Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Thema Genealogie der Zeit

Erwähnungen in Dokumenten

  • in: Druck Schelling »Die Weltalter (1811). Erstes Buch. Die Vergangenheit« (1811). Text

    Wir haben uns schon mehrmals den Ausdruck erlaubt, die väterliche oder contrahirende Kraft werde mehr und mehr als vergangen oder latent gesetzt. Hiermit wurde die Meynung ausgedrückt, daß sie nicht zumal, nicht gleichsam mit Einem Schlag überwunden werde. Nun sind zwar die beyden Wirkenden in gegenseitiger Unabhängigkeit von einander; aber die contrahirende Kraft des Vaters ist an sich selbst eine blinde Kraft, und inwiefern der Vater durch den Sohn in’s Geistige oder Bewußte erhöht ist, in so fern und in so weit ist sie überwunden, also als nichtwirkend gesetzt. Demnach kann das Bestimmende jenes Widerstandes nicht in der contrahirenden Kraft des Vaters noch überhaupt im Vater als solchem liegen: es kann aber eben so wenig in dem Sohn liegen; denn dieser hat kein andres Wollen oder Verlangen, als dieses, den Vater zu scheiden und also die auf Indifferenz gehende Kraft in ihm zu überwinden. Da sonach dieß Bestimmende weder in dem Vater noch in dem Sohne seyn kann, so kann es nur außer ihnen liegen; in dem Geist. Der Geist ist frey von dem Vater und dem Sohn, in dem Sinn, wie auch diese frey und unabhängig von einander sind; aber er ist zugleich die wesentliche, freye und bewußte Einheit beyder, oder in ihm wohnt das gemeinsame Bewußtseyn des Vaters und des Sohns. Denn der Geist, als das durch Vater und Sohn nur verwirklichte Wesen der uranfänglichen Lauterkeit ist an sich die reinste Besonnenheit, die höchste Freyheit, der lauterste Wille, der, ohne sich zu bewegen, alles bewegt und durch alles geht. Also ist er zugleich der gemeinsame Wille beyder, oder er ist der Wille, in dem beyde Eins sind. Darum kann weder der Vater in Bezug auf den Sohn, noch der Sohn in Bezug auf den Vater anders wirken, als nach dem freyen Willen des Geistes.

    Wäre in der Kraft des Vaters kein Widerstand, wäre also alles, was Seyn ist, gleich und zumal als vergangen, alles Seyende als gegenwärtig und damit jene in der Zukunft liegende höchste Einheit beyder als wirklich gesetzt: so wären alle drey Persönlichkeiten in höchster Klarheit in einander, es wäre keine Zeit, sondern absolute Ewigkeit.

    Nun wird aber angenommner Maßen das Seyn nicht zumal noch ohne Widerstand überwunden.

    Hiedurch entsteht also ein fortwährendes Ringen zwischen dem das Seyn als vergangen und zwischen dem es als gegenwärtig setzenden Princip; oder, da die Gegenwärtigkeit des Seyns auf der Einheit der Kräfte beruht, seine Vergangenheit auf der Befreyung des Seyenden von ihm, so entsteht ein fortwährendes Ringen zwischen dem die Einheit und zwischen dem die Zweyheit setzenden Princip.

    Da aber in diesem Ringen doch beständig eine Zweyheit, also das Seyende in gewissem Grad als gegenwärtig, das Seyn in gewissem Grad als vergangen, die vollkommne Dualisirung aber, (welche unmittelbar in die letzte und höchste Einheit übergeht), mehr oder weniger als zukünftig gesetzt wird: so entsteht dadurch in jedem Augenblick Zeit, und zwar als ganze Zeit, als Zeit, in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft dynamisch auseinander gehalten, aber eben damit zugleich verbunden sind.

    Da jedoch dieses Verhältniß nicht bleiben kann, indem das Seyn immer mehr überwunden wird: so folgt auf jede so gesetzte Zeit eine andre Zeit, durch welche wieder jene als vergangen gesetzt wird; oder es entstehen Zeiten.

    Ein Ursprung oder Anfang der Zeit, der wie der Anfang keines Lebens ohne kräftige Differenziirung und eine wirklich polarische Entgegensetzung gedacht werden kann, ist nach jeder mechanischen Ansicht unbegreiflich. Wenn, wie insgemein angenommen wird, die Zeit nur Eine Richtung hat: so müßte ihr widersprechender Weise verstattet seyn, vor sich selbst herzugehen und gleichsam vorauszuschießen, aber ohne noch Zeit zu seyn; jenes, weil jede werdende Zeit eine gewesene schon voraussetzt, dieses weil sonst kein eigentlicher Anfang wäre. Ist es an dem, (wie es denn allerdings ist), daß jeder Anfang der Zeit eine schon gewesene voraussetzt: so muß der Anfang, der wirklich Anfang ist, den Ablauf derselben nicht erst zu erwarten haben, sondern sie muß gleich anfangs vergangen seyn. Ein Anfang der Zeit ist also undenkbar, wenn nicht gleich eine ganze Masse als Vergangenheit, eine andre als Zukunft gesetzt wird; denn nur in diesem polarischen Auseinanderhalten entsteht jeden Augenblick die Zeit.

    Ein solcher Anfang ergiebt sich aus der hier entwickelten Ansicht von selbst. Folgendes sind die Hauptmomente der ganzen Genealogie der Zeit, wie sie im bisherigen vorbereitet worden.

    Das Wesen oder die eigentliche Kraft der Zeit liegt im Ewigen. Denn die urerste lautere Wesenheit ist nicht einmal als das Ewige anzusehen, indem sie vielmehr die Ewigkeit selber ist. In ihr ist auch nicht einmal eine Vorherbestimmung der Zeit, sie ist schlechthin über der Zeit. Aber das Existirende ist schon das Ewige; die Einheit, die in ihm ist, ist nicht mehr die lautere, stille, sondern die reale, die wirkende Ewigkeit. Denn in ihm sind bereits Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verborgener Weise als Eins gesetzt; die Vergangenheit durch das Seyn, die Gegenwart durch das Seyende; aber auch jene höchste und letzte Einheit (die Einheit der Einheit und des Gegensatzes) lag ja schon verschlossener oder eingewickelter Weise in ihm.

    Aber auch das Ewige ist, wie bereits früher bemerkt worden, für sich nur der Anfang des Anfangs, noch nicht der wirkliche Anfang. So ist das Samenkorn zwar die Möglichkeit des Anfangs der Pflanze, aber noch keineswegs der Anfang selber.

