An Frau
Directorin von Schelling, geb˖
Gotter
gegenw˖[ärtig] bey Frau Me Gotter geb.
Stieler
in
fr˖[ey] b˖[is] z˖[ur] Gränze.
No. 1.
Carlsbad den .
Nachm˖[ittag] 4 Uhr, liebstes Herz, bin ich glücklich hier angekommen, obwohl nicht ohne manche Mühseligkeit, wozu die kranken Pferde sammt dem einfältigen Kutscher das Ihrige beytrugen. Als ich am Abend des , im Anker zu Baireuth angekommen, meinen Nachtsack vermißte, war ich allerdings einigermaßen betroffen, einige nothwendige Sachen entbehren zu müssen, aber weit betroffener gleich über der Vorstellung des argen Schreckens, den Dir der Anblick des unglücklichen Sacks in Lichtenfels machen würde. Du hättest wohl verdient, an diesem Orte von einem solchen Eindruck befreyt zu seyn. Hätte ich Dich nur gleich beruhigen und Dir wenigstens sagen können, daß ich Dir keine Vorwürfe machte, wohl aber mir selbst, der sich billiger Weise die Sachen hätte zuzählen lassen, oder wenigstens vor dem Abschied überzählen sollen. Daß Du mir die Sachen noch von Lichtenfels aus schicken würdest, ging mir zwar auch durch den Kopf, doch glaubt’ ich, nähere Überlegung, daß mit gleichen Kosten alles ohngefähr zu ersetzen wäre, würde Dich davon abhalten, ich traf also gleich meine Anstalten, kaufte bey’m Juden einige Tücher (die ich nun ungebraucht aufbewahren werde, damit Du sie etwa zu Geschenken verwenden kannst) und eine Nachtmütze, jene wurden in der Geschwindigkeit nachgesäumt und der ganze Nachtheil war, daß ich etwas später zu Bette kam. Am andern , als ich eben im Begriff war, in den Wagen zu steigen, trat der Postknecht mit dem Paket in mein Zimmer. Wie sehr bedaure ich, daß du, liebe Seele, Dich so geängstet und in Unkosten gesteckt hast. Wenn der leidige Zufall Dich nur in keine weitere Verlegenheiten gebracht hat! Es scheint einmal in den Sternen geschrieben, daß wir dem Posthalter zu Lichtenfels mit Estafetten Geld zu lösen geben. Hoffentlich hast Du Dir den ärgerlichen Vorfall gleich aus dem Kopf geschlagen und Dir nicht die Reise der folgenden Tage dadurch verbittern lassen. – Am zweyten Tage brachte mich der Kutscher nun bis Eger, wo ich in dem schlechten und unreinlichen Gasthof ziemlich theuer leben mußte. Den folgenden fuhr ich gleichwohl über Franzensbrunnen, ohne jedoch von dem Weine etwas erhalten zu können und kam so endlich Nachm˖[ittag] 4 Uhr hier an. Ich fuhr gleich zu unsrem alten Wirth, erfuhr aber, daß unser Brief einen Tag zu spät gekommen und das Quartier besetzt sey. Dagegen hatte er ein andres, bey seinem Neffen, im halben Monde (Monde) auf dem Kirchenplatze (merk’ die Addresse) bestellt, nicht weit von seinem Hause, etwas kleiner, wie unser letztes, auch darum weniger angenehm, weil auf demselben Boden noch eine andre Partie, und zwar, was Du am wenigsten gern hören wirst, (doch hoffe ich, Du werdest Dich bald wieder beruhigen) – Frauenzimmer wohnen, dagegen weit angenehmer wegen der Aussicht auf die Töpel, den Sprudel und den Spaziergang, der gerad’ unter meinen Fenstern ist, und wer so allein, wie ich, hier ist, dem ist eine lustige Aussicht zur Unterhaltung wohl zu gönnen. Unten im Haus sind Bäder eingerichtet, in die man den Sprudel unmittelbar einlassen kann, doch werde ich anfangs auf dem Zimmer baden. Der Preis der Wohnung ist derselbe, wie bey’m Büchsenmacher. Zur Bedienung 1) das Mensch, wie sie’s hier nennen 2) die sehr reputirliche Tochter des Hauswirths, eines Gürtlermeisters 3) noch ein kleineres Töchterchen. Bey’m Abpacken, Bettmachen etc. war die Maxel sehr behülflich, und unser alter Büchsenmacher sorgt für mich nicht anders, als wäre ich in seinem Hause, hat mich auch heute schon besucht. Auch habe ich diesen Morgen schon 3 Becher Mühlbronnen zu mir genommen, gierig schlürfte mein Mund den wohlbekannten, heilsamen Trank. Die Badegesellschaft ist auffallend weniger zahlreich, als im vergangnen Jahr, besonders sind äußerst wenige merkwürdige oder mich einigermaßen anziehende Menschen hier, fast nichts als Kaufleute und Fabricanten, von der vornehmern Welt wenig, von alten Bekannten nur Beer aus Berlin und der arme Dr. Pöschmann , dem ich heute gleich begegnete, und der mir seine unglückliche Geschichte mit der Bacciochhi gleich erzählte. Es ging, wie ich vorausgesehen hatte; seine Familie ist jetzt in Wien, wo er sich mit Privat-Praxis durchbringen will, er selbst hier, um seine ganz zerrüttete Gesundheit durch den Brunnen herzustellen. Den wird der König von Preußen hier erwartet, der eine förmliche Kur brauchen will. Goethe war seit dem letzten May hier und steht in der Badeliste fast voran, seine Hauptgesellschaft war die Herzogin von Curland, Frau von der Recke nebst Anhang. Schön Wetter ist nun freylich inwiefern es nicht regnet, aber es weht ein äußerst kalter Nordwind. Noch gestern Nachm˖[ittag] habe ich meine sieben Sachen in Ordnung gebracht. Die Sachen waren alle wohl erhalten, nur den Büchern hat der Bettsack nicht wohlgethan. Durchzählen konnt’ ich noch nicht, verloren aber habe ich unterwegs nichts. – Nun habe ich Dir soviel von mir selbst geschrieben, als ich wußte. Du kannst über meine Gesundheit ganz beruhigt seyn; auch gefällt mir Carlsbad dießmal besser, nachdem ich mich an eine kleinere Natur gewöhnt habe; die Aussicht meiner Fenster ist ganz reizend, auf den Hirschensprung und die übrigen Höhen von dieser Seite, auf die beyden Brücken und auch ein Stück von der Wiese.
