À Madame
Madame Gotter
née Stieler
à
fr˖[anco] front˖[ière]
Carlsbad .
Erfreulicher und unerwarteter zugleich konnte mir wohl nichts begegnen, als von Ihnen, theuerste Schwiegermutter, einen Brief hier, in Carlsbad zu erhalten. Dank Ihnen, herzlicher Dank, daß Sie bey der Hieherreise des Dr. Buddeus meiner gedacht haben! Je schmerzlicher ich grade dießmal die Entfernung von allen den Meinigen empfunden, desto wohlthätiger war mir Ihr freundlicher Zuruf. Schon immer hatte ich gewünscht, wieder wie Freunde aus Ihrer Nähe um mich zu sehen, vergeblich! Bis jetzt wollte niemand aus Gotha hier ankommen, und auch den Überbringer Ihres Briefs werde ich nur noch Einmal am Brunnen sehen, denn ich hoffe, meine Cur zu beschließen und mit dem Frühesten nach Erlangen zurückzureisen. Pauline hat versprochen, mit den 3 Kindern bis Streitberg mir entgegenzukommen, daß ich wenigstens den der lieblichen Feyertage schon wieder im Kreise der Meinigen zubringe, da es durch eine leidige Verspätung der Bestellung in Baireuth, woher ich Pferde erhalte, unmöglich geworden, noch am Pfingstfest d.h. dem bey ihnen zu seyn, oder anzukommen. Wenn man dreymal nacheinander in Carlsbad gewesen kennt man es in- und auswendig und selbst die Ebbe und Fluth der ankommenden und abgehenden Fremden verliert zuletzt den Reiz, besonders wenn man bemerkt, daß doch ein großer Theil der Acteurs auf dieser bunten Bühne schon ein- oder mehrmal dagewesen. Die regnerische und zum Theil kalte Witterung trug, wie Sie richtig vermuthen, auch nicht viel zur Erheiterung bey. Doch empfand ich keinen Nachtheil in Bezug auf meine Gesundheit und hatte von der andern Seite den Vortheil, desto ungestörter nach meiner Art und Weise leben zu können, da der Veranlassungen zu Partieen und andern Ergötzlichkeiten viel weniger waren. So habe ich diese 4 Wochen dann doch ganz leidlich, und in angenehmer, zum Theil neuer, Gesellschaft ziemlich vergnügt zugebracht. Ich reise zurück mit den besten Hoffnungen für meine Gesundheit, neu gestärkt und erheitert.
Meine nächsten Wünsche beziehen sich nun auf unsre liebe Pauline. Es ist wahr, sie sieht gut aus und befindet sich wohl in ihren gegenwärtigen Umständen, dennoch will ich Ihnen nicht verhehlen, daß ich nicht ganz ohne Sorge für sie bin, das äußere Übel, von dem sie, wie ich durch Julchen weiß, Ihnen in Gotha Kenntniß gegeben, ist freylich weniger bedenklich, wenn es, wie unser Erlanger Arzt aus freylich noch sehr oberflächlichen Datis schließt, eine bloße Balggeschwulst seyn sollte, hätte es aber einen tieferen Sitz, was ich jedoch auch nicht glauben kann, da größere Beschwerden in diesem Zustand alsdann unvermeidlich seyn würden, so könnte es uns große Noth machen, aber eben die problematische Natur des Übels ist an sich etwas Ängstliches, wobey man sich mit Nichts, als mit dem Vertrauen auf die Vorsehung trösten kann.
Ich freue mich der Veranlassung, Ihnen zu schreiben insbesondere auch, weil ich Gelegenheit finde, Ihnen für die unsrem lieben Julchen ertheilte Erlaubniß, zu reisen und bey uns, wenigstens über den bedenklichen zu verweilen, meinen gefühltesten Dank abzustatten. Sie gereicht unter diesen Umständen uns, und mir insbesondere, zum wahren Trost, so daß es mich ordentlich ängstlich machte, als ich hörte, daß sie sobald nach mir Pauline ebenfalls verlassen. Desto eher hoffe ich, soll sie zu uns zurückkehren. Wenn Julchen Ihnen geschrieben, daß wir in Erlangen uns besser befinden, als in M˖[ünchen], so hat sie nichts als die Wahrheit geschrieben. Ich glaubte dieß mit Bestimmtheit voraussehn zu können, ohne eine solche Gewißheit entschließt man sich in meinen Jahren doch nicht so leicht eine solche, doch immer bedeutende Veränderung zu machen. Uns allen bekommt Clima, Umgebung, und Lebensweise in E˖[rlangen] viel besser als in München, besonders belebend für mich ist der lang entbehrte Genuß einer freundlichen und milden Natur in der Nähe, so oft wir uns der Annehmlichkeiten der Gegend freuen, wünschen wir Sie herbey und machen in dieser Hinsicht allerhand Plane und Projecte, die ja mit Gottes Hülfe auch einmal in Erfüllung gehen werden.
Sehr schmeichelhaft ist mir das freundliche Andenken der werthesten Verwandte und Freunde in Gotha, die ich oft genug in diesem wieder hergewünscht habe. Erfreulicher noch war mir, durch Herrn Dr. B˖[uddeus] des trefflichen Erfolgs versichert zu werden, den die vorjährige Badecur besonders für die liebe Tante gehabt hat.
Empfehlen Sie mich dieser und allen andern theuren Verwandten, besonders Cäcilien auf’s Beste, und empfangen Sie nochmals herzlichen Dank für Ihr liebevolles Schreiben, mit der Versicherung inniger Verehrung und wahrer Zärtlichkeit
Ihres treugehors˖[amsten]
Schelling.