    Wirklicher Anfang kann nur von absoluter Freyheit kommen. Die Liebe ist es, die in jener ersten verschlossenen Einheit auf Scheidung dringt. Aber auch sie ist nur noch ein Suchen des Anfangs ohne ihn finden zu können. Alle Verworrenheit, der ganze chaotische Zustand, in dem sich unser Inneres bey jedem Anfang eines neuen Bildungsprozesses befindet, entspringt aus dem Suchen und Nichtfindenkönnen des Anfangs. Der gefundene Anfang ist das gefundene Wort, durch das aller Widerstreit gelöst wird. Dieß gilt auch für jenen Zustand des Widerspruchs und des Streits, in den das Existirende durch die Liebe mit sich selbst gesetzt wird. Darum heißt es: Im Anfang war das Wort.

    Inwiefern nun der Zustand friedlicher aber völlig innerlicher Einheit dem Zustande des Widerspruchs vorausgehend gedacht werden muß, in so fern könnte es möglich scheinen, zu fragen, wie früh oder spät das Verlangen nach Offenbarung sich in jener Einheit geregt und auf die Scheidung dringend den Zustand des inneren Streits veranlaßt habe?

    Allein wer sich recht jene Tiefe der Indifferenz und Verschlossenheit in dem Ewigen vergegenwärtiget, wer es eingesehen und verstanden hat, daß sie nicht wirklicher Anfang seyn kann: der wird auch begreifen, daß jenes erste Wirken der Liebe absoluter Anfang ist, indem kein vorhergehendes zu ihm in einem realen Verhältnisse stehen kann. Denn ob wir gleich das Wesen in jener Indifferenz das erste Wirkliche genannt, so ist es doch eben darum, weil erstes Wirkliches, nur Wirkliches in sich, aber beziehungsweise auf andres nur Samenkorn, nur erste Möglichkeit des wirklichen Seyns und geht daher diesem, zwar der Potenz oder dem Begriff, aber keineswegs der That nach voran. Sollten wir den Anfang jenes Wirkens nach der Dauer des Zustandes anfänglicher Eintracht bestimmen, so müßte dieser Urzustand selbst schon der einer aktuellen (entfalteten) Existenz gewesen seyn, nicht der einer gänzlichen Versunkenheit in sich selbst, die nach außen wie völlige Wirkungslosigkeit ist. Also ist hier nichts denn ein bodenloser Abgrund der Ewigkeit, da kein Maß anwendbar, kein Ziel und keine Zeit bestimmbar ist; und ist auch jenes Suchen des Anfangs kein anderes, denn ein ewiges, aus sich selbst entspringendes, Suchen.

    Haben wir uns erlaubt, jenem Urzustand in Worten eine Dauer zu geben, so war dieß nur bildlich oder mythisch nicht wissenschaftlich zu nehmen.

    Wer uns entgegenhält, daß wir die Herkunft der Welt durch lauter Wunder erklären, der sagt eben damit das Rechte. Glaubt denn irgend wer, daß die Welt ohne ein Wunder, ja ohne eine Reihe von Wundern habe entspringen können? Bis zur Geburt des Sohns ist alles Wunder, alles Ewigkeit. Nichts entspringt durch Wirkung eines Vorhergehenden, sondern alles auf ewige Weise.

    Wird der Wille, der nichts will, als das Höchste, zugestanden, so gibt es aus ihm keinen Uebergang; das erste ihm Folgende, der Wille der Etwas will, muß sich selbst erzeugen, absolut entspringen. Und so wenn das Ewige Ewiges ist kann es allem Folgenden nur der Möglichkeit nach vorangehen. Also muß auch der Anfang der Sehnsucht in ihm absoluter Anfang seyn.

    Mit jener ersten Scheidung, in der die Liebe den Anfang sucht, aber nicht findet, ist im Ewigen schon eine innre Zeit gesetzt; denn Zeit entsteht unmittelbar durch Differenziirung der in ihm nicht bloß als Eins, sondern als äquipollent gesetzten Kräfte. Aber zuvörderst ist diese Zeit keine bleibende, geordnete Zeit, sondern in jedem Augenblick durch neue Contraction, durch Simultaneität bezwungen, (die in diesem Streit schon als Raum aufblickt), muß sie dieselben Geburten, die sie so eben gezeugt, wieder verschlingen; sie ist eben darum auch keine Zeit, die ihren wirklichen Anfang finden, die ausgesprochen, offenbar werden könnte, und kann in so fern die anfanglose und, weil sie nur im Ewigen ist und nicht äußerlich werden kann, die ewige Zeit heißen –; beydes, wie leicht einzusehen, in einem ganz andern Sinne, als diese Ausdrücke sonst gebraucht worden.

    Die Zeugung des Sohns durch die väterliche Kraft ist das erste reale Verhältniß; mit dieser ist aber auch der erste wirkliche Anfang. Darum ist das Seyn des Sohns mit dem Anfang Eins und umgekehrt.

    Nur durch eine zweyte von der ersten verschiedne Persönlichkeit, welche die Simultaneität der Principien in ihr entschieden aufhebt, das Seyn als erste Periode oder Potenz, das Seyende als Gegenwart und die in der ersten ebenfalls eingeschloßne wesentliche und freye Einheit beyder als Zukunft setzt, nur durch eine solche kann auch die im Ewigen verborgne Zeit ausgesprochen und geoffenbart werden, welches dann geschieht, wenn die Principien, die in ihm als Potenzen des Seyns coexistirend oder simultan waren, als Perioden hervortreten.

    Nun zuerst ist der wirkliche Anfang gefunden, auch ein Anfang der Zeit; und der Welt inwiefern diese die jedesmalige Gestalt des göttlichen Lebens nicht an sich zwar, aber in seiner Offenbarung ist. Aber dieser Anfang ist nicht Anfang, der aufhören könnte Anfang zu seyn, sondern immer gleich ewiger Anfang. Denn noch jeden Augenblick wird der göttliche Sohn geboren, durch den die Ewigkeit in Zeit aufgeschlossen und ausgesprochen wird; diese Zeugung ist keine vorübergehende, die einmal geschehen aufhörte, sondern eine ewige und stets geschehende Zeugung. Jeden Augenblick wird wie im ersten die Strenge und Verschlossenheit des Vaters überwunden, und dieser Akt, da er stets und allein eine Zeit in den Dingen setzt, ist nicht nur einmal, sondern immer und seiner Natur nach ein vorzeitlicher Akt.

