Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Nachschrift. .

Da die Abreise meines jungen Freundes, mit dem ich diesen Brief abschicke, sich verzögert, so nehm’ ich mir die Freiheit noch diese Zeilen hinzuzufügen. Das zweite Buch der Rel˖[igions]Ph˖[ilosophie] ist nun auch in Gottes Namen angefangen. Es lässt sich gut an, aber – ich seh’ es je länger je mehr ein, – für mich allein bin ich nichts und vermag ich nichts. Erst dadurch dass ich mich den Besten anschliesse, und wenn sie mein Streben ihrer Theilnahme würdigen, könnte es mir vielleicht selbst hier, selbst äussern hemmenden Einflüssen zu Trotz, gelingen, was mir die Seele füllt, einigermassen darzustellen. Wie glücklich würden Sie, Verehrtester, mich daher nicht machen wenn Sie, zu dem mich mein Herz ohnehin so unwiderstehlich zieht, sich soweit einlassen wollten mit mir, als dieses in solcher Ferne geschehen kann! Fichte starb und ich sah ihn nicht und kam nicht in die allermindeste Berührung mit ihm. Ich wollte nach Deutschland, um in Ihre Nähe zu kommen, und es ging nicht. Soll ich denn aus diesem Erdenleben gehen, ohne Ihnen, Verehrtester, wenigstens auf diese Weise näher gekommen zu sein! Wenigstens will ich’s mir nicht vorzuwerfen haben, dass ich versäumt Sie herzlichst darum zu bitten. Es pflegt ein eignes Missgeschick über allen meinen Unternehmungen zu walten. Lassen Sie mir denn das Hauptunternehmen meines Lebens gelingen, dadurch dass Sie mir dabei Ihrer Theilnahme würdigen. Ich werde nur dann gelebt haben, wenn es mir wird gelungen sein dafür etwas bedeutendes zu thun.

Ein wunderbarer Zufall! – möge er mir ein freundliches Omen sein! – Als ich das erste Mal an Sie, Verehrtester, schrieb, führte ein glücklicher Zufall Kernells Reise-Notizen in meine Hände. Jetzt, da ich diese Nachschrift schon angefangen habe, erhalte ich von einem reisenden Landsmann Atterboms Gedächtnissrede über den theuren Verstorbenen. Möge denn das Andenken meines von Ihnen väterlich geliebten jungen Landsmanns mir Ihre Theilnahme für mein Streben zuwenden. – Indem ich diesem Gedanken nachhing, entstanden folgende Zeilen, die ich, so entblösst sie auch von allem poetischen Werth sind, nicht umhin kann Ihnen mitzutheilen:

An den seligen Peter Ulrich Kernell.

Wie wir auf die Blumenauen,
Wo einst unsre Kindheit spielte,
Von des Mittags Ärndteflur,
Von des Lebens Sonnenhöhen
Oft der Blicke Sehnsucht wenden;
Also seh’ ich oft im Geist,
Mein Kernell-Novalis, dich,
Aus den Wohnungen des Friedens
Leisen Fluges niederschweben,
Wenn wir müden Menschen ruhn.
(Deiner Jugend Heil’genörter
Hütet kein Gespenst der Reue,
Drum sind sie so theuer Dir.)
Wenn du nun das liebe Städchen
Fromm besuchest, wo du, Fremder,
Heimisch durch die Liebe wardst;
Wenn du an dem Denkmahl weilest
Das der Geistgenossen Liebe
Ehrend deinem Staub erbaut;
Dann, du theurer Landsmann, schwebe
In das Heiligthum hernieder
Wo der Weise, uns so theuer,
Noch bei später Lampe wacht,
Zeige hin auf Moskau’s Ufer,
Wo dein Landsmann in der Ferne
Einsam, unverstanden weilt.
Zeige ihm des Tempels Grundriss,
Den ich, bald mit heil’gem Zagen,
Gläubig bald begonnen hier.
Bitte ihn, den hohen Meister,
Dass mit seinem Rath er stärke
Meiner Kraft geringes Maass.
Dann, ja dann, wird sich erheben
Ein Gebäude, zu verkünden,
Christus, deine Herrlichkeit.–
Meinem stummen Memnonsbild
Wird, bei dieser Sonne Nahen
Erst des Lebens Laut entschweben,
Und dann wird in jedem Laut
Christus, dir ein Loblied tönen.

Gibt es kein in Kupfer gestochenes Porträtt von Ihnen, Verehrtester, und, verzeihen Sie mir die Frage, wo wäre wohl ein solches zu haben? – Würden Sie wohl erlauben, dass ich, was in Kernells Reise-Notizen über Sie vorkommt, dem Deutschen Publikum mittheile? Auch unter dieser Adresse kommen Briefe mir zu Händen: an Herrn Karl Goldbach Dresden, Neustadt, Hauptstrasse Haus des Kaufm˖[annes] Beyer No. 179 im vierten Stockwerk.