Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Auflistung 1-19 bis 2r (links)

Begriffe: das Überseyende, Müssen, Können, Macht zu seyn, Existirendes

Inhalt: »daß dieß von allem Anfang«

Sonstiges: Verweis auf Kalender 6. Oct.

I) E)Die Meisten von denen, welche zum Denken aufgefodert werden, zeigen sich geneigt und willig, alles anzuerkennen, was lauteres Wesen, was frey ausquellender und sich mittheilender Natur ist; dieselben aber erkennen nichts so ungern als das Gegentheil des Wesens, was verneinender, abziehender, nach innen gehender Natur ist. Nichts schiene dem größten Theil natürlicher, als wenn alles in der Welt aus lauter Liebe, Güte und ausfließendem Wesen bestünde, wovon er so augenscheinlich das Widerspiel sieht: ein Hemmendes, Gegenstrebendes, von dem das Wesen oft kaum und nur mit Mühe zur Erscheinung gelangt dringt sich überall auf, jedermann fühlt dieses Andre, das so zu sagen nicht seyn sollte und doch ist ja seyn muß, dieß Nein das sich dem Ja, dieß Verfinsternde das sich dem Licht, dieß Linke das sich dem Rechten, dieß Krumme das sich dem Geraden entgegenstellt, und wie man sonst diesen ewigen Gegensatz in Bildern auszudrücken gesucht hat, aber nicht leicht ist einer im Stande es auszusprechen, noch viel weniger es festzuhalten und zum Verständniß zu bringen. Vielleicht sogar schiene nicht zu viel gesagt: es unterscheide sich der wissenschaftliche Mann von der unwissenschaftlichen Menge ursprünglich durch nichts anders als eben dadurch, daß er dieses dem Wesen Widerstrebende mit festem Blick anschaut und zum Stehen zwingt, indeß jene die Augen feig und weichlich von ihm abwendet und es entfliehen läßt.

Und doch dringt es sich in Vielen Gestalten auf, und wäre jedem nah genug im eigenen Innersten, scheuten die Meisten nicht den Blick in dieses, vielleicht aus Furcht es zu entdecken. Von allem wirklich Seyenden ist es offenbar, daß es nur ist in seinem Thun und inwiefern es thut, und daß es dieß Thun hinweggenommen alsbald in Nichts zerstieben würde. Wir sehen, wie alle zeitliche Wesen mit großer Begierde ihr Daseyn festhalten und es unabläßig zu bethätigen suchen, gleichsam im Gefühl daß sie nicht an sich selbst sind daß ihr Daseyn nur in ihrem Thun besteht.

Hier ist offenbar Etwas, das an sich Nichts ist, weil es unabläßig Wesen anzieht, um Etwas zu seyn, und das doch nicht Nichts sondern eine wirkende Kraft ist, eben weil es Wesen anzieht; ja wir würden unstreitig richtiger sagen, es sey die Kraft schlechthin, es sey die Kraft und Stärke selber, denn worinn wird alle Stärke erkannt, als an der Macht, mit der sie das Daseyn festhält.

Es ist allerdings nicht genug nur ein Solches anzuerkennen, das an sich nichts und doch wirkend ist; es muß die Einsicht hinzukommen, wie das an sich nicht Seyende sey und wirke, oder umgekehrt ein Wirkendes ein offenbar an sich nicht Seyendes seyn könne.

Von jeher hat dieser Proteus die Betrachter geirrt und vielfach in Verwirrung gebracht. Ihn vor allem muß bedräu'n und fesseln, wer zur Wissenschaft gelangen will.

Wir beantworten jene Frage zunächst indem wir eine andere aufwerfen. Wie überhaupt geschieht es, daß irgend Etwas =X irgend etwas Anderes =a wirklicher Weise nicht sey? Denn so urtheilen wir von jenem, über das die Frage ist, es sey wirklich das nicht Seyende, d.h. es sey in dem nicht seyend Seyn wirklich und in seinem Wirken das nicht Seyende.

Ich antworte: nur dadurch daß es a sich an- oder wie unsere Sprache sehr gut sagt, zu Gemüthe zieht, ist X wirklicher Weise nicht a: daß es a will und begehrt ist der bejahende Begriff von seinem a nicht Seyn. Wem der Reichthum gleichgültig ist, der ist, auch arm, nicht wirklich arm: was nichts will, ist Alles, was Etwas will, gleichviel was es will, ist ebendarum dieses Etwas nicht und daher selbst Etwas denn alles das Etwas ist, muß auch Etwas nicht seyn. Hier nun ist die Rede von einem, das das nicht Seyende ist unstreitig nicht daß es erst das nicht Seyende ist und dann des Wesens begehrt, sondern umgekehrt. Das Begehren geht voraus, nur im Begehren ist es Etwas, nämlich das nicht Seyende, welches ja eben darum nicht Nichts seyn kann, weil es Etwas nicht ist. Abgesehen vom Begehren wäre es allerdings Nichts (also nicht das nicht Seyende) wie ja jede Begierde, jeder Wille für sich nichts ist und erst Etwas ist, indem er Wesen anzieht, d.h. wirklich will.

