Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Frau

Directorin von Schelling

gegenw˖[ärtig] bey Madame Gotter

geb. Stieler

in

Gotha.

fr˖[ey] Gr[ä]nze.

No. 10.

No. 8.

Ich bin heute mit keinem Brief von Dir, liebes Herz, erfreut worden, hoffe aber durch die morgende Post noch Nachrichten von Dir zu erhalten. Da ich das wunderschöne, warme Wetter, das wir seit einigen Tagen genießen, jetzt auch zum Baden anwende, welches ich ungemein gut und mehr als Gastein belebend und erquickend finde, so ist meine Zeit noch kürzer zugemessen, der ganze Tag ist eingetheilt und nicht das kleinste Titelchen dieses strengen Gesetzes, unter dem ich lebe, darf versäumt werden, wenn nicht das ganze Tages-System zerrüttet werden soll. Heute habe ich endlich einen Brief von Karl, der volle 10 Tage hieher unterwegs war, erhalten, vielleicht erhieltst Du noch früher den seiner Frau; er kann das Gefühl der Oede, das sie besonders lebhaft in den ersten Tagen nach unsrer Abreise empfanden, nicht genug beschreiben; beyder Herz hängt wirklich an Clärchen, aus der Art, wie er sich darüber ausdrückt, sehe ich, daß es wirklich beyder sehnlichster Wunsch ist, das Kind bey sich zu haben. Er will sogar, schon auf der Rückreise von Carlsbad und Gotha sollen wir ihm das Kind überlassen, er und sie wollen, wenn es uns recht ist, nach Nürnberg kommen. So angenehm es mir wäre, dort noch einige Tage so ganz frey mit Carl zu verleben, so wenig kann ich mich doch entschließen, ohne Dich erst gehört zu haben, denn von Dir will ich es, was nicht anders als recht und billig ist, ganz abhangen lassen. Auch wenn Du es willst wird es mich übrigens immer mehr kosten, als ich in Stuttgart mir vorstellte; von der anderen Seite empfinde ich wahres Mitleid! mit den beyden, Karl und seiner Frau, die eine solche Liebe zu dem Kind gefaßt haben, daß sie nun natürlich doppelt den Mangel eigen empfinden. Der Plan mit Nürnberg ist auch schon darum nicht wohl ausführbar, weil ich so genau jetzt gleich den Tag nicht zu bestimmen vermag, an dem wir dort eintreffen würden. Selbst das Zusammentreffen mit Dir setzt mich in einige Verlegenheit, da ich natürlich den Tag meiner Abreise gern vom Zustande meiner Cur und auch davon abhängig machte, ob ich grade gute Gelegenheit finde. Länger als bis zum kann ich in keinem Fall bleiben, da an diesem Tage eben die Woche zu Ende geht, es könnte aber auch seyn, daß ich schon am abreiste, wenn sich alles so fügte. Gib Du mir Rath darüber, schreibe mir unter andern auch, wie viel Tage Du von Gotha nach Baireuth brauchst, und erlaube mir, Dich zu erinnern, daß Du in Zeiten um einen guten Kutscher Dich umthust. Stielers loben den ihrigen sehr. Diese scheinen nun entschlossen, auch noch 8 Tage länger hier zu bleiben, was mir natürlich sehr angenehm ist. Es ist heute der erste Tag, wo ich sie bloß am Brunnen gesehen habe. aßen wir zusammen auf dem Posthofe à 3 fl., sonst, besonders wenn ich bade, esse ich meistens zu Hause. – Daß ich mich wohl befinde brauche ich Dir nicht zu sagen, über den endlichen Erfolg kann ich noch nichts sagen, da ich noch 12–14 Tage vor mir habe und erst jezt auch mit Sprudel kräftiger einwirke. Für heute schließe ich daher, um vielleicht morgen noch einige Zeilen beyzusetzen.

Meine Hoffnung ist nicht zu Schanden geworden. Ich danke Dir herzlich, daß Du mir auch heute wieder geschrieben und mich mit guten Nachrichten erfreut hast. Zwey Dinge scheinen Dich jetzt anzufechten 1) der Tag, an dem wir zusammentreffen. Hierüber habe ich Dir schon geschrieben, und erwarte Deine Meynung, die ich pünctlichst befolgen werde. 2) Zustand der Casse. Außer 250 fl. in Rollen habe ich noch so viel, um die Wohnung bis zum zu bezahlen, deßgleichen die aufgelaufenen Frühstück- Caffee- etc. -Schulden bis heute zu berichtigen. Je nachdem ich nun von heute bis zum oder wenig brauche – nur ist zu bemerken, daß ich jetzt täglich bade und für jedes Bad in dieser Gegend 1 fl. 11 x. Papier zu bezahlen ist – und je nachdem ich mit den Trinkgeldern abkomme oder einen wohlfeilen Kutscher bis Baireuth finde, könnte ich noch wohl 200 fl. davon bringen. Doch hoffe ich in jedem Fall mit 100 fl. bis Baireuth fertig zu werden; blieben zur Rückreise nach München baare 100 fl. Ich hoffe Du wirst mit mir zufrieden seyn, zumal wenn Du bedenken willst, daß ein von seiner Frau verlaßner Mann überall mehr bezahlen muß. – Hättest Du mir nur auch geschrieben, was ich Dir mitbringen solle, etwas muß es doch seyn; und so viele Sachen sind gar wohlfeil dießmal. – 3) die Beständigkeit meines Herzens. Hierüber sey nur ganz ruhig, obwohl ein einzelner Mann auch hierinn größeren Gefahren unterworfen ist, und unter andern so eben eine Theater-Prinzessin von mir weggeht, die mir ein Billet zu ihrem heutigen Benefice anbot, denn das ist jetzt hier so Sitte, daß sie in Person, besonders auf der Wiese, sollicitiren. Aber ich denke an nichts als wie ich gesund werde, und lasse mich nicht verdrießen, morgens 1/2 4 Uhr aufzustehen und jeden Vormittag 3 Spaziergänge zu machen, 1) nach dem Brunnen, 2) nach dem Frühstück 3) nach dem Bad. Dieß heißt, sein Brod im Schweiß seines Angesichts verdienen. Woran ich außerdem noch denke, ist weit von hier, und für alles andre habe ich keinen Sinn.

Daß Du endlich den Friz nicht mehr als Kind behandelst, freut mich sehr, ich dachte wohl, daß er dann gleich gescheidter werden würde. Grüße und lobe den Dicken doch auch von mir, wenn er gleich nicht an mich denkt. Sehr freu’n soll mich, wenn er bey der Rückkehr von Gotha lesen kann. Versteht sich daß die andern Kinder nicht vergessen seyn sollen. Gott behüte euch alle und schenke uns fröhlichstes Wiedersehn. Leb’ recht wohl, mit Deinen 4 Küchlein; warum schreibst Du mir denn nichts von Deinen Tänzen in der Harmonischen Gesellschaft? Glaubst Du, daß ich keine andern Nachrichten habe, als die Deinigen? Lebe recht wohl, und schreibe immerhin etwas ausführlicher, wenn nun gleich das Schreiben, Gott sey Dank, bald aufhört.

Die herzlichsten Grüße an Mutter, Schwestern und Tanten.
Dein
tr[euer]

Sch.