Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Herrn

Geh˖[eimer] Hofrath und Director

von Schelling Wohlgeb˖[oren]

in

Erlangen

frey.

Verehrenswerthester Freund!

Meine Abreise war auf oder heute früh festgesetzt; und muß nun durch den längst gefürchteten, gestern Abend nach 10 U˖[hr] wirklich erfolgten Todesfall meines Schwiegervaters auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Ich habe so viel zu thun, daß ich nicht weiß, womit ich zuerst anfangen soll; doch liegt mir Fritz zu sehr am Herzen, als daß ich ihn auch nur einen Augenblick vergessen könnte. Erlauben Sie mir daher, verehrtester Freund, Ihre Freundschaft für mich und ihn noch ferner in Anspruch zu nehmen, und Sie zu bitten, nicht nur, ihn von Ferne, nach Ihrer Convenienz und nach Maaßgabe Ihrer Verhältnisse, zu beobachten, sondern auch mit gutem Rathe und ernstlichen Ermahnungen zu unterstützen.

Eine Stelle in meinem letzten Briefe an Sie, mein liebster und verehrtester Freund, muß entweder sehr undeutlich abgefaßt, oder von Ihnen mißverstanden worden seyn. Meine Idee war auf keine Weise, daß Sie Fritz etwas von unserer Correspondenz, und noch weniger von deren detaillirtem Inhalte demselben mittheilen sollten, ich wollte Ihnen im Gegentheil nur ganz freyes Feld lassen, um Sie nicht zu geniren. Fritz weiß durchaus nichts von unserem Briefwechsel, und soll dessen Inhalt nie erfahren. Ich habe Ihnen gleich Anfangs mein Ehrenwort gegeben, daß Sie dadurch nie compromittirt werden sollen, und das werde ich halten. Wie könnte es mir je in meinem Leben einfallen, Sie Fritz gegenüber stellen zu wollen? Da müßte ich wahrlich alles eigne Ehrgefühl, alle tiefe und innige Hochachtung und Freundschaft, die ich gegen Sie hege, verloren haben, müßte das Verhältniß zwischen Vater und Sohn vergessen, wo jener nicht diesem, sondern dieser jenem Rede zu stehen hat; endlich müßte ich der undankbarste Mann seyn, die mir so redlich, so liebevoll und so offenherzig geleisteten großen Freundschaftsdienste, so schlecht zu erkennen, und noch schlechter zu belohnen! Nein, verehrtester Freund! dessen können Sie mich nicht für fähig halten.

Uebrigens ist es ja auch wahr, daß ich auf vielen anderen Wegen die Nachrichten über Fritz hätte erhalten können. Er kann meine Quelle nicht errathen, wenn er auch im Allgemeinen wüßte, daß wir miteinander correspondiren, welches er auch nicht einmahl weiß. Ich habe Bekannte genug in Erlangen; konnte und wollte aber weder directe noch indirecte andere Nachrichten als von Ihnen haben, da ich zu Ihnen mein ganzes unbeschränktes Vertrauen habe.

Einliegend der letzte Brief von Fritz vom , den Sie mir wieder zurückschicken wollen. Der frühere hatte mich, so wie Sie, indignirt. Im Letzten verspricht er allerley, obschon der Brief im Ganzen mir auch mißfällt. Der junge Mensch braucht fleißige Ermahnungen und Antriebe von Außen. Helfen Sie mir darin, theurester Freund, wenigstens so lange, bis daß die jetzigen Verhältnisse sich ändern, und ich mich persönlich wieder mehr mit dieser Sache beschäftigen kann.

Meine Frau ist durch den Tod ihres Vaters so tiefgebeugt und niedergedrückt, daß sie es wohl verdiente in den künftigen Nachrichten über unsern Sohn einigen Trost zu finden.

Sie grüßt Sie und die lieben Ihrigen Alle von Grund des Herzens, denen ich mich ebenfalls bestens empfehle.
Ganz der Ihrige

Kerstorf

Verzeihen Sie die Unordnung und Eilfertigkeit dieses Briefes.