    Dieser Akt, sagten wir, setze eine Zeit in den Dingen. Die anfangende Zeit ist nämlich in Bezug auf die Dinge oder die Welt keineswegs als eine äußere zu denken, so daß die Dinge oder die Welt in ihr anfingen oder existirten. Es ist die Natur der Welt, (im oben bestimmten Sinn, da sie nicht mit dem All gleichbedeutend ist, welches nur das Eine seyn kann und zwar sofern es das Eine ist), die Natur der Welt, in diesem Sinn, ist, anfänglich zu seyn. Aber dieser Anfang ist kein Anfang in der Zeit. Die fast für allgemein anzunehmende Täuschung, als wäre die Welt oder doch jedes Ding in der Zeit, läßt sich leicht auflösen. Nicht nur dieses oder jenes Ding, z.B. der Weltkörper oder das organische Gewächs; schlechthin jedes hat seine Zeit in sich selbst, ob sie gleich in den hier genannten entfalteter, ausgesprochner ist als in den andern; ja sollte irgend ein Ding durch den hohen Grad seiner Ungeschiedenheit ohne lebendige innre Zeit scheinen, so unterliegt es wenigstens keiner außer sich; kein Ding hat eine äußre Zeit, sondern jedes nur eine innre, eigne, ihm eingeborne und inwohnende Zeit. Der Fehler des Kantianismus in Bezug auf die Zeit besteht darinn, daß er diese allgemeine Subjektivität der Zeit nicht erkennt, daher er ihr die beschränkte gibt, wodurch sie zu einer bloßen Form unserer Vorstellungen wird. Kein Ding entsteht in der Zeit, sondern in jedem Ding entsteht die Zeit auf’s Neue und unmittelbar aus der Ewigkeit, und ist gleich nicht von jedem zusagen, es sey im Anfang der Zeit, so ist doch der Anfang der Zeit in jedem, und zwar in jedem gleich ewiger Anfang. Denn es entsteht jedes Einzelne durch dieselbe Scheidung, durch welche die Welt entsteht, und also gleich anfangs mit einem eignen Mittelpunkt der Zeit. Auch seine Zeit ist in jedem Augenblick seine ganze, und nach Zeiten werdend wird es doch nicht in der Zeit. Nur dadurch, daß außer ihm andere Wesen sind, die ebenfalls eine Zeit in sich selber haben, wird eine Vergleichung seiner Zeit mit der Zeit anderer möglich. Hiedurch erst, nämlich durch Vergleichung und Messung verschiedner Zeiten entsteht jenes Scheinbild einer abstrakten Zeit, von welcher wohl zu sagen ist, sie sey eine bloße Weise unseres Vorstellens, nur nicht eine nothwendige und angeborne, sondern eine zufällige und angenommne. Und gegen dieses Scheinbild gehen denn alle Einwürfe, die von jeher gegen die Realität der Zeit sind erhoben worden.

    Die Frage, ob die Welt von unendlicher Zeit her, oder ob sie seit einer bestimmten Zeit existire? ist zu allen Zeiten aufgeworfen worden, ein Beweis, daß die rechte Antwort, so einfach sie auch dem, der sie gefunden, zu seyn scheint, noch nie gegeben worden. Denn daß der Begriff einer unendlichen Zeit ein ungereimter Begriff sey, davon ist jeder leicht zu überführen; und dennoch kommt der menschliche Verstand immer wieder dahin, so lange nicht seine Wurzel ausgerissen worden. Diese liegt in dem Obigen, daß jeder Anfang der Zeit eine schon gewesene Zeit voraussetzt, die nach dem gemeinen mechanischen Begriff der Zeit nicht aus einer vorhergehenden Einheit gleich als Vergangenheit (als absolute Gewesenheit) ausgeschieden, sondern nur als wirklich verflossen gedacht werden kann; daher dann vor jeder möglichen Zeit eine andre als verfließend und so allerdings nie und nimmer ein Anfang der Zeit gedacht werden kann.

    Wenn nun aber nach der von uns gegebenen dynamischen Erklärung ein Anfang der Zeit durch Dualisirung gar wohl zu denken ist: so kann doch nicht wieder gefragt werden, seit wann die Zeit angefangen habe, oder: wie lang jetzt schon die Zeit daure? nicht, als wäre die Zeit nicht in jedem Augenblick in bestimmte Gränzen eingeschlossen, sondern darum, weil die Zeit in jedem Augenblick ganze Zeit, d.h. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist, die nicht von der Vergangenheit, nicht von der Gränze, sondern vom Mittelpunkt anfängt und in jedem Augenblick der Ewigkeit gleich ist. Denn weil jeder Augenblick die ganze Zeit ist, so könnte nur gefragt werden – nicht: wie viele Zeit ist schon verflossen? sondern –: wie viele Zeiten sind schon gewesen? wo sich dann leicht ergibt, daß dieser Zeiten, weil jeder Augenblick eine ist, nach innen eine wahre alle Zahl übertreffende Unendlichkeit seyn kann, (wie in jedem Theil der Materie diese innre, dynamische, Unendlichkeit ist), ohne daß darum eine nach außen gränzen- oder endlose Zeit angenommen werden könnte.

    Nicht durch diskrete, sich succedirende Theile Einer Zeit, sondern nur dadurch, daß die Zeit in jedem Augenblick die ganze ist und die ganze stets der ganzen folgt, ist jene sanfte Stetigkeit zu begreifen, die man durch das Bild eines Zeitflusses auszudrücken suchte. Nun muß diese Folge von Zeiten doch wohl selbst zeitlos seyn, und kann also nicht wieder nach irgend einer Zeit gemessen oder bestimmt werden. Es erscheint daher nach dieser Ansicht auch der bekannte Satz des sogenannten Kriticismus, den er allein seiner mechanischen Erklärung des Verstandesgebrauchs zulieb erfunden, daß nämlich keine reale Folge ohne Zeit gedacht werden könne, nichts weniger als begründet, wie ihm denn selbst die sinnliche Erscheinung widerspricht. Denn auch da, wo nach den gewöhnlichen Begriffen Ursache und Wirkung im Spiel ist, tritt keineswegs eine Zeit zwischen beyde. Die Kreise, die ein in’s Wasser geworfenes Steinchen hervorbringt, sind mit der Wirkung ihrer Ursache zumal da; so an Ort und Stelle der Donner mit dem Blitz. Ueberhaupt aber scheint bey jeder Verursachung ein jenem ersten Zeit-Erzeugungs-Prozeß ähnlicher dynamischer Prozeß vorzugehen, und die Priorität auf Seiten der nur so genannten Ursache ebenfalls ein als-vergangen-gesetzt werden durch die Wirkung zu seyn; ein Gedanke, dessen Anwendung auf das allgemein bekannte Draufgehen oder Erlöschen der Ursache in der Wirkung, auf die Gesetze der Mittheilung des Stoßes und ähnliche Dinge wir andern überlassen müssen.

    Wir beschäftigen uns hier mit einer Materie, die von jeher zu den dunkelsten gerechnet werden; und obwohl überzeugt, ihr ein neues Licht gegeben und Fragen beantwortet zu haben, die man kaum anzuregen wagte, wollen wir doch unsre Gedanken für nichts weniger als vollendet oder vollständig ausgeben. Noch manches Wunderbare läßt sich hier finden, noch Manches, was dem von uns angedeuteten zur Ergänzung, zur größeren Schärfung dienen kann.