Also der Grundbegriff jenes an sich nicht Seyenden ist der Begriff der Begierde oder wie wir es ja gleich anfangs genannt, einer anziehenden Kraft, obgleich wir ebendaraus nun deutlicher erkennen, daß es an sich Nichts, nur in seiner Wirkung Etwas ist, ohne diese Wirkung aber reiner Mangel, lautre Armuth und höchste Bedürftigkeit. Dieses ist die Kraft, die an jeder Creatur zehrt, dieß ihre innere Leere, die unaufhörlich bemüht ist sich zu erfüllen, dieß das an sich ziehende Nichts durch das sie allein sie selbst ist.

Dieses an sich nicht Seyende also, das doch nicht wegzubringen, nicht Nichts sondern die allerstärkste Kraft ist, suche jeder nicht bloß zu erkennen, sondern sich vertraut mit ihm zu machen, der auch nur einen Schritt thun will auf dem Wege der Wissenschaft.

Je unwilliger nun die Meisten sind, dieses nicht Seyende zu erkennen, desto bereiter alle, den entgegengesetzten Begriff zu erkennen, der das an sich oder seiner Natur nach Seyende, das wir in vielen Gestalten und Formen als solches erscheinen sehen, das aber in allen vorausgesetzt wird, als das in allem Seyenden eigentlich Seyende oder als das von dem alles einzelne Seyende nur eine besondere Form oder Weise ist. Dieses also an sich und zusammengedrängt als Eins (wie es denn ist) werden wir mit Recht das Wesen alles Wesens nennen.

Aus diesem also, meynen nun die, welche zuerst dessen Begriff erfaßt und an ihm Wunder wie sich erfreuen, alles nicht Seyende verbannt, denn es ist das an sich und insofern der Gegensatz des wirklich Seyenden, von dem gezeigt worden, daß es eben in einer beständigen Anziehung des Wesens, es zu Sich als Sich zu machen, und demnach in einer beständigen Begierde seiner selbst bestehe. Jenes an sich Seyende aber ist wie die Schönheit, die sich ihrer selbst nicht annimmt, wie die Liebe die nicht das ihre sucht, wie die gelassene Wonne die sich selbst nicht kennt.

Sehen wir also zu, ob wir jenes Andre, das an sich nicht Seyendes ist, wirklich und in der That von ihm abhalten können, oder ob es nur so scheint. Denn gleich zuerst ist ja klar, daß dieses an sich Seyende weil es dieß ist, darum noch nicht auch das als solches Seyende ist, wir sehen also, daß es, indem das an sich Seyende, doch in anderer Beziehung auch das nicht Seyende ist. Als Wesen ferner alles Wesens ist es Alles, aber das Alles-Seyn ist Verneinung des Etwas-Seyn, und dieses nicht-Etwas-, d.h. Nichts-seyn, was ist es denn andres als wieder jene unendliche Leere, die, wenn noch nicht wirkend, doch der Grund und Anlaß ist zum Etwas seyn. Als Wesen alles Wesens ist es der Reichthum und der Überfluß selbst, aber da es selbst nicht davon erfüllt ist (nach der Voraussetzung sich selbst nicht hat) so ist es als der höchste Reichthum die höchste Armuth. Es ist ganz Reichthum und es ist ganz Armuth je nachdem es betrachtet wird, äußerlich oder gegen Anderes die höchste Fülle innerlich oder für sich selbst die äußerste Leere. Der Reichthum und die Armuth in ihm sind nicht zwey, sondern eben das, das in ihm der höchste Reichthum, ist auch die tiefste Armuth und umgekehrt. Also sehen wir wohl daß es auch hier sich eindringt und eben wie auch im höchsten Seyenden nicht abzuwehren ist jenes nirgends gewollte aber gerade überall sich darstellende und unabhaltliche – Wesen können wir nicht sagen, sondern nur Nichtwesen das doch Wesen seyn will dessen Erkennen kein freywilliges sondern ein reines Muß ist, das man nur nehmen und sich gefallen lassen muß. Ist es nicht da, als wirkend und in sofern ersättigt, so ist es doch ebendarum da als nicht gesättigt als der lautere Hunger; hat es noch nicht empfangen und ist nicht erfüllt, so ist es um so gewisser da als unendliche Leere; eben von dem höchsten Seyenden gilt das Wort, so hoch sein Tag so tief seine Nacht.

Wir sehen also wohl daß wir zwar das an sich Seyende, aber ebenso unbedingt das an sich nicht Seyende erkennen müssen, wir begreifen aber daraus, daß keines von beyden der höchste BegriffInsof˖[ern] στερησις – nur nicht Gott. s. überhaupt Wallers˖[ee] IIa) p. 3.