München .
Dießmal, beste Pauline, schreibe ich Ihnen recht absichtlich gleich wieder; nicht daß ich mir schmeichelte, mein Schreiben könnte für Sie ein besondrer Trost seyn, sondern um nur recht bald wieder Nachrichten von Ihnen zu erhalten. Das Leiden der ganzen dortigen Gegend ist mir (so engherzig bin ich) bis jetzt im Grunde wenig zu Herzen gegangen, aber so werthe, liebe Freunde bedrängt zu wissen, greift mir an die Seele. Denke ich nun dazu, wie lange dieß alles währen kann, so kann ich den Gedanken nicht abhalten, den auch Caroline so oft geäußert: wenn doch die liebe Mutter anstatt in Gotha mit allen ihren Kindern in München wäre! – Hier sehen wir doch vorerst ruhigen Jahren entgegen, und München muß wohl ja manche Vorzüge vor Gotha haben. Theurer lebt es sich hier gewiß auch nicht, ja in jetzigen Zeiten zweifle ich kaum, daß nicht wohlfeiler.
Ich kann mir den Gedanken recht lebhaft ausmahlen; zufälliger Weise trifft sich, daß dieses in gleicher Linie mit meiner Wohnung, im nämlichen Haus, eine andre frey wird, die ich mir gerade groß genug für Sie denken kann und in der ich mir Sie so gerne einbilden möchte. Höchst eigennützig sind freylich alle diese Gedanken; welche Wonne sich mit gleichgestimmten Seelen zusammen zu finden! und auch all’ mein äußeres Leid, die Pein, die mir die Sorge für die physische Existenz macht, wäre gehoben; ich übergäbe mich sammt allem was zu mir gehört der lieben Mutter und alle meine Verwirrung wäre bald in Ordnung aufgelöst. Welche Träume! – –
Es will auch bey uns noch immer nicht recht Frühling werden; ein unaufhörliches Regenwetter hält mich im Hause und in der Stadt zurück. Ich habe mir für diesen einen ordentlichen kleinen Landsitz gemiethet; eine Mühle, eine kleine Kapelle und ein Schlößchen machen den kleinen Platz aus, den man Mariä-Einsiedel nennt und den ich diesen Sommer bewohnen will. Nahe der Isar, mit einem großen Grasgarten unter Felsen versteckt, im Mittelpunkt der schönsten Partieen unsrer Gegend glaube ich da recht vergnüglich zu wohnen; aber ich fürchte, es wird noch eine Zeit währen eh’ ich dahin komme. Das Plätzchen ist nur eine kleine Stunde von München und es führt der angenehmste Spaziergang am Wasser über Wiesen dahin.
Diese Tage geht mein guter Freund Dr. Köhler zur Armee und läßt seine arme kleine Frau, eine Tochter von Wiebeking, der kürzlich durch einen russischen Orden sehr beglückt worden, hier zurück. Ich hoffte, sein Weg sollte ihn auch über Gotha führen, und war nicht übel Willens, ihn zu begleiten und mich dort bey guten Freunden als Militär einquartieren zu lassen. Daraus ist nun nichts geworden; desto fester hoffe ich, auf friedliche Art dorthin zu gelangen und nur desto freundlichere Aufnahme zu finden.
Mit unsrer Akademie der Wissenschaften ist eine ziemliche Veränderung vorgegangen. Ein beständiger Königlicher Commissär führt künftig die Oberaufsicht und Leitung des ganzen Instituts. Man sieht diese Verfügung allgemein als eine stillschweigende schonende Absetzung des Präsidenten an, der seine Unfähigkeit lang genug bewiesen hatte. Der arme Schlichtegroll ist seitdem noch um ein gut Theil kleinmüthiger als zuvor und läßt die Ohren völlig hängen. Jacobs wird über das Ende der ehmaligen Herrlichkeit nicht weniger verwundert seyn.
Ich freue mich Ihres glimpflichen, billigen Urtheils über mein Buch, das freylich aus dem Standpunkt aller hier stattfindenden Verhältnisse betrachtet werden muß; das im Ausland zum Theil, hier aber von einer andern, die nicht zu der getroffenen Partey gehört, zu stark befunden worden ist. Ich wünsche, daß Sie es denn doch nicht am Ende noch zu arg gefunden haben.
Verzeihen Sie den hingeeilten, unrein geschriebnen Brief; nur zweymal in der Woche gehen Brief nach G˖[otha] und ich wollte nun einmal die heutige Post nicht versäumen. –
Ich küsse der lieben Mutter die Hände und grüße die Schwestern; leben Sie wohl, beste Pauline!
Schelling.