Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Wie hätte ich denken können, beste Pauline, daß Ihnen auf dem alten Schloß solche Erschütterungen bevorstünden und daß Sie in den Schoß der Ihrigen zurückkehrend einer gleichen schmerzlichen Erfahrung entgegengehen würden? – Auch mich hat dieß Jahr schon herb genug begrüßt; ein edler Jüngling, einst unter meinen Zuhörern, der mit warmer Jugendliebe an mir hieng, schon ein Freund im größten Sinne des Worts, Sohn eines Mannes, den ich ausnehmend verehre, wurde das Opfer seiner ersten Ausübung der trefflich erlernten Heilkunst; ein durch Ansteckung erhaltnes Fieber riß ihn unrettbar dahin und ich mußte ihm zum frühen Grabe folgen. Kaum gewöhnt sich das Herz solchen Verlust zu glauben; wir halten das Geschehene lang für unmöglich und sehen die geliebte, lebensvolle Gestalt vor uns mit einer Wahrheit, die der Wirklichkeit selbst widerspricht.

Solche Erfahrungen schließen verbündete Herzen enger an einander; täglich zieht sich der Kreis der Freunde mehr zusammen; desto inniger müssen die Wenigen fühlen, daß sie zusammengehören, daß Sie wirklich Ein Herz und Eine Seele sind.

Wende der gütige Himmel alle Vorzeichen ab, die wir aus solchen Begegnissen am Anfang eines neuen ziehen, dessen früher täuschender mich gar nicht anlacht. Jammer und Elend wird es genug über Tausende bringen, wenn nicht ein guter Stern auch dieß noch ablenkt.

Ich begreife es, liebe Pauline, wenn Sie mir nichts so sehr als den Frieden wünschen; mein eigen Herz ist einverstanden mit dem Wunsch, aber können wir hoffen, ihn in einer Welt wie diese immer zu erhalten und wird der Krieg nicht unter gewissen Umständen heilige Pflicht?

Lassen Sie sich mein letztes Buch nicht anfechten; es ist ein Opfer, das ich dem Frieden selbst bringen mußte, den ich bis jetzt nur täuschender Weise genießen konnte, und der drückender war als offner Krieg. Das Buch ist mir auch darum nicht unlieb, weil es in der Entwicklung meiner Gedanken eine Art von Epoche macht. Literarische Unannehmlichkeiten, die für mich daraus entstehen könnten, werde ich abzuwehren wissen, um so mehr, da eben nicht abzusehen ist, was auf diese Art viel dagegen zu thun ist. Äußre und politische unangenehme Folgen hat es bis jetzt nicht für mich gehabt und kann also ferner keine haben; im Gegentheil, es hat mir hier eine Menge Freunde gemacht und alle Parteyen vereinigt die eine ausgenommen welche nun ganz bloß dasteht. Von allen Anhängern hat sich Schlichtegroll am klügsten und unbefangensten benommen; ich möchte wissen, wie er die Sache nach Gotha berichtet.

Das Einzige um dessen willen ich dem Buch feind bin, ist daß es mich einen Monat gekostet und so viel Zeit meiner Hauptarbeit entzogen hat. Ohnedieß wäre ich wohl so weit gediehen um mit dem ersten Frühling den lang’ gewünschten Ausflug zu machen. Das werd’ ich nun freylich nicht können; aber im rechne ich, doch endlich frey zu seyn.

Hätte ich gewußt, daß Herr Capellmeister Weber einen so langen Aufenthalt in Gotha machen würde, so hätte ich mir das Vergnügen gemacht, ihn auch an Ihr Haus zu addressiren. Er ist in seiner Art ein sehr talentvoller Mann. An Goethe nahm ich mir die Freyheit, ihm einige Zeilen mit zu geben; er klagte aber, von ihm sehr kalt aufgenommen worden zu seyn. Es scheint mir überhaupt, daß ich neuerlich bey dem alten Herrn nicht mehr in Gnaden sey. Er schreibt hieher an diesen und an jenen; mir hat er, ob ich ihm gleich nun einigemal geschrieben, seit langer Zeit nicht geantwortet. – Mein Buch habe ich ihm durch den Buchhändler zuschicken lassen; könnten Sie erfahren, wie und was er davon urtheilt, so wär’ es mir begreiflich sehr angenehm.

Doch ein Wörtchen von Ihnen, bestes Kind, wenn Sie nicht über dem Geklirr der wissenschaftlichen Waffen gleich alle Lust verlieren, einen Blick darein zu werfen, würde mir freylich über Alles werth seyn.

Goethe’s Lebens-Fragmente werden Sie inzwischen erhalten haben.

Gedenken Sie dabey bisweilen des entfernten Freundes, der Sie, die liebe Mutter und die Schwestern mit den herzlichsten Grüßen grüßt und nicht aufhört Ihrer in Freundschaft und Liebe zu denken.

S.