    Was heißt es denn nun, wenn gesagt wird: jede mögliche einzelne Zeit sey die ganze Zeit? Wir meynen damit nicht bloß, daß sie in sich ganz sey, weil sie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zumal enthält. Wir meynen zugleich, daß sie die ganze, jetzt noch nicht seyende, Zeit selber (deutlicher vielleicht die absolute Zeit zu nennen) in sich enthalte, also ein wirkliches Bild von ihr sey. Die ganze Zeit würde nämlich dann seyn, wenn sie nicht mehr zukünftig wäre, und wir können daher sagen, die Zukunft oder die letzte Zeit sey die ganze Zeit. Dieß als richtig angenommen enthält jede mögliche Zeit die ganze Zeit; denn was sie von ihr nicht als Gegenwart enthält, das enthält sie doch als Vergangenheit oder als Zukunft; ferner: jede Zeit enthält dasselbe; denn sie unterscheidet sich von ihrer vorhergehenden nur dadurch, daß sie zum Theil als vergangen setzt, was diese als gegenwärtig, und zum Theil als gegenwärtig, was jene noch als zukünftig setzte; und eben so nur auf die umgekehrte Art unterscheidet sie sich von der ihr folgenden Zeit. Also setzt jede einzelne Zeit die Zeit als ein Ganzes schon voraus. Ginge ihr nicht die ganze Zeit der Idee noch voran, so könnte sie diese nicht als zukünftig setzen, d.h. sie könnte sich selbst nicht setzen, indem sie ohne diese bestimmte Zukunft selber nicht diese bestimmte Zeit seyn könnte. Aber auch nur der Idee nach setzt sie die ganze Zeit voraus; denn wäre diese in ihr als wirklich gesetzt, so wäre sie nicht die einzelne, die bestimmte, die sie ist.

    Nun wird aber ein solches Verhältniß des Einzelnen zu einem Ganzen, bey welchem jenes zu seiner Wirklichkeit dieses schon als vorhanden in der Idee voraussetzt, allgemein als ein organisches betrachtet. Also ist die Zeit im Ganzen und Großen organisch. Aber wenn im Ganzen, so auch im Einzelnen. Mehrere ja unendlich viele Zeiten können wieder eine (beziehungsweise) ganze Zeit als ihre Einheit voraussetzen, wonach sich ein System eines nach innen oder dynamisch unendlichen, nach außen aber allerdings endlichen oder geschlossenen Organismus der Zeiten denken läßt.

    Ohne einen solchen Organismus wäre die ganze Geschichte nur ein Chaos voll Unbegreiflichkeiten. Jene Zeiteinheiten sind Perioden. Eine jede Periode stellt in sich die ganze Zeit dar; denn auch sie fängt wieder von einem Zustand größerer oder geringerer Ungeschiedenheit an, so daß sie beziehungsweise auf die letzten Zeiten der vorhergegangenen Periode zurückzugehen scheint, indeß sie im Ganzen wirklich fortgeschritten ist.

    Aber was ist denn nun das organisirende Princip dieser Perioden? Ohne Zweifel dasjenige, was die Zeit als Ganzes enthält. Die ganze Zeit aber ist die Zukunft. Also ist nur der Geist das organische Princip der Zeiten. Der Geist ist frey von dem Gegensatz der contrahirenden Kraft des Vaters und der expandirenden des Sohns. In ihm zuerst sind beyde wieder zur vollkommnen Gleichheit gelangt; denn beyden läßt Er gleiches Recht, weil er ewig aus dem Vater durch den Sohn entfaltet wird, also beyder gleicherweise zu seinem Daseyn bedarf. Wenn die Kraft des Vaters als Vergangenheit gesetzt wird in Bezug auf den Sohn, so ist die Meynung keineswegs, daß sie als überall nicht seyend gesetzt ist. Sie wird nur als Nichtseyendes der Gegenwart, aber in der Vergangenheit allerdings als seyend und wirkend gesetzt. Aber auch als Vergangenheit ist sie ja nicht absolut gesetzt, (denn immer noch dauert die Ueberwindung durch den Sohn), also zum Theil noch als gegenwärtig, zum Theil als zukünftig. Aber der Wille des Vaters in Bezug auf den Sohn und des Sohns in Bezug auf den Vater ist der Wille des Geistes. Der Geist erkennt, in welchem Maß die ewige Verborgenheit des Vaters aufgeschlossen und als Vergangenheit gesetzt werden soll. Der Geist ist also der Eintheiler und Ordner der Zeiten. Denn die Verschiedenheit und die Folge der Zeiten beruht nur auf der Verschiedenheit dessen, was in jeder als Vergangenheit, als Gegenwart und als Zukunft gesetzt ist. Nur der Geist erforschet alles, auch die Tiefen der Gottheit. In ihm allein ruht die Wissenschaft der kommenden Dinge; ihm allein steht es zu, das Sigel zu lösen, unter welchem die Zukunft beschlossen liegt. Darum sind die Propheten vom Geiste Gottes getrieben, weil dieser allein der Eröffner der Zeiten ist: denn Prophet ist ein jeder, der den Zusammenhang der Zeiten durchschaut.

    So hat also auch das göttliche Leben wie es aus der Wirkung und Gegenwirkung der anziehenden und ausbreitenden Kraft des Vaters und des Sohnes entspringt, wie alles Leben seine Zeiten und Perioden der Entwickelung. Der Unterschied ist nur, daß Gott das freyeste Wesen ist und daß die Perioden der Entwickelung seines Lebens allein von seiner Freyheit abhängig sind; jedes andre Leben aber durch unfreywillige Einschränkungen zur Entfaltung fortschreitet. Jede Zeit oder Periode der göttlichen Offenbarung ist eine Begränzung in ihm. Will man die Möglichkeit einer solchen bestreiten durch die abgezogenen Begriffe von Gott als dem Schrankenlosesten Wesen? Maß ist überall das Größte. Das Gränzenlose sieht Platon, sahen alle höheren Geister vor ihm als das relativ-böse Princip, Gränze und Maß als das Wesen des Guten an. Ohne sich an jene leeren Begriffe zu kehren, wird der gesunde Verstand Einschränkungen der göttlichen Offenbarung in jedem Augenblick anerkennen müssen. Woher diese Begränzungen? Nur Er Selbst, der von nichts außer sich bestimmte, kann sie sich selber auferlegen, vermöge dessen, was in ihm die eigentliche Freyheit, der besonnene Wille ist. Freywillig kann er eine Seite seines Wesens verbergen und zuschließen, daß sie nicht offenbar werde; denn noch immer wirkt ja der Vater, aber nicht mehr mit blind zusammenziehender Kraft, nach einer bloß aus seinem Wesen folgenden Nothwendigkeit, mit der unwiderstehlichen Gewalt seiner bedingungslosen Existenz, sondern nach dem Willen des Geistes, der als reinste Besonnenheit, Allwissenschaft und Vorsehung mit unerforschlicher Weisheit die Entwickelung und mit ihr die Zeiten mäßigt. Von dem freyen Willen des Geistes, der zugleich der des Vaters ist, hängt es ab, was aus der Verborgenheit hervortreten und was in ihr verschlossen bleiben soll. Dem besonnenen Künstler gleich, der in Kunst oder Wissenschaft mehr besorgt ist, die Entwickelung anzuhalten als zu beschleunigen, damit das rechte Licht an der rechten Stelle hervorbreche und nur aus der höchsten Steigerung der Ursachen die erwartete Wirkung erfolge, entfaltet der göttliche Geist mit Ruhe und Vorsicht die Wunder seines Wesens, und auch jetzt noch, durch die Weisheit gemildert, ist die retardirende, die einschließende Kraft die eigentliche Stärke in Gott.

