Hochwohlgebohrner Herr
Geheimer Hofrath,
Hochverehrtester Freund.
Sie haben mich durch Ihren Brief, für den ich Ihnen herzlich danke, eben so sehr mit Freuden überrascht, als beschämet. Nicht als ob ich nicht von Ihrer gütigen Erlaubniß, Sie manchmal mindestens mit Briefen heimzusuchen, freudigen und erwünschten Gebrauch zu machen, entschlossen gewesen wäre. Aber der Gedanke, wie sehr Sie noch beschäftigt und von allen Seiten-her in Anspruch genommen seyn werden, würde mich noch einige Weile zurückgehalten haben, so sehr ich auch das Bedürfniß fühlen mochte. Sie würden es kaum glauben, wenn ichs aussprechen wollte, wie ahnd (das bezeichnendste Wort ist das beste) es mir und Lottchen nach Ihnen und Ihrer lieben Familie thut; eigentlich, als wäre mir die Welt genommen, oder ich ihr abgestorben; Lottchen kommt nicht mehr aus dem Haus, und ich besuche nur die alten Spaziergänge ins Wäldchen und den Rathsberg hinauf, mich in den Erinnerungen zu ergehen und die Geister der schönen hingeschiedenen Stunden zurückzurufen, und durch sie mich zu beleben. Mit Liebe, Verehrung und Bewunderung im tiefsten Herzen denke ich Ihrer, richte mich an den Erinnerungen auf, und tröste mein leidenschaftliches Bedürfniß, mich an einem hohen Geiste aufzuranken, mit der Ausssicht auf die unermeßlichen und unberechenbaren Vortheile, die meinem Vaterlande aus Ihrer Versetzung erwachsen müssen. Gleich der erste Gewinn ist schon die Studienfreyheit auf den Universitäten. Daß Sie desfalls mit dem K˖[önig], der sich dadurch in meiner Meinung sehr gehoben hat, und mit Sch˖[enk] und Th˖[iersch] im Rath gesessen, hatte ich schon von Död˖[erlein] gehört, und mich darüber gefreut, in vielerley Rücksicht. Nur daß die Zeitung nichts davon meldete, benahm mir den Glauben wieder etwas, bis Ihr freundlicher Brief mir das Räthsel löste. Hier findet man diese Einrichtung noch immer sehr bedenklich, ergibt sich aber eben in die Nothwendigkeit. Gegen die neue Einrichtung und Verfassung des Senates aber hat man remonstrirt und hofft das alte, nutzbare Herkommen sich zu erhalten. Doch von diesen Sorgen und Kummer und Erwägungen höre ich, als außer dem Senat, nur wenig, da außer Pfaff zur Servitut und Puchta Niemand, auch Eng˖[elhardt] nicht, zu mir kommt, und ich gar keine Besuche mache, überhaupt wenig ausgehe, weil ich bey den kurzen Tagen die wenigen Stunden zur Lectüre anwenden muß. Da beschäftigen mich eben zumeist Hamann und Böhm, für den ich Ihnen noch insbesondere zu danken habe. Vieles ist mir ganz unverständlich; Vieles aber, recht eigentlich blendet mich durch die überraschende Wahrheit und Klarheit, durch die Eindringlichkeit und Gewalt, so daß ich mir nicht helfen kann, ich muß an Offenbarung bey ihm glauben, so hart ich auch daran glaube. Es ist wunderbar, wie einträchtig beyde, dünkt mir, bey aller Verschiedenheit; weil der eine in den Glutofen des Werdens, der andere nur auf das Gewordene und den Urheber sieht. Weit weniger haben mich Schlegels Vorlesungen> befriedigt; nicht daß sie mich, obgleich von vorne herein, durch die Breite abgestoßen, weiterhin nicht angezogen hätten; ich las sie sogar zum zweytenmal, und mit vieler Anregung: aber Schl˖[egel] ist doch zu sehr Sophist, und legt es zu deutlich darauf an, den österreichischen Nobili und römischen Curialisten zu gefallen; es ist Schade um das herrliche Talent, das jene nicht verdienen. Mit seiner vierfachen Offenbarung
ist immer noch die einfache nicht erklärt, ist eben nur gesagt und angenommen, daß sie sey.
Um das Aristotelische System darzustellen, bin ich eben daran, die allgemein-naturwissenschaftlichen Schriften und die Metaphysik desselben wieder zu lesen, und gerathe dabey wieder auf manche Bedenklichkeit. Es begegnen allerdings manche sehr bedeutende und sinnvolle Stellen, hinter denen man selbst schon um ihrer Kürze in der Andeutung willen einen tieferen und reicheren Gehalt zu ahnden versucht und geneigt werden kann. Allein da er dergleichen meistens wie verloren hinwirft, manchmal aus dem bedeutsamsten selbst nicht viel zu machen scheint, und immer gleich, sobald es sich nur schicken will, davon abspringt, und zu dem ihm mehr am Herzen liegenden Dingen zurückeilt: so werde ich ungewiß, ob man hinter jenen Sprüchen soviel suchen darf, als sie sich an der Stirne das Ansehen geben; zumal er dieselben bald ganz unerwartet, bald dann zumal beybringt, wenn er in Streit und Hader mit anderen oder auch mit sich selbst sich zerarbeitet hat, und endlich sich daraus los und davon machen will. Daher möchte ich fast glauben, manche dieser speculativen Sinnsprüche – Gnomen – seyen nicht sein Eigenthum, sondern er habe sie aus älteren und speculativeren Schriften und Systemen entlehnt und als Aushülfen gebraucht um irgendwie weiter zu kommen. Ich werde dergleichen bemerken. Uberhaupt berührt er vielfältig Probleme, die wenn sein Herz und Sinn an der Metaphysik gehangen hätte (wie an der Logik) ihn vielmehr hätten festhalten müssen, als was er uns in seinen Schriften hinterlassen hat.
Fräulein Julie hat mir Ihr Fernglas und eine Schachtel für Fräulein Lina übergeben, die zu überschicken, warte ich nur auf eine Gelegenheit. Daß Fräulein Julie zwey Tage länger hier aufgehalten worden, wissen Sie wohl schon. Lottchen freute sich mit Jauchzen und Hüpfen Ihres Grußes; sie hat gleich selbst geschrieben unter Anleitung ihrer jetzigen Schreibmeisterin Regina, und dankt auch durch mich für den Gruß und grüßt hinwieder mit mir Ihre Frau Gemahlinn und Kinder. Wie oft sie von Ihrem Hause spricht, werden Sie Sich leicht vorstellen. Wenn sie mich still und stumm zu seyn bemerkt, und nicht recht weiß, ob sies wagen darf, mich zu stören und in ein Gespräch mit sich hinein zu ziehen; so hat sie zwey Fragen, mit denen sie, wie sie weiß, zu ihrem Ziel gelangt; sie fängt an, entweder: Gelt, Vater, mein Mütterchen und Schwesterchen sollten noch leben, das wär dir auch recht? Oder: Gelt, Vater, der Herr von Schelling und die