Sr. Wohlgebohrn
Herrn Dr. Sederholm
Prediger der evangelischen Gemeinden
um Moskau
in
Moskau
Erlangen. .
Unstreitig haben Sie schon selbst mich entschuldigt wegen der verzögerten Antwort. Ihr erstes Schreiben vom nebst der Skizze Ihrer Rel˖[igions]philosophie war mir zwar schon im (unbekannt von wem) aus München zugeschickt worden; aber den Erfolg oder vielmehr Nichterfolg Ihrer Eingabe an unsern König habe ich erst durch Ihre erhaltne Briefe vom und dieses Jahrs erfahren. — Hiedurch veranlaßt habe ich auch erst Ihre Skizze gelesen, die ich, in Erwartung, vielleicht darüber gefragt zu werden, bey Seit gelegt hatte. Um Ihr freundliches Zutraun zu erwiedern, will ich Ihnen kürzlich sagen, wie sie mir erscheint. Ihre Hauptvorstellung ist unzähliger Variationen fähig, an denen es uns in Deutschland auch nicht fehlt; man kann nicht gerade sagen, sie sey irrig, aber sie ist nicht die rechte (versteht sich nach meiner Einsicht) und dieß, meyne ich, ist schon genug, Sie zu noch längerer Forschung zu bewegen. Bey unsrer weiten Entfernung von einander, welche so bald aufzuheben, nach dem was Sie melden, demnächst keine Aussicht ist, so wie bey den vielen Geschäften, die theils schon jezt auf mir liegen, theils in noch höherem Maß mich erwarten, kann ich mich nicht darauf einlassen, Ihnen jenes Urtheil genauer auseinanderzulegen, und muß mich nothgedrungen mit Ihnen auf denselben Fuß setzen, auf dem ich seit langer Zeit mit viel näheren Freunden stehe, Sie auf meine Schriften zu verweisen, namentlich an die schon erschienene, Ihnen vielleicht unbekannt gebliebne Abh˖[andlung] Über das Wesen der menschlichen Freyheit (viel wichtiger, als Philos˖[ophie] und Relig˖[ion] – sie steht im I. Band meiner Philos˖[ophischen] Schriften. Landshut bey Krüll. 1809 und befindet sich wahrscheinlich auch in der Schwedischen Gesammt-Ausgabe meiner Schriften;) besonders aber auf die demnächst erscheinenden Vorlesungen über die Bedeutung der Mythologie 3 Theile, ein Buch, das Sie vollkommen über unser gegenseitiges Verhältniß aufklären wird. Wollte Gott, ich könnte etwas Reelles für Sie thun, und Sie nach Deutschland bringen. Allein dazu habe ich, vor der Hand wenigstens, keine Hoffnung. Aber schreiben Sie mir immer, wenn es Gelegenheit dazu gibt; Ihnen auf jede Weise, die meine Verhältnisse und meine Zeit erlauben, zu dienen, werde ich mir immer zur Freude rechnen. Mein lieber, unvergeßlicher Kernell hat auch Bruchstücke aus jenen mythol˖[ogischen] Vorlesungen seinem Tagebuch einverleibt. Wenn aber die Übersetzung, die mir davon gemacht worden (ich selbst verstehe nicht Schwedisch) richtig ist, so hat er meinen Sinn (vielleicht wegen Schwierigkeit der Sprache) keineswegs tief genug aufgefaßt und in einigen (freylich Neben-)Puncten mich sogar das Gegentheil von dem sagen lassen, was ich wirklich gesagt. Ich berechtige Sie, bey einer etwanigen Übersetzung von dieser Bemerkung Gebrauch zu machen.
Und so muß ich denn für dießmal von Ihnen mich trennen, ohne Ihnen einen weiteren Trost geben zu können, als, wenn Sie dieß für einen nehmen wollen, die Versicherung meiner herzlichen Theilnahme, meines aufrichtigen Wunsches, daß Ihnen geholfen werde, und der Hochachtung, mit welcher ich verharre
Dero
ergebenster
Schelling.