Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Innigst verehrter Freund!

Dein Herr Bruder hat die Güte gehabt, mir einige Mittheilungen in Deinem Namen zu machen, betreffend die Aufnahme einiger unserer ältern Fürsten in Walhalla. Da die Frage in Absicht Herzog Christophs bereits entschieden scheint, so habe ich nur noch zu bemerken, daß Eberhard I. genannt im Bart, eben soviele, wo nicht mehr Ansprüche hat. Der Kürze halber beziehe ich mich auf meine Schrift von namentlich S. 56 ff. Das voranstehende Bild hat wenigstens das Verdienst möglichster Aehnlichkeit, da das Original schon sehr verdunkelt ist.

Ich sage nichts mehr von meinem unglücklichen Verfehlen des mir zugedachten freundschaftlichen Besuchs im letzten – ich will im Gegentheil bitten, mich’s bei Deiner nächsten Reise ins Vaterland nicht entgelten zu lassen. Schon lange stehe ich im Begriff, Dir zu schreiben, um über meine gegenwärtige Arbeiten Deine Ansichten und Deinen freundschaftlichen Rath zu erbitten, nur besorge ich, der Gegenstand möchte für einen Brief zu weitläufig seyn. Also für jezt wenigstens die Hauptsache.

Perthes von Hamburg, gegenwärtig in Gotha, hat den Plan, ein Handbuch der Europ˖[äischen] Staatengeschichte herauszugeben, das für das jezige Bedürfniß seyn soll, was zu ihrer Zeit die allgem˖[eine] Weltgeschichte von Guthrie, Gray p gewesen ist. Die Leitung hat Heeren übernommen. Mir ist die allgem˖[eine] Geschichte der Teutschen zugedacht worden und zugleich die Redaktion der Specialgeschichte der T˖[eutschen] Bundesstaaten. Ich kenne alle Schwierigkeiten dieses Unternehmens; da mich aber keiner überboten hat, und mein Entwurf, den ich der Gesellschaft mitgetheilt habe, Beifall gefunden hat, so habe ich die Sache auf mich genommen, um sie wenigstens nicht in schlechtere Hände gerathen zu lassen. Seit habe ich das 1te Buch beinahe zur Vollendung gebracht. Das Eigenthümliche meiner Arbeit besteht hauptsächlich in folgendem. Es soll nicht sowohl auf neue Untersuchungen ausgegangen werden, (wiewohl ich es auch nicht daran fehlen lassen werde) als vielmehr auf quellenmäßig geprüfte und brauchbare Resultate der vielen bisherigen Untersuchungen. Es soll mit Übergehung aller leerer Streitfragen immer nur das herausgehoben werden, was für die Nation wesentlichen Werth hat, und behält; manche weitläufige Kapitel werden schmelzen und dagegen andere erscheinen, von welchen bisher noch wenig die Rede gewesen ist. Die Form wird zum Zweck haben, durchaus eine klare Übersicht des Großen, oft äußerst verwickelten, Ganzen zu geben, vermittelst einfacher Durchführung der Grundbegriffe teutscher Verfassungsformen, so wie der nationalen Eigenthümlichkeiten in allen Stufen ihrer Ausbildung, damit ein treues Bild der Nation, sowohl in der Zeit ihrer schönsten Blüthe und Kraft, als in der ihrer tiefsten Herabwürdigung erscheine. Mein 1stes Buch enthält 3 Perioden, die Völkerstämme, die Völkervereine, der erste Versuch eines Reichs unter den Franken. Es ergibt sich, wie hart es gehalten, bis nur die Stammverfassung durch die beständigen Angriffe der Römer endlich gesprengt worden und der Zusammentritt in größere Landwehren Statt gefunden. Diese sind dann bald ins Erobern hineingekommen, aber im Grund sind die Teutschen schon bei diesem zweyten Schritte in ihrer Verfassung stecken geblieben. Es entstanden teutsche Völker, aber in Wahrheit wie ein GesamtVolk. Die Formen für lezteres sind in der Form des H˖[eiligen] römischen Reichs teutscher Nation untergegangen.

Für die ältere Geschichte bedarf wohl die Mythologie noch am meisten gründlichere Untersuchungen; gegenwärtig wird hierüber mehr phantasirt, als gedacht; nicht einmal die wenigen, ächten Thatsachen, die man hat, werden genau geprüft. Die Frage von der Herkunft, von dem Cultur Stand der Germanen p hängt mit diesen Untersuchungen aufs genaueste zusammen. Eine andere Fundgrube, die bisher von niemand, als von den Juristen nach ihrer Art benuzt worden ist, sind die alten Geseze; hier glaube ich besonders etwas leisten zu können.

Hast Du, Theuerster Freund! über das bisher gesagte, (es mag für jezt genug seyn) etwas zu erinnern, findest Du es der Mühe werth, etwas von deinen Ansichten hierüber mitzutheilen, es betreffe nun die Tendenz des Ganzen, oder einzelne besondere Rücksichten, – so wirst Du mich dadurch Dir aufs neue und innigste verbinden.

Möchten diese Zeilen Dich mit Deinen Theuersten in erwünschtem Wohlseyn treffen!
von Herzen der Deinige

Pfister.


Herrn Geh. Hofrath von Schelling

in Erlangen.