    Wie oft verlangt oder erfleht menschliche Ungeduld einen beschleunigten Gang der Weltentwickelung, indeß der allein Weise zögert, und die Welt das ganze Maß der Schmerzen tragen läßt, ehe die versöhnende Geburt erfolgt! Lange Zeitalter hindurch fühlen ganze Völker sich unwohl und doch kraftlos, ihr Schicksal zu ändern, in eine bessere Zeit durchzubrechen. Was hindert sie, wenn die Zeit für den Menschen nur eine innere Form ist, die selbstgesetzte Schranke aufzuheben und so wie mit Einem Zauberschlag in die glücklichere Zeit durchzudringen? Was erhält Jahrhunderte hindurch, trotz aller gegenwirkenden Belehrung, gewisse Ansichten, Meynungen oder Maximen selbst nach den verderblichsten Folgen bey Ansehen, da nichts leichter scheinen sollte, als durch Erfahrungen gewitzigt sie zu ändern? Was läßt lange Zeiten hindurch gewisse Eigenschaften, Talente oder Bestrebungen des Geistes todtenähnlich schlummern, bis sie, wie durch einen plötzlichen Frühling geweckt, aus diesem Winterschlaf erwachen und nun nicht einzeln, sondern wie Knospen und Blüthen an Bäumen, Hecken und Stauden, von allen Seiten, geschaart und in Masse hervorbrechen? Diese Fragen, welche nur die nächsten sind, indeß dem aufmerksamen Betrachter viel auffallendere der Art überall entgegen kommen, beweisen allein schon, daß alles seine Zeit hat, daß die Zeit nicht ein äußeres wildes, unorganisches, sondern ein inneres im Großen wie im Kleinen immer ganzes und organisches Princip ist.

    Das Geheimniß alles gesunden und tüchtigen Lebens besteht unstreitig darinn, sich die Zeit nie äußerlich werden zu lassen und mit dem Zeiterzeugenden Princip in sich selber nie in Zwiespalt zu kommen. Denn der selbst Innige wird von der Zeit getragen; der äußerliche trägt sie, oder nach dem bekannten Wort, den Wollenden führt, den Nichtwollenden zieht sie. Wie Gott, so wird der Mensch nur durch die Scheidung von seinem Seyn in die höchste Selbstgegenwärtigkeit und Geistigkeit erhöht. Frey ist nur der, dem sein ganzes Seyn bloßes Werkzeug geworden ist. Alles, was noch in der Ungeschiedenheit lebt und so weit es noch in ihr lebt, lebt in der Vergangenheit. Dem, der sich der Scheidung in sich widersetzt, erscheint die Zeit als strenge, ernste Nothwendigkeit. Für die aber, die, in immerwährender Selbstüberwindung begriffen, nicht nach dem sehen, was hinter, sondern was vor ihnen ist, wird ihre Macht unfühlbar. Liebe dringt in die Zukunft, denn nur der Liebe wegen wird die Vergangenheit aufgegeben. Sehnsucht hängt an der Vergangenheit fest, ist Schmachten nach dem ersten Einsseyn und Mangel an thätiger Liebe. Lust ist in der Gegenwart; beyde stört die Zeit, nur der Liebe ist sie befreundet.

    Liebe ist’s, wodurch die erste starre, die Kreatur ausschließende Einheit überwunden worden. – Schöpfung ist Ueberwindung der göttlichen Selbstheit durch die göttliche Liebe. Die Natur ist nichts anders als der durch Liebe gemilderte, sanftgebrochne göttliche Egoismus.

    Aus dem durch den Geist bewußten und nach Absicht geleiteten Zusammenwirken der einschließenden Kraft des Vaters und der ausbreitenden des Sohns ergibt sich von selbst die Gestaltung der sichtbaren Welt.

    Denn in dem Verhältniß als die dunkle Urkraft überwunden wird, erhebt sich das Wesen oder Seyende aus ihr; da sie aber in jedem Augenblick nur bis zu einem gewissen Grade überwindlich ist, so wirkt sie bey Erreichung dieses Grades der weitern Entwickelung entgegen, daß das Gewordene stehen bleibt und als ein Bestimmtes erscheint. Denn wie die Dinge stehen bleiben ist keine geringere Aufgabe als wie sie sich entwickeln. Die retardirende Kraft, indem sie das Seyende auf einer bestimmten Stufe der Entwickelung zurückhält, dient als ein Wesen, das seiner Natur nach nicht bejahend seyn kann, nur zur Begreiflichkeit des Einzelnen oder als Mitlauter zu seiner Aussprechlichkeit und Wirklichkeit.

    Die Entstehung des Raums, welche das Hervortreten der sichtbaren Dinge aus dem Unsichtbaren begleitet, zeigt sich am natürlichsten durch jene Erscheinung, die wir in den Gliedern organischer Wesen Turgescenz nennen. Der Raum wird nicht, wie man sich vorzustellen pflegt, gleichsam zumal ausgegossen, noch ist er eine nach allen Seiten endlos ausgebreitete Leere; auch er entsteht von innen heraus aus dem Mittelpunkt der widerstehenden Kraft, die sein wahres Wesen ist, und ohne deren beständiges Widerstreben gegen die Ausbreitung gar kein Raum möglich wäre.

    Uebrigens gelten von der Natur des Raums ganz dieselben Bestimmungen, die oben von der Natur der Zeit gegeben worden; z.B. daß die Dinge nicht im Raum, sondern der Raum in den Dingen, ihre maßgebende Kraft ist, daß jeder mögliche Raum der ganze, und der Raum daher im Großen wie im Kleinen ebenfalls organisch ist.

    Wir behalten uns vor, alle diese Bestimmungen, die noch manches andre Merkwürdige mit sich führen, bey einer künftigen Gelegenheit genauer zu entwickeln.