Jetzt ist es Zeit, mich nach Dir und unsern lieben Kindern zu erkundigen! Möge es Dir nur so wohl ergangen seyn, als mir, und mögest Du Dich jetzt so im Frieden und in der Ruhe befinden wie ich! Ich fürchte immer, der Tag habe nicht bis Meiningen, also der auch nicht bis Gotha gereicht. Mache mir doch, ich bitte Dich, eine recht ausführliche Reisebeschreibung, beruhige mich bald möglichst über Dich und die Kinder. Leider fürchte ich, Du wirst meinen Brief sehr spät erhalten, da ich aus einem in meinem Zimmer hangenden Postcurs abnehmen kann, daß die Post nach Gotha eben , vor meiner Ankunft, abgegangen ist. In diesem Fall geht gegenwärtiger Brief erst nächsten ab. Ich werde mich noch diesen Morgen deßhalb erkundigen, und für den angenommnen Fall den Brief noch offen behalten. Unter den Badegästen befindet sich auch die Frau des Postmeister’s von Gotha, vielleicht kannst Du die Briefe durch diese Gelegenheit sichrer besorgen. Erzähle mir ausführlicher eure Ankunft in Gotha, und was Grosmutter, Tanten etc. zu den Kindern im Allgemeinen und zu jedem insbesondre sagen; auch ob sich die Kinder meiner erinnern. Bey Paul zweifle ich nicht, dessen Flehen, ihn mitzunehmen, mich gerührt hat. Grüße und küsse alle die Kinder auf’s zärtlichste von mir, und wenn es Dir, Du liebes Herz, einigermaßen schwer fallen sollte, ohne mich zu seyn, so denke daß durch diese Trennung ein so viele Jahre gehegter Wunsch, einmal wieder bey den Deinigen zu seyn, in Erfüllung geht. Desto froher, hoffe ich, sollen wir uns wiedersehen, ich habe den besten Muth und das innigste Vertrauen auf die Vorsehung, die über uns allen wachen wird. Sey’ guter Dinge und laß Dir recht wohl seyn in der lieben Heimath. Ich schreibe Dir gewiß oft, wenn auch nicht immer so ausführlich wie heute. Ich hoffe, Du weißt, wie sehr ich Dich liebe, ich darf Dir also nicht sagen, mit welcher Zärtlichkeit ich beständig Deiner gedenke. Gott erhalte und stärke Dich, die Kinder befehle ich Ihm und Dir.
Grüße aufs Herzlichste Deine liebe Mutter, Schwestern und Verwandte. Gott mit Dir, liebstes Kind; ich bin und bleibe Dein
treuester
Schg
Heute ist unsers lieben Paul’s Namenstag. – Das Recept von Carl hat sich in meiner Brieftasche nicht gefunden. Hoffentlich werde ich es nicht brauchen. – Kreyßig ist wenigstens bis jezt nicht hier. – Den Der Brief geht heute ab. Wenn es angeht, frankir’n nicht, ich mach’ es ebenso; wo nicht, nur bis zur Gränze. Numerire Deine Briefe ebenfalls, merke Dir die Tage, die sie ankommen, daß ich mich danach richten kann. Viermal die Woche kann man hier schreiben und ebenso oft Briefe erhalten. Heute haben schon wieder die gewöhnlichen, leidigen Brunnen-Bekanntschaften angefangen, doch lustig ist’s, wie’s die Leute anfangen, einen zu verstehn zu geben, sie kennen ihn. Das Wasser scheint mir dießmal gleich anfangs besser anschlagen zu wollen und so könnt’ es seyn, daß meine Brunnenzeit sich abkürzte. Gestern fand ich auf der Post einen Brief aus Heidelberg von dem guten Dr. Hjort, der Dich und die Kinder grüßt. Er schreibt von seiner Schweizer Reise nichts, nur von Heidelberg. Künftigen oder hoffe ich nun auch die ersten, Gott gebe guten, Nachrichten von Dir zu erhalten.
Lebe recht wohl, mein liebstes Herz und behalte mich lieb.