflug machen werde, so würde es mir vielleicht möglich seyn, Ihre mir so theure Gesellschaft zu genießen. Dieß wäre ein wahres Fest für
Ihren
Freund und Verehrer.
J. Goluchowski
Meine Adresse: Warschau No. 1283.
Unsern Freunden den Schubert’s und Pfaff ’s entbiethe ich meinen herzlichsten Gruß; eben so dem Paul, Fritz, Linnchen und Julchen. Auch bitte ich der Frau Direktorinn meine Ehrerbiethung zu bezeugen. Der Staatsrath Szaniawski empfiehlt sich Ihnen.