    Der Raum im Ganzen ist nichts anders als das schwellende Herz der Gottheit, das jedoch noch immer durch unsichtbare Kraft gehalten und zusammengezogen wird.

    An allen sichtbaren Dingen erkennen wir erstens die Realität als solche, sodann ihre Aktualität oder ihr äußeres Für-sich-seyn, endlich ihre Art oder innere Verschiedenheit von andern. Die Realität kann nur die eigentliche Schöpfungskraft; die Aktualität kann nur das aussprechende Princip, die Art nur das frey und besonnen bildende Wesen ertheilen. Der Vater allein ist der Schöpfer, der Sohn ist der Macher, der Geist der Bildner der Dinge.

    Da sich alle Dinge der Art nach nur durch den Grad unterscheiden, in welchem das bejahende Princip in ihnen entwickelt und aus dem Nichtseyenden erhoben ist; die verneinende Kraft aber nicht zumal noch ohne Maß und Regel sondern nur in gesetzmäßigem Fortschreiten, bey dem kein Mittelglied übersprungen wird, grad- und stufenweise überwunden wird: so ist diese allmälige Ueberwindung Eins mit der successiven Hervorbringung der Dinge nach Abtheilungen, Stufen und Unterschieden, wobey wiederum nothwendig das Niedere dem Höheren vorangeht.

    Indem aber durch eben dieses stufenweise geschehende Zurückdrängen der verneinenden Kraft und Dagegenerheben der bejahenden die Folge der Zeiten bestimmt ist: so leuchtet unmittelbar ein, daß die Folge der Dinge mit der Folge der Zeiten Eins ist, daß alle Dinge nur Früchte ihrer Zeiten, und zwar jedes die Frucht einer bestimmten Zeit ist und daß sie nur als solche begriffen werden können.

    Aber ihre Zeit, die allein ihre Art, ihren Charakter, ihr ganzes Wesen bestimmt, wird immer selbst wieder verdrungen, also sie mit ihr.

    Weil aber die Zeit im Ganzen und Großen wie im Einzelnen organisch ist, weil also jede folgende Zeit wieder die Einheit aller vorhergehenden ist: so reproduciert jede folgende Zeit die Werke der vorhergehenden, setzt sie aber als nichtseyend, als vergangen, d.i. als untergeordnet in Bezug auf ihre eignen Hervorbringungen.

    So ist ein ewiger Wechsel von Entstehen und Vergehen, bis die ganze, alles befassende, der Ewigkeit gleiche, Zeit in einem Wesen entwickelt worden, welches auf der höchsten Stufe der Entfaltung nothwendig geschieht. So wie diese erreicht ist, erhalten alle Werke der Zeiten ihre letzte Bestätigung; denn nach völlig geschehener Entfaltung kann die nunmehr ganz als vergangen gesetzte Contraction wieder völlig frey wirken.

    Nachdem also das Seyn aufs höchste entfaltet und durch die Zeit auseinandergesetzt ist, tritt die contrahirende Kraft als tragende Vergangenheit in ihre volle Rechte, und die letzte Wirkung, durch welche der ganze Prozeß sich schließt, ist diese, daß sie nochmals das Entfaltete (ohne es zurücknehmen zu können) als Eins setzend oder zusammenfassend, die Simultaneität zwischen allem Gewordenen hervorbringt, so daß die Früchte verschiedener Zeiten in Einer Zeit zusammen leben und in concentrischer Stellung, wie Blätter und Werkzeuge einer und der nämlichen Blüthe, um Einen Mittelpunkt versammelt sind.

    So also haben wir nach Kräften zu zeigen gesucht, wie jenes uralte Reich der Vergangenheit durch eine höhere Kraft immer mehr verdrungen und bis zur Gestalt der gegenwärtigen Welt entwickelt werde.

  • in: Jahreskalender Schelling »Jahreskalender 1818« (1818). Text

    Genealogie der Zeiten

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    leer

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    Forts.

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 79)« (?). Text

    XXIII)am Schluß dieser Beschreibung aber will es sich ziemen, uns umzusehen, wo, in Ansehung der Zeit, wir uns jetzt befinden. Dieß wird nicht besser geschehen können, als indem wir die ganze Genealogie des jetzt eingetretenen Zustands in einem Überblick, wie es erst jetzt möglich ist, darstellen. Denn wir konnten nur dem Gang der allmäligen Offenbarung und Enthüllung folgen, die Offenbarung fängt aber nicht in dem an, das geoffenbart werden soll, sondern im Äußeren; also konnten auch wir im Wissen nur von außen nach innen gelangen, und erst im Fortschritt schloß sich uns der Blick in die älteste Vergangenheit auf.

    Das also, was wir vor allem Werden allein setzen können, ist, ein Seyendes und zwar das als solches sey – und damit es habe, wogegen es seyend werde, ein andres (uns erschien es als erstes) Seyendes was ihm zum Seyn werden könne, über beyden eine Einheit oder eines, das ihr Band ist. Diese drey, an sich oder dem Wesen nach sich völlig gleich und Eine Lauterkeit.

    Dem angenommenen Verhältniß nach sollte das eine gleich gegen das andere zum Seyn (-A), dieses gegen jenes zum Seyenden (+A), beyde wieder gegen ihr gemeinsames Eins zum Seyn werden. Dieses Verhältniß kann aber nicht seyn, weil nichts gleich zuerst nicht Seyendes seyn kann. Also dieses Verhältniß, diese Einheit war gleich nur die seyn sollende, also die zukünftige.

    Welches Verhältniß blieb daher allein übrig, anzunehmen als vor allem Werden seyend?

    Kein anderes, als da eins das andere deckte, da alles nur Eine unnahbare Lauterkeit war, in der sich nichts unterscheiden ließ.

    Dieses Verhältniß kann aber keinen Augenblick existirend gedacht werden, ohne einem anderen Platz zu machen. Hier ist die Ewigkeit einem Punct gleich, man mag darauf sehen, daß Anfang und Ende, oder darauf, daß Mittelpunct und Umkreis in Eins zusammenfallen.

    Das ist die Ewigkeit die nie zur Zeit wird, weil sie keine Dauer hat; sie ist die ewige Vergangenheit, d.h. die nie seyend war sondern ewig war als die nämlich, die so wie sie nur gesetzt ist zur Vergangenheit wird.Wohl zu unterscheiden von der Einheit die seyn sollte. Diese wird nie zur Vergang[enheit].

    Diese also könnten wir auch die überzeitliche Ewigkeit auch die Überewigkeit nennen, die eben darum nie (nullo tempore) ist, immer nur von Ewigk˖[eit] (nullo non temp[ore]) war.

    Denn das erste Seyende, das nichts vor sich hat kann keinen Augenblick in seiner Überwirklichkeit bleiben, sondern geht nothwendig sogleich in Selbstwirkung und eigenes Leben über.

