Jena, den .
Seit mehr als zwei Jahren, mein theurer Freund, trage ich Ihren letzten, mir so erfreulichen Brief im eigentlichsten Sinne mit mir herum. Bis an die nördlichsten Gränzen des ehemaligen Deutschen Reiches (Eudora romani terminus imperii) hat er mich begleitet; denn auch ich habe meine Nordpolexpedition gemacht, obwohl ich nicht völlig bis zum 80sten Grade gekommen bin. Allein ich habe eingesehen, daß es für mich ein durchaus vergebliches Unterfangen ist, auf Reisen oder an einem fremden Orte Briefe beantworten zu wollen, und überhaupt irgend etwas Vernünftiges zu beginnen. Also ist Ihr Brief wieder mit mir nach Jena zurückgekehrt. Und da, wenn man einmal in’s Aufschieben hinein gerathen ist, nur eine besondere Veranlassung wieder heraus helfen kann, so freue ich mich, eine solche an beikommendem neuen Calderonbande gefunden zu haben. Möge der treffliche Don Pedro bei Ihnen mein Fürsprecher und Entschuldiger seyn!
Ich konnte den dringenden Einladungen der Meinigen und dem eigenen Verlangen, nach dreiundzwanzigjähriger Abwesenheit meine Vaterstadt wiederzusehen, nicht länger widerstreben. Und so machte ich im mich auf, und reiste über Göttingen, Hannover, Osnabrück, Oldenburg und Bremen nach Hamburg, wo ich den ganzen Winter zubrachte. Von dem Sardanapalischen Leben, welches ich daselbst geführt, ist wenig zu erzählen;
»Immer war’s Sonntag, es dreht’ immer am Heerd sich der Spieß.
«
Doch war das rastlos thätige Treiben dieser großen Handelsstadt, schon um des Contrastes willen, mir sehr anziehend, und ich konnte der Wunderkraft einer freien Verfassung, die in so kurzer Zeit unheilbar scheinende Wunden zu heilen verstand, meine Bewunderung nicht versagen. Zwar ist mancher Einzelne in dem ungeheuren Umschwunge des Glücksrades zu Grunde gegangen; aber das Ganze besteht, und wird bestehen, bis ...
Nachdem ich beinahe 6 Monate in Hamburg verschwelgt hatte, begab ich mich im nach Kiel, als dem nördlichsten Punkte meiner Wanderschaft, und reiste dann über Eutin, Lübeck, durch Meklenburg, nach Berlin, wo ich mehrere Wochen, im Kreise vieler alten und neuen Freunde und Bekannten, sehr vergnügt zubrachte. Ich gestehe, daß der Aufenthalt in der nordischen Königsstadt mir ungemein wohl behagte. Vielleicht ist kein Ort in Deutschland, und (Paris ausgenommen) vielleicht in Europa kein Ort, wo eine so große Anzahl von ausgezeichneten Männern in den meisten Fächern der Kunst und Wissenschaft versammelt wäre, wo zugleich eine so heitere Geselligkeit herrschte und auch für die Bedürfnisse des sinnlichen Menschen so reichlich und geschmackvoll gesorgt würde, wie in diesem deutschen Palmyra. Nur Eines fehlt: eine auch nur leidliche Gegend. Und da diese einmal zu meinen unentbehrlichsten comforts gehört; da ich schlechthin keinen Begriff davon habe, wie man einen Sommer in Berlin überleben kann: so – kehrte ich nach Jena zurück.
Seit einem Jahre lebe ich wieder in diesem einst so blühenden, jetzt so verfallenen, Musensitze; und daß ich die Hände nicht in den Schooß gelegt habe, davon wird beikommendes Büchlein Ihnen den bündigsten Beweis geben. Es ist wahr, arbeiten läßt sich vortrefflich in Jena; aber auch weiter nichts, als arbeiten. Im übrigen sage ich oft mit Faust: »Es mögte kein Hund so länger leben!
« Was ehemals den Aufenthalt in Jena so anziehend machte, davon ist keine Spur mehr vorhanden, kaum der Name, kaum der Schatten des Namens. Stat magni nominis umbra!
Indessen ist nichts so schlimm, das nicht auch sein Gutes hätte. Ich komme hier z.B. sehr selten in den Fall, die Abnahme meines Gehörs zu beseufzen. Denn auch der letzte Rest von Geselligkeit kommt immer mehr abhanden, und ist manche Woche hingegangen, ohne daß ich meine Pantoffeln anders ausgezogen hätte, als um in’s Bett zu steigen, oder irgend einen andern Menschen gesehen, als meine betagte Aufwärterinn.
Doch weßhalb behellige ich Sie mit diesen Kläglichkeiten? Lieber will ich Ihnen meinen herzlichen Dank sagen für die große Freude, die ich bei der Nachricht empfand, daß Sie München mit Erlangen vertauscht und den Wirkungskreis wieder aufgesucht haben, der unter allen Ihnen am meisten angeeignet ist. Auch für Ihre Gesundheit hoffe ich von dieser glücklichen Veränderung die besten Folgen. Mit großem Kummer hörte ich, während meines Aufenthalts in Hamburg, von der bedeutenden Gefahr, welcher Sie ausgesetzt waren. Gottlob, daß es sich so gewandt hat, mein theurer Freund! Das mildere Klima Ihres jetzigen Wohnortes wird den übeln Einflüssen der Münchener Sumpfluft kräftig entgegen wirken, und ich hoffe, mich selbst noch augenscheinlich von Ihrem vollkommenen Wohlseyn zu überzeugen. Wir sind ja nun nicht mehr so weit von einander entfert, daß eine Zusammenkunft zu den ganz undenkbaren Dingen gehören sollte. Ihre liebe Pauline hier zu sehen, ward uns im vergangenen einige Hoffnung gemacht; leider unerfüllte! Empfehlen Sie mich der trefflichen Freundinn auf’s angelegentlichste.
Goethe – Sie werden gewiß noch eben so gern von ihm hören, wie vor 20 Jahren, obwohl andere unsrer Zeitgenossen ihn gleichsam als einen mediatisirten Fürsten zu behandeln gemeint sind – Goethe befindet sich jetzt, in seinem 72sten Jahre, besser als in früherer Zeit und ist noch immer zu unsrer Freude thätig. Der erste Band von W˖[ilhelm] Meisters Wanderjahren – einer Art von Dekameron, dessen meiste Erzählungen schon einzelne gedruckt waren – wird noch in dieser Messe ausgegeben; so auch neue Hefte von Kunst und Alterthum und von der Morphologie. Auch hat er kürzlich einen Prolog zur Iphigenie gedichtet, womit das neue Berliner Schauspielhaus soll eröffnet werden. Welch ein kräftiges, unerschöpfliches Alter!
Leben Sie wohl, mein theurer Freund. Lassen Sie mich, wenn es seyn kann, bald etwas von Ihnen hören, und bleiben Sie meiner in Freundschaft eingedenk.
Für immer
Ihr
JD Gries
Auf Ihr ausdrückliches Verlangen lasse ich dies Packet unfrankirt abgehen.