Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Wenn ich Ew Hochwohlgeborn Aufforderung, zu schreiben, nicht nachkäme, so geschähe es gewiß bloß aus Mangel an einem Gegenstande, welchen ich Ihnen mitzutheilen wagen dürfte. Um jedoch das Recht, das Sie mir gegeben haben, auf keinen Fall non utendo zu verlieren, beginne ich diesen Brief auf geradewohl, indem ich mich durch diesen Vorbericht gegen den Vorwurf eines inhaltslosen Schreibens hinlänglich gesichert glaube.

Ich weiß nicht, warum, seit ich Ew Hochwohlgeborn, zum leztenmale gesehen habe, München mir in einem anderen Lichte erscheint, als wohl früherhin, wo mich die neue Universität nach dem Verfliegen des ersten Enthusiasmus für das Neue, in ziemlich geringem Grade interessirte. Nun ist es mir ein Trost, daß Prof. Kopp, der in brieflicher Verbindung mit München lebt, den Antheil an dem, was dort geschieht, mit mir theilt. Wir kommen nie zusammen (und wir sehen uns oft, schon deshalb, weil ich ein Collegium, Cic˖[ero] Topik, gemeinschaftlich mit ihm lese), ohne daß wir von den dortigen Angelegenheiten sprächen. Erlangen ist öde, und die Juristenfacultät insbesondere ist öde. Die juristischen Studenten bleiben nach und und nach weg, und thäten eigentlich auch ganz recht daran, wenn es mich nicht auch träfe. Doch ich erzähle hier, was Sie »schaudernd selbst erlebt.« Indessen kommt es mir jetzt doch noch schlimmer vor. Wir haben jetzt in einem ganzen Jahr (und zwar noch während der Prof[ess]oren-Studienzeit) 28 Pandektisten gehabt, 11 hörten, soviel ich weiß, vergangenen Sommer bey Bucher, und 17 diesen Winter bey mir; sonst liest niemand Pandekten. Ich sehe schon im Geist, wie, gleichwie in jener Trauersymphonie, ein Licht nach dem andern verlischt, und wenn einige Baßgeigen noch im Finstern werden wenige Töne gesungt haben, endlich die ganze Universität ruhig entschlafen seyn wird. Nur ist freilich der Unterschied zwischen jenem Concert und unserem Fall, daß dort die Concertisten wegliefen, hier aber die Zuhörer.

Die neue Studienordnung ist publicirt worden in einer feierlichen Versammlung aller Lehrer und Studenten, wobey Herr Procanzler von Wendt weinte. Vielleicht wäre es besser gewesen, nicht die ganze Ordnung auf diese feierliche Weise zu publiciren, denn so bestand diese Handlung zum größten Theil in der Publication von Strafdrohungen, unter deren Masse das königliche Geschenk, welches die Ordnung enthält, fast ganz verschwand, was denn besonders nach der süßen Rede des Herrn Pror˖[ectors] Mehmel einen seltsamen Eindruck machte. Dazu kommt noch daß der hiesige ci devant Senat ein eignes Talent hat, einer ernsten Handlung ein milderndes komisches Element, gleichsam als ein Hasenschwänzchen anzuhängen. So hatte er z.B. sechs Tage vorher die Studenten unter der Hand darauf vorbereitet, daß der Herr Procanzler am Ende ein viveleroi anbringen werde. Ich muß gestehen, daß mir, der ich dieß wußte, schon während der ganzen Handlung das Lebehoch in den Ohren klang, und daß ich bey der wiederkehrenden »Carcer, Dimission, Relegation« an die Erzählung in Cabale und Liebe denken mußte, wo die verkauften Soldaten, nachdem die nasenweisen Burschen erschossen waren, in ein herzliches es lebe der König ausbrachen. Jene vorausgehende Insinuation an die Studenten hatte natürlich die Folge, daß die wenigsten mitriefen. – So eben erfahre ich, daß Herr von Wendt seinen Spruch und Vivat auch in eine münchner Zeitung hat setzen lassen, wie auch schon in die hiesige.

Der König vermöchte jetzt der Universität, sofern sich die Kammern nicht der Oeffentlichkeit der Gerichte widersetzen, eine sehr bedeutende Wohlthat dadurch erzeigen, daß er ein Bezirksgericht hieher verlegte. Es ist nicht zu berechnen, was das Rechtsstudium durch die Nähe der öffentlichen Verhandlungen gewinnen würde; welche Gelegenheit müßte dieß zu einem eindringlichen, lebendigen Unterricht geben, für Lehrer, die es verstehen, sie zu benützen. Wir würden wiederum, wie in der guten alten römischen Zeit (ich nenne sie natürlich nur als Jurist die gute), einen Theil des Unterrichts aus den engen Auditorien heraus, auf das Forum verlegen können, und Schule und Leben würde wieder jene Annäherung erhalten können, die besonders für unsere Wissenschaft so ersprießlich, ja wesentlich ist. Ich trage mich mit diesem Gedanken und pium desiderium, seit der Gesetzentwurf den Kammern mitgetheilt ist.

Ich empfehle mich nebst meiner Frau Ew Hochwohlgeborn und Ihrer Frau Gemahlinn. Wir haben bisher nur so erfreuliches von Ihnen gehört, daß wir recht freudig um Ihr ferneres Wohl für das Neue Gott bitten können. – Mit unbegränzter Verehrung
Ew Hochwohlgeboren
gehorsamster

Gg Fr. Puchta

N.S.

Wenn ich mich mit diesem Brief recht lebendig in die Zeiten Ihres Hierseyns versetzen darf, so will ich hier noch Nachrichten von Platen anfügen, womit beladen ich so oft in Ihr Haus kam. Er ist gegenwärtig in Rom, und wollte diesen in Pisa zubringen. Aber er ist in großer Geldnoth, da ihn Cotta, der ihm für das zweyte Jahr, wie für das erste, 1000 fl. versprochen hatte, nun sitzen lassen zu wollen scheint. Wenigstens hat Platen von ihm auf vielfaches Erinnern endlich nur einen Brief voll nichtssagender Förmlichkeiten, und kein Geld erhalten.