    Hier, von Ewigkeit also, fängt jene schwer beschreibliche Bewegung an, die weil eine Rotation, also Anfang und Endlos, auch eine Ewigkeit ist, nicht wirkliche Zeit sondern die nur Zeit werden will, ohne dahin gelangen zu können.

    Von dieser Ewigkeit reden wir also wenn wir sagen, irgendetwas sey von Ewigkeit gewesen. Denn ihr Anfang ist ein ewiger, auf den nie jemand kommen kann.

    Diese Ewigkeit können wir auch die vorzeitliche Ewigkeit nennen.

    Sie wird zur Zeit, lediglich dadurch daß sie als Vergangenheit gesetzt wird, welches nur durch ein Höheres und im Verhältniß zu diesem geschehen kann.

    In ihrem Versinken als Ewigkeit, in ihrem zur-Vergangenheit-Werden ist der Anfang aller Zeit.

    Das was nun entsteht und an die Stelle jener Vergangenheit als Gegenwart eintritt, was ist es?

    Es ist die Ewigkeit, die immer nur seyn sollte, nie wirklich war*)*) Nein! Es ist doch nur ein Bild der Ewigkeit, die seyn sollte.; die gleich ### dem Anfang nur zukünftige Ewigkeit. Es ist diese, so weit sie nach einmal eingetretener Zweyung seyn kann. Aber eben diese Zweyung ist die Bedingung ihrer Verwirklichung. Es ist also die verwirklichte, oder nun in die Wirklichkeit eingetretne Ewigkeit.

    Wir können sie auch die zeitliche Ewigkeit nennen, als die das, was Zeit ist (wenigstens dem Willen nach) nicht ausschließt, sondern bewältigt, überwunden, als Vergangenheit in sich trägt.

    Also schritt die bis jetzt beschriebene Bewegung eigentlich durch drey Zeiten fort, nun ist zu bemerken, daß die Zeiten sich hier selbst als Ewigkeiten (Äonen) verhalten.

    Die erste Ewigkeit ist die ewige Vergangenheit, die nie seyend war, also auch nicht zur Vergangenheit der Zeit wird.

    Die zweyte ist, die ewig vorausgesetzte, die aber zur Vergangenheit also zur Zeit wird im Moment des großen Gerichts oder der großen Entscheidung.

    Die dritte ist, in die alles eingeht und in der alles zu Bestand kommt. Diese ist’s, in der wir jetzt angekommen sind.

    Es ist die Ewigkeit, in welcher man sich Gott unmittelbar vor der Entscheidung zur Welt-Schöpfung denkt. (Denn das All oder die ewige Natur ist überweltlich). Im gewöhnlichen Begriff heißt alles, was vor der Welt ist Ewigkeit. Aber wie Nebel am Himmel, die dem gewöhnlichen Aug als bloße Nebelschimmer sich darstellen, dem bewaffneten sich in einzelne Lichter zersetzen: so löst sich jener dunkle Begriff der überweltlichen Ewigkeit der tieferen Betrachtung in eine Folge von Ewigkeiten auf, die nicht in sich, aber im Verhältniß zu andern Ewigkeiten Zeiten heißen können.

    Weitere Überlegungen zu Zeit und Bewegung

    Fortsetzung

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 87)« (?). Text

    17. Der Ausdruck Vergang˖[enheit] scheint nur von der Herausschließung des B exp. im Anfang von 7 – und dann nur so zu brauchen: »daß je ein Moment der Sch[ö]pfung zu Grund des folg˖[enden] gelegt, also zur Vergang˖[enheit] (relativ) in Bez[ie]h[ung] auf diese gesetzt wird – Gott nur in ihnen gewirkt hat – weggegangen ist – nicht mehr in ihm wirkt. Auch A=B oder €\frac{a^3}{etc.}€ muß seiner Vergang˖[enheit] sterben, das Figürliche hinter sich lassen, um wieder in’s form- und bildlose lautre A0 zu gelangen. Befreyt von der Last seiner Vergang˖[enheit] die es außer sich ablegt.

    18. Auch Gott muß immer was hinter ihm ist lassen – das Geschöpf lassen – frey lassen – um das Höchste – den Preis seiner ganzen Schöpfungsarbeit davon zu tragen. Der Mensch mit ihm soll auch die Creatur lassen. Wer sie nicht läßt, hält den Vater auf in seinen Wegen. – Cfr. 339b.

    Anm. Der Vater braucht nichts von dem anziehenden Willen (B) zurückzulassen wie p. 80 steht.

    19. Das Naturwesen sieht Gott nur im Scheiden etc. etc. p. 80 oben m. Gott war nur drinn, in transitu, ist nicht mehr drinn. Wohin du kommst, nur noch Fußtapfen. Nicht mehr ihn. Fetischismus p. 80b. m.

    20. Der Sohn hilft dem Vater zur Ablösung von seiner Vergang˖[enheit] darinn eben das best[än]d[i]ge Erheben in Gegenwart. – daß etwas nur einmal ein Gethanes ist. Im Weggehen ist er immer frey §. 340

    21. Parallelismus des Vergeistigen in A=B und A=B exp. §. 341

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 86)« (1817 - 1819). Text

    Auflistung 43-47

    Begriffe: ewige Vergangenheit, A=B, Gott, Bewegung, Zeit

    Inhalt: »Wille der Effect hat«

  • in: Wissenschaftliche Arbeit Schelling »Weltalter-Fragmente (NL 80)« (1820). Text

    NB. Wenn €\frac{A^3}{etc.}€ das göttliche Wesen ist, so ist ja eben in diesem Vergang˖[enheit] (A=B) Gegenwart (A2) Zukunft (A3 = das Kommende, das seyn wird – so der Januskopf nach der gewöhnlichen Erkl˖[ärung] allerdings auch zu begreifen, nämlich als Vergang˖[enheit] Gegenw˖[art] und Zukunft. Auch hier schon sagt Gott zu sich: Ich bin der da war (A=B), der da ist (A2) und der da kommt (A3)

    Mit diesen drey Begriffen wird auch viel einfacher die Erklärung der κρισις in 4 da nämlich A=B sich als Vergang˖[enheit] nun einer Gegenwart (A2) gegenüber erkennt.

    IV. חכמח

    1. Hergang.

    Die Selbstaufgegebenheit von A=B wird gleich in 4 gesetzt, aber die Form in der es geschieht – wird nun hervorgebracht. A2 kämpft A=B nieder, die Zweyheit in ihm zur Form machend und das Wesen Copula hervorhebend ebendieß geschieht in A2 so daß zuletzt das vollständige €\frac{(A^3)^3}{(A^2)^3=(A=B)^3}€ gesetzt ist, wo die drey Centra sich decken, A0 sich s˖[elbst], sein eigen Wesen in €\frac{A^3}{etc.}€ sieht – doch nur freyes Spiel, immer noch Total˖[ität] die = Einheit ist =A0+A0+A0 aber die act. Einheit fehlt, die erst durch Hinzutreten von B exp. gesetzt wird. Unausgespr˖[ochen] ausgesprochen. F˖[ranz] B˖[aader] blaue Ext˖[ase] p. 9. 10. geh. p. 11. #

    Schlaf und Wachen. Im Wachen hält B exp. noch zusammen – aber das Auseinandergehen (Zerstreuung) wird immer bedeutender bis der Einheitspunct ganz verloren geht durch den Schlaf (Impotenz desselben) – aber ebendamit B exp. wieder anheimfällt. (Ein best[än]d[i]ges Wachen uns unerträglich) daher die Intensität, Reinheit des Bew˖[ußtseyns] in den Frühstunden so wie Nachts – d. Eigenth. des thierischen Magn˖[etismus] besteht vielleicht nur darinn, daß d. Magn. – nicht sowohl den Haltpunct =B exp. oder A0 – als wie den Rapport hergibt, Kraft dessen der Somnamb˖[ulismus] in jener Innigkeit mit B exp., die während jedes Schlafs – in höherem oder niederem Grade (daher das mehr oder weniger Stärkende des Schlafs, an dessen wiederhergest˖[ellter] Einheit wir gleichsam den ganzen Tag zehren) – stattfindet doch zugleich die Beziehung zur Außenwelt durch ihn erhält – aber klar, daß der Magnetiseur eben s˖[elbst] auch nicht zerstreut seyn darf. Cfr. F˖[ranz] B˖[aader] ungeh. p. 7. ss. Das Maximum der Zerstreutheit geht wieder in Sammlung über.

    NB. Zur Freyheit kann A=B nur dadurch wiedergebracht werden, daß A=B (die Form) als A0=B wieder innerlich – im Einheitspunct – verborgen – statt wie jetzt offenbar – wird, daß A3 (das in A=B s.) nicht mehr aus A=B ausgeht, sondern umgekehrt eben diese Zweylichkeit, sit v˖[enia] v˖[erbo] diese freye Beweglichkeit in sich hat.

    2. Absicht.

    A=B ebenso A2 (denn auch in diesem, so gewiß es von A=B und A2 versch[ie]den, ein selbstischer Wille) die freye Beweglichkeit von A und B, d.h. eig. Freyheit, Geist hervorzurufen in reines Seynkönnen wiederzuführen.

    V.

    1. Allgemeine Bedeutung.

    B exp. ist nicht das Äußre von A3, gegen A2 und A=B, sondern die zusammennehmende Kraft des ganzen Wesens, in dessen Mitte es ist. Es zieht also das ganze Wesen von den drey Enden (s˖[it] v˖[enia] v˖[erbo]) zusammen*)

    Die Enge und Nähe, in welche A und B gebracht werden durch die Anz˖[iehung] besteht nur in Herstellung des beweglichen Gegens˖[atzes] – nicht in völliger Aufhebung desselben, sondern nur daß er nicht mehr der freye ist, wie in der gezweyten Natur, wo das Können in dem Seyn und umgekehrt draufgeht, eins das andre tödtet

    B exp. ist in A0 s. das Vergangne – nämlich das Tiefste, Verborgenste, Grund. Wenn es zur Gegenw˖[art] sich erhebt, ist es, οὑ απὸ προσώπον. Denn B ist die verzehr˖[ende] Schärfe, die A2 und A=B simpl. in Eins ziehen, in A3 d.h. A0 (denn es fällt im Grund mit dem Unterschied die Potenz hinweg – es wäre Geist in Geist) verwandeln will –

    Der Grund des ganzen Processes in 6 ist daß €\frac{A^3}{etc.}€ in A0 zusammengezogen und so A0=A0 (A=A) sey,*)) als höchste Selbsterkenntniß (nicht Gottes sondern) des Absol˖[uten] – und dieß im Menschen, der insofern über der Creatur = Gott war, wenn er nicht wieder nach der Creatürlichkeit verlangte – also doch nur im Einzelnen A=A, denn wenn im Ganzen, so keine Creatur – nur in einem Puncte, im Menschen. Auch hier dieses göttliche Bew˖[ußtseyn] wieder zerrissen. Warum? Damit die Herstellung desselben ganz freye That des Menschen sey.

    Wahnsinn, wenn die Centra sich nicht decken F˖[ranz] B˖[aader] bl˖[aue] Ext˖[ase] p. 17. IV. und 18 oben

    Anmerkungen zu Obigem.

    *) Nego. Vid. ann. ad. III.3.

    *)) Oder A=B = A3, A2=A3, das Ganze also A3=A3+A3

    NB. B exp. bleibt nicht im absol˖[uten] Innern, (wie könnte es da €\frac{A^3}{etc.}€ hineinziehen – es hätte ja gar keinen Rapport zu ihm – sondern Es tritt heraus macht sich objectiv (absol˖[ut] gesprochen) will aber A3 in A0 herstellen, daß doch nur Es als die Einheit offenbar wäre. In der Zeugung von A2 exp. macht es sich nun zum Obj˖[ect] gegen dieses und wird nun aus der Äußerlichkeit = (€{A^3} \atop {A^2=(A=B)}€)B exp. gegen dieses (€\frac{A^3}{etc.}€) in die Innerlichkeit, Vergangenheit zurückgesetzt, so daß doch dieses (A3) das Extante ist. Jenes obj˖[ectiv] Werden ist nun aber erst ein rechtes, nämlich ruhiges und besonnenes Zunehmen und vielleicht doch nur vielleicht wäre dann schon das bloße sich obj˖[ectiv] (erste Pot˖[enz]) Setzen der Anfang des Weltsystems.*)*) Nämlich durch die Wirkung des A2 exp. wird es aus B s. auch =A. Nur ist es (für sich) (A)=B – in A2 exp. ist es A=(B), jenes ist Centripetenz, dieß Freylassung. Aber dieß A=(B) werden ist mit der bloßen καταβ˖[ολη] noch nicht. Oder, dann kommt die peripherische (Bildung des Anorgischen) dann die centrale Überwindung (Bildung des Org˖[anischen])

    »In der Bewegung, rein objectiv betrachtet, z.B. wie sie in der unorg˖[anischen] Natur (d.h. auf der relativ bloß obj˖[ectiven] Seite) gesetzt ist, ist die Zeit bloß accidentell gesetzt, nur für ein drittes außerhalb derselben begriffenes Subj˖[ect] erscheint sie als der gleichwesentliche Factor. In €\frac{S}{T}€=C ist schon subj˖[ective] Betr[a]chtungsweise.« Karl §. 32.

    »Bewegung sofern ein Abbild des Lebens muß Bewegendes und Bewegtes in